Predigten

Predigt zum Sonntag Invocavit , 06.03.2022,
gehalten von Pfarrerin Sabine Tarasinski

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Donnerstag, 24. Februar 2022: Das Datum wird sich einbrennen in unsere Geschichte. Ohnmacht, Schrecken, Entsetzen, das Unmögliche denken müssen. Handlungsunfähigkeit. Krieg nach so vielen Jahren des Friedens. Die eine Plage Corona ist nicht vorbei – und schon die nächste Bedrohung. Nicht 1,50 m Sicherheitsabstand, sondern 1500 km. Aber ist das sicher? Was wird auf uns noch zukommen?

Vor Schrecken starr und stumm war Zacharias, erst langsam erwachte er aus seiner Lethargie, besann sich auf seinen Glauben und auf seine Hoffnung auf den Retter der Welt, seine ersten Worte als er aus der Schreckensstarre aufwachte, waren Worte des Gebets. Wir finden sie im Anfang des Lukasevangeliums: Eines seiner Worte war: Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

24 Stunden sehen wir Bilder aus der Ukraine, aus Kiew, von den Grenzen zu Polen. Bilder, die durch private Medien wie Filme und Handyaufnahmen persönlicher und emotionaler sind als alle Kriegsbilder, die uns bisher aus anderen Kriegsregionen erreicht haben. Es sprechen uns Menschen in unserer Sprache an und weinen, zeigen ihre Angst. Männer, die an deutschen Universitäten studiert haben, tragen Waffen, um ihre Heimat, ihre Straße, in der sie bisher friedlich wohnten, zu verteidigen. Kinder übernachten in U-Bahn-Schächten. Junge Männer, die mit unseren Kindern in der Schule waren, sind bewaffnet und haben Angst um ihr Leben. Ein Mann aus Kiew schrieb gestern seinem Freund: Morgen habe ich Geburtstag – und ich weiß nicht, ob ich ihn erlebe.

Haben wir gedacht, seit Ende des zweiten Weltkriegs sind die Viren-Angriffe die größte Herausforderung, so müssen wir jetzt feststellen, dass Angriffe mit Waffen Demokratie und jeden und jede einzelne von uns mehr bedrohen.

Der Schrecken ist in die Glieder gefahren und lähmt. Und doch dürfen wir beim Verstummen und Schweigen nicht stehen bleiben. Wir müssen in Bewegung kommen: das ist nicht nur Aufgabe von Politikern, von Diplomaten, da sind wir alle zu humanitärer Hilfe gefragt: mit Hilfsgütern, mit Geldern, ja, auch mit der Überlegung, wie wir Flüchtlinge aufnehmen können. Und als Christen sind wir aufgefordert, zum Gebet: für die Opfer, um den Frieden.

Vor 83 Jahren waren wir als Christen schon einmal aufgefordert, massiv Stellung zu nehmen zum Kriegsgeschehen. Damals haben wir lange geschwiegen, erst nach dem 1947 unser Versagen und unsere Schuld eingestanden. Sie können jetzt sagen: das war ja damals was ganz Anderes ,,, wir haben den Krieg verursacht. Aber was hat das Kriegsgeschehen an den Grenzen Europas jetzt mit uns zu tun? Nun, bei einem Verkehrsunfall werden auch die Voyeure, die vorbeifahren und filmen, die stehen bleiben und zuschauen inzwischen strafrechtlich verfolgt. Nichts tun und zuschauen, das ist auch schon sträflich. Und wissen Sie, was noch auf uns zukommt? Welche Waffen nicht auch uns treffen können? Welche Folgen finanzielle Strafmaßnahmen nicht auch unser Wirtschaftssystem, da eh gerade durch Corona geschädigt ist, weiter belasten wird?

Die Erinnerung an die Vergangenheit heißt heute vor allem, zu jeder Zeit sensibel, wachsam und aufmerksam zu sein für die Gefährdung des Friedens und ihm zu seinem Recht zu verhelfen.

So können wir beten und hoffen mit den Worten des Zacharias: Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.: dass dieser Mann aus Nazareth, der Christus Gottes, unsere Füße auf den Weg des Friedens richte, dass wir aus seinem Geist des Friedens Kraft schöpfen, für den Frieden zu sorgen. Deshalb treffen wir uns zum Gottesdienst und beten gemeinsam: statt Passionsandachten werden wir Friedensandachten halten: jeden Freitag um 18 Uhr vor der Heuchelheimer Kirche.

Damit wir Kraft bekommen in Situationen, in denen wir vor Schrecken erstarren; damit wir nicht verstummen angesichts von Grausamkeit, Lügen, tiefster menschlicher Bosheit, vor Zerstörung, Flucht, Tod und unendlichem Leid unschuldiger Menschen. Das Gebet lässt uns nicht verzweifeln, auch wenn wir kaum einen Ausweg erkennen können. Und das Gebet ist Ausdruck unserer Solidarität mit den leidtragenden Menschen.

„Nie wieder Krieg!“ hieß und heißt es und „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“

Und doch ist er da – nicht nur in der Ukraine. Die Kriegsherde weltweit dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren: in 25 Ländern herrscht Krieg oder Bürgerkrieg: Somalia, Afghanistan, Syrien, Kolumbien, Mali, Libyen, Mindanao, Sudan, Kongo, Myanmar….

Alle sind komplex und es gibt keine einfache Lösung, sonst hätte man sie sicher gefunden. Aber klar ist: Für keinen Konflikt dieser Erde gibt es eine Lösung mit Mitteln der Gewalt.

Und: es gibt keine Rechtfertigung für Krieg, und keinen gerechten Krieg- nur einen gerechten Frieden. Deshalb gib es zuallererst, Menschen Gerechtigkeit zu verschaffen, ihre Lebensverhältnisse zu sichern, Konflikte mit gewaltfreien Mitteln zu begegnen – und diesem Denken und Handeln den absoluten Vorrang einzuräumen

Ich will als Christin eingestehen, dass Friede mit menschlicher Vernunft nicht einzuholen ist: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft muss daher eingreifen, darum will ich bitten, darum will ich ringen.

Im Darmstädter Wort von 1947 heißt es: Wir haben es bezeugt und bezeugen es heute aufs Neue: Durch Christus widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Darum bitten wir inständig: Lasst die Verzweiflung nicht über euch Herr werden, denn Christus ist der Herr. Gebt aller glaubenslosen Gleichgültigkeit den Abschied, lasst euch nicht verführen durch Träume von einer bessern Vergangenheit oder durch Spekulationen um einen kommenden Krieg, sondern werdet euch in dieser Freiheit und in großer Nüchternheit der Verantwortung bewusst, die alle und jeder einzelne von uns für den Aufbau einer friedlichen Weltordnung tragen, das dem Recht, der Wohlfahrt und dem inneren Frieden und der Versöhnung der Völker dient.

Dazu gebe uns Gott seine Weisheit uns seinen Frieden, der höher ist als alle unsere Vernunft und der unsere Herzen und Sinne bewahre in Jesus Christus. Amen.

Predigt zum Sonntag Estomihi, 27.02.2022,
geh
alten von Lektorin Bärbel Neubauer

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Der Predigttext am heutigen Sonntag Estomihi steht im Markusevangelium Kapitel 8,31-38

 

31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

 

Gott, sende deinen Geist, der uns Mund, Ohren und Herzen öffne, dass wir dein Wort recht predigen und recht verstehen.

Amen.

 

Liebe Gemeinde,


Er hat schon früh gelernt, sich zu beugen. Der Vater herrisch, die Mutter vorsichtig und angepasst. Wenn er widersprochen hat als Kind, konnte er was erleben. So wurde er immer stiller, machte viel mit sich selbst aus und rebellierte nur in Gedanken. Später tat er nicht einmal das. In der Schule war er fleißig, zu Hause hilfsbereit, seinen Freunden versuchte er es recht zu machen. Damit wurde er angenommen, auch wenn er nicht gerade beliebt war. Bloß nicht anecken, war seine Devise. Bloß nicht auffallen. Und nur ja keinen Ärger provozieren. Mit dieser Maxime kam er durch, wurde erwachsen, schaffte sein Studium mit besten Noten. „Alle Erwartungen hat er stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt“, war in seinen Arbeitszeugnissen zu lesen. Die Erwartungen der anderen kannte er gut, nur seine eigenen waren ihm fremd. Ein Lebenstraum? – Fehlanzeige. Sein Herzenswunsch? – Danach befragt, wüsste er nichts zu antworten. Wann er das letzte Mal richtig glücklich war? – Er konnte sich nicht erinnern. Da hatte er sich immer zurückgenommen, um sich zu schützen, um sein Leben zu bewahren und an allen Kreuzen vorbeizukommen, und nun diese bittere Erkenntnis!

Immerhin, sie ist ein Anfang und der erste Schritt in eine neue Richtung. Jesus sagt: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren. Was hilft es dem Menschen, wenn er Schaden nimmt an seiner Seele?“

 

Es war ein Kreuz, mit dem sie lange haderte. Dass sie anders empfand als andere Mädchen in ihrem Alter, hatte sie früh bemerkt. Sie wollte nie Prinzessin sein, hatte eine tiefe Abneigung gegen die Farbe Rosa und spielte lieber Fußball als mit Puppen. Das alles war nicht weiter schlimm, im Gegenteil. Sie war zufrieden mit sich und der Welt. Schwierig wurde es erst, als sie sich verliebte – in ein anderes Mädchen. Und noch schwieriger, als sie merkte, dass das immer so sein würde. Und die abwertenden Witze über Schwule und Lesben in der Klasse. Und ihre Eltern, wie würden sie reagieren, wenn sie sich ihnen offenbarte? – Lange wehrte sie sich gegen dieses Kreuz. Und trug schwer an seiner Last. Erst als sie es annahm und Ja zu sich sagte, wurde es leicht. Erst als sie ihren Weg fand, der schmal war und keine breite Bahn wie der der anderen, wurde sie eins mit sich. Was es heißt, sich zu verlieren, wenn man festhält an falschen Bildern von sich selbst, davon kann sie ein trauriges Lied singen.

Doch viel lieber erzählt sie davon, wie es ist, im richtigen Leben anzukommen. Jesus sagt: „Wer sein Kreuz auf sich nimmt, der wird sein Leben erhalten!“

 

Und Jesus selbst, der gerungen hat mit sich und seiner Bestimmung. Im Matthäusevangelium wird erzählt, dass der Teufel ihn in Versuchung führte. Alle Reiche der Welt wollte er ihm zu Füßen legen, wenn er sich vor ihm niederwirft. Doch Jesus widersteht der Versuchung des Reichtums und der Macht. Er will kein Herrscher sein, den alle fürchten, sondern ein Menschenfreund mit nichts als Liebe im Gepäck. Aber diese Liebe, von der auch Paulus in so glühenden, wunderbaren Bildern spricht, hat Feinde. „Er übertritt die Gesetze“, sagen die Pharisäer, „denn er macht Menschen am Sabbat gesund!“ – „Er ist freundlich zu Zöllnern und Kriminellen, nimmt eine Ehebrecherin in Schutz, gibt sich mit Römern und ungläubigen Samaritern ab. Hat er denn gar keine Moral im Leib?“ So fragen die Schriftgelehrten und Hohenpriester. Jesus ahnt, was auf ihn zukommt. Er spürt die Mauer aus Hass, die immer höher wird. Es ist der Hass von jenen, deren Weltbild bedroht wird durch seine Liebe, die alles glaubt und hofft und duldet und nicht bereit ist, irgendjemanden auszuschließen.

Er ahnt, dass er leiden, ja sterben muss. Soll er umkehren, sich anpassen, alles zurücknehmen, wofür er eingetreten ist? Soll er die Jünger zurückschicken zu ihren Fischerbooten? Und selbst nach Nazareth wandern und seinem Vater sagen, dass er nun doch die Zimmererwerkstatt übernimmt? Vielleicht quälen ihn solche Gedanken, und gerade deswegen herrscht er Petrus so an, so wie damals die teuflischen Stimmen in der Wüste: „Weiche von mir, Satan!“ Denn es wäre nicht sein Leben, dort in Nazareth in der Werkstatt seines Vaters. Vielleicht würden sie ihn nicht mehr verfolgen. Aber er würde, Tag für Tag, innerlich sterben. Was später zur Redensart wurde, gilt für Jesus ganz wörtlich: Lieber sein Kreuz auf sich nehmen, wenn es gar nicht anders geht! Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren. Und wer sein Leben verliert um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten – selbst wenn er stirbt.

 

Das sind große Worte, die leichter gesagt sind als gelebt. Und doch gibt es Menschen, die ihre Wahrheit bezeugen. Beeindruckend ist der Briefwechsel zwischen Helmut James Graf von Moltke, der wegen seines Widerstands gegen die Nazis hingerichtet wurde, und seiner Frau. Diese Briefe aus der Haft sind das bewegende Zeugnis eines Paares, das sein gemeinsames Leben loslassen muss. Und sie sind das Zeugnis eines Menschen, der weiß, dass er sein Leben verliert und doch etwas gewinnt, das ihm keiner nehmen kann. Seinen beiden Söhnen schreibt er: „Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor anderen … angekämpft, … der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat.“ Diesem Kampf und seiner Überzeugung ist er mit allen Konsequenzen treu geblieben. Jesus sagt: „Was kann ein Mensch geben, um seine Seele auszulösen, wenn er sie einmal verraten hat?“ Deshalb: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.“

 

Liebe Gemeinde, man kann die Worte Jesu leicht missverstehen, und sie sind oft auf eine ganz unsägliche Art interpretiert worden. Jesus geht es nicht um eine Verherrlichung des Leidens. Er war kein Masochist und irdischen Genüssen wahrlich nicht abgeneigt. Nicht ohne Grund war er, so berichten die Evangelien, als „Fresser und Weinsäufer“ verschrien. Aber es gibt Situationen, in denen es darauf ankommt, sein Kreuz zu tragen und seinem Weg zu folgen durch alle Widerstände hindurch.

 

Und, dieses Missverständnis ist noch gefährlicher, Jesus fordert auch nicht auf, sich zu verbiegen und sein Innerstes zu verraten, wie es eine dunkle Pädagogik mit Berufung auf unseren Markustext behauptet hat. Zum Fürchten eindrücklich wird das gezeigt in einem Film „Das weiße Band“. Da wird, am Beginn des 20. Jahrhunderts, in Kinder hineingeprügelt, dass sie sich und ihre Bedürfnisse zu verleugnen haben. Aber Jesus meint das Gegenteil: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne, der lasse los, was ihn abhält und hindert, zu wahrem, echtem Leben vorzudringen.“ Mag sein, dass man dabei Sicherheit verliert. Und Ansehen. Oder materielle Vorteile. Doch was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und Schaden nimmt an seiner Seele?

Was das richtige Leben ist, für das sich der volle Einsatz lohnt, das ist die Frage des heutigen Sonntags. Und was mich wesentlich macht und mir hilft, das Unwesentliche loszulassen. Die Ängstlichkeit des Petrus gehört nicht dazu, auch wenn ich ihn nur zu gut verstehen kann. Wohl aber die selbstverständliche Konsequenz Jesu. Und sein Vertrauen auf die Stimme Gottes in seinem Inneren, die ihm den Weg weist.

 

Paulus formuliert in besonderer Klarheit und Schönheit, was für ihn das Wesentliche ist: „Nun bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Die Liebe zu Gott, der mir das Leben schenkt und größer ist als ich selbst. Die Liebe zu anderen Menschen, denn durch sie bekommt mein Leben Glanz. Und die Liebe zu mir selbst, weil ich liebenswert bin und Gottes Kind. Wer dieser Liebe folgt, der tut es Jesus gleich und folgt ihm nach. Wer um ihretwillen leidet, der nimmt, wie Jesus, sein Kreuz auf sich. Und wird heil an seiner Seele. Und gewinnt richtiges, wesentliches Leben.

Gott, der Allmächtige, helfe uns dabei. Amen.

 

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Predigt zum Sonntag Sexagesimae, 20.02.2022,
gehalten von Lektor Detlef Best

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes sei mit uns allen. Amen

 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Brief an die Hebräer 4, 12-13 und wird während der Predigt gelesen.

 

Ein Döner bitte!

Und wie?

Mit allem!

Der Mann an der Imbiss Bude beginnt, den Brotfladen mit allem zu füllen, was sich in den Schüsseln vor ihm befindet, Fleisch, Gurken, Tomaten, Krautsalat, Zwiebeln, Knoblauchsoße. Dann wird er von dem Kunden gestoppt. Mit allem, aber ohne scharf.

Ein Dialog, liebe Gemeinde, wie er täglich tausendfach an Imbissbuden stattfindet.

„Ohne scharf“ heißt ohne Chilipulver.

Und so, „ ohne scharf“ hätten viele auch die Religion, auch den christlichen Glauben. Religion mit allem, mit schönen Gebäuden, mit ansprechender Musik, mit Gefühl, Trost, mit Stille und der Chance, zu mir selbst zu kommen.

Mit allem, aber „ohne scharf!“ Eine angenehme, nette Religion, nur scharf soll sie nicht sein.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag behauptet genau das Gegenteil.

Ich lese aus dem Hebräerbrief Kapitel 4 die Verse 12 u. 13:

"12Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen."

Gottes Wort, schärfer als ein zweischneidiges Schwert. Ein starkes Bild, das mich zugleich erschreckt. Wo sind wir hier gelandet? Im Krieg, bei einer handfesten Auseinandersetzung, dass bald die Fetzen fliegen? Auf dem Schlachthof, wo Mark und Bein zersägt werden? In einem Operationssaal, wo das kranke Gewebe vom gesunden getrennt wird, in der Hoffnung, dass alles wieder gut wird? Die Sache mit dem Glauben ist nicht ohne, nicht einfach nur nett, bequem und ungefährlich. Gottes Wort kann scharf sein, schneiden, verletzen und trennen. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer reden nicht gerne davon. Sie betonen eher das Tröstliche, Warmherzige, Freundliche. Und viele wollen ja auch gar nichts anderes hören. Das muss nicht sein, das mit dem scharfen, schonungslosen Blick. Dass Gott alles sieht, dass niemand und nichts vor ihm verborgen sind. Dass alles in meinem Leben vor seinen Augen offen liegt. Mit so einem Gott wurde Menschen Angst gemacht. „ Der liebe Gott sieht alles“

 Tilmann Moser hat in seinen autobiographischen Notizen beschrieben, wie ihm das als Kind zusetzte und zu schaffen gemacht hat: „ Wenn ich meine Hose beim Spielen zerrissen hatte, wenn ich Mädchen an den Haaren zog, anderen Jungs ein Bein stellte oder im hohen Bogen an eine Wand pinkelte.“ Gott sieht alles. Er schaut auch unter die Bettdecke.

Zurecht wurde diese Pädagogik kritisiert und stattdessen in den letzten Jahrzehnten das Tröstliche und Warmherzige, die Freundlichkeit Gottes hervorgehoben.

Gott hat ein weites Herz, so seine Botschaft, wie es in der Jahreslosung heißt „ Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen:“ Gott ist verständnisvoll und jederzeit bereit, zu vergeben, unsere Fehler zu verzeihen. Ein neuer Anfang ist möglich.“ Gottes Wort ist lebendig“, heißt es in unserem Abschnitt aus dem Hebräerbrief. Und es ist kräftig. Einmal ausgesprochen, entfaltet es seine Wirkung. Worte können befreien und aufrichten. „Du schaffst das schon. Keine Panik! Worte können tief in uns eindringen, uns ermutigen und bewegen. „Ich finde dich klasse!“

Eine Liebeserklärung stellt mein Leben auf den Kopf und verzaubert die Welt. Manche Worte werden lange herbei gesehnt und verändern alles, wenn sie endlich ausgesprochen werden. Worte entfalten ihre Wirkung. Gottes Wort geschieht, wirkt, tut, was es verspricht. Gott sprach: „ Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Gott sprach: „ Die Erde lasse Gras und Kraut aufgehen!“ und es geschah so. Gott spricht und eröffnet mit seinem Wort Leben. In Gottes Namen sagt Jesus zu dem Taubstummen „Hephata! Tu dich auf! Und er hört und findet Worte. Gottes Wort ist lebendig. Es schafft Leben, eröffnet Zukunft. Es macht Mut, fordert heraus, muntert auf, gibt Halt. Ist Gott also ausschließlich lieb?

Ein Mann ist auf dem Weg von seiner Arbeit nach Hause. Da kommt ihm ein Pitbull-Terrier entgegen, ein muskulöser Hund mit fletschenden Zähnen. Der Mann denkt panisch: „Hoffentlich lässt der mich in Ruhe.“ Sein Herrchen ruft ihm beruhigend zu: „ der ist lieb. Der tut nichts.“

Lieb sein heißt also oft nichts anderes als nichts tun. Der liebe Gott ist lieb, weil er nichts tut. Die Bibel redet jedoch von Gottes Liebe, nicht vom lieben Gott. Gottes Liebe, sein grundsätzliches Ja zu uns Menschen, kann uns auch als Nein begegnen, uns mit ganzer Schärfe treffen und herausfordern. Die Propheten sagen zum Beispiel in Gottes Namen Nein zur Unterdrückung der Armen. Sie kritisieren Wucher und Geldgier. Sie entlarven religiösen Kult, der zum sozialen Unrecht schweigt, mit dem kein entsprechendes Handeln verbunden ist. Gottes Wort ist nicht immer lieb, im Sinne von: es tut nichts. Gottes Wort kann uns treffen, kann durch Mark und Bein, kann uns an die Nieren gehen. Gott sieht genau hin, weiß, was bei uns los ist, auch wenn wir meinen, vieles überspielen und verheimlichen zu können. Gott sieht und schweigt nicht dazu. Gottes Wort ist lebendig und kräftig und scharf. Er stellt in Frage, deckt auf, was unbequem und peinlich ist, was uns daneben ging, was so nicht sein soll und sein darf. Gott bringt zur Sprache, was gesagt werden muss. Gott wagt das offene Wort, auch wenn es weh tut. Das wollen wir nicht unbedingt hören. Dem gehen wir lieber aus dem Weg. Gottes Wort ist nicht nur Zuspruch und Ermutigung, Trost und Halt. Scharf ist es gelegentlich und sehr direkt, ausgesprochen offen. Das ist Hoffnung für alle, die unter Gewalt leiden, die sich selbst nicht wehren können, denen im Leben übel mitgespielt wird. Unrecht und Missachtung, Hass und Gewalt werden nicht einfach hingenommen. Gott will klare Verhältnisse schaffen. Er will zurecht bringen, was aus der Spur geraten ist, damit das Urteil vom Anfang erneut gilt: „ Siehe es war sehr gut.“

Ein Obstbauer besaß eine ansehnliche Apfelplantage. Zur Zeit der Ernte nimmt er sie in Augenschein und freut sich auf die zu erwartenden Früchte. Doch wann immer er auf seine Plantage hinausgeht, muss er feststellen, dass die schönsten Äpfel, die er gestern noch am Baum sah, geklaut wurden. In seiner Not wendet er eine List an. Er schreibt auf ein Schild „ Gott sieht alles“ und hängt es in einen Apfelbaum. Als er am nächsten Morgen wieder auf die Plantage kommt, um zu sehen, ob seine Drohung gewirkt hat, findet er auf dem Schild folgenden Satz: „ Gott sieht alles. Aber er verrät uns nicht.“

„ Es liegt alles nackt und aufgedeckt vor den Augen Gottes,“ heißt es im Hebräerbrief. Positiv verstanden heißt das doch. Gott sieht alles und erträgt alles.                 

 Gott, hält das aus, hinzusehen, auf unsere Nöte, auf unser Versagen, auf unsere Kleinen und großen Bosheiten. Er allein hält es aus, alles zu sehen und alles zu wissen. All das Böse und Gemeine, das auf dieser Erde geschieht, das Menschen einander antun: Machtkämpfe und Kriegsnöte wie jetzt an der ukrainischen Grenze. Geschäfte mit Waffen, eine ausgebeutete Erde, die verschmutzten Meere, die verpestete Luft. Aber auch all das unsägliche Leid, Krankheit, Armut, Hunger. Gott ist fähig, das zu sehen und zu ertragen, ohne in der Art des großen Bruders, des allmächtigen Kontrolleurs darauf zu reagieren: ohne es zu verdrängen, ohne davor zu fliehen, ohne abzuschalten oder wegzusehen. Gott ist darin Gott, dass er sieht und aushält, trägt und nicht schweigt.

Vielleicht erinnern Sie sich an die Geschichte vom Anfang, im Garten Eden, die Geschichte von Adam und Eva. Alles war in Ordnung. Sie hatten ausreichend Raum zum Leben. Sie hatten alles, was zum Leben nötig ist. Sie hatten einander. Und sie hatten ein Gebot: Von allen Früchten im Garten durften sie nehmen. Nur nicht von dem einen, in der Mitte des Gartens. Der war tabu.

Doch sie wollten sein wie Gott. Sie wollten unterscheiden können zwischen Gut und Böse. Sie wollten ewig leben. Sie wollten unabhängig sein, selbst entscheiden und selbst handeln. Kaum hatten sie von der Frucht dieses Baumes gekostet, erkannten sie sich selbst, ihre Blöße. Sie erkannten, dass sie nackt sind, dass nichts verborgen bleiben würde. Und sie schämten sich. Und versteckten sich.

Wie reagiert Gott? Er sucht sie auf, geht ihnen nach und stellt sie zur Rede. Er nennt das Unrecht beim Namen. Gott beschönigt nichts. Gott sagt, was gesagt werden muss, kräftig und scharf, offen und direkt. Die Wahrheit muss ans Licht, ganz und gar, schonungslos. Und die Menschen müssen die Konsequenzen ihres Handelns tragen. Mühsam wird ihr Leben in Zukunft sein, beschwerlich, schweißtreibend und begrenzt. Doch am Ende der Geschichte heißt es Gott machte Adam und Eva Kleider aus Fellen und zog sie an. Gott bedeckt die Nacktheit der ungehorsamen Menschen.

„ Es liegt alles nackt und aufgedeckt vor seinen Augen“.

Weil nur Gott alles ertragen kann, ohne sich in seiner Gottheit bedroht zu fühlen, deshalb darf auch nur er allein alles sehen und wissen. Niemand darf sich anmaßen, so zu sein wie er.

„ Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“, hat die Schlange den Menschen im Paradies eingeredet. „ Ihr werdet wissen, wer gut und böse ist“, lockt sie heute.

Doch nur Gott weiß alles und nur Gott soll alles wissen wollen.

„ Nackt und aufgedeckt vor seinen Augen“. Das bedeutet schließlich: Nur Gott hat das Recht und die Macht, jeden unter seiner Verkleidung und Verhüllung so zu sehen, wie er oder sie wirklich ist. Für jeden von uns ist es eine wichtige Etappe in seinem Leben, wenn er zu entscheiden beginnt, wem er sich nackt zeigt und wem nicht. Aber die wirkliche Nacktheit unseres Wesens ertragen wir selbst kaum. Nur von der unendlichen Liebe brauchen wir uns in keiner Hinsicht zu schämen. Vor Gott müssen wir uns nicht verstecken, Gott sieht uns, wie wir wirklich sind, mit unseren hellen und unseren dunklen Seiten. Und er schweigt nicht dazu. Der Kern allen Lebens ist Wort, Anrede, Zuspruch und Anspruch. Gott sieht, mehr als uns lieb ist und sagt, was gesagt werden muss, scharf und direkt. Damit wir leben können , trotz allem. Also machen Sie sich schon mal frei, für Gottes Wort.

Amen.

Sonntag Septuagesimä – 13. Februar 2022

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext Jeremia 9, 22-23

 

So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vor etlichen Monaten war ich eingeladen bei einem Mann, der mich gewinnen wollte für die ehrenamtliche Mitarbeit in einer auch sozial tätigen Organisation. Schnell habe ich mitgekriegt, dass es nicht irgendeine Organisation war, sondern s e i n e. Nach einem etwa 45-minütigen Vortrag wusste ich zweierlei: Kaum ein anderer würde es schaffen, so viele „Ichs“ in einer dreiviertel Stunde unterzukriegen. Und zweitens wollte ich da keinesfalls mitmachen.

Danach fiel mir dann folgender Witz ein:

Ein Egoist erzählt seinem Gegenüber Stunden lang von sich und seinen Verdiensten. Als er doch noch merkt, dass er sein Gegenüber langweilt, sagt er: „Ich hab lange genug über mich geredet. Reden wir doch mal von dir: Was hältst du von meiner Frisur?“

 

Ist es Ihnen auch schon sauer ausgestoßen, dass manche Zeitgenoss*innen sich permanent selbst loben und in den Mittelpunkt stellen? Sich ins rechte Licht rücken, ihre Erfolge und Leistung in den Vordergrund stellen und dafür allgemeines Lob und Schulterklopfen erwarten?

Was im persönlichen Umfeld schon nervig ist, wird in den sozialen Medien mit all den YouTubern und Influencern noch auf die Spitze getrieben.

Auch auf der politischen Bühne sind geschickte Selbstinszenierung, Selbstdarstellung und Selbstverliebtheit überall zu finden. Ich finde all das Gehabe zunehmend peinlich.

Und wie oft entspricht die ganze Selbstinszenierung überhaupt nicht der Wahrheit

 

Da werden Fotos retuschiert, Lebensläufe korrigiert, Bilanzen aufgebessert, geschummelt, getrickst oder im Sport schon mal mit Doping nachgeholfen um des Erfolgs willen. Siehe die aktuellen Informationen vom Schlittschuhlaufen bei Olympia.

 

Keine Frage: Ehre, wem Ehre gebührt! Will heißen: Auch ich bewundere Menschen, die es mit Mut und Tatkraft, Energie und festem Willen und oft mit harter Arbeit im Leben zu etwas gebracht haben, die etwas aufgebaut haben.

Bei Beerdigungen kann ich oftmals darauf aufmerksam machen, wie Menschen, die nach dem Krieg nichts hatten, außer den Kleidern, die sie auf dem Leibe trugen, es gepackt haben, sich gelinden Wohlstand aufzubauen oder auch mehr; ein Haus bauen konnten mit viel Eigenleistung; sich fortgebildet haben und Meister wurden in ihrem Beruf; ihren Kindern eine gute Schul- und Berufsausbildung ermöglichten und auch für deren musische oder sportliche Entwicklung sorgten.

Davor kann ich nur den Hut ziehen!

 

Meine Hochachtung gilt allen Menschen, die einen weitgespannten geistigen Horizont oder ein spezielles, herausragendes Expertenwissen haben, ein messerscharfes logisches Verständnis oder eine bezwingende Rhetorik besitzen.

Ich bewundere Menschen, die wunderbar singen und musizieren können und ich ziehe den Hut vor Menschen, die Güte ausstrahlen und Nächstenliebe selbstverständlich leben und durch ihr soziales und diakonisches Engagement zum Segen für andere werden.

 

Aber das sind gerade nicht die üblichen Selbstdarstellerinnen und Wichtigtuer, die in den sozialen Medien ständig präsent sind.

Sondern es sind Menschen wie Götz Werner.

Sagt ihnen der Name etwas? Götz Werner ist der Gründer und Ideengeber der europaweiten Drogeriemarktkette DM und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. Im Alter von 78 Jahren ist er am 8. Februar verstorben. Angefangen hat alles damit, dass Götz Werner mit seinen Ideen bei seinem Vater in dessen Drogerie nicht landen konnte. Anschließend machte er sich selbstständig. Zum Schluss hatte er mehrere Tausend Mitarbeiter*innen und galt als Milliardär.

Persönlich soll er sehr bescheiden gelebt haben.

Beschäftigte haben geschrieben: „Herr Werner war ein Menschenfreund. Solche Menschen braucht die Welt.

Oder: „Wenn sich einige ein Beispiel an ihm nehmen würden, wäre diese Welt ein viel schönerer Ort für alle.“ Ihr ehemaliger Chef gilt ihnen als „leuchtendes Beispiel an Menschlichkeit, dem Gerechtigkeit über alles ging.“  

Ich kann mich schon an Talkshow-Auftritte von Götz Werner erinnern. Da ging es aber eher nicht um sein unternehmerisches Geschick und seinen wirtschaftlichen Weitblick und immensen Erfolg, sondern um sein Lebensthema des bedingungslosen Grundeinkommens, mit dem die Würde der Menschen gestärkt werden sollte.

Für die überaus fleißigen, widerstandsfähigen und meist auch genügsamen Menschen der Aufbauzeit nach dem Krieg, aber auch für Menschen wie Götz Werner gilt: Achtung und Ehre, wem Ehre gebührt!

 

Beim Thema Ehre und Selbsteinschätzung hat auch unser heutiger Predigttext aus dem Jeremia-Buch ein Wort mitzureden.

„Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.“ (Jer 9,22)

Auch der Prophet Jeremia hat seine Erfahrungen gemacht mit den Eliten seiner Zeit, bei denen es viel demonstrativ zur Schau gestellte Macht, Reichtum und Weisheit gab. Gerade bei der herrschenden Oberschicht war das der Fall, bei den Königen Judas und ihren willfährigen Hofbeamten, bei der religiösen Elite der Hofpropheten, die ihr Fähnchen allezeit in den royalen Wind hingen, „falsche“ Propheten, wie das Jeremia-Buch sie nennt.

 

Mutig ist der Prophet gegen die höfische Oberklasse in Jerusalem aufgetreten.

Er, der eigentlich ein „Nobody“ war, ein einfacher Priester aus Anatot im Land Benjamin, ein Provinzler, ein „Landei.“

Der Prophet Jeremia war von seiner Herkunft ein einfacher Mann, aber alles andere als einfältig. Er hat sehr viel auf sich genommen, ausgehalten und ertragen, viel einstecken und erleiden müssen für seine berechtigte politische und kultische Kritik an den Oberen!

Eine wahre Leidensgeschichte schildert das Jeremia-Buch von seiner prophetischen Existenz, die ihm persönlich alles abverlangt hat und für die er einen hohen Preis bezahlt hat.

Trotzdem ist er mutig bei der Sache Gottes geblieben und hat Unrecht beim Namen genannt. Das konnte er, weil er Gottes Macht so viel mehr zutraute als der irdischen Macht von Königen, Fürsten, Herrschern oder dem religiösen Establishment.

Der Prophet birgt sich in die Hand Gottes, des Schöpfers; macht sich, sein Leben, seine Botschaft fest an Gott als seinem „Auftraggeber“, konkret an Gottes Barmherzigkeit, seinem Recht und seiner Gerechtigkeit.

 

Die soziale und politische Kritik von Jeremia war stets theologisch begründet und verankert; war nicht Kritik, um „denen da oben“ eins auszuwischen, sondern war begründet in der Sache, weil er manche politischen Entscheidungen für eine Katastrophe für das Volk hielt.

Weil Jeremia nicht nur mit einer rein innerweltlichen Logik denkt, sondern mit Gott, dem ganz anderen rechnet, kommt eine neue Größe ins Spiel, die alle menschliche Überheblichkeit und das Pochen auf politische Macht, menschliche Leistung oder materiellen Reichtum relativiert.

 

Jeremias Maßstab ist die Gerechtigkeit Gottes, die unbestechlich, nicht korrumpierbar und unverrückbar ist, die fest ist und für immer – für jeden und jede - gilt. Und an der sich deshalb jeder Mensch orientieren kann.

Darum heißt es im Fortgang des Predigttextes aus dem Jeremia-Buch: „Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“ (Jer 9,23)

 

Wahre Lebensklugheit und wahre Gotteserkenntnis gehen bei Jeremia also Hand in Hand.

Klug lebt und handelt, wer Gott kennt und sich an ihm und seiner Gerechtigkeit orientiert.

Der kommt dann auch nicht in die Gefahr, mehr von sich zu halten als es der Wahrheit entspricht.

 

Das sind am Ende genau die Zeitgenossen, die eitel, arrogant und selbstverliebt auftreten, die sich selbst für klug halten, sich in Szene setzen und nach außen mehr darstellen wollen als sie sind; die sich selbst loben und ihre vermeintliche Intelligenz, Macht, Stärke oder ihren Reichtum zur Schau stellen.

 

Ein gottesfürchtiger Mensch schaut weniger auf sich selbst und seine Befindlichkeiten, sondern auf das, was dem Wohl aller dient. Er ist leistungs- und einsatzbereit, aber erwartet dafür kein Schulterklopfen.

Rücksichtnahme auf Schwächere, Solidarität und ein gerechtes Miteinander sind die Richtschnur eines gerechten Handelns, statt Überheblichkeit und Arroganz, Hauen und Stechen.

 

Wir erleben leider ein in weiten Teilen ungerechtes und unbarmherziges Wirtschaftsleben, das in sich gottlos ist, besonders weltweit gesehen.

Wir ärgern uns vielleicht auch manchmal über die Ruppigkeit, die sich in unserem sozialen Miteinander eingestellt hat.

Viele sind aus guten Gründen besorgt angesichts der spalterischen gesellschaftlich-politischen Tendenzen, die sich an der Corona-Politik festmachen.

 

Darum: Gerade was das gesellschaftliche Miteinander in unserem Land angeht, würde uns mehr Selbstkritik und hier und da auch eine Selbstkorrektur guttun – bei den Eliten, aber auch bei allen „Otto- Normal-Verbrauchern bzw. Verdienern“.

 

Möge unser eigenes Tun geleitet sein von einem ehrlichen und barmherzigen Blick auf unser eigenes Leben und das unserer Mitmenschen, ganz im Sinne Jeremias.

Niemand sollte größer und wichtiger scheinen wollen als er ist.

 

Das bedeutet für mich: Einübung in eine Lebenshaltung, die Fehler zugibt und Schwächen nicht ausblendet, die Versagen nicht schönfärbt oder dunkle Flecken kaschiert, sondern sich gibt, wie man ist. Und dann zu versuchen, im Vertrauen auf Gott meinen Teil an Arbeit und Leistung in dieser Welt beizutragen und ein gutes Miteinander zu fördern.

 

Wenn wir uns in unserem Handeln orientieren an Recht und Gerechtigkeit und sich unser Herz bewegen lässt von Gottes Barmherzigkeit, dann sind wir mit unserem Leben und Glauben auf Gottes guter Segensspur.

 

Dann können wir auch mit Schwierigkeiten in unserem Leben, mit äußerer Anfechtung und Kritik gut umgehen und ihnen standhalten, so wie einst der Prophet Jeremia, getragen von Glauben und Gottvertrauen.

Wer Gott kennt, ist innerlich reich, bleibt stark und entwickelt Lebensklugheit! Mit den Worten Jeremias gesagt: „So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sein und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.“

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

4. Sonntag vor der Passionszeit - 06.02.2022

Predigttext: Matthäus 14, 22-33 - wird während der Predigt verlesen.

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best.


Liebe Gemeinde,

in unserem Predigttext heißt es zu Beginn:

"Sofort nach der Speisung der 5000 drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen. Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren. Er selbst wollte zuerst noch die Volksmenge verabschieden. Als die Volksmenge weggegangen war, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten.

Es war schon Abend geworden, und Jesus war immer noch allein dort." (Mt. 14, 22-23)

 

Es gibt den Moment, da willst du allein sein, musst dich zurückziehen. Nur mit dir und Gott. In den Wald, in die Kirche. Oder die Bettdecke über den Kopf ziehen.

Jesus geht in die Wüste oder auf einen Berg oder in den Garten Gethsemane.

Rückzug - sogar für den Gottessohn.

Ja, klar, ist verständlich. Und doch merkst du, wie sich alles in dir dagegen sträubt. Ich brauche ihn doch gerade jetzt, denkst du. Hier an meiner Seite. In dieser Zeit, in dieser Pandemie, wo ich nicht weiß, was nächstes Jahr sein wird. Oder übernächstes.

Und die Jünger?

Eben noch mit 5000 Leuten zusammen gewesen. Brot geteilt. Wunder erlebt.

Und jetzt? Als ob nichts gewesen wäre? Zurück ins Boot, wie früher als Fischer. Zurück in den Alltag, in die Nacht, aber ohne ihn. Ohne Jesus.

Es gibt Momente, da bin ich allein. Aber ich will dann nicht allein sein.

"Das Boot war schon weit vom Land entfernt.

Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen, denn der Wind blies direkt von vorn." (Mt 14,24)


Der Wind hat sich gedreht, bläst ihnen ins Gesicht. Der Himmel heult. Hohe Wellen stürzen von Tal zu Tal. Plötzlich wird aus ruhigen Handgriffen Hektik. Eigentlich sind die Jünger erfahrene Fischer. Sie kennen die Tücken des Sees. Aber ob es diesmal gut ausgeht?

Es gibt den Moment, da wird alles zu viel. Du verlierst den Überblick, die Kontrolle. Wenn bei dir zu Hause alle Kinder gleichzeitig krank werden und du nicht mehr zum Schlafen kommst. Wenn du den Führerschein abgeben musst, aber eine wichtige Dienstreise vor dir hast und nicht weißt, wie du es deiner Chefin sagen sollst. Wenn du nicht weißt, wie du die vielen Klausuren in der Schule schaffen sollst.

Es gibt Momente, da geht gar nichts mehr.

Wo ist Jesus? Wo ist Gott? Stellst du dann überhaupt diese Frage?

Oder bist du dann nicht viel zu sehr damit beschäftigt, das Richtige zu tun, das, was jetzt ansteht? Ein Schritt nach dem anderen. Versuchen, doch noch klar zu denken. Irgendwie aus dieser Situation rauskommen. Egal wie, Hauptsache heil. Musst alleine klarkommen. Und merkst, dass das nicht geht.

Kennst du das?


"Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern." (Mt 14,25a)

Die Jünger haben schlimme Stunden hinter sich „Ich kann nicht mehr!“ ruft jede Zelle und jeder Muskel. Und das Gehirn will endlich zur Ruhe kommen. Die vierte Nachtwache, das ist tiefste, dunkelste Nacht. Eine Nacht, die kein Ende nehmen will. Wer im Krankenhaus eine Nachtschicht hat, hat dann die größten Kämpfe. Die vierte Nachtwache ist die Zeit, wo viele Menschen wach werden und nicht mehr einschlafen können. So gegen 3 Uhr oder 4 Uhr nachts.

Und genau jetzt kommt Jesus. Dann, wenn es am dunkelsten ist. Wenn ich richtig am Ende bin. Gar nichts mehr         

 will. Den Kopf ausschalten. Das Kreisen abstellen. Genau jetzt, in diesem Moment kommt Jesus.

Jesus lief über den See.

"Als die Jünger ihn über den See laufen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. Sie riefen: Das ist ein Gespenst! Vor Angst schrien sie laut auf. Aber sofort sagte Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben." (Mt 14,26f)

 

Es gibt diesen Moment, da kannst du nicht mehr klar sehen. Du hast den Tunnelblick und erkennst den Ausweg nicht. Du weißt nicht mehr, wo oben und unten ist. Funktionierst nur noch mechanisch, weil die Augen brennen und die Ohren dröhnen. Alles, was jetzt noch dazu kommt, macht dir Angst. Gespenster, die frei rumlaufen.

Jesus versteht das. Und darum sagt er sofort: „Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben!“

Dringt er damit durch? Durch das Dröhnen, das Brennen, das Funktionieren? Ich bin es. Der, der mit euch gegessen hat und 5000 andere auch. Der euch aus eurem bisherigen Leben gerissen hat, und dem ihr eigentlich alles zutraut. Ich bin es.

Es gibt Momente, da hörst du eine leise Stimme in dir oder von draußen, manchmal weißt du das nicht! Aber sie sagt dir: Fürchte dich nicht! Es wird alles gut. Du schaffst es. Ich bin ja bei dir. Du bist nicht allein.

Momente auf dem Mittelmeer. Ein Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Der Motor ist ausgegangen, die Babys schreien, Öl ist ausgelaufen, es stinkt und die Wellen heben sich bedrohlich auf und ab. Und auf einmal ist da ein Schiff. Groß ist es und die Scheinwerfer hell! Ob das Rettung ist? Oder nicht doch ein libysches Schiff, das sie beschießen wird oder zurück schleppt in die libysche Hölle, der sie ja gerade entrinnen?

Die Menschen im Schlauchboot ducken sich, verstecken ihre Kinder, weinen vor Angst. Und dann die Stimme: Wir sind es. Die SeaWatch. Habt keine Angst. Wir retten euch!

Ja, es gibt diesen Moment, da möchtest du dieser Stimme glauben, aber du kannst es noch nicht. Zu müde, zu erschöpft, zu viel durchgemacht, als dass da ein einfaches „Fürchte dich nicht!“ genügen könnte. Aber jede Faser in dir sehnt sich nach diesen Worten.

Petrus sagte zu Jesus. “Herr, wenn du es bist, befiehl mir über das Wasser zu dir zu kommen. Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus.“ (Mt 14, 28.29)

Es gibt den Moment, da hat dir jemand Mut gemacht. Du steigst aus dem Boot aus. Aus der sicheren Schale, die dich trägt, dir Schutz gibt. Du überwindest deine Angst und wagst etwas Neues, etwas ganz Neues. Denn da ist jemand, der traut es dir zu und sagt: „Komm!“ und dieser jemand ist Jesus.

 

Du fängst eine neue Stelle an. Gehst in einen neuen Verein. Du ziehst in eine andere Stadt. Du sprichst die Frau an, die dich interessiert. Du sagst deinem Nachbarn, dass er deine Kinder nicht so anbrüllen soll. Du steigst in ein Boot, das dich übers Mittelmeer in Sicherheit bringen soll.

Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war.

Da bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie Herr, rette mich! (Mt 14,30)

 

Kennst du ihn, diesen Moment? Da löst sich der Mut in Luft auf. Das Wasser ist zu unruhig. Du bekommst Angst. Der Schatten, über den du springen wolltest, ist zu groß.

Mir passiert das immer wieder, in den sozialen Medien zum Beispiel. Da entdecke ich vor kurzem, wie Politiker, durch Querdenker und Impfgegner im Netz fertiggemacht werden. Ein Shitstorm fällt über sie herein. Menschen beschimpfen sie und  führen Hetzkampagnen. So wie früher die Pranger vor einer Kirche oder auf dem Marktplatz. Und das nur, weil sie sich für das Impfen und die Gesundheit der Bürger einsetzen.

 

Sofort streckte Jesus Petrus die Hand entgegen und hielt in fest. Er sagte zu Petrus: Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt? (Mt 14, 31)

Durchatmen. Diesen Moment, wenn dir jemand die Hand entgegenstreckt, dich aufrichtet. Zieht dich aus dem Wasser. Du bist nicht allein, sagt diese Hand. Ich halte dich fest, egal wie hoch die Wellen sind. Und auch wann dein Glaube gerade sehr klein ist.

Die Seawatch im Mittelmeer. Die Mail, in der eine alte Frau sich für gute Worte bedankt. Der Schüler der in die Gruppe eine WhatsApp schickt, um auf eine Fridays-for-Future-Demo hinzuweisen. Die Karte von meiner Schwester aus dem Winterurlaub. Da steht: Lächle, du kannst nicht allein die Welt verändern, freue dich wenn wir uns wiedersehen.

Und ich lächle, auch über mich und meine Angst und mein Um-mich-selber-kreisen.

 

Jesus ist mitten drin in den Wellen. Mitten im Sturm. Gerade dort, wo alles unsicher ist. Trau dich, sagt Jesus. Zweifle nicht. Ich bin da.

Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich. Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: Du bist wirklich der Sohn Gottes! (Mt 14, 32-33)

Es gibt den Moment, da ist alles klar und eindeutig. Und ich erkenne: diese Mail, diese WhatsApp. Diese Karte, die Seawatch. Jesus spricht da. Er streckt seine Hand aus.

Sieht meine Angst, meinen kleinen Glauben und hält mich.

Ja, Jesus, du bist da.

Auch wenn die Wellen hochschlagen und die Gespenster frei herumlaufen und toben. Und sogar, wenn libysche Miliz im Meer ihr Unwesen treibt, du bist da. Und ich lass mich davon nicht einschüchtern. Denn du bist da. Es ist dieser Moment: Ich steige aus dem Boot. Es genügt, dass du mir mehr zutraust als ich. Da draußen. Und hier. Mit dir.

In diesem Moment. Amen.

Letzter Sonntag nach Epiphanias - 30. Januar 2022

Predigttext 2. Mose 34, 29-34

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Als nun Mose vom Berg Sinai herabstieg, hatte er zwei Tafeln des Gesetzes in der Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. Als aber Aaron und ganz Israel sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte fürchteten sie sich, ihm zu nahen. Da rief sie Mose und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde und redete mit ihnen. Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der Herr mit ihm geredet hatte auf dem Berg Sinai.

Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. Und wenn er hineinging vor dem Herrn, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

als wir noch mit gutem Gewissen auch in der Türkei Urlaub machen konnten, waren wir häufiger an der sogenannten Olivien-Riviera nördlich von Izmir. Unser Domizil, „Club Orient“, bestach durch seine Lage direkt am azurblauen Meer und die familienfreundliche Atmosphäre in einer überschaubaren Anlage.

Mindestens genauso beeindruckt wie das Ambiente hat mich – wer mich kennt, wird das verstehen! - allabendlich das reichhaltige Buffet, angerichtet rund um den Pool.

So verlockend die vielfältigen Speisen auch waren: Jeden Abend haben viele Gäste das Menu unterbrochen und sind aus der Anlage die kurze Treppe runter an den Strand gelaufen.

Und immer gab es das gleiche Schauspiel zu bewundern:

Sonnenuntergang in der Bucht des Lichtes. Was da geschah, hatte fast heilige Ausstrahlung. Wenige Meter und etwas oberhalb war grad noch heiteres Stimmengewirr beim Essen, hier unten alles ganz still. Was man noch hörte, waren die Wellen, die sanft am Ufer ausrollten und ab und an klingende Gläser, wenn Menschen einander und der untergehenden Sonne zuprosteten. Alles war in einen besonderen Glanz getaucht und kaum jemand konnte sich dem Faszinosum des Augenblicks entziehen.

 

Wenn dann die letzten Sonnenstrahlen im Meer versunken waren, und die Gäste wieder zu ihren Plätzen zurückkehrten, hatte ich oft den Eindruck, dass das Erlebte immer noch auf ihren Gesichtern nachleuchtete.

Der Zauber und auch die Wucht des erlebten Schönen waren noch darin abzulesen.

Jeden Abend konnten wir etwas begegnen, das größer war als wir selbst. Das verändert. Wir sind dort in der Bucht von Edremit einem Wunder begegnet. Denn auch wenn sich natürlich ein Sonnenuntergang, die Farben und die daran beteiligten physikalischen Vorgänge der Lichtbrechung im Wasser erklären lassen, so bleibt doch wunderbar, dass diese Lichteffekte mit Sonne, Wasser und Wolken an diesem Ort genauso zusammentreffen. Wir könnten es nicht selbst machen, es trifft uns. Ich könnte für mich sogar formulieren: Wir Menschen begegnen für einen kurzen Moment unsers Daseins dem Heiligen, das leuchtet nach.

Könnte dieses Leuchten eine Ahnung geben von dem, was Mose erlebt hat auf dem Berg Sinai?

Wenn die Sonne aber schon so berührt und strahlend macht, wie wird es erst sein, der Macht des Kosmos, der Herrlichkeit Gottes zu begegnen?

 

Mose auf dem Gottesberg, das wird in der Bibel zwei Mal berichtet. Deshalb nochmal zur Erinnerung:

Das Volk Israel hat die Knechtschaft in Ägypten hinter sich gelassen. Unter Gottes Geleit und Moses Führung haben sie den Weg durch die Wüste geschafft. Große Gefühle auf beiden Seiten. Heftige Zuwendung, krasser Abfall, Zorn und drohende Vernichtung. Die erste Version der zehn Gebote ist zerstört, nachdem Mose sie aus Wut über das Goldene Kalb zertrümmert hat – jetzt geht es darum, eine zweite Version auf neue Steintafeln zu schreiben. Gott ist gnädig und bereit zu einem neuen Bund.

Mose, heißt es an der Stelle, redet oben auf dem Berg Sinai mit Gott wie mit einem Freund, „von Angesicht zu Angesicht“. Wenige Atemzüge später dann aber genau das Gegenteil: niemand kann mein Angesicht/meine Herrlichkeit ertragen. „Kein Mensch wird leben, der mich sieht“.

Mose verbirgt sich darum in einer Felskluft, Augen abgewandt, während Gottes Herrlichkeit, seine „kabod“, vorüberzieht. Deswegen überlebt Mose und kann der Erscheinung wenigstens hinterhersehen, ohne Schaden zu nehmen. Das wird in Genesis 33 beschrieben.

Ist Gott Leben spendender Freund oder tödliche Gefahr? Oder beides zugleich?


Für mich ist das eine der wichtigsten Stellen der Bibel, wenn es darum geht, Gott zu verstehen. Beziehungsweise: ihn eben nicht zu verstehen!

Gott ist Mysterium, Geheimnis; „kein Mensch wird leben, der mich sieht“. Erschreckend und faszinierend zugleich.

Ich denke, wir sträuben uns umso mehr gegen diese Erkenntnis, weil wir uns miteinander so sehr an das Bild vom „lieben Gott im Himmel“ gewöhnt haben, der viel besser unseren Erwartungen eines immer ungetrübten Lebens in Wohlstand entspricht.

Dass wir es scheinbar verdient haben, dass alles allezeit störungsfrei läuft in unserem Leben, dazu passt nun mal kein Gott voller Rätsel und Abgründe. Die Erfahrung des Mose, der sich in der Felsspalte schützen muss, während Gottes Herrlichkeit an ihm vorbeizieht, lehr uns aber gerade dies:   

Gott ist Rätsel, Geheimnis, Anfang und Ende von allem, was ist, Zerstörung und Neuschöpfung – hier am Berg Sinai begegnet er Mose und uns zugleich.

Und jetzt zu unserem Abschnitt Kapitel 34.

Mose, der mit Gott von Angesicht zu Angesicht reden konnte wie mit einem Freund – und dann eben wieder gar nicht?

Das Rätsel und die Uneindeutigkeit werden wir nicht auflösen können. Klar aber scheint:

Wo ein Mensch Gott begegnet, wird er verwandelt. In unserem Fall so, dass andere Menschen erschrecken über den Glanz auf Moses´ Gesicht.

Bist du das noch, den wir kennen? Was leuchtet, was spricht da aus dir?


Wenn schon ein Sonnenuntergang so viel Zauber und Glanz auf das Gesicht von Menschen legen kann, wie erst die unmittelbare Begegnung mit der Unfassbarkeit Gottes?

Es geht nicht um den lieben Gott, um den alten Mann mit seinem weißen Bart, sondern um die Urgewalt des Kosmos, um die schöpferische Energie von allem.

Der Glanz, der sich dadurch auf Moses legte, war so gewaltig, dass dieser eine Decke über sich legen musste, um die Menschen, denen er danach begegnete nicht zu blenden oder gar zu töten. Selbst der mittelbare Kontakt mit Gott selbst kann gefährlich sein, heißt das doch wohl.

Wie Mose als Mittler das unmittelbar aushalten konnte? Da fragen wir scheinbar zu viel. Es ist Geheimnis, Blick aufs Rätsel und soll es auch bleiben. Und ist doch ein wesentlicher Teil von Religion.

Unsere gebührende Antwort kann nur Staunen sein und Ehrfurcht.

 

Was man immerhin sagen kann, ist etwas, was demgegenüber eigentlich ganz verrückt erscheinen muss: dass der Schöpfer des Himmels und der Erden und der vielen anderen Gestirne und Galaxien in Kontakt tritt mit einem so unbedeutenden Häuflein von Nomaden, die ihre Ziegen hüten.

Ja, die Kraft, die alles ins Werk gesetzt hat, tritt in Kontakt, redet verständlich mit seinen Geschöpfen.

Genau das ist der Glaube Israels, der Christen und übrigens auch der Muslime an den einen Gott. Dass er ein Gott ist, der zu uns spricht.

Am Berg Sinai schon sehr deutlich – die Gebote, der Bund, den er mit seinem Volk schließt – aber eben noch sehr verdeckt im wörtlichen Sinne.


Das Alte Testament erzählt viele Geschichten einer heftigen Liebesbeziehung zwischen Gott und seinem auserwählten Volk. Zorn, Eifersucht, Enttäuschung, Fremdgehen und, trotz böser Worte und Sanktionen, immer wieder neues Werben um die Zuneigung der „untreuen Braut“, wie es etwa beim Propheten Hosea heißt.

Vielleicht wie in einer alten Ehe, denke ich, die trotz allem Bestand hatte? Die Kämpfe sind vorbei, man schätzt sich, kennt sich und hält doch eine gewisse Distanz.


Was für die hebräische Bibel so stimmt, gilt nicht für das Neue Testament. Die alte Liebe entflammt hier auf eine ungeheuer zarte und verletzliche Weise noch einmal.

Man kann es so sagen: aus der Geschichte Gottes mit Israel ist ein zarter Spross hervorgegangen, dem wir ohne Angst begegnen können, von Angesicht zu Angesicht, ohne Decke oder gar Schutzschild dazwischen.

„Dies ist die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit; das Kind, dem alle Engel dienen, bringt Licht in meine Dunkelheit, und dieses Welt- und Himmelslicht weicht hunderttausend Sonnen nicht.“ (EG 40,1)


Das Wunderbare dabei: Gott, der Grund allen Seins, kann bleiben, was er ist: Rätsel, Geheimnis der Welt, Untergang und Auferstehung zugleich, in diesem ganzen Prozess ständiger Verwandlung der Schöpfung. Wovor man nur ehrfürchtig schweigen kann.

Doch der Mensch Jesus, der es wagte, zum Geheimnis „Vater“ zu sagen, hat uns damit eine Brücke gebaut, uns das Heilige, Ewige nahegebracht.


Seit der Erzählung von den Begegnungen von Moses mit Gott wissen wir, dass gilt: „keiner wird leben, der mich sieht“.

Im strahlenden Antlitz Jesu aber können wir erkennen, wie diese unbegreifliche Macht es auch gut mit uns meint, uns freundlich gesonnen ist.

„Lass dich erleuchten, meine Seele, versäume nicht den Gnadenschein; der Glanz in dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein; er treibet weg der Höllen Macht, der Sünden und des Kreuzes Nacht.“ (EG 40,2)

 

Ob man das wenigstens manchmal bei uns wahrnehmen kann, dass wir durch die „Weihnachtssonne“ Erleuchtete sind?

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 


3. Sonntag nach Epiphanias - 23. Januar 2022

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Matthäus 8,5-13

Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf dem Höhepunkt der Flüchtlingszuwanderung 2015/2016 gab´s in unserem Gemeindehaus als gemeinsames Angebot mit den Leuten aus dem Sozialverein Kunterbunt die wunderbare Begegnungsmöglichkeit „Café International“. 14-tägig kamen da bis zu 80 Personen aus allen Flüchtlingsländern und so auch mit ganz unterschiedlichen Religionen und Bräuchen zusammen. Kontakte sollten geknüpft werden, Informationen ausgetauscht und Herzenswärme spürbar werden.

Ein Mann, der mit seiner volljährigen Tochter aus Syrien geflüchtet war, fand wohl besonderes Vertrauen zu mir. Denn als seine Tochter viele Monate später dem Heiratsansinnen eines jungen Mannes zustimmte und ihr Vater die Ehe gestattete, bat  mich dieser beim Verlobungsfest im Gemeindehaus die jungen Leute und ihre Verbindung zu segnen.

Mein Hinweis, ich sei doch ein protestantischer Pfarrer und beide doch muslimischen Glaubens, konterte er lachend mit den Worten: „Du Mann Gottes. Das ist wichtigste.“

Ich hatte verstanden. Und so segnete ich dieses glückliche Paar das sich unter dem großen Kreuz im Gemeindehaus zum ersten Mal schüchtern an der Hand berührte.

 

Grenzüberschreitender Glaube: Gottes Segen ist heilvoll.

An diese Begebenheit fühlte ich mich erinnert, als ich jetzt wieder die Erzählung vom Hauptmann aus Kapernaum, unseren heutigen Predigttext, gelesen habe.

Der römische Hauptmann, von dem wir nicht einmal den Namen kennen, lebte in seiner eigenen Welt nur unter Seinesgleichen.

Aber höher noch als der Schutzwall seiner Zitadelle waren wohl die kulturellen und religiösen Grenzen gegenüber den jüdischen Bewohnern der Stadt am See Genezareth, in deren Umgebung auch Jesus gewirkt hat.

Als Repräsentanten des römischen Staates waren der Hauptmann, seine Beamten und Soldaten in der Bevölkerung verhasst.

Frommen Juden war es ein Gräuel das Haus eines Heiden zu betreten, erst Recht die Bastion der Besatzungsmacht.

Darauf spielt der Hauptmann auch an, wenn er einen Besuch Jesu in seinem Haus abwehrt. Als Soldat lebte er in seiner eigenen Kultur. In seiner Welt ging es um Befehl und Gehorsam, ein klares Wort reichte:

„Wenn ich zu einem sage: Geh hin! So geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er.“

 

Nun aber war er am Rande seiner Möglichkeiten, der römische Hauptmann. Sein Knecht war schwer erkrankt. Vielleicht war es sogar sein Sohn.

Im Griechischen ist vom Kind die Rede, auf jeden Fall also ein junger Mensch, der dem Hauptmann nahestand.

Der Hauptmann setzt sich dafür ein, dass er wieder gesund wird, doch im Rahmen seiner Kultur lässt sich nichts machen.

Eine Grenzerfahrung, aber er findet sich nicht ab mit seinen engen Grenzen. Er geht zu Jesus, von dem er anscheinend viel Gutes gehört hat. Er macht sich selbst auf den Weg, lässt nicht nur jemand anderen seinen Befehl ausführen und kommt mit einer Bitte zu dem Juden Jesus.

 

Erstaunlich ist das selbst für Jesus, so fragt er wohl eher zurück als dass er es sagt: „Soll ich etwa kommen und ihn gesund machen?“

Erwartet der Soldat, dass Jesus über alle Grenzen und Konventionen hinweg den Burschen eines Hauptmanns heilt, der die heidnische Besatzungsmacht vertritt?

Der Hauptmann achtet die Regeln durchaus, darum sagt er: „Ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst“.

Zugleich setzt er jedoch solches Vertrauen in Jesus, dass er ihm Heilung auch aus der Ferne zutraut. So wie bei ihm ein Wort reicht, dass ein unterstellter Soldat es gehorsam ausführt, so muss doch auch Jesus nur ein Wort sprechen, so wird der junge Mann gesund.

 

Dass da aus der Distanz tatsächlich Heilung geschieht, das spielt sich eigentlich dann eher so im Hintergrund unserer Erzählung ab. Vorn im Gespräch zwischen Jesus und dem Hauptmann geschieht das größere Wunder:

Dass ein Mensch aus einer ganz anderen Kultur solches Vertrauen zu Jesus hat und in diesem Vertrauen alle Grenzen überwindet.

So wie umgekehrt das Heil, das Jesus bringt, über alle Grenzen hinweg zu den Menschen kommt. Das wundert selbst Jesus: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“

 

Grenzenloses Vertrauen und Gottes Heil für die Menschen über alle Grenzen hinweg – das ist das Wunder, das erstaunen lässt.

 

Ich finde aber noch etwas Anderes erstaunlich: Der römische Hauptmann, dessen Glaube so gelobt wird, lässt nicht alles stehen und liegen und schließt sich der Jesusbewegung an.

Wie sollte er auch: Er hat seine Verpflichtungen, seinen Beruf, sein Leben in einer anderen Welt.

Jesus sagt ihm sogar: „Geh hin: dir geschehe, wie du geglaubt hast.“

Dennoch erstaunlich: Da wird seit 2.000 Jahren von dem großen Glauben eines Fremden erzählt, der sich nicht einer christlichen Gemeinde angeschlossen hat.

Im Matthäusevangelium ist das kein Einzelfall. Es wird auch von der kanaanäischen Frau erzählt, deren Tochter schwer erkrankt ist (Matth. 15,21-28). Auch sie überwindet gesellschaftliche Grenzen und bittet Jesus um Hilfe.

Jesus selbst weist auf die Grenzen: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“

Doch auf ihr Bitten hin sagt er schließlich: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“

 

Gottes Heil macht an den Grenzen in der Welt nicht Halt.

Es gab wohl in der Gemeinde des Matthäus ein Wissen darum, dass es auch außerhalb der christlichen Gemeinden Menschen gibt, die viel Vertrauen zu Jesus haben. Sie sind namentlich nicht bekannt, doch auch ihnen gilt die Verheißung des Heils. Jesus ist für alle Menschen gekommen, nicht nur für die in den engen Grenzen einer Kirche, einer Religion, eines Landes oder einer Kultur.

 

Wir können die Grenzen zwischen verschiedenen Kulturen und Lebensstilen nicht ignorieren, aber wir können uns eingestehen, dass es ganz verschiedene Formen gibt, in denen Menschen ihren Glauben leben.

 

Das gilt ja auch innerhalb unserer eigenen Kirchengemeinde.

Obwohl ich es ja weiß und es häufig schon erlebt habe, bin ich jedes Mal wieder überrascht, wie viele Menschen intensiv gläubig und fromm sind, denen ich etwa bei Geburtstagsbesuchen begegne oder in der Vorbereitung von Taufen oder Beerdigungen.

Die Überraschung rührt daher, dass es mit diesen frommen Menschen vorher nie Begegnungen in Gottesdiensten oder kirchlichen Veranstaltungen gab.

 

Was vor Corona schon stimmte, wird sich nach Corona wohl noch mehr manifestieren: Viele Menschen werden den Weg in unsere Gottesdienste und Gruppen nicht finden oder nicht mehr finden, doch auch ihnen gilt Gottes Verheißung. Auch sie wird Gottes Wort erreichen und zum Segen werden.

Was wir tun können, wenn es nach Corona endlich wieder los geht mit unseren Gottesdiensten und allen weiteren Angeboten: Offen bleiben und einladend für Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus und verschiedenen Lebens- und Glaubensformen.

Genauso werden wir Chancen eröffnen für Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise auf der Suche sind nach Gott und einem Leben, das ihnen gelingt. Vielleicht werden sie in den Begegnungen mit uns ja fündig. Denn auch wir haben doch wohl nicht zum Glauben gefunden, weil es schöne Sätze gibt über den Glauben, sondern weil es Menschen gab und gibt, die Gott vertrauen, und weil wir in der Begegnung mit ihnen erkennen können, wie ihnen dies durchs Leben hilft.

Übrigens: Das Paar, von dem ich zu Beginn erzählte, ist mittlerweile verheiratet und durch eine Tochter zu stolzen Eltern geworden. Der Ehemann und Papa hat hier einen Beruf erlernt und einen Arbeitsplatz gefunden. Die junge Familie wohnt bei einem alteingesessenen Paar im Ort zur Miete.

Auch hier wird Segen jenseits aller Grenzen sichtbar.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

 

2. Sonntag nach Epiphanias - 16. Januar 2022

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer

Predigttext: 1.Korinther 2,1-10 - wird während der Predigt verlesen

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Als Wissende wurden sie bezeichnet. Viel hatten sie sich angeeignet. Sie hatten gelernt und geforscht, gelesen und gelernt. Ihr Wissensdurst war unerschöpflich. Doch dann ein Rätsel. Konnte es denn möglich sein? Sie schauten in den Himmel, es war ganz deutlich. Gestern war er noch nicht da und heute überstrahlte er alles.

Nur wenige richteten ihren Blick nach oben. Die meisten hatten ihren Blick starr nach unten gesenkt. Liefen durch ihr Leben, ohne zu sehen, ohne zu erkennen. Lebten ihr Leben im Rad der alltäglichen Vergänglichkeit. Was bleibt davon im Leben?

Doch sie nicht, die drei Weisen aus dem Morgenland. Sie packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg. Folgten. Wussten nicht, wohin der Weg sie führen würde, wann sie ankommen würden oder ob überhaupt. Doch: War dies weise?

Unbeirrt marschierten die drei los. Es drängte sie, dem Geheimnis hoch am Himmel auf die Spur zu kommen. Doch diese Ungewissheit, dieses Geheimnis wurde ihnen zur Gewissheit. So gewiss, dass sie sicheren Fußes losgingen. Nichts konnte sie auf ihrem Weg aufhalten, das Geheimnis zu ergründen.

 

Liebe Gemeinde!

die drei Weisen, die nichts weiter hatten als den Stern am Himmel und eine alte Prophezeiung, erreichten ihr Ziel. Ohne Sicherheitsnetz, ohne einen Beweis, dass ihr Vorhaben auch Erfolg haben würde, gingen sie dem Geheimnis nach.

 

Auch heute noch ist die Menschwerdung Gottes, Jesu Leben und Sterben am Kreuz und erst Recht seine Auferstehung ein Geheimnis.

Weihnachten liegt gerade drei Wochen hinter uns. Christi Geburt wurde auf der ganzen Welt gefeiert, doch nicht für jeden Menschen erschließt sich dieses wunderbare Ereignis des Heiligen Abends.

Von diesem Geheimnis spricht Paulus heute im Predigttext.

Gedanklich reist er in die Vergangenheit und blickt zurück. Er erzählt uns von dem Geheimnis und seiner Zeit in der Gemeinde in Korinth.

Nun war er schon einige Zeit fort. Die Gemeinde musste ohne ihn auskommen. Doch was Paulus von seiner Gemeinde nun hört, gefällt ihm nicht. Sie stritten sich, hatten verschiedene Ansichten.

Welche Bedeutung hat das Kreuz und die Auferstehung, wer sollte auf wen in der Gemeinde Rücksicht nehmen,

was ist Christen erlaubt und was nicht?

Und so beantwortet Paulus die Probleme und Fragen aus der Gemeinde im 1. Brief an die Korinther. Vier Kapitel widmet er sich der Bedeutung des Kreuzes für den Glauben.

 

Wir hören einen Abschnitt daraus aus dem Kapitel 2, die Verse 1-10.  So schreibt er:

1Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

 

Wissen oder Glauben, liebe Gemeinde? Neben dem Geheimnis, was verborgen und doch ganz offenbar ist, bringt Paulus ein für mich spannendes Thema im Predigttext zur Sprache, die Weisheit. Synonyme für diesen Begriff wären Bildung, Wissen, Gelehrtheit, aber auch Erfahrung und Erkenntnis. - Doch ist dies auch Weisheit?

 

Und hiermit befinden wir uns mitten in der Spannung, dem Gegensatz, den Paulus benennt: Wissen und Glauben, Erkenntnis, Weisheit. Was können wir erkennen? Was ist Wissen und was Glauben?

Was ich weiß, dass glaube ich nicht. Und was ich glaube, dass weiß ich nicht.

Beim sogenannten Wissen vertraue ich darauf, dass es gesichert ist. Gründlich recherchiert, wissenschaftlich bewiesen. Ich vertraue den Erkenntnissen, die andere für mich überprüft haben.

 

Für den Glauben gilt dies zumeist nicht. Doch auch hier Vertrauen. Ich vertraue, dass Gott Mensch wurde, dass Christus am Kreuz gestorben und am dritten Tage auferstanden ist, so wie es mir die Evangelien und Paulus berichten.

 

Wissen und Glauben sind also miteinander verbunden, wie zwei Kreise, die sich überschneiden.

Doch dann ist da immer wieder die Frage, was weiß ich wirklich? Was wird von all dem Wissen im Nebel der Zeit bleiben, was verschwinden, wenn ich älter werde, mein Geist nicht mehr so will, wie ich will? Wenn ich vergesslich werde im Alter?

 

Paulus will nichts weiter wissen als Christus den Gekreuzigten. Ihn stellt er in den Mittelpunkt, uns vor Augen. Die Weisen aus dem Morgenland richteten ihre Augen auf den Stern. Wir sollen unsere Augen auf Christus den Gekreuzigten richten, nicht nur heute am zweiten Sonntag nach dem Epiphaniasfest.

Mit Christus wurde hier alles ans Kreuz geschlagen, was unter den Menschen hochgeschätzt wird oder Achtung erfährt.

Das Wissen und das Nichtwissen, die Erkenntnis, die irdische Macht selbst und das menschliche Bestreben immer weiter, höher, schneller zu werden, das Bestreben, besser als der andere zu sein.

 

Das Kreuz kehrt alles um: Wissen und Glauben. Die menschliche Weisheit fällt, wird zur Torheit, und die vermeintliche Torheit, wird zum göttlich Auserwählten.

Und ich muss mich fragen lassen: Was weiß ich wirklich? Kann ich das wirklich verstehen?

Paulus kann diese Frage mit Gewissheit beantworten: Christus, den Gekreuzigten. Hier wird Gottes Liebe zu uns offenbar und doch bleibt es ein Geheimnis, Gottes Geheimnis.

Dieses Geheimnis spricht zu jedem, der Ohren hat, um hören zu wollen. Kann es sehen, wenn er die Augen zum Himmel aus der Finsternis der Unwissenheit emporrichtet.

Dieses Geheimnis spricht von sich selbst:

 

Du kennst mich, du hörst mich.

Manchmal durchdringe ich deinen Geist,

stehe Dir klar vor deinen Augen,

bis sie sich wieder verschließen.

Du kannst mich wissen,

aber ergreifen kannst du mich nicht.

Folge mir. Ich gebe deinen Füßen sicheren Halt

im Nebel der Unwissenheit, der Ungewissheit.

Ich leuchte Dir, wenn es hell ist, wenn es dunkel ist.

 

Ich bin gewusst, ganz offenbar und

doch bleibe ich das, was ich bin.

 

Ich bin die Offenbarung.

Das göttliche Geheimnis.

 

Liebe Gemeinde,

Paulus erklärt uns am Ende seines Briefes noch einmal das Geheimnis und das Erkennen. Mit einem wundervollen Bild zeichnet er uns es vor Augen.

 

12Jetzt sehen wir alles nur wie in einem Spiegel und wie in rätselhaften Bildern. Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur Bruchstücke, einen Teil des Ganzen. Aber eines Tages werden wir ´Gott` von Angesicht zu Angesicht sehen; dann aber werden wir alles so erkennen, wie Gott uns jetzt schon kennt.

 

Bruchstücke kannten auch nur die Drei Weisen aus dem Morgenland. Sie hatten nichts weiter als einen Stern und eine alte Verheißung. Doch sie machten sich sicheren Fußes auf den Weg.

Wir hingegen haben weitere Bruchstücke erhalten. Wir wissen, was mit diesem Stern für den Menschen folgte. Wir dürfen schon mehr sehen als die drei.

Doch auch für uns bleiben es Bruchstücke.

 

Meine Augen wollen sehen und sehen doch nur wie durch einen Nebel Bruchstücke.

Was ich glaube, was ich weiß. Gestern, heute, morgen.

Wer bin ich? Was weiß ich?

Ich weiß nur eins. All meine Weisheit, mein Erkennen mögen schwinden.

Doch von Gott bin ich erkannt. Ich bin ihm kein Geheimnis.

Er weiß, wer ich bin, sieht mich ganz offenbar.

Er ruft mich bei meinen Namen.

 

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Wochenlied: EG 74  Du Morgenstern, du Licht vom Licht

Taufansprache am 1. Sonntag nach Epiphanias

Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Aus dem besonderen Anlass, dass eine der Taufpat*innen aus Kansas, USA, jetzt noch anwesend sein kann, werden wir am Sonntag, den 09. Januar 2022, zwei Taufen im jeweiligen Familienkreis durchführen.

 

Die hier abgedruckte Taufansprache ist auch eine Auslegung der Jahreslosung für das Jahr 2022:

Jesus Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“


Liebe Tauffamilien,

Freundinnen und Freunde,

liebe Taufgemeinde,

 

heute habe ich euch das Traumschäfchen mitgebracht. Es ist das Kuscheltier unseres Sohnes Lukas.

Ich hab ihn gefragt und er hat es mir ausgeliehen.

Das Traumschäfchen war schon lange nicht mehr so weit von zu Hause fort. Denn es hat einen ganz bestimmten Ort, wo es hingehört….

            (Die Kinder raten lassen….Bett – Kopfkissen)

 

Genau: Traumschäfchen bewacht das Bett, damit niemand Fremdes oder gar ein kleines Monster da reinplumpst

und Traumschäfchen behütet den Schlaf von Lukas und sorgt mit dafür, dass er süße Träume hat.

Deshalb war Traumschäfchen auch nie sonst wo in der Wohnung unterwegs und lag tagsüber schon gar nicht in irgendeiner Ecke rum, sondern Traumschäfchen war und ist da, wo es hingehört: auf Lukas´ Kopfkissen.

 

Früher, ja früher war es manchmal auf Reisen. Etwa, wenn Lukas bei der Oma übernachten durfte oder bei seiner Patentante und natürlich begleitete uns Traumschäfchen auch, wenn wir in Urlaub fuhren. Da gab es ein extra Köfferchen mit ein paar Spielsachen, den Malbüchern und Farben, den Bilderbüchern und Vorlesegeschichten und obendrauf kam Traumschäfchen, damit Lukas auch im Urlaubsbett wunderbar schlafen konnte und garantiert gute Träume hatte.

 

Wie ist es denn bei euch Kindern? Habt ihr auch Kuscheltiere?

            Antworten abwarten und ev. Namen erfragen

 

Wer hat ein besonderes Kuscheltier nur fürs Bett und den Schlaf?

     Antworten abwarten und ev. Namen erfragen

 

Ja, prima. Kuscheltiere sind wichtig und tun der Seele gut.

Und dann gehörten bei uns immer noch zwei Dinge dazu, damit Lukas und später auch Manuel behütet und ruhig schlafen konnten: Wir haben ihnen etwas vorgelesen und dann mit ihnen gebetet.

 

Jetzt denkt ihr vielleicht: Kein Wunder, dass du betest, du bist ja auch Pfarrer.

Aber das ist überhaupt nicht der Grund fürs Beten, sondern weil meine Frau Andrea und auch ich als kleine Kinder selbst gemerkt haben, wie gut das tut vorm Einschlafen zu beten. Und weil´s gut ist, haben wir auch mit unseren eigenen Kindern gebetet.

 

Und jetzt mal zu euch Großen?

Wisst ihr noch, wie es war, als ihr klein wart und eure Eltern euch ins Bett gebracht haben?

Was waren eure Zu-Bett-Geh-Rituale?

Und was habt ihr gebraucht um einzuschlafen?

Ihr könnt euch ja mal nachher beim Tauffest darüber austauschen.

Musste vielleicht die Tür einen Spalt aufbleiben, damit das Licht hineinfällt und die Angst nicht so groß wird?

Was war dann aber mit den Schatten an der Wand?

Oder gab´s ein Schlummerlicht mit sich drehendem Lampenschirm, der wunderbare Bilder an die Decke zauberte, damit es nicht stockfinster war in der Nacht?

 

Bei den Älteren unter uns gab´s all sowas nicht.

In unserem Schlafzimmer zu Hause gab´s noch nicht mal eine Steckdose.

Und im Flur und auf der Treppe wurde auch kein Licht angelassen, denn Strom war teuer.

Was es aber gab, waren eben die Gebete.

Ich habe wenig Erinnerung an meine frühe Kindheit. Das aber hat sich eingeprägt: Meine Mutter bei mir am Bett und wir beten. Ich denke, das hat sie bestimmt auch schon gemacht, als ich noch kleiner war. Eine Zeit, an die ich mich nicht erinnern kann.

 

Müde bin ich, geh' zur Ruh',
Schließe beide Äuglein zu;
Vater, lass die Augen dein
Über meinem Bette sein!
 
Hab' ich Unrecht heut' getan,
Sieh' es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad' und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.
 
Alle, die mir sind verwandt,
Gott, lass ruhn in deiner Hand!
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen sein.

 

Die Botschaft, die da drin liegt und die meine Mutter durchs Beten beglaubigte, heißt:

Da ist einer, der über mich wacht und ein Auge auf mich hat.

Das hat mich immer beruhigt und tut es heute noch.

 

Später hab ich natürlich eigene Worte fürs Beten gefunden, aber das Gefühl blieb gleich:

Ich bin bei Gott gezählt. Bin wichtig für ihn. Er sieht, wie es mir geht und er wacht über mich.

Ich brauche keine abgrundtiefe Angst zu haben. Auch nicht in den Stürmen des Lebens.

Und kann beruhigter einschlafen, wenn ich mir von der Seele geredet habe, was war an diesem Tag und was vor mir liegt am nächsten.

Wer mit einer solchen Grundsicherung seines Lebens, mit so viel Urvertrauen aufwachsen kann, der wird sicherlich früher oder später auch zu der Erkenntnis gelangen, wie es in Valentins Taufspruch heißt:

„Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,

und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“

Und wer Jesu Worten aus Joanas Taufspruch vertraut:

„Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht im Finstern wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben,“

ja, in dessen Leben fällt mehr Licht, als wär die Tür nur einen Spalt weit geöffnet.

 

Dass Joana und Valentin jetzt zu Beginn des Jahres 2022 getauft werden, macht uns aufmerksam auf ein weiteres Wort von Jesus. Es steht als Losung über diesem ganzen Jahr und will so zu einem Geleitwort für uns alle werden.

“Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.”

Das gilt uns allen.

Denen, die nah dran sind mit ihrem Vertrauen und Glauben, aber auch all jenen, die so manche Zweifel haben und vielleicht eher sagen, „Ich bin nicht so gläubig. Ich halt lieber mehr Abstand.

 

Bei Jesus wird niemand ausgeschlossen. Er verspricht seine Ohren und sein Herz nicht vor denen zu verschließen, die an seine Tür klopfen. Und sei es auch nur im Abstand von vielen Jahren.

Wir alle werden angenommen, egal, ob traurig oder fröhlich, gewiss oder zweifelnd, lebensfroh oder mit Sorgen beladen, glücklich oder enttäuscht, krank oder gesund.

Auch alle, die sonst so oft einfach links liegen gelassen werden, dürfen zu ihm kommen. Auch diesen schenkt er Zeit und Beachtung.

 

Das Johannesevangelium, aus dem die Jahreslosung stammt,

erzählt von vielen Menschen, die auf der Suche nach Leben, Sicherheit und Zukunft sind. Sie suchen die Nähe von Jesus, weil sie spüren, dass von ihm eine besondere Lebenskraft ausgeht.

Eine Lebenskraft, die Menschen satt macht an Leib und Seele. Menschen lagern sich um ihn, um ihm zuzuhören.

Als sie Hunger haben, werden alle satt von wenigen Broten, die da sind. Ihr erinnert euch sicher an die entsprechenden Geschichten.

Dabei bleibt es aber nicht. Alle spüren, dass Jesus mehr für sie hat: tröstende, stärkende und orientierende Worte, ja sogar Worte, die über dieses Leben hinausweisen. Hoffnungsworte für ewiges Leben.

Mit dem, was Jesus sagt und tut, öffnet er die Tür zum Leben. Und er sagt:

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

 

Heute werden diese Worte und die Botschaft Jesu Joana und Valentin für ihr Leben zugesprochen.

Nie, niemals werden sie alleine sein. Nie, niemals brauchen sie abgrundtiefe Angst zu haben.

Nie, niemals wird es eine Situation geben, in der sie nicht zu Gott und Jesus kommen können.

 

Und genau jetzt seid ihr gefragt, Eltern, Patinnen und Paten und auch die Großeltern.

Die Güte Gottes und die Nähe Jesu können Valentin, Joana und all eure Kinder nur erfahren durch euch.

Um Urvertrauen und Liebe zu Gott aufbauen zu können, dazu brauchen Joana und Valentin und all die anderen euer Vertrauen, euren Glauben und eure Liebe.

Nur durch euch können die Kleinen Gott begegnen und Jesus auf die Spur kommen.

 

Ein Traumschäfchen schenken ist prima. Wunderbar aber ist´s Gebete zu schenken. Und damit den eigenen Glauben.

Da sind auch die Taufpat*innen gefragt.

Und wenn ihr sagt: Ich kenn kein Gebet auswendig, nehmt das Internet.

Und sogar dies geht, ich hab´s nachgeschaut: Alexa reagiert auf den Befehl: „Alexa, frag Evangelische Kirche nach Kindergebet.“

Und vielleicht ist´s dann ja so: Dass ihr mit euren wunderbaren Kindern, diesen Gottesgeschenken, eure eigene Scheu ablegt und neu eure eigene Sanftmut und eure Religiosität wiederentdeckt. Die Worte kommen dann von ganz allein.


Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.


Predigt am 1. Sonntag nach Weihnachten, 02.01.2022

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best

Predigttext 1. Joh, 1, 1-4 - wird während der Predigt verlesen


Die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

 

Liebe Gemeinde ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesegnetes und ein friedvolles neues Jahr.

Bleiben Sie oder werden Sie gesund.

 

Predigttext 1. Johannes, 1, 1-4

"Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist, was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir, auf dass unsere Freude vollkommen sei."

 Herr segne unser Hören und Reden durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

„Oma, erzähl doch mal“, sagen die Enkel. Erzähl uns, wie du den Opa kennengelernt hast. Und wie ihr dann lange nichts mehr voneinander gehört habt. Und wie der Papa auf die Welt kam. Und erzähl uns, wie das war damals, als ihr gar keine richtige Wohnung hattet. Nur ein Zimmer mit Bad.

„Ach, das hab ich euch doch alles schon zehn Mal erzählt“.

„Erzähl´s noch mal, bitte Oma“.

Und Oma fängt dann doch wieder an. Ganz vorne. Und all die schönen und die schlimmen Geschichten werden wieder lebendig. Von der Vertreibung und dem Hunger und der Kälte erzählt sie. Von der Angst und vom Glück im Unglück. Und von dem alles überstrahlenden Augenblick der Liebe.

Und wenn sie mal stockt oder etwas durcheinanderbringt, dann helfen ihre Enkel weiter. Sie haben´s ja schon zehn Mal gehört. Und trotzdem: Sie wollen immer wieder den Anfang hören.

 

Was ist so faszinierend an den Anfängen? Warum fragen wir danach, wie alles angefangen hat?                 

Warum hören wir wieder jedes Jahr die Geschichte vom Kind in der Krippe? Und wie sie kein Dach über dem Kopf fanden. Und von den wunderlichen Leuten, die das Kind sehen wollten. Schäfer und Könige und Sterndeuter.

 

Die Geschichten vom Anfang verbinden. Sie stellen Gemeinschaft her über Zeiten und Generationen hinweg.

Wenn die Oma ihren Enkeln Geschichten davon erzählt, wie alles anfing, dann wird das, was längst vergangen ist, wieder lebendig. Man sieht`s in den Gesichtern der Enkel. Sie erleben mit, was die Oma erlebt hat. Sie fürchten sich vor dem, vor dem die Oma Angst hatte. Sie freuen sich mit ihr. Sie halten sich vor Schreck die Hände vor`s Gesicht, und sie strahlen bis hinter beide Ohren, wenn die Gefahr vorüber ist.

 

Was sie hören, ist mehr als Erinnerung an längst Vergangenes. Sie erleben Ereignisse mit, als wären sie dabei.

Oma, erzähl mal, erzähl`s noch einmal, wie alles angefangen hat.

„Was von Anfang an war, das verkündigen wir euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt.“

So beginnt der Brief aus der Bibel, den wir den 1. Johannesbrief nennen. Vielleicht hat Johannes, der Evangelist, selbst diesen Brief geschrieben. Vielleicht war es einer seiner Schüler. Sei`s drum. Ihm war es wichtig, den verstreuten Gemeinden zu erzählen, wie alles mit dem Glauben angefangen hat. Ihm war es wichtig, das Verbindende herauszustellen. Gemeinschaft der Glaubenden. Miteinander nicht gegeneinander.

 

Jedenfalls war er in Sorge um die verstreuten christlichen Gemeinden. Er sieht und hört von Auflösungserscheinungen hier und da. Er sieht und hört von enthusiastischen Glaubenslehren „ Halleluja, wir sind gerettet!“ und von ernüchternder Lebenspraxis: „ Was geht mich die Welt an? Ich bin schon im Himmel auf Erden.“

Hass unter Glaubensgeschwistern gibt’s. Gleichgültigkeit gegenüber Notleidenden in der Gemeinde.

Er kann nicht mehr an sich halten: „Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens,

was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch.“

 

Was von Anfang an war, das muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Nur immer wieder erzählt und erlebt muss es werden.

Ganz am Anfang war das Wort des Lebens: Es schuf das Licht und nicht die Finsternis.

Es kam in die Welt als Kind, schutzlos, obdachlos, gefährdet und doch geliebt. Es wurde gehört aus dem Mund Jesu.

Es wurde gesehen in seinen Taten. Es wurde betrachtet in seinen Leiden.

Es wurde betastet in den Wunden des Auferstandenen. Das Wort des Lebens ist erschienen.

Und mit ihm das Leben selbst.

Warum ist das für uns Christen so wichtig, immer wieder die Erzählungen vom Anfang zu hören?

„Damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt“, schreibt dieser Lehrer der Christenheit.

Es ist ja wirklich so, und viele haben es schon erlebt: Die alten Geschichten, die Kinder oder Enkel von ihren Eltern und Großeltern her gemeinsam in Erinnerung haben, die sind ein ganz starkes Band der Gemeinschaft unter ihnen. Und sie haben, wenn sie zusammen sind, immer wieder neu Freude daran, sich einander an diese alten Geschichten vom Anfang, der weit vor ihnen lag, zu erinnern.

So ist es unter Glaubensgeschwistern.

Ist das nicht wunderbar, dass wir Menschen aus unterschiedlichsten Traditionen treffen können und uns dann sehr schnell in den gemeinsamen Erzählungen vom Anfang zusammenfinden können, egal ob in derselben Sprache oder in unterschiedlichen Sprachen.

 

Christen leben in unterschiedlichsten Kulturen und unter unterschiedlichsten Bedingungen: mal frei und geachtet, mal nur belächelt. Ganz oft bedrängt und bedroht. Darum ist es so wichtig, dass sie ihre unterschiedlichen Glaubensweisen und Traditionen in dem einen zusammenführen können: „es begab sich aber zu der Zeit..... und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe....“.

 

Keimhaft ist ja gerade in dieser Anfangsgeschichte so vieles von dem enthalten, was Christen in der Welt erleben.

Sei`s Gutes oder Böses.

Wenn Christen aus unterschiedlichen Traditionen und Kulturen aufeinandertreffen, dann werden sie sicher wahrnehmen, wie sehr sie sich in ihrer Glaubenspraxis unterscheiden.

Da gibt es sogar Unterschiede, die einen erst mal befremden.

Aber wenn sie dieselben Erzählungen vom Anfang haben, dann sind die Unterschiede eben nicht trennend, sondern sie machen die Gemeinschaft erst richtig interessant. Die Freude aneinander kann groß werden. Das einander Verstehen kann wachsen.

 

Wie auch bei Geschwistern, die sich lange aus den Augen verloren haben. Sie schwelgen dann ja nicht nur in den alten Geschichten, sondern fragen auch einander: Und wie lebst Du? Mit wem bist du zusammen? Was machst du so? Und sie erzählen sich auch davon und freuen sich aneinander, wegen beidem: wegen dem, was sie gemeinsam haben, und wegen dem, was sie Unterschiedliches voneinander erfahren.

 

Der Lehrer des 1. Johannesbriefs fügt am Ende an: “Das alles schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei“.

Vollkommene Freude ist noch mehr als Weihnachtsfreude. Das ist die Freude an Gottes Liebe.

Klein und verletzlich hat sie angefangen. Nur im Abseits fand sie Raum.

Nur in einer Krippe konnte sie sich einnisten.

Wie vielfältig aber und zahlreich sind die Menschen, die von ihr ergriffen wurden und noch werden.

Damit sie einander als Geschwister in all ihrer Vielfalt erkennen, erzählen sie einander, was von Anfang an war. Amen.  

Predigt zum Altjahresabend - 31.12.2021

Predigttext Mt, 13, 24-30

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Liebe Leserin, lieber Leser,

wieder sind wir angekommen am Rand eines Jahres -blicken zurück, was alles war, wie alles geworden ist.

Schauen aber auch schon ein Stück weit voraus, was uns wohl alles erwartet.

Und wie immer ist es auch so: Jetzt, an der Grenze zum neuen Jahr, wird mir nochmals deutlicher bewusst, wie schnell die Zeit verrinnt und wie begrenzt doch das eigene Leben ist.

Vielleicht ist dieses Gefühl beim Übergang ins Jahr 2022 noch ausgeprägter, weil auch in diesem zu Ende gehenden Jahr vieles ganz anders lief als geplant und manches auch ausgefallen ist, was positiver Merkposten in der sonst nur verrinnenden Zeit hätte sein sollen.

 

Immer noch bestimmte die Corona-Pandemie und die damit zusammenhängenden Regeln, die nötig waren, unser Leben im privaten wie im öffentlichen Raum.

In unseren beiden Kindertagesstätten etwa habe ich intensiv miterlebt, wie fordernd und auch belastend die Begleitung und Förderung der uns anvertrauten kleinen Menschen für das gesamte Personal unter Corona-Bedingungen war. Deshalb gebührt unseren Mitarbeitenden großes Lob und herzlicher Dank, den wir auch sichtbar werden lassen wollen.

Aber natürlich wurde auch den Müttern und Vätern viel abverlangt, erst Recht den Alleinerziehenden. Die Arbeitsbelastung hat ja sowieso allerorten zugenommen. Dazu kam dann noch die Betreuung der Kinder hinzu, wenn wegen Quarantäne oder der häufigen anderen Infektionskrankheiten der Kindergartenbesuch nicht möglich war. Das alles musste bewerkstelligt werden und im Hintergrund lauerte dann immer doch noch die Angst, dass jemand schlimm an Corona erkranken könnte. All das hat viel Kraft gekostet und mitunter auch Beziehungen belastet.

Die jungen Familien und unsere Mitarbeitenden stehen stellvertretend für viele Gruppen und Akteure, denen die Corona-Pandemie viel abverlangt hat.

 

Wünschen wir miteinander, dass auch aus Gottes Segen, die Corona-Pandemie, wenn nicht überwunden, so doch entscheidend zum Guten hin sich wendet. Dazu wird es auch nötig sein, dass noch mehr Menschen die Kraft zur Solidarität zufließt. Wir sollten nicht nachlassen Gott darum zu bitten.

 

Im zu Ende gehenden Jahr gab es aber natürlich noch viel mehr als nur die Corona-Krisenzeit. Es gab auch das sonst gute, schwere, leichte, harte Leben.

Da gab es die Geburt des lange ersehnten Kindes und das Lebensglück fühlt sich perfekt an und es gab auch gerade in den letzten Tagen den völlig unerwarteten plötzlichen Tod des Mannes in mittleren Jahren, der stirbt ohne ersichtliche Vorerkrankungen.

2021 haben sich Menschen ganz frisch ineinander verliebt und haben das Gefühl zu schweben.

Andere haben sich nach langen Querelen und vielen Gehässigkeiten getrennt und planen die Scheidung, ohne genau zu wissen, wie es finanziell weitergehen kann. Hauptsache die Nerven können sich mal wieder beruhigen und das Gift ist raus aus der Beziehung.

Auch in 2021 gab es die zum Erfolg führenden Entscheidungen und falsche Entschlüsse, die nicht zurückgenommen werden können.

Da sind versöhnende Gesten und verletzende Worte. Handeln, das zum Guten führte, und Aktionen, die schuldig gemacht haben.

Gefüllte Zeit und leere Zeit. Dank und Klage – auch vor Gott.

Diese Erlebnisse von Glück und Leid gehören zu uns.

Wir selbst aber gehören Gott. Auch das wollen wir bedenken jetzt an der Schwelle zum neuen Jahr.

Möge uns Gott grenzüberschreitend Zukunft eröffnen und unsere Zeit in gute Zeit verwandeln, so dass wir sie im Rückblick nicht  mit wegwerfender Geste bedenken müssen, sondern mit geöffneten Händen, die gelassen und froh das Neue erwarten.

 

Vom Guten, von guter Weizensaat und guter Ernte, erzählt Jesus in einem Gleichnis vom Reich Gottes.

Wir hören aus dem Matthäus-Evangelium Kap 13, 24 – 30:

„Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“

 

Die Überschrift über diesem Gleichnis in der Lutherbibel heißt „Vom Unkraut unter dem Weizen“.

Heute am Jahreswechsel soll sie lauten: „Gottes Weizensaat kommt zur Ernte“, „Dem Guten gehört Zukunft“.

 

Der Landwirt sät aus auf seinem Acker – natürlich gute Weizensaat. Hoffnungsvoll, Frucht versprechend.

Ein Feind aber verstreut heimlich, unbemerkt, bei Nacht zwischen den Weizen Unkrautsamen.

Im griechischen Originaltext steht da „zizanion“. Das Gewächs, um das es da geht, heißt im Volksmund rund ums Mittelmeer   Schwindelkorn, Rauschgras, Giftstroh und Hennentöter.

Damit wird deutlich: Dieses Unkraut ist nicht nur ungenießbar, sondern gesundheitsschädlich und giftig.

Unerkannt keimt es und treibt Wurzeln, schlingend und verstrickend. Dann wuchert es und ist einfach da – das „Giftstroh unter dem Weizen“.

 

Ich kann nicht anders, als dieses Gleichnis zunächst zu verstehen als Hinweis, wie einfache und vereinfachende populistische Saat viel zu oft Gehör findet. So entsteht akustisches Schwindelkorn.

Als Gerücht wird es weitergesagt, in den sozialen Medien verbreitet, und weil es Ängste bestätigt, akzeptiert.

Über infizierende Brandstifter gewinnt das Ungute gesellschaftliche Macht.

Die Zeit der Pandemie, die Zeit der Klimakrise ließ uns das erfahren: „Covid 19 – nur Grippe“, „Klimakrise – nur politische Kampagne“, „Nationalist – nur Patriot“, und auch „Religion – nur unmündige Unvernunft“ und „Kirche – nur Institution wie jede andere“. Das Einfache vereinfacht. Ungutes wächst hervor.

 

Denn „nichts ist einfach“. Das meiste ist komplex, ja, kompliziert, etwa wenn Corona bekämpft, wenn der Klimakrise begegnet werden soll, ja, und auch, wenn Jesu Erzählung von der guten Aussaat als Gleichnis vom gekommenen und kommenden Reich Gottes zu uns spricht am Jahresschluss.

 

Die Mitarbeiter des Landwirts sind es, die das Unkraut einfach ausreißen wollen. Fakten schaffen wollen sie, Eindeutigkeit herstellen, eine einfache Antwort geben für eine komplexe Situation.

Begleitet ist diese Absicht häufig mit empörtem Moralisieren, mit geschichtsvergessenen Vergleichen, selbstgerechtem Urteilen, mit Verurteilen, Ausgrenzen und Spalten.

Der Landwirt im Gleichnis vom Reich Gottes beantwortet den Vorschlag der Mitarbeiter mit einem klaren „Nein!“. 

Gottes Gedanken sind anders, seine Pläne weiter.

Der Landwirt durchkreuzt das Ansinnen seiner Mitarbeiter, obwohl er das Unkraut unter dem Weizen kennt und die schädliche Wirkung des Giftstrohs ernst nimmt.

Im Wurzelwerk unentwirrbar verflochten, würde der Weizen zusammen mit dem Giftstroh oder Schwindelkorn ausgerissen. Die Ernte würde zerstört.

Das miteinander Verwobensein von Gutem und Bösem, die Verstrickung von Gerechten und Ungerechten im Wissen, dass alles Leben auf Kosten anderen Lebens lebt, lässt eine Ausmerzung des Unkrauts nicht einfach zu.

 

Der Landwirt vereinfacht nicht, wenn er sagt: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte“. Kein „laissez faire“, gleich-machend oder gleich-gültig. Nein. Der Landwirt weiß um Verschiedenheit und Widerspruch, um Auseinandersetzung und Toleranz, die Unterschiede nicht nivelliert.

Und er blickt voraus der Zukunft, der Ernte guter Früchte, entgegen.

Der Landwirt entscheidet „nicht vor der Zeit“; er nimmt in der Zwischenzeit die zukünftige Entscheidung nicht voraus.

Gottes Sache bleibt das Richten: das Richten als zurecht richten. Also nicht hinrichten, sondern gerecht machen.

 

Jesus verkündigt im Gleichnis das zu allen gekommene und kommende Reich Gottes.

In der Zwischenzeit geht’s um Wachsen und Werden. Unser Leben als Christen ist ein Werden, wie Martin Luther sagt: „Das christliche Leben ist nicht Frommsein, sondern Frommwerden, nicht Sein, sondern Werden“.

Wir sind auf dem Weg, gute Frucht zu bringen im Horizont der Verheißung. So wie es Jesus sagt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt.“

So können wir mit frohem Herzen in die Zukunft gehen.

Diese Verheißung eröffnet und schafft Zukunft.

Wir sind Saat, gesät auf Hoffnung, dass wir Wurzeln schlagen, dass wir im Glauben wachsen, uns zum Himmel strecken gleich dem Weizenhalm und Frucht bringen.

Ein Werden und Wachsen ist es. In dieser Zeit noch verbunden mit der Bitte: „Erlöse uns von den Bösen“ und auch mit dem Ruf „Widersteht dem Bösen mit Gutem“.

Gute Frucht bringend fördern wir das Gute, das der Liebe Gottes entspricht.

Nachhaltige Frucht, die bleibt, ist es „mit“ und „vor“ Gott, bei dem wir Zuflucht haben in allem Schweren.

 

Verantwortlich für die Zukunft sind wir; die Zukunft aber liegt bei Gott.

An der Schwelle zum neuen Jahr nimmt uns Jesu Gleichnis so hinein in die Verheißung des kommenden Gottes.

Er kommt; er ist uns nah, näher als wir uns selbst sind; er ist da für uns.

Und er ist es, der in Liebe Klarheit schaffen wird, der – wie Dietrich Bonhoeffer bekennt – auch aus unsern Fehlern und Irrtümern „Gutes entstehen lassen kann und will“; der unsere Verflechtungen und Verwobenheiten zurecht bringen wird; der einfach Klarheit schafft.

Gott kommt. Und er ist es, dessen Liebe uns zum Guten führen wird. Das Jahr 2022 wird eine Etappe sein hin zu diesem Ziel.

Denn: „Ich bin gewiss, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus offenbar ist, unserem Herrn“.

Deshalb voll Hoffnung und Zuversicht: Bleibt behütet und bleibt stark auch im neuen Jahr! Amen.

 

Freuet euch in dem Herrn allewege, 
und abermals sage ich euch: 
Freuet euch! Der Herr ist nahe!       

 

Mit dem Wochenspruch aus dem Philipperbrief grüße ich Sie zum 4. Advent.

 

Ja, liebe Gemeinde , auch dieses Jahr können wir Vorfreude verspüren auf die kommenden Weihnachtstage.

Die eine spürt sie vielleicht beim Zimtduft der frischgebackenen Plätzchen, der andere beim Einkaufen des nach Wald duftenden Tannenbaums, andere beim Einpacken der Geschenke für die lieben Kinder.

Oder vielleicht bei Weihnachtsliedern?

So ging es mir vor Tagen, dass ich dachte, „Ja, bald ist Weihnachten“.

Denn das Lied, das ich gerade gehört hatte, lautet im Refrain: „ and the bells are ringing out for Christmas day“.

„Und die Glocken läuten, zum Weihnachtstag“. 

Das ist mir ein Trost, wenn der Gemeindegesang und der gemeinsame Gottesdienst fehlen:

Dann sagen uns die Glocken: "Freuet euch! Der Herr ist nahe!"


Predigt zum 4. Advent - 19. Dezember 2021

Predigttext: Lukas 1, 26-33+38 (wird während der Predigt gelesen)

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer


Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Liebe Gemeinde,

 

Monika macht sich Sorgen um ihre Tochter. Sophie steht kurz vor dem Schul-Abschluss. Sie lernt viel und hat sich in den letzten Wochen immer mehr aus der Familie zurückgezogen. „Bestimmt macht Sophie sich Gedanken, wie es nach dem Abschluss für sie weitergeht“, vermutet ihre Mutter. Der Schulalltag unter diesen besonderen Bedingungen, welche die Pandemie mit sich gebracht hat, machte alles noch schwerer. Es ist der 1. Adventssonntag und es hat leicht zu schneien begonnen. Monika kann ihre Tochter überreden ein bisschen durch die Stadt zu spazieren, um mal rauszukommen. Sie kommen an einer Kirche vorbei, durch das offene Portal dringt leise Orgelmusik. Leise lauschen sie eine Weile und schauen auf das Licht aus Bethlehem, das auf der Treppenstufen vor der Kirche steht. Als sie etwas später wieder nach Hause gehen, hakt sich Sophie lächelnd bei ihrer Mutter unter. Irgendwie ist es leichter um ihre Seele geworden

 

Liebe Gemeinde,

Ein junger Mensch steht an einer Schnittstelle seines Lebens. Alles scheint möglich und doch – wie soll es jetzt weitergehen? Worin liegt seine Begabung? Eltern verfolgen manchmal gespannt, nervös und verunsichert, was da in ihren Kindern vorgeht.

Und mitten in diese Anspannung hinein geschieht etwas, das sich nicht fassen lässt: eine Begegnung, ein Gedanke. Und die drückende Last wird plötzlich leichter. Es öffnen sich Türen, und Zuversicht leuchtet auf.

Unser heutiger Predigttext erzählt von einer solchen Begegnung:

"Zu der Zeit wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach:

Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!

Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben.

Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden;

und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.

Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.

Und der Engel schied von ihr."

 

Gott begegnet – mitten im Alltag.

Von der Vorgeschichte Marias erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, ob sie besonders fromm war. Jedenfalls führte sie das ganz normale Leben einer Jugendlichen damals. Sie war an einer Schnittstelle ihres Lebens. Sie war alt genug, das Elternhaus zu verlassen und eine eigene Familie zu gründen.

Das Neue – ein Leben mit ihrem Josef – hat sie im Blick.

Aber das Alte – ihre Familie und Kindheit – ist noch nicht beendet. Im Judentum erreichte ein Mädchen mit zwölf Jahren eine entscheidende Phase seines Lebens. Es stand noch unter der Macht seines Vaters, wurde aber schon als verantwortlich angesehen. Während dieser Zeit durfte es ehelich versprochen werden.

Maria hat viele Möglichkeiten vor sich, darin ist ihre Situation mit der unseren heute vergleichbar.

Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.

Großes Vertrauen, Gottvertrauen, steht hinter diesen Worten. Maria wird zur ersten Repräsentantin des „sola fide – allein aus Glauben.“ Nüchtern betrachtet ist es verrückt von Maria, sich auf die Ankündigung des Engels einzulassen, ohne die Bedingungen genau zu kennen. Sie lässt sich berufen auf einen Weg, der völlig neu und einmalig ist.

Was gibt Maria die Kraft, sich so auf das Unbekannte einzulassen? Maria spürt in den Worten des Engels: Gott kennt mich. Er weiß, dass ich mich fürchte vor dieser Ankündigung und vor der Veränderung, die ansteht. Gott kennt mich ganz – auch meine innersten Gefühle. Er kennt mich besser als ich mich selbst. Er weiß, wozu ich gut bin.

Maria ist der Mensch, der Gottes Handeln annimmt.

Sie wird von Gott begnadet, von Gott zu einer besonderen Aufgabe berufen.

 

Von Gott begnadet – da denken Sie vielleicht wie ich zunächst an die großen Gestalten unserer Welt- und Kirchengeschichte. Ein Martin Luther, der nicht (wie von seinem Vater vorgesehen) Jurist wird, sondern sich für die Theologie entscheidet, für ein Leben als Mönch.

Aber: Von Gott berufen – das ist gerade nach dem Verständnis Martin Luthers jeder Mensch, der seine Arbeit in Verantwortung vor Gott tut. Der Bäcker, der ein gutes Brot backt, ebenso wie eine Wissenschaftlerin, die dem Fortschritt der Menschheit dienen will. Von Gott berufen – das ist der junge Landwirt, der sich trotz seiner Zweifel und der schwierigen Berufsaussichten für den elterlichen Betrieb entscheidet.

Sei gegrüßt, du Begnadete! sagt der Engel.

Und ich stelle mir vor, wie schön das wäre, wenn Sie und ich diesen Gruß auch hören könnten.

Viele Jugendliche sehnen sich danach, ihren Weg und ihre spezielle Begabung zu finden. Sie möchten einmal aus berufenem Munde hören: „Du singst begnadet! Du bist eine begnadete Musikerin! Du kannst begnadet mit der Technik oder mit Menschen umgehen!“

Begabtenförderung gibt es ja auch bei uns. Leider ist sie so stark auf schulische Höchstleistungen eingeengt. Dabei könnten Jugendliche in verschiedenen Bereichen als begabt gefördert werden:

Lob und Anerkennung für Jugendliche, die sich sozial engagieren.

Lob für Jugendliche, die handwerklich geschickt sind.

Und es ist wohl falsch, diese Frage nur auf die Jugendlichen einzuengen. Gott begnadet nicht nur Jugendliche am Anfang des Lebens. Gott begnadet Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder. Er ruft sie heraus aus ihrem Alltag zu einer besonderen Aufgabe.

Da gibt es Männer und Frauen, die nach ihrer Beruf- und Kinderphase wieder neu durchstarten. Sie spüren: Da gibt es in mir eine Begabung, die habe ich bisher noch nicht ausleben können. Weil noch nicht die Zeit dafür war, oder weil ich mich nicht getraut habe.

An dieser Stelle wird der schmerzliche Unterschied zwischen Maria und uns bewusst:

Maria hat den Engel des Herrn gesehen und seine Stimme gehört!

Sie hatte ihn klar vor Augen. Es war keine Einbildung, keine Selbstüberschätzung.

So ganz ohne konkretes Gegenüber ist es schwierig, die Stimme Gottes zu hören und ihr zu vertrauen.

Begnadet-sein ist nicht leicht. Es kann auch Arbeit, Schmerz und Ausgrenzung bedeuten. Begnadet-sein wird nicht unbedingt gesellschaftlich anerkannt. Wenn ich an den begnadeten Theologen Martin Luther denke: den haben manche Zeitgenossen als Querulanten-Mönch bezeichnet. Oder Jesus: den habe einige seiner Zeitgenossen für einen Gotteslästerer gehalten.

Dass jemand begnadet ist, erkennt oft erst die Nachwelt.

Und der Begnadete selbst ist und bleibt voller Selbstzweifel.

Wie hat Luther mit sich und seiner Berufung gerungen!

Martin Luther ist es auch, der erkannt hat:

Wir sind alle, so, wie wir da in der Kirche sitzen, Begnadete.

Durch die Taufe hat jeder von uns die Gnade Gottes empfangen. Gnade gibt es nicht nur für wenige Auserwählte, für die Heiligen. Jeder, der getauft ist, hat die Gnade des Heiligen Geistes.

 

Und ein letzter Gedanke dazu ist wichtig:

Begnadet sein ist immer auch eine Verpflichtung.

Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären,

und du sollst ihm den Namen Jesus geben.

Maria bekommt einen Sohn, dessen Reich auf Erden nie enden wird, und sie wird zu ihrem Begnadet-sein stehen bis unters Kreuz.

Und so ist die Aufgabe eines jeden von uns hier, sein Begnadet-sein nicht für sich zu behalten, sondern zu leben.

Mit meiner Begabung kann ich das Leben anderer bereichern.

Ein Physiker, ein Bauer, ein Banker, eine Mutter, eine Ärztin – sie alle sollen ihren Beruf, ihre Begnadung – in Verantwortung vor Gott leben.

Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.

Maria spürt, worin ihre Aufgabe liegt. Sie hat ein Ziel vor Augen, einen Sinn in ihrem Leben, weil Gott sie berührt hat.

Unseren jungen Menschen heute, aber auch uns allen wünsche ich, dass wir Gottes Gnadengaben erkennen.

Und dass wir voll Vertrauen „Ja“ dazu sagen und in Verantwortung vor Gott leben.

 

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

Predigt am 3. Advent 2021 - 12.12.2021

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext 1. Kor. 4, 1-5

4,1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. 3 Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. 4 Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet. 5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und das Trachten der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

unser heutiger Predigttext führt uns in eine Zeit, als die ersten Texte entstanden sind, die dann viel später den Grundstock des Neuen Testaments bildeten: Die Briefe des Apostels Paulus.

In diesen Briefen, die er an die von ihm gegründeten christlichen Gruppierungen in den Städten rund ums Mittelmeer schreibt, legt der Apostel Paulus zum ersten Mal schriftlich nieder, was er für wesentlich hält am neuen Glauben.

Es ist leicht zu verstehen, dass es dabei wirklich immer sozusagen ums Eingemachte ging.

Zu seinen frühen Schreiben fühlte sich Paulus oft herausgefordert durch Geschehnisse in den Gemeinden, die er vorher besucht hatte oder durch falsche Behauptungen und nachträgliche Anfeindungen.

Dies waren also keine theologischen Aufsätze oder wohlausgewogene Traktate, sondern oftmals Einlassungen, denen man die innere Bewegtheit, um nicht zu sagen: den Ärger des Paulus auch heute noch deutlich anmerken kann.

So auch in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth.

 

Etwa im Jahr 50 n. Chr. war Paulus für etwa eineinhalb Jahre in dieser damals schon weltoffenen Hafenstadt.

Ursprünglich lebten hier vor allem ehemalige Soldaten und freigelassene Sklaven. Aber in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnung entwickelte sich die Stadt zum „Marktplatz Griechenlands.“

Menschen verschiedenster Herkunft leben zusammen, treiben Handel und vergnügen sich in Bädern und Thermen, Theatern und Tavernen.

Aus unserem heutigen Blickwinkel könnte man grad neidisch werden beim Blick zurück.

Allerdings: Scheinbar war auch im alten Griechenland die Lasterhaftigkeit der Stadt sprichwörtlich.

Es gab den Ausspruch „leben wie ein Korinther“, was gleichbedeutend war mit „ein zügelloses Leben“ führen.

 

Na ja, soweit muss es ja nicht kommen, aber ein klein wenig Weihnachtsmarkt oder ein unbeschwertes Adventskonzert wär halt schon schön. So denken mit mir bestimmt Viele.

 

Insgesamt ist Korinth damals eine reiche Stadt mit insgesamt hohem Lebensstandard und gleichzeitig extremen sozialen Gegensätzen.

Wir sehen, das hat sich über die Jahrhunderte fortgepflanzt:

Wo es wenige sehr reiche Menschen gibt, gibt es entsprechend viele sehr arme.

Als Paulus Korinth besucht, ist es eine junge, blühende Stadt, in der das Leben pulsiert.

Scheinbar ist es Paulus in den Monaten seines Aufenthalts gelungen, Menschen aus unterschiedlichen Schichten und Kulturen zusammenzuführen und beieinander zu halten, die vom Leben Jesu und seiner Botschaft ergriffen waren und die sich dann auch haben taufen lassen.

Wohlgemerkt: die Zusammenstellungen der Ereignisse des Lebens Jesu und die schriftlichen Berichte seiner Kreuzigung und Auferstehung entwickeln sich erst 20 Jahre später und sind uns als Evangelien bekannt.

 

In Korinth gab`s das alles nur von einem mittelbaren Zeugen als Erzählung. Aber die muss gewirkt haben, denn erste christliche Gemeinden entstehen dadurch.

Anschließend reist Paulus weiter und begibt sich an die Küste Kleinasiens. Die damalige Weltstadt Ephesus ist sein Ziel.

Und dort nun wurde ihm nach einiger Zeit zugetragen, dass es in der christlichen Gruppe in Korinth drunter und drüber gehe.

Andere Prediger seien dort aufgetreten mit großartigen Versprechungen. Sie zögen Gemeindeglieder in ihren Bann auch in Konkurrenz zu Paulus. Schnell hätten sich Fraktionen gebildet, Spaltungen drohten und die jeweiligen Fangemeinschaften feindeten sich gegenseitig an.

Die Menschen in Korinth beurteilen sich gegenseitig, und das bedeutet doch leider meistens: Sie verurteilen sich, sie sprechen sich gute Absichten ab und unterstellen einander immer nur das Schlechteste.

 

Unser gesamtes Menschenleben, von der Erst-Untersuchung des Neugeborenen über Schulnoten bis zu Arbeitszeugnissen nach Stellenwechsel, wird begleitet von Urteilen, die andere fällen.

Manche fließen in ausführliche Texte ein, andere – meist die schlimmeren – verbreiten sich nur mündlich. 

Das ganze Leben wird begleitet von Urteilen, die andere über uns fällen.

Noch schlimmer aber wirken sich die Urteile aus, die Menschen über sich selbst sprechen, weil sie sich selbst gegenüber keine Gnade kennen.

Zu oft sind diese Eigenurteile rein negativ und können schlimme chronische Krankheiten erzeugen. Das verunsichert und lähmt.

 

Paulus scheint so etwas gespürt zu haben. Er wehrt sich gegen heftige Angriffe und Verurteilungen der Korinther.

Die Gemeindeglieder stellten sich scheinbar einen Apostel als Partner und Ratgeber vor, der es ihnen schön und recht macht. Die Korinther hielten den Paulus irgendwie für einen Angestellten der Gemeinde, der ihnen Wünsche vom Mund abliest. Aber das ist ein Fehlurteil:

Paulus versteht sich wie jeder Gläubige und Getaufte als ein Haushalter Gottes. 

Das ist ein toller, weil umfassender Begriff. Er steht für alles, was unser Leben ausmacht.

Haushalter sein heißt: wir pflegen Gottes Haus, wenn wir leben.

Dieses Haus können wir selbst sein, unsere Umgebung, aber eben auch die Welt als Ganzes.

Damit zeigt der Begriff, unter welchem Anspruch auch unser Christenleben steht.

 

Durch die zugetragenen Vorwürfe nimmt Paulus sich die Zeit, über das Richten und Aburteilen nachzudenken.

Es scheint ja so, dass kein Mensch ohne Richten auskommt.

Der Richter verurteilt einen Straftäter, die Lehrerin notiert nach einer Klassenarbeit Noten in ihrem Notizbuch, und deren Mittelwert steht dann im Zeugnis. Studierende bestehen die Masterprüfung mit einer guten Note. Arbeitslose bewerben sich um eine Stelle und müssen dann beim Bewerbungsgespräch vor dem Personalchef glänzen. Der Fahrschüler besteht die Führerscheinprüfung. Der Arzt stellt die Diagnose und empfiehlt eine Therapie.

Jeder Mensch ist einer Fülle von Beurteilungen und Verurteilungen ausgesetzt.

Wichtig ist, dass alle diese Urteile nur Teilaspekte in den Blick nehmen.

Der Richter verurteilt den Ladendiebstahl und nicht den ganzen Menschen. Der Fahrlehrer beurteilt die Fähigkeit des Menschen, ein Auto steuern zu können. Der Lehrer beurteilt die Fähigkeit, Rechenaufgaben zu lösen. Der Personalchef beurteilt, ob sich der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle eignet.

Wenn sie es gut machen, dann können Personalchefs, Fahrlehrer und Richter vermitteln:

Uns geht es um Teilaspekte deiner Persönlichkeit, aber nicht um dich als ganzen Menschen.

Deine Würde beurteilen wir nicht, sie steht außer Frage. Deine Würde respektieren wir.


Aktuell stellt sich unserer Gesellschaft ein immer drängender werdendes Problem: Es ist nicht von der Hand zu weisen, weil wissenschaftlich belegt, dass sich besonders durch ungeimpfte Personen das Corona-Virus nicht nur schneller verbreitet, sondern dass es so leichter mutiert und potentiell gefährlicher wird.

Gleichzeitig werden auf den Intensivstationen hauptsächlich Ungeimpfte behandelt mit den bekannten Folgen für andere Erkrankte und das Personal.

Ich gebe zu, dass es mir da enorm schwerfällt, die betreffenden Impfgegner und erst Recht die Corona-Leugner nicht insgesamt abzuurteilen und als Menschen abzulehnen. Und eben nicht nur ihre Entscheidungen.

Ja, ich weiß, man muss sich gesprächsbereit halten. Mit einer solchen grundlegenden Ablehnung geht es dann kaum noch.

Aber wie sollte man mit einem Menschen noch reden und diskutieren können, der als Corona-Patient intensiv behandelt, wochenlang mit dem Tode rang, jetzt mit einer Sauerstoffflasche herumläuft und immer noch Corona leugnet? Da fehlt mir nicht nur jedes Verständnis, sondern ein solches Verhalten macht mich aggressiv.

 

Ich muss mir da von Paulus ins Gewissen reden lassen.

Wir müssen, ich muss trennen zwischen der Person und ihren Taten oder Nicht-Taten. Auch, wenn mir dies nicht gefällt.

Das Herabwürdigung der ganzen Person geht nicht. Das weiß Paulus von Jesus her.

Aber was, wenn ich mich wehren muss gegen Verleumdungen,  üblen Nachreden, Lügen und Denunziationen?

 

Paulus setzt trotz allem energisch und mit aller Kraft auf diesen einen Satz:

Richtet nicht, ihr seid nicht die letzten Richter.

Euch kommt es nicht zu, die Würde, die Fülle einer Persönlichkeit zu beurteilen. Lasst das einfach bleiben!

Dieses letzte Urteil über Würde und Persönlichkeit eines Menschen kommt nur einem zu: dem, den Gott zum Richter über die Menschen ernannt hat, nämlich Jesus Christus.

 

Ich höre das als Ermahnung von Einem, der von Anfang an ganz nah dran war an den grundlegenden Botschaften Jesu.

Und kann dann auch etwas nachlassen in meinem Zorn, der sich  ja auch aus der Trauer speist, die ich empfinde, weil ich Menschen beerdigen muss, die wegen – nicht mit – Corona sterben – zum Teil lange vor ihrer Zeit: als Nachbarsleute, als Angehörige von ehemaligen Konfirmand*innen, als Menschen aus der Dorfgemeinschaft.

 

Aber mit weniger Zorn kann ich dann zumindest unterscheiden zwischen den sogenannten „Hardcore-Leugnern“, die mit ihrem Verhalten unser politisches System ins Wanken bringen wollen oder die einfach nur verblendet sind oder geisteskrank und den Anderen, den Mitläufern und Sympathisanten und denen, die sowieso nur nach ihren Emotionen urteilen und handeln und die alles Rationale suspekt finden.

Mit dieser grundlegenden Unterscheidung könnte es dann vielleicht doch noch gelingen, nochmal eine neue Basis für Verständigung zumindest mit Letzteren zu finden.

Das würde dann wohl eher dem entsprechen, was Paulus als gute Haushalterschaft versteht.

 

Auch deshalb: Hoffen wir das Beste für die nächsten Wochen.

Und ergreifen wir die Chance, wenn sich doch noch mal Gesprächsmöglichkeiten ergeben sollten.

Dabei geht´s dann halt auch ums Eingemachte.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

Predigt zum zweiten Advent am 05.12.2021

 

Predigttext: Jesaja 63,15 – 64,3

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,  wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.


Predigt wird gehalten von Lektor Detlef Best

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde.

 

„Ach Gott“ - wie oft hat im zurückliegenden Jahr jemand so geseufzt? Ach Gott, wann wird diese Pandemie wieder vorbei sein? Ach Gott, hoffentlich wird dieser liebe Mensch wieder gesund!

Ach Gott – ein Stoßseufzer wohl immer in Zeiten von Not. Wenn man nicht mehr weiß, was man noch machen soll. Wenn nichts zu helfen scheint.

Ach Gott, reiß doch den Himmel auf und komm herab! So seufzt Jesaja. Und wir hören und singen diesen Seufzer im Adventlied von Friedrich Spee: „O Heiland, reiß die Himmel auf, herab vom Himmel lauf“. Komm, singen wir, „reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“

Das große „Ach!“, das von der Erde aufsteigt. „Ach!“ - das ist der Seufzer der Verlassenen. Der Geschundenen, der Geflüchteten. Der hilflose Ruf derer, die alles verloren haben.

Jerusalem – der Prophet sieht die schöne Stadt zertrümmert liegen. So wie heute Aleppo in Syrien, Luhansk in der Ukraine, Sanaa im Jemen, Gaza-Stadt in Israel und so viele Städte unserer Welt - zerbombt, zerschossen, geschleift. „Ach“, so ruft einer, stellvertretend für viele. Hier wird nach Gott gefragt. Denn Gott ist nicht da. Er hat, so scheint es, der Welt den Abschied gegeben und sie sich selbst überlassen. Hat sich zurückgezogen in heilige Sphären. Ist abgetaucht in die Tiefen des Himmels und seine herrliche Wohnung. Jenseits. Unerreichbar. Unhörbar. Gott – nur noch eine ferne Erinnerung. Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab.

 

Die Älteren erinnern sich an Adventszeiten im oder nach dem zweiten Weltkrieg. Da waren viele in einer ähnlichen Situation. Zerbombte Städte gab es überall in Europa. Ein kleiner Tannenzweig in der Notunterkunft. Eine Kerze, die Heimeligkeit schaffte.

 

Heute im Advent sieht bei uns fast jede Wohnung gemütlich aus. Lichterketten leuchten, Plätzchen stehen bereit. In diesem Jahr sind immer noch einige Weihnachtsmärkte geöffnet, jedoch unter Auflagen der 2 G-Bestimmungen. Die meisten haben geschlossen wegen der hohen Infektionszahlen. Nach dem neuen Infektionsgesetz kommen neue Einschränkungen auf uns zu. Hoffen wir, dass Impfgegner sich besinnen und impfen lassen, damit diese Pandemie bald ein Ende hat. 

Wer sich im Advent danach sehnt, flieht ja nicht aus der Wirklichkeit. Sondern gerade, weil die Welt so ist, sehnt man sich nach einer stimmungsvollen bergenden Umgebung. Und diese Sehnsucht klagt eine Welt ein, die anders ist. Die Sehnsucht im Advent klagt die Wahrheit der Engelbotschaft ein, die der Welt Frieden auf Erden verheißt. Die Sehnsucht klagt ein, dass der finstere Lauf der Dinge angehalten wird und der Himmel zerreißt wie in der Geschichte der Heiligen Nacht.

Darum fordert der Prophet Jesaja Gott auf: „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!“ Und fragt:“ Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?“

Fast, wie ein junger Mann aufbegehrt gegen die eigenen Eltern, klagt Jesaja fast trotzig: „Bist du doch der Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; Unser Eröser, das ist von alters her dein Name.“

Jesaja nennt Gott “unseren Vater“, eine der wenigen Stellen im Alten Testament, in denen Gott so angeredet wird. Und er spricht Gott auch an als „Du, unser Erlöser.“

Eine enge Beziehungsgeschichte geht dem voraus. Der sorgende Vater und die Kinder, die sich auf Schutz und Bewahrung verlassen können.

 

Doch nun ist diese Beziehung überschattet. Da klingen Gefühle von Enttäuschung an und Verletzung. Jesaja fragt: Wo bist du, Gott! Aber er wäre nicht Prophet, wenn er nicht auch zugleich kritisch auf das Volk Gottes schauen würde. Denn zu einer Beziehung gehören ja immer zwei.

Jesaja spricht offen an, dass nicht nur Gott den Menschen fremd geworden ist in der gegenwärtigen Lage, sondern dass es auch auf Seiten der Menschen Entfremdung gibt. Wenn er sagt: „Israel kennt uns nicht“, heißt das so viel wie: Wir als das Volk Gottes haben den Kontakt verloren, die Richtung und das Ziel. Mit der Anklage an Gott verbindet Jesaja die Selbstanklage, sich selbst eingeschlossen:

„Warum lässt du uns beirren, unser Herz verstocken?“

Gottvergessen leben wir!

Wenn eine Beziehung nicht mehr in Ordnung ist, trägt meist nicht nur eine Seite die Verantwortung. Das gilt im privaten Bereich, in Arbeitssituationen und in der großen Politik. Vielleicht ist die Anklage des anderen – psychologisch gesehen – nur der Versuch, die eigene Schuld auszublenden.

Jesaja scheint diese Psychologie der Beziehungen gut zu kennen und er wendet sie auf die empfindliche Beziehungsstörung zwischen Menschen und Gott an – schonungslos, zugleich entwaffnend.

Mutige Worte! Mutige Bilder sind das! Jesajas Worte reißen mich aus der scheinbar so selbstverständlichen Klage heraus. Aber wie kann man einen neuen Blick gewinnen? Wie verbindet sich das mit meiner Sehnsucht im Advent?

Ich möchte eine Geschichte erzählen.

 

Vor etwa 150 Jahren wurde in den Vereinigten Staaten ein Kind von einer Tante aufgezogen. Die Eltern des Mädchens waren verstorben und die Tante sorgte nun für es. Die Tante aber war sehr fromm und gottesfürchtig. Jeden Sonntag gingen sie gemeinsam zur Kirche und die Predigten des Pfarrers waren immer sehr streng.

Das Kind, ein Mädchen von 10 Jahren, hatte sich noch nicht ganz an die neue Heimat gewöhnt. Es war durch einen fröhlichen und freien Geist geprägt worden. Offen und lebensfroh wirbelt es durchs Haus der Tante.

Einmal sollte das Kind einen Brief zum Pfarrer bringen. Der bereitete gerade seine nächste Predigt vor. Das Mädchen stand an seinem ehrwürdigen Schreibtisch mit den vielen Büchern dahinter. Nach einer Weile fragte sie ihn: Sind Sie eigentlich gerne Pfarrer? Warum fragst du das, antwortete er etwas verunsichert. Einmal, als mein Vater auch so ernst aussah wie Sie, sagte das Kind, hab ich ihn das auch einmal gefragt. Und er hat irgendwann etwas gefunden, das seine Gedanken in eine neue Richtung gebracht hat. Und von da an hat er nach dem Glück gesucht.

Der Pfarrer schaute das Kind fragend an.

Da öffnete das Mädchen ein Medaillon, das sie an einer Kette um den Hals trug, und holte einen fein zusammen gelegten kleinen Papierstreifen heraus. Hier, sagte sie, das ist der Satz, der meinen Vater verändert hat;

„Wer das Böse in den Menschen sucht, der wird es finden. Abraham Lincoln.“

Das Kind lachte. Von da an hat mein Vater nach dem Guten gesucht, erzählte sie. Und er sagte mir, in der Bibel gibt es 800 Stellen, die von der Freude berichten, vom Glück. Und davon, dass Menschen zusammen feiern.

Der strenge, ernste Gottesmann wurde nachdenklich.

Am nächsten Sonntag berichtete der Pfarrer in der Kirche von diesem berührenden Gespräch. Und er sagte: Dieses Kind hat recht. Ich habe die ganze Nacht hindurch nach den Geschichten gesucht. Und ich habe sogar 835 Geschichten in der Bibel gefunden, die über die befreiende Liebe Gottes berichten. Die erzählen, dass wir das Leben mit Freude erleben dürfen, ja, dass es Anlass für Dankbarkeit und viele Feste gibt. Und ich vermute, diese Geschichten werden mich und auch Euch als Gemeinde in Zukunft beschäftigen.

 

Eine befreiende Sicht eröffnet diese kleine Anekdote. Abraham Lincoln, der erste Präsident der USA, hat mit seiner Menschenkenntnis etwas sehr Ernüchterndes festgestellt: „Wer das Böse in den Menschen sucht, der wird es finden.“

Und zugleich einen Vorschlag gemacht ohne ihn auszusprechen: Wenn du das Gute finden willst, dann schau auf das Gute. Und suche, was das Leben stärkt.

 

Jesaja und Gott stecken fest in der Sprach– und Ideenlosigkeit zwischen ihnen. Der Blick auf das Alte, das Schlechte, auf das, was fehlt, eröffnet scheinbar keine neue Perspektive mehr.

Aber Jesajas Blick geht zurück auf Abraham und die Geschichten Gottes mit seinem Volk. Und es schimmert durch:

Der Erinnerung an die Verheißung des Guten wohnt immer noch Kraft inne. An diese großartige Verheißung erinnert er Gott, sich selbst und damit auch uns heute: „Unser Erlöser,“ sagt Jesaja zu Gott „unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name!“ 

Erinnerst du dich daran? Erinnerst du dich an uns?

 

Diese Verheißung berührt mein Herz in diesem Advent. Unser Erlöser ist Gott. Und im Kind in der Krippe kommt Gott uns nah. Die Verheißung, an die Jesaja erinnert, hat sich erfüllt.

Die Erwartung der Ankunft Gottes hier inmitten unserer Menschenwelt, das ist eine von diesen wunderbaren Geschichten von der befreienden Liebe Gottes. Es ist eine Geschichte der Fürsorge und der Bewahrung, wenn die werdende Mutter Maria, die das Gotteskind unter ihrem Herzen trägt, von Josef treulich begleitet wird. Es ist eine Geschichte der Bewahrung, wenn die kleine Familie Flucht und Todesgefahr übersteht. Es ist eine Geschichte vom Heiland, der ohne jede Ausgrenzung mit den Menschen unterwegs ist. Und es ist die Geschichte vom Erlöser, der das Leben stärkt und trägt durch alle Konflikte, Kriege, Zerstörungen und Leiderfahrungen hindurch.

 

„Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Wasser sieden macht.“

So endet Jesaja seine Bitte an dieser Stelle.

Ja, die Kraft Gottes ist groß. Sie übersteigt alles, was Menschen tun können.

Das ist mehr als einige Kerzen am Adventskranz. Das ist die Sehnsucht nach dem Guten im Leben der Welt. Daran glauben, darauf hoffen und danach leben ist ein Auftrag nicht nur für die Zeit im Advent.

 

Mit dieser Hoffnung lasst uns gehen in diesen zweiten Advent. Amen.

 

Lied EG Nr. 7

Predigt am Reformationstag - 31. Oktober 2021

Predigttext Galater 5, 1-6 - wird während der Predigt gelesen!

Predigt gehalten von Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!  Amen.

 

Liebe Gemeinde,

dies hier ist ein fast reifer Granatapfel!

Blutrot, saftig, überaus gesund und sogar heilkräftig.

Ursprungsregion Mittel- und Ostasien.

Iran, Irak. Die Gegend von Euphrat und Tigris, wo man das Paradies verortete.

Der Granatapfel: Eine Frucht aus dem Garten Eden, ein Paradiesapfel. Superfood.

Dieser hier kommt natürlich nicht aus 4.500 km Entfernung.

Hallo: Umweltschutz. Wir ernähren uns nur regional und saisonal.

Die Heimat dieses Granatapfels ist das andere Paradies: Kleinniedesheim.

Ein ausgereifter Granatapfel soll exakt 613 Kerne haben – so erzählt es ein jüdischer Mythos.

Das ist genau die Zahl der Gebote, die Menschen jüdischen Glaubens befolgen sollten: 365 Verbote und 248 Gebote, darunter auch die uns bekannten „Zehn Gebote“: Speisevorschriften, Verhaltensregeln, Reinigungsvorschriften, religiöse Rituale und so manches andere gilt es zu befolgen.

Als Zeichen des Bundes mit Gott soll zudem jeder jüdische Junge am achten Tag seiner Geburt beschnitten werden.

Das war auch bei Jesus so!

Auch er hat sich an den Geboten seines Volkes orientiert.

 

Mit 613 Geboten muss man erstmal klarkommen! Wie soll das gehen?

Mit großem Respekt schaue ich auf fromme Jüdinnen und Juden, die sich dieser Herausforderung tagtäglich stellen.

Ich versuche das mit den „Zehn Geboten“ auch – und scheitere selbst dabei schon immer wieder!

Mich tröstet dabei, dass sich auch Jesus nicht sklavisch an die Gebote gehalten hat!

Etwa als seine Freunde am Sabbat Ähren abrissen.

Als er deshalb von Gesetzeshütern seiner Zeit gerügt wurde, antwortete er nur: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Markus 2,27)

 

Frei und voller Vertrauen war Jesus in Kontakt mit seinem himmlischen Vater und ermutigte seine Freundinnen und Freunde auch immer wieder, keine Angst zu haben.

Jesus war ein liebender Mensch. Und wer liebt, ist frei.

Macht auch keine Fehler, wenn er aus Liebe handelt.

Übertritt keine Gebote.

Diese Freiheit aus Liebe hat Jesus seinen Freundinnen und Freunden ins Herz geschrieben.

Auch Paulus, der zunächst ein frommer, gesetzestreuer Jude mit Namen Saulus war, gehörte dazu.

Zunächst bekämpfte er Jesus und den neuen Glauben erbittert. Bis ihm der gekreuzigte und auferstandene Christus erschien und seine Liebe ihn frei machte von Hass und Angst.

So wurde aus Saulus, dem eher hartherzigen Fanatiker, ein anderer: Paulus, ein liebender, glaubensstarker Mann, der sein Leben in den Dienst Christi stellte.

Frei von Angst und mutig zur Tat.

Er war ein glühender Missionar, leidenschaftlich, manchmal aufbrausend und oft sehr gefühlvoll.

Immer wieder war er dadurch im Streit mit den anderen Jüngern Jesu.


Wie gewinnt man Menschen für Jesus?

Diese Frage trieb die Missionare der ersten Stunde um.

Muss man dem mosaischen Glauben angehören und beschnitten sein, um an Jesus, den Messias, zu glauben?

Ja! Das sagten viele, auch Petrus.

Der, dem Jesus selbst eine besondere Verantwortung für die Verbreitung des Glaubens übertragen hatte.

Nein! Das sagten andere. Allen voran Paulus. Glühend vor Leidenschaft schrieb er: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ Hören wir seine Worte aus dem Brief an die Gemeinde in Galatien:

 

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!  Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.

Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er dann das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.

Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,

aus der Gnade seid ihr herausgefallen.

Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen.

Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas,

sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“

 

Liebe Gemeinde,

vollmundig behauptet Paulus hier, dass der Glaube an Jesus Christus ausreicht, um vor Gott als gerecht zu gelten.

Und weil heute Reformationstag ist, erinnern wir uns dran, dass Martin Luther das vor genau 500 Jahren in Anlehnung an Paulus genauso vertreten hat. Auch vor dem Kaiser und den Abgesandten des Papstes drüben in Worms:

Allein durch Gottes Gnade (sola gratia) werden wir gerecht vor Gott; allein durch den Glauben daran (sola fide) gewinnen wir das ewige Leben, allein Christus (solus Christus) ist der Vermittler von Gottes Liebe und schließlich gibt allein die Heilige Schrift (sola scriptura) Auskunft darüber, was zu glauben und wie zu handeln ist.

 

Keine kirchliche Instanz hat Macht über uns und kann beurteilen, ob wir vor Gott gerecht werden oder nicht.

Wir brauchen keinen Pontifex, keinen Brückenbauer, zum Heil, keine Heiligen und schon gar keinen Stellvertreter Christi auf Erden als höchste moralische Instanz, egal, wie intensiv und glamourös man ihn inszeniert.

 

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“

Für diese Worte muss man den Apostel einfach lieben. 

Abgesehen davon, dass auch die protestantischen Kirchen sich im Laufe der Geschichte immer wieder angemaßt haben, Menschen zu verurteilen, finde ich diesen Gedanken tatsächlich total befreiend:

Allein vor Gott werde ich Rechenschaft ablegen und mich verantworten müssen.

Und dass mein Glaube an Jesus Christus mich in die Lage versetzt, vor Gott bestehen zu können und frei zu sein, finde ich einfach umwerfend!

Allein – mir fehlt der Glaube!

Zumindest immer wieder einmal.

Dass der Glaube an Jesus Christus frei macht zur Nachfolge

und stark macht, nur aus der Liebe heraus zu handeln, erscheint mir oft nur wie ein frommer Wunsch.

 

Schon als Jugendlicher haben mich Jesu Worte und sein Leben sehr berührt.

Ich fühlte mich angesprochen vom Gott der kleinen Leute und Jesu Botschaft der Gerechtigkeit und Solidarität mit den Schwachen und dass Gott auch das Leben der Menschen am Rand der Gesellschaft gut will.

Immer noch will ich ihm vertrauen und aus seiner Liebe heraus handeln – und doch scheitere ich auch immer wieder!

 

Ich handele beispielsweise im Rahmen unserer gesellschaftlichen Konventionen vernünftig: Halte mein Geld zusammen - oder lass es zumindest meine Frau tun - und habe Lebensversicherungen mit Unternehmen geschlossen. Purer Kapitalismus also, statt großzügig zu verschenken, was ich habe.

Wir spenden zwar auch Geld für „Brot für die Welt“, aber ich teile nicht mit vollen Händen aus.

Klingelt ein Obdachloser an unserer Tür, bekommt er vier EUR.

Wenn ich keine Münzen habe, auch mal einen Fünf-Euro-Schein.

Da sag ich aber gleich dazu: Sagen sie es bitte nicht weiter, sonst kommen noch mehr.

Und im Alltagsleben in Ehe und Familie? Oder vom Vertrauen auch mal bei schwierigen Untersuchungsergebnissen?

Da fang ich lieber nicht davon an, sonst sitzen wir heute Abend noch hier.

Insgesamt beschleicht mich immer wieder das Gefühl: Ich tue zu wenig! Ich liebe zu wenig! Ich vertraue zu wenig!

Dann bin ich in Sorge, das Gottesgeschenk der „Gerechtigkeit allein aus Glauben“ zu verspielen.

 

Niemand kann 613 Gebote einhalten, aber so frei und voller Vertrauen zu leben, wie Paulus es fordert, gelingt auch nicht vielen.

Wie also gehen wir mit dem großen Geschenk der Gnade um? Ihr hört es: Da habe auch ich kein Patentrezept.

Aber vielleicht ist es ein Anfang, genau in sich hineinzuhören und den eigenen Zweifeln und Versagensängsten Raum zu geben. Ehrlich zu sein zu sich selbst.

 

Ist es dann zu klein, zu kraftlos gedacht, wenn man wenigstens davon überzeugt ist:

Niemand kann uns an Liebe hindern.

Es gibt keine Pflicht zur Missachtung und Ausgrenzung von Menschen.

Es gibt auch keine Pflicht zu Missmut oder Bitterkeit im eigenen Leben und über die eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler.

Und dann positiv gewendet:

Die Liebe liebt die Chancen und die Möglichkeiten, dass sie etwas bewirkt – zumindest aber die Mühe darum.

Auch, wenn sie mitunter schwach ist und hinter unserem eigenen Anspruch zurückbleibt.

Aber Gott verspricht, dass Mühe um Liebe niemals vergeblich bleibt.

So sollten wir akzeptieren können, dass unsere Taten insgesamt nichts Anderes sind, als immer wieder ein neuer Anfang!

Sie werden nicht die Welt verändern,

aber vielleicht uns – zum Besseren hin!

Sie werden nicht allen Menschen dieser Welt helfen,

aber vielleicht dem einen oder anderen!

Und ist das nicht auch schon viel?

 

Wolfgang B. hat davon erzählt. Ein älterer Obdachloser, der seit Jahren immer mal wieder bei uns klingelt und Geld nachfragt.

Beim letzten Mal hatte ich keinen Cent im Geldbeutel und meine Frau war nicht zu Hause.

„Ach, das macht nichts, Herr Pfarrer“, hat er gesagt. Griff in seine Hosentasche und hielt einen 20-Euro-Schein hoch.

„Den hat mir unten am Altrhein ein Mann zugesteckt, da lag ich noch auf der Bank. Hab ihn gar nicht kommen sehen.“

Auf meine überraschte Rückfrage: „Echt, 20-Euro grad so?“, hat Herr B. gesagt: „Ja, Herr Pfarrer, es gibt mehr gute Menschen als man so denkt!“

Wenn das Einer beurteilen kann, dann Wolfgang B.!

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag - 08.08.2021

Predigttext: Exodus 19, 1-6 - hier nachzulesen.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

bestimmt Orte gehören zum Leben. Orte, an denen ich war, an denen etwas passierte oder – vielleicht zu meinem Leidwesen - auch nicht passierte.

Orte, deren Bedeutung ich nur erahnen kann und die nun doch irgendwie zu meiner Lebensgeschichte dazu gehören - ohne dass ich dazu beigetragen habe.

Da werde ich nachher nochmal genauer drauf eingehen.

 

Orte gehören zum Leben. Die Bibel weiß das und sagt deshalb: Wir alle waren in Ägypten.

150 Kilometer nordöstlich von Kairo könnte es gewesen sein. Dort beginnt die Freiheit.

Da gab es vor langer Zeit eine Stadt, die jetzt weit unter dem Erdboden liegt: Das antike Pi-Ramesse, Ramses-Stadt.

In biblischer Zeit wurden Menschen in großer Zahl hierher verschleppt. Ursprünglich waren sie wohl sowas wie Wirtschaftsflüchtlinge.

Missernten und kriegerische Konflikte hatten die Menschen hierher verschlagen. Nun wurden sie zu Sklaven und Sklaven bedeuteten Wohlstand. In ferner Vergangenheit also bauten diese Sklaven die Ramses-Stadt.

In dieser Stadt der Sklaven beginnt dann später aus Gottes Willen die Freiheit.

Noch heute kennen viele Einheimische dort den österreichischen  Prof. Manfred Bietak, auch wenn er bereits in Rente ist.  

Denn Jahrzehnte lang leitete der Archäologe von Kairo aus Ausgrabungen.

Was unter jedem Quadratmeter Erde verborgen ist – Bietak weiß es. Er hat eine Großstadt erkannt, mit Villen und Palästen, Tempel und Militäranlagen.

„Ägypten“, sagt er, „hatte einen gewaltigen Appetit auf Fremdarbeiter.“

Und doch beginnt für viele von ihnen hier die Freiheit.

Der Archäologe kann nicht sagen, wie das genau vonstatten ging. Auch nicht, wie viele, die sich später Israeliten nannten, fliehen konnten. Wie lange sie wohl tatsächlich unterwegs waren?

Die Bibel nennt symbolische 40 Jahre, aber wer weiß.

Und wie sich ein Anführer da herausschälte, Moses, der mit Gott sprach und das Wasser teilte und die Flucht vor den Soldaten des Pharaos ermöglichte, das alles bleibt für Bietak im Schatten. Und welche Route diese Menschen nahmen. Sehr vieles bleibt unklar und verborgen.

Einig aber sind sich die Fachleute darin:

Der Auszug, die Flucht aus Ägypten hat stattgefunden. Nicht als einzelnes Ereignis, an einem einzigen Tag, sondern es war wohl ein sich über längere Zeit hinziehender Prozess.

Oft als Ergebnis kleinerer Revolten und Aufstände. Die Menschen suchten Wege aus Unterdrückung und Ausbeutung. Man kann sich ihre Lage wohl nicht verzweifelt genug vorstellen.

Ihre Fluchten im Schutz von Schilf und Nacht hatten eine fast magnetische Richtung: den Osten.

Es gelang immer wieder einigen Glücklichen, ein Gebiet zu erreichen, das später Israel heißen sollte.

Und diese Geretteten haben sich getroffen. „Was? Du auch hier? Frei? Und nicht in Knechtschaft? Dass wir das geschafft haben! Erzähl, was hast du erlebt?!“ Meine Geschichte, deine Geschichte. Deine Geschichte, meine Geschichte, unsere Geschichte.

Das alles wurde durch die Zeit zu einer einzigen großen Erzählung, zu einer Wir-Erzählung.

Diese Menschen schafften es, ihre Erlebnisse in ein gemeinsames Geschichtsbild einzubringen, sodass schließlich 500 Jahre nach dem Exodus ein wirkmächtiges kollektives Bewusstsein für Jahrtausende entstanden ist:

„Wir. Wir alle waren in Ägypten, wir alle wurden befreit, wir alle sind inmitten der Völkerwelt Gottes erstgeborenes Volk. Das Volk der Freiheit.“

Und weil das Judentum die Wurzel auch unserer Religion ist, können auch wir die Früchte dieser Befreiung aus aller Knechtschaft genießen. 

 

Liebe Gemeinde, bestimmt Orte gehören zum Leben, sie machen das Leben. Niemand kann etwas in der Zeit erleben, ohne an einem Ort zu sein. Wir alle waren in Ägypten und Gott hat uns zu sich geführt, dich und mich.

Gut und schön, mag man denken: Aber wer von uns war denn schon in der Wüste?!

Die Wahrheit ist doch wohl: Wir wären gar nicht in die Freiheit losgezogen. Revolte und Aufbruch? Kein Gedanke. Wieso auch? Wir hätten in Pi-Ramesse ausgeharrt, an den Fleischtöpfen Ägyptens oder wo immer sie für uns stehen und uns zum Bleiben locken, wir hätten noch ein bisschen von Freiheit geträumt und das wär´s gewesen.

Manfred Bietak würde später unsere Hinterlassenschaften ausgraben.

Wir alle waren in Ägypten und haben uns dort prima eingerichtet. Da wären wir immer noch mit unseren Frondiensten und den kleinen Fluchten in einer ausbeuterischen Welt. Was für ein Gedanke! Adlerflügel hin, Adlerflügel her.

 

Bestimmte Orte gehören zum Leben.

Mal überlegen: An welchem Ort hätte ich mich denn früher bewegen müssen? Wo war ich länger als nötig?

Wo bin ich denn geboren? Wo getauft? Wo bekam ich den ersten Kuss?

Wo habe ich mein erstes Geld verdient und wo ausgegeben? Wo hab ich mich eingezwängt gefühlt?

Meinen größten Verlust erlebt? Wo habe ich eine Wüstenzeit verbracht? Wo war ich am glücklichsten?

Diese Orte gehören alle zu mir. Die vergangene Zeit an diesen Orten ist nicht abgetrennt von mir.

Wenn ich an meine Orte denke, weiß ich, wer ich bin, wer ich war – oder zumindest, wer ich sein könnte.

Auch die mittlerweile schon lange Zeit, die zwischen früher und heute liegt, macht die Orte nicht passé.

Sie alle gehören zu mir, sie sind ein Stück Heimat in mir. Das Vergangene ist ja nicht tot – es ist noch nicht mal richtig vergangen. Davon ist die Bibel jedenfalls überzeugt. Alles wirkt nach. 

Das, was war, ragt in unser Heute hinein. Der Schmerz, die Lust, die Enttäuschung und die Gestaltungskraft, das Zweifeln an Gott, das Nicht-mehr-weiter-Wissen und das irre Glück einfach nur hier zu sein.

All diese Erfahrung gehören zu meiner Glaubensgeschichte.

Weil ich doch bei allem, was mir geschieht Gott nicht wegdenken kann, genauso wenig wie ein Fisch über sein Leben außerhalb des Wassers nachdenken könnte.

Nein, alle Erfahrungen gehören zur Glaubensgeschichte - zur eigenen und zu der von allen.

Erinnere dich an deine Orte, scheint die Bibel zu sagen, wenn sie den Weg der Kinder Israels beschreibt. Und lass dir von anderen von ihren Orten erzählen.

Der Ort der Befreiung, der Ort der Prüfung, des Versagens und der Erwählung – alle gehören ins kollektive Bewusstsein des Judentums. Alle diese Orte machen das Judentum zu dem, was es ist.

 

Dass Gott zu den Kindern Israel sagt: Ihr seid mein Eigentum, das macht aus vielen Kindern Israels ein Wir.

Ausgesucht hat sich das keiner von ihnen. Es wird ihnen angeboten in der Wüste.

Nochmal überlegen: An welchem meiner Orte wurde ich mit anderen verbunden? Was war das für ein Ort?

Der Familienesstisch mit den Eltern und Geschwistern? Bei der Hochzeit in der Kirche?

Im Vereinslokal beim Ehrenamt? Auf der Arbeit? Auf dem Sportplatz oder in der Halle beim Mannschaftssport?

Hatte dieses Wir Bestand? Oder war es einfach Mittel zum Zweck?

Fachleute sagen ja, Motivation ist ein Bestandteil für den Aufbau des Wir-Gefühls.

So bemühen sich viele Firmen, anerkennend und transparent für ihre Angestellten zu sein. Auch im Sozialen was zu tun. Sogar Kitas richten sie ein. So gewinnen sie Menschen für die Erreichung des gemeinsamen Ziels. Das wiederum trägt zu einem guten Wir-Gefühl bei.

Gott macht das völlig anders.

Frei von jeder Absicht und jedem Ziel sagt er: Ich habe euch befreit. Ihr gehört zu mir. Gott erschafft das Wir, indem er uns allen Freiheit schenkt.

Deshalb: Wir alle waren in Ägypten. Uns alle hat Gott zu sich geführt.

Er hat uns mit sanften Worten zu sich gelockt und hat uns getragen, wie ein Adler seine Jungen trägt – auf den Flügeln der Freiheit.

Beim Abendessen vor dem jüdischen Passahfest wird sich im Familienkreis daran erinnert. Jede Familie, jedes Jahr. So wurden wir, was wir sind.

Und die zweite Komponente wird dann immer mitbedacht:

Die Befreiung Israels, ist nicht nur die Befreiung von etwas – von der Sklaverei und der Unterdrückung durch Ägypten –, sondern auch die Befreiung zu etwas und zu jemandem hin. Befreiung, um diesem rettenden Gott ein heiliges Volk zu sein. Und das hat dann Konsequenzen. Nämlich auf Gottes Wort zu hören, seine Gebote und Weisungen zu achten und so den Bund mit ihm zu halten.

Nur so wird wirkliche Freiheit möglich. Ich will das gleich noch verdeutlichen.

Zunächst will ich nochmal was sagen zum Zusammenhang von bestimmten Orten und der Freiheit.

Über Berlin muss ich da kurz reden.

Was dort 1989 passiert ist, konnte ich damals nicht wirklich überblicken und hab ja auch eigentlich gar nicht damit zu tun.

Außer der Erkenntnis, dass ich über Freiheit früher nie länger nachgedacht habe, weil sie eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Aber eben nur für einen Teil Deutschlands. Für die Bürgerinnen und Bürger der DDR nicht.

Dort wurde vor 60 Jahren die Unfreiheit in Ziegel und Beton gegossen, als der Staat am 13. August 1961 mit dem Bau der Mauer begann und seine Bürger einsperrte.

Hunderte von Menschen starben bei dem Versuch, aus diesem „Gefängnis“ auszubrechen. 28 Jahre lang, bis die Mauer am 9. November 1989 fiel und die Menschen ihre Freiheit wiedererlangten.

Gott hatte die Menschen nicht vergessen, und die Menschen hatten – gegen die Pläne der Machthaber – Gott nicht vergessen. Die Kirchen spielten eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Mauer.

 

Mit den Ereignissen damals hatte ich nichts zu tun, konnte sie wohl noch nicht mal richtig einordnen, und doch gehören sie nun zum Kollektivbewusstsein des Volkes, zu dem ich mich zähle und zur Wirke-Kraft Gottes, für die ich dankbar bin – im Namen der vorher Eingesperrten.

Freiheit – wozu? Diese Frage stellt sich jedem Menschen.

Freiheit, tun und lassen zu können, was ich will?

Das ist nicht die Freiheit, von der Gott im Bibeltext spricht, nicht die Freiheit, zu der das Volk Israel befreit wurde.

Die Freiheit, um die es geht, ist Freiheit in einer neuen Bindung. In der Bindung zu Gott.

Diese Freiheit bedeutet nicht „Laissez-faire“, sondern ist eine Freiheit mit Regeln unter Beachtung und Wertschätzung des Wir. 

Also eine neue Unfreiheit? Manche werden das so sehen, doch für mich ist die Freiheit, die Gott schenkt, Freiheit zur Entfaltung, zu einem sinnerfüllten Leben, eine Freiheit in Geborgenheit.

Ich binde mich gerne an Gott, denn er schenkt mir eine innere Freiheit, die mir kein Staat geben oder nehmen kann.

 

Vielleicht täte es uns Christinnen und Christen insgesamt gut, dieses Wir, das von Gott kommt, nicht zu vergessen.

Gott macht alle hier nicht nur zu je einem Ich. Er macht uns zu einem Wir.

Und dies habt zum Zeichen: Ein leeres Grab in Jerusalem.

Ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.

Die Begegnung mit Gott am Berg in der Wüste. Die Befreiung des Menschen aus Knechtschaft.

 

All dieses Vergangene ist nicht tot – es ist noch nicht mal vergangen. Das, was war, ragt ins Heute und macht Juden und Jüdinnen zu dem, was sie sind, und Christen und Christinnen zu dem, was sie sind.

Wir waren alle in Ägypten. Das ist unsere gemeinsame Geschichte.

150 Kilometer nordöstlich von Kairo könnte es gewesen sein.

Dort beginnt auch unsere Freiheit.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis - 04. Juli 2021

Predigttext: 1. Kor 1, 18-25 - in der Übersetzung der BasisBibel hier nachzulesen!

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

als ich am Donnerstag nach mehr als 9 Monaten wieder mit den Jugendlichen zusammenkam, die eigentlich im letzten Jahr hätten konfirmiert werden sollen, deren Festgottesdienst aber erst jetzt im September ansteht, haben ich unter anderem gefragt,

was sie denn im Moment grade so beschäftigt und was ihnen durch den Kopf geht, wenn sie an die nächsten Monate denken. 

Neben vielen Antworten, die sich auf die je eigene Familie bezogen, den Freundeskreis oder die Schule, sagte ein Konfirmand in etwa Folgendes:

„Ich würde mir wünschen, dass wir besser lernen könnten mit allem gut zurecht zu kommen – mit dem eigenen Leben, aber auch mit Corona.“

In dem weiteren kurzen Gespräch konnte ich nur zustimmen, zumal es dann auch darum ging, welche Lehren unsere ganze Gemeinschaft aus der erlebten Krise ziehen müsse.

Mehr lernen, intensiver nachdenken über die Konsequenzen, mehr Weisheit also – und dann kommt unser heutiger Predigttext und der Apostel Paulus behauptet das genaue Gegenteil.

Gott löscht die Weisheit der Welt aus und will von der Klugheit der Klugen nichts mehr übriglassen, schreibt er.

 

Nein, da kann ich nicht zustimmen. Da gebe ich vielmehr meinem Konfirmanden Recht.

Hätten wir den Kampf gegen das Corona-Virus nicht besser überstanden mit einigen Zusatzportionen an Weisheit?

Das sage ich nicht in Bezug auf die wissenschaftliche Erforschung des Virus und der Ansteckungswege und erst Recht nicht hinsichtlich der Entwicklung der Impfstoffe.

Die sind ja erstaunlich schnell in Gang gekommen, weil ganz viel Geld investiert, weltweit geforscht wurde und es klare Abnahmeversprechen gab. Da war das wirtschaftliche Risiko gering.

 

Ich rede, wie der Konfirmand, von der Einsicht in das, was die Epidemie für unser Leben und Zusammenleben bedeutet. Wie wir uns weiterhin vor der Ansteckung, aber auch vor Panik schützen und es hinkriegen, dass am besten niemand auf der Strecke bleibt.
Ja natürlich, es gab bei uns eine erstaunliche Bereitschaft, besonders gefährdete alte und chronisch kranke Mitmenschen zu schützen. Weitestgehend unbeantwortet blieb dabei aber die Frage: Wie schützt man diese Menschen auch vor der Einsamkeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen, die in manchen Fällen wirklich den sozialen Tod bedeutete?

Aber auch dies: Wie fördert man die oftmals sich selbst überlassenen Schülerinnen und Schüler, und wie gibt man den Schulleitungen wirklich sinnvolle und handelbare Regeln an die Hand?

Wie verteilt man die Last der Einschränkungen einigermaßen gerecht auf die Geschäfte?

Zu all diesen schwierigen Fragen gab es zwar manche guten Ideen, aber auch viele kurzschlüssige und manche aktionistische Maßnahmen.

 

Und Corona-Leugner haben ihren Unverstand in Wort und Tat hinausposaunt. Am leichtesten identifizierbar in jenem Graffiti, das ich bei einer Fahrradtour auf einer weißen Wand lesen konnte:

„Wirus-Lüge!“ war da zu lesen – in doppelter Dummheit, denn Virus war mit “W“ geschrieben.


Ja, wenn wir doch alle wenigstens ein klein bisschen weiser würden.

Dazu gehört: sehen, wie die Menschen wirklich sind, was sie sich wünschen, wovor sie Angst haben und was sie wütend macht. Wahrnehmen, wo es ihnen langweilig wird und welche Vorurteile sie pflegen.

Weisheit sieht aufmerksam und realistisch auf diese Welt und fühlt mit den Menschen.

Sie will, dass es möglichst vielen Menschen gut geht,

sie unterscheidet das Mögliche vom Unerreichbaren.

Die Weisheit hat Respekt vor jedem einzelnen Menschen, ja sogar vor den Tieren.

Sie schätzt ein funktionierendes Gemeinwesen, in dem die Einzelnen und die Gesellschaft in einem ausbalacierten Verhältnis leben.

Sie ist überzeugt, es gibt eine gute Ordnung der Welt, der Menschen, der Natur und der Dinge.

Und wir sollten alles tun, damit Menschen in dieser guten Ordnung leben können.

Ich wünsche mir also für uns und alle, die maßgeblich unser Leben mitbestimmen, nicht weniger Weisheit, sondern gerne etwas mehr. Die Weisheit - griechisch Philosophia - für die gebildeten Menschen in Korinth, zu denen der Apostel Paulus schreibt, war sie der Schlüssel zu einem sinnvollen und reichen Leben.
 
Wo liegt also das Problem, Paulus? Was stört Paulus an dieser Weisheit?

Gibt es eine Schwachstelle in dieser besonnenen Lebenshaltung? Ja, die gibt es.

Allzu oft wird nämlich die gute Ordnung der Welt erschüttert: Unfälle, Kriege, Gewalt und Krankheiten bringen Schmerzen, machen gesunde Menschen zu Behinderten, nehmen ihnen die Kraft, für sich und ihre Familien zu sorgen, bringen frühen Tod.

Menschen werden zu Menschenschindern, zu Ausbeutern und Mördern.

Kinder werden missbraucht und misshandelt. Ganze Völker werden unterdrückt, Millionen sind auf der Flucht.

Männer, Frauen und Kinder müssen unter schlimmen Bedingungen für einen Hungerlohn arbeiten. Andere profitieren davon.

Menschen machen Fehler und können sich das jahrzehntelang nicht verzeihen. Kommen einfach nicht mehr drüber weg. Andere fühlen sich ein Leben lang minderwertig oder leiden an Depressionen.
 
Vor diesen dunklen Abgründen kommt die Weisheit der Menschen an ihre Grenzen: garantiert gutes Leben in einer auf ewig guten Ordnung? – Von wegen!

„Die Weisheit dieser Welt“ nennt der Apostel Paulus sie, sie muss die Augen verschließen vor dieser zerrissenen Welt der Probleme, Fehler und Untaten. Sonst zerreißt es einen.
Gott aber blendet auch das Schlimme und Dunkle nicht aus. Er ist der Schöpfer.

Am Anfang der Bibel wird ja die Erschaffung der Welt abgeschlossen mit den Worten: „Und siehe, es war sehr gut!“

Allein darin schon liegt der Wert, an die Schöpfung zu glauben, auch, wenn ich weiß, dass das naturwissenschaftliche Modell des Urknalls die Wirklichkeit der chemisch-physikalischen Entstehung des Kosmos zumindest annähernd beschreibt.  

Wenn aber die Schöpfung von Beginn an gut von Gott gedacht war, dann bleibt dieser Gott nicht der weise alte Mann mit dem langen Bart, der über die Fehler, Schwächen und Leiden der Menschen in seinem Himmel milde lächelt.

Er sieht, wie es mit seiner guten Schöpfung weitergeht.

Er leidet mit und mischt sich ein, er ist manchmal zornig auf seine Menschen – aber vor allem liebt er sie.

Er mischt sich ein, indem er selbst zur Welt kommt. Geboren als Jesus Christus.

In ihm ist Gott selber da, Jesus zeigt Gott in vielem anders und neu, menschennah und barmherzig.

Er widerspricht den alten religiösen Gebräuchen, sein Anspruch und sein Erfolg ziehen Hass auf sich.

Jesus hatte chronisch Leidende und entstellte Leprakranke geheilt, Ausgestoßene als Kinder Gottes aufgenommen.

Er hatte seine hungrigen Zuhörer mit Brot und Fisch wunderbar satt gemacht.

Aber dann wurde er selber am Kreuz in die Tiefe hinabgerissen, in unsäglichen Schmerzen und Atemnot, durch den Spott der Zuschauer, jetzt schrie er vor Durst.
 

Und Paulus erkennt:

Dort am Kreuz haben die Menschen trotz ihres Verstandes und ihrer „Weisheit“ Gott aus der Welt hinausgedrängt.

So einen Gott wollen sie nicht. Einen, der bei den Armen bleibt und für die Schwachen da ist.

So einen wollen die Weisen der Welt nicht und die Mächtigen auch nicht.

Gott in seiner Barmherzigkeit und in seinem weisen Willen für uns Menschen scheitert an der Menschheit. Jedenfalls an denen, die sich für weise halten und den Ton angeben.

Und die Menschen mit ihren Vorstellungen und mit ihrer Lebensweisheit scheitern an Gott.

Dort am Kreuz zerbrechen alle Weisheiten über das Leben und über Gott.
"Die Predigt vom Gekreuzigten ist der Kern meiner Botschaft", schreibt der Apostel.

Vielen in Korinth muss das als pure Dummheit erscheinen. Ganz unphilosophisch!

Was soll man aus so einer Hinrichtung am Kreuz für Lehren für das Leben ziehen?

Und für manche war es furchtbar peinlich, dass so ein erniedrigter und in Schande Gekreuzigter als Gott angebetet werden soll.

In der damaligen römischen Welt schämte man sich so über das Kreuz, dass es auch in den ganz frühen christlichen Darstellungen niemals auf einem Bild erscheint. Nur die Gegner der Christen haben es in Cartoons verspottet. Vielleicht kennt ihr das kleine Bild noch aus der Schulzeit. Entstanden ist´s in Rom im 3. Jahrhundert:

Da spottet ein heidnischer Sklave vermutlich über seinen christlichen Mitsklaven.

Ein Mensch mit Eselskopf hängt am Kreuz, davor steht einer mit erhobenem Arm, darunter auf lateinisch: „Alexamenos betet seinen Gott an.“ Jeder Christenfeind damals hat wahrscheinlich gewiehert vor Lachen, wenn er diesen Cartoon sah.

Paulus würde den Gekreuzigten vermutlich nicht auf Papyrus oder Stein malen. Aber mit Worten tut er es schon.

Was die Menschen mit ihrem scheinbar gesunden Menschenverstand dumm und schwach und abstoßend finden: Das Leiden, die Armut, die Verzweiflung, in Gottes Augen ist das beachtenswert und stark!

Denn da, wo Menschen leiden, erweist sich Gottes Kraft.

Paulus erwähnt hier die Auferstehung Jesu an Ostern zwar nicht ausdrücklich, aber sie zeigt die Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Und sie setzt die Kraft der Neuschöpfung Gottes frei.
 

Gott hat sich an die Seite der Schwachen und Kranken gestellt.

Der Gekreuzigte hängt zwischen Leben und Tod und streckt allen Sterbenden die Hand hin:

Du fällst nicht ins Nichts, sondern in Gottes Hand.

Jesus nimmt die Fehler und die Schuld auf sich, die uns sonst erdrücken müsste.

Und damit verbindet er uns Schwache, Kranke, Sterbende und schuldig Gewordene mit der schöpferischen Kraft Gottes. Diese Kraft hat Jesus zu neuem Leben auferweckt. Sie kann auch uns in das Kraftfeld der Liebe und der Weisheit Gottes hineinziehen.

Wo scheinbar alles aus ist, öffnet die Kraft der Auferstehung den Horizont; verschlossene Türen gehen auf.

 

Spannend wäre jetzt natürlich die Frage, ob es gelingen kann mit den Konfirmanden darüber zu diskutieren, ob diese Sicht auf das Kreuz, die den Weisen als Dummheit erscheint, uns aber als Rettung des Lebens, weil es das Zeichen ist, dass Gott ganz auf unserer Seite steht, ob also dieser Glaube uns auch ganz konkret helfen kann im Umgang mit den Folgen der Corona-Krise.

Prima wär´s, wenn ich das noch vermitteln könnte: Das Kreuz ist das Zeichen, dass Gott sich mit den Schwachen, den Gefährdeten, Leidenden und beiseite Geschobenen solidarisiert.

Und dann hat das doch Konsequenzen für unser Nachdenken über unser Zusammenleben, Konsequenzen auch für unser politisches Handeln und was wir im Sinne Jesu als gerecht ansehen und schließlich, wie wir insgesamt miteinander umgehen.

 

Ob ich das mit den Konfis noch hinkriege in der kurzen Zeit bis zur Konfirmation, weiß ich nicht.

Wenn die Worte des Paulus und mein Versuch, seine Worte zu erklären, Euch heute Morgen erreicht haben, dann war´s auch schon jeder Mühe wert.

 

Bleibt behütet und bleibt stark!  Amen.

Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis - 27. Juni 2021

Predigttext Gen 50 - wird während der Predigt nacherzählt

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

unser heutiger Predigttext führt uns mitten hinein in eine Familiengeschichte, die so spannend ist und voller überraschender Wendungen, dass sie mehrfach in Hollywood schon verfilmt wurde. Und das nach über 2.500 Jahren.

Josef und seine Brüder.

Warum diese Familiensaga immer noch so frisch wirkt, liegt meiner Meinung nach nicht an den ganzen Intrigen, die gesponnen werden, weder an der Erotik, noch am happy end, sondern vielmehr daran, dass es um das immer aktuelle Thema geht: Wie gehen wir mit Schuld um und was hat Gott mit all dem zu tun, was das Leben uns schenkt oder abverlangt?

Den Predigttext werde ich in eine Erzählung einbinden.

Um das alles zu verstehen, braucht es – nicht nur für unsere Konfis – eine Einführung.

Also - was bisher geschah:

 

Josef wächst mit seinen 11 Brüdern auf. Er ist der Lieblingssohn seines Vaters Jakob.

Das weckt natürlich die Eifersucht seiner Brüder.

Josef trampelt zusätzlich auf den Gefühlen seiner Brüder herum, indem er ihnen von seinen Träumen erzählt, in denen seine Brüder sich vor ihm verneigen und ihm huldigen.

Sie sind so wütend, dass sie ihn nur noch loswerden wollen.

Bei einer günstigen Gelegenheit werfen sie ihn erst in einen Brunnen, um ihn zu töten, verkaufen ihn dann aber doch nach Ägypten.

Dem Vater Jakob erzählen die Brüder, ein wildes Tier habe Josef getötet.

Josef kommt zu Potiphar, einem hohen Beamten des ägyptischen Pharaos.

Dessen Frau findet Gefallen an Josef.

Als er sie abweist, beschuldigt die Frau ihn der versuchten Vergewaltigung.

Josef kommt ins Gefängnis. Aber er besitzt er die Gabe, Träume deuten zu können. Damit hilft er einem Gefangenen, dem Mundschenk des Königs. Erst Jahre später, als der Pharao seltsame Träume hat, fällt diesem ehemaligen Mithäftling ein: Da war doch dieser Josef.

Josef deutet die Träume des Pharaos. Auf das Land kommen sieben fette, gute Jahre zu, dann aber sieben magere Hungerjahre. Er rät dem Pharao, sich auf diese Dürre vorzubereiten und Vorratsspeicher anzulegen. Der Pharao ist so beeindruckt von Josefs Klugheit und Weisheit, dass er ihn zum 2. Mann im Staate macht.

Und Josef organisiert mit Geschick und Weitsicht die Vorbereitung für die kommende Hungerzeit. Die Katastrophe für Ägypten ist abgewendet.

Doch auch in den umliegenden Ländern herrscht Hunger, so auch in den Familien von Josefs Brüders in Kanaan.

 

Als die Brüder erfahren, dass es in Ägypten noch Getreide gibt, machen sich auf den Weg dahin.

Sie treffen mit Josef zusammen, erkennen ihn aber nach all den Jahren nicht.

Nach vielen weiteren Verwicklungen gibt sich Josef aber als ihr Bruder zu erkennen.

Jakob, der alte Vater, ist überglücklich, dass sein Sohn noch lebt. Auch er darf nachkommen, damit nun die ganze Familie in Sicherheit ist.

Doch dann stirbt Jakob und seine Söhne haben scheinbar allen Grund, ihren Bruder Josef, den sie so miserabel behandelt hatten, zu fürchten.

Wird sich Josef nun an ihnen rächen?

 

Da stehen sie nun am Grab ihres Vaters, Josef und die Brüder. Das Loch im Felsen ist mit einem großen Stein verschlossen. Da stehen sie und weinen, schä­men sich ihrer Tränen nicht. – Ihr Vater ist tot. Gewiss, auch er war ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Manches haben sie nicht verstanden.

Manchmal haben sie über ihn den Kopf geschüttelt. Doch es war ihr Vater. Sie hatten ihm auch viel zu verdanken.

Er hat an ihrer Seite einen schönen Lebensabend im Land Gosen verbracht. Jetzt ist er tot. 

Dort stehen sie, die Brüder und Josef, hinter ihnen ein großer Geleitzug von Ägyptern. Mit allen Ehren wurde er beerdigt, der Vater des zweitmächtigsten Mannes dieses Weltreiches, der Vater Josefs.

Einige Wochen später.

Zu einer Krisensitzung haben sich die Brüder versammelt.

Juda führt das Wort. „Hört mal, Jungs, ist euch klar, wie die Lage für uns aussieht? Unser Vater ist tot. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, auf den Josef gewartet hat. Jetzt wird er sich an uns rächen. Bislang hat er uns verschont – wegen Vater.

Er wollte ihn nicht kränken. Doch jetzt ist der Weg frei. Und wir, wir sind ihm hilflos ausge­liefert. Er hat uns in seiner Hand.“

 

Benjamin, der Jüngste, schüttelt ein wenig ärgerlich den Kopf. „Das glaube ich nicht. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Erinnert ihr euch noch, wie sich Josef zu erkennen gab, damals, als wir Getreide kaufen wollten.

Erinnert ihr euch, wie er weinte und sich freute, wie er jeden von uns in den Arm nahm. Nein, das war nicht gespielt. Josef meint es ehrlich. Ich habe keine Angst vor ihm.“

 

„Na ja“, bemerkt Simeon, „das stimmt schon. Doch kann man vergessen, was wir ihm angetan haben?

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf den Knien lag und jammerte, wie er uns anflehte und bettelte.

Und wir, wir haben ihn in den Brunnen geworfen und gelacht. Und zugelassen, dass er verkauft wurde wie ein Stück Vieh, unseren Bruder als Sklaven verkauft. Kann man das vergessen?“

 

„Ich meine“, ergänzt Asser, „Josef hat sich auch geändert. Früher war er öfter hier bei uns. Früher hat er uns häufiger zum Essen eingeladen. Das ist alles ein wenig anders geworden.“

 

„Genau“, pflichtet Juda bei. „Habt ihr das denn gar nicht beobachtet. Als wir von der Höhle Machpela kamen, von Vaters Grab, führte unser Weg an jenem Brunnen vorbei, in den wir ihn geworfen hatten. Da hat Josef sein Kamel angehalten, ist abgestiegen, auf den Brunnen zugegangen und hat still verharrt. Ich sage euch: Er hat dort Rache geschworen.“

 

Ruben, dem Ältesten, wird es zu viel: „Wisst ihr was, das Beste ist, wir machen klaren Tisch und reden mit Josef.“

„Mit Josef reden“, springt Juda entsetzt auf, „uns in seine Hände ausliefern? Niemals. Wir schicken Bo­ten. Dann hören wir, wie er reagiert. Das ist mir sicherer. Lasst mich mal machen.“ Den anderen ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken; doch sie willigen ein.

 

Wenige Tage später geschieht im Haus des zweitmächtigsten Mannes von Ägypten folgendes:

Josef hat gerade Audienz und empfängt einige Männer aus dem Norden des Landes.

„Friede sei mit dir“, grüßen sie ihn. „Deine Brüder schicken uns mit einer Nachricht. Dein Vater hat vor seinem Tod folgendes befohlen: ‚So sprecht zu Josef: Ach, vergib doch deinen Brüdern die Sünde und Misse­tat, denn Böses haben sie dir angetan. Nun vergib doch die Sünde der Diener des Gottes deines Vaters!‘“

Josef schaut die Boten an. Er senkt den Kopf. Tränen rinnen über seine Wangen.

Warum trauen sie ihm nicht? Warum haben sie immer noch Angst? Warum ist nicht endlich Frieden und diese ganze böse Sache vom Tisch, vergeben und vergessen?

 

Josef konnte die Nacht nicht gut schlafen. Immer wieder musste er an seine Brüder denken, an ihre Angst, ihr Misstrauen, ihre Schuldgefühle.

Unruhig geht er in seinem Amtszimmer auf und ab. Es klopft.

„Deine Brüder wünschen dich zu sprechen,“ meldet die Wache. „Lass sie reinkommen!“

Langsam und verlegen treten sie ein. Sie schauen weg. Sie fallen vor Josef auf die Knie. Ruben sagt laut: „Hier sind wir; wir sind deine Sklaven.“

Josef ist zuerst sprachlos.

Und dann ruft er ihnen zu: „Fürchtet euch nicht! Bin ich denn an Gottes statt?

Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet. Er wollte tun, was heute Wirklichkeit wird: ein großes Volk als eure Nachkommen am Leben erhalten.

Also fürchtet euch nicht. Ich will euch und eure Kinder versorgen.“ 

Josef reicht ihnen die Hand, richtet sie auf. Und dann heißt es in der Bibel: „Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.“

 

Liebe Gemeinde,

ich kann die Brüder gut verste­hen, ihre Angst, ihr Misstrauen. Wie sich Josef ver­hält, das ist ja auch alles andere als normal. Seine Brüder wollten ihn umbringen, verkauften ihn als Sklaven – und er, er sorgt dafür, dass sie überleben, er vergibt und verzeiht.

Normal ist das unter uns Menschen nicht. „Wie du mir, so ich dir“, sagen wir, und: „Rache ist süß.“

Nichts fängt der Mensch gründlicher an als die Rache.

Er bereitet sich darauf vor, wie auf das schwierigste Examen. Es umfasst ihn mit Haut und Haaren.

Grad jetzt hatten wir in der Konfi-Arbeit zum Thema Sünde auch Wortmeldungen, die bei schweren Verbrechen vor radikalen Konsequenzen bis hin zur Todesstrafe nicht zurückschreckten.

Jedenfalls in einem ersten Gedankengang.

Wir sehen es immer wieder: Rache – dieser Gedanke kann aus uns eine Bestie ma­chen.

Die Kriege, besonders auch die Bürgerkriege, sind das beste Beispiel dafür. Was seit vielen Jahren in Syrien passiert, ist an Scheußlichkeit kaum zu überbieten – und doch wird auch dies wieder „gelingen!“

 

Rache ist ein furchtbares Gift. Das gilt auch für den einzelnen. Das gibt es unter Freunden und in Familien.

Da ist der Vater gestorben oder die Mutter. Und die Kinder ge­raten in Streit, kommen einfach nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner.

Aber Rachegedanken, die gibt es auch in der Schule und am Arbeitsplatz. Die gibt’s im Verein und leider auch in der Kirche.

Rache – wie ein Flächenbrand pflanzt sie sich fort.

Und ich frage mich: Wie sähe eine Welt aus, wenn man die Worte „Verzeihung“ und „Vergebung“ aus den Wörterbüchern streichen würde?

Wenn sie nicht mehr zu den Erfahrungen gehörte, die jeder machen kann?

Wenn der Schuldiggewordene schuldig bleiben müsste?

Wenn jeder mit seinem Versagen auf sich allein gestellt bliebe? Wenn nur noch Hass und Vergeltung, nicht mehr Vergebung und Verzeihen zählen würde? Wie sähe es dann aus?

 

Unsere Welt ist doch jetzt schon schlimm genug. Wie es dann erst zugehen würde - ich will sie mir nicht vorstellen.

Und Josef auch nicht.  Er lässt der Rache keine Chance. Josef ver­gibt und will das Schlechte hinter sich lassen.

Er reicht nicht zähneknir­schend seinen Brüdern die Hand. Er nimmt sie vorbe­haltlos in den Arm.

Er begräbt nicht die Streitaxt und grollt munter weiter in seinem Herzen. Nein, er will für sie sorgen. Josef vergibt.

Und warum? Warum tut er nicht, was alle tun und nimmt Rache?

 

Josef sagt es selbst: Gott hat alles böse Planen und Tun zum Guten gewandt.

Sie haben ihn als Sklaven verkauft. Das war böse. Doch Gott hat das Beste daraus gemacht:

Josef wurde zum Retter seiner Familie und des ganzen Volkes. Josef sieht hinter allem – auch dem bösen Tun der Brüder – Gott am Werk.

Dietrich Bonhoeffer, ein ganz wichtiger Pfarrer und Gelehrter, der gegen die Nazis war, hat die Botschaft aus der Josefserzählung genau erfasst und 1943 gesagt:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“

 

Als zweites übt Josef keine Rache, weil er nicht an Gottes Stelle ist, wie er sagt.

Er steht unter Gott. Gott ist Richter, nicht der Mensch.

 

Und Josef hält fest: Unser Vater ist zwar tot. Ihm waren wir verantwortlich. Doch wir alle gehören zu dem himmlischen Vater, zu Gott. Wir sind seine Kinder. Das verleiht uns unsere Würde. Und weil er uns vergibt, weil er Frieden macht, können auch wir nichts Anderes wollen.

Dies sind Josefs Argumente, drei Argumente gegen die Rache.

 

Ein weiteres, das nah dran ist an dem, was Josef sagt, bewegte vor sechs Jahren die ganze Welt.

Ich finde, es ist gleichzeitig auch eine vorweggenommene Antwort auf das mörderische Geschehen in Würzburg.

Am 13. November 2015 töteten islamistische Attentäter in Paris und dem Vorort Saint Denis 130 Menschen und verletzten 350.

Antoine Leiris, der bei dem Anschlag seine Frau verloren hat, wendete sich wenige Tage danach in einem offenen Brief an die babarischen Mörder und schrieb:


"Ihr bekommt meinen Hass nicht.

Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens,

der Mutter meines Kindes, aber ihr bekommt meinen Hass nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen.

Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.

Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.

Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere.

Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.

 

Ich habe sie heute morgen gesehen. Endlich, nach Nächten und Tagen des Wartens.

Sie war genauso schön wie am Freitagabend, als sie ausging, genauso schön wie damals, als ich mich vor mehr als zwölf Jahren hoffnungslos in sie verliebte.

Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf, diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu, aber er wird von kurzer Dauer sein.

Ich weiß, dass sie uns jeden Tag begleiten wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen wiedersehen werden, zu dem ihr niemals Zutritt erhalten werdet.

Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht.

Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist.

Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen."

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis - 20. Juni 2021

Predigttext Lk 15, 1-10 – aus der BasisBibel - hier nachzulesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger 


Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext plätschert fröhlich vor sich hin, wie ein

liebliches Bächlein im Pfälzer Wald an einem schönen Sommertag.

Die Geschichten, die Jesus da erzählt, können alle nachvollziehen – damals wie heute.

Ja, noch viel mehr: Wenn es um so ein knuddeliges Schaf geht oder erst Recht um ein süßes Lämmchen, das sich verlaufen hat und nun mit seinen großen Äuglein hilfesuchend um sich blickt und auf Rettung wartet, wer wollte da nicht zur Heldin oder zum Helden werden und so lange suchen, bis es wiedergefunden ist?

 

Und wer jemals was richtig Wertvolles oder Wichtiges verloren oder auch nur verlegt hatte, würde der oder die nicht an allen möglichen und unmöglichen Orten suchen, bis es wieder aufgefunden ist?

 Jede und jeder könnte da eine eigene Geschichte erzählen und ist damit mitten drin in den Geschichten von Jesus.

„Wie der Hirte und die Frau würde ich es auch machen“, dachten wohl auch schon damals alle, die Jesus zuhörten.

 

Alltagsgeschichten, die so dahinfließen wie die Isenach vielleicht, die aus dem Pfälzer Wald sich durch unsere Vorderpfalz schlängelt, um dann bei uns in Bobenheim in den Rhein zu münden und schließlich irgendwann in der Nordsee. Ganz nett, aber total harmlos das Ganze.

 

Aber aufgepasst, Leute!

Harmlos klingen die Worte Jesu nur in unseren Ohren.

Für die Damaligen lag Sprengstoff drin.

Die hörten kein Bächlein plätschern, sondern das Grollen einer Flutwelle nach einem gewaltigen Beben.

 

Das Drama ging ja schon los beim Hirten. Der suchte nämlich nicht voller Liebe ein Schäflein, sondern der kämpfte eigentlich um seine berufliche Existenz.

Wer damals zuhörte, war darüber informiert:

Hirte-Sein war einer der am wenigsten geachteten Berufe. Wer da ankam, hatte nur noch ganz wenige Chancen.

Und wer dann dem Besitzer der Herde nicht alle Tiere wieder zurückbringen konnte, stand im Verdacht, das Tier selbst verscherbelt zu haben oder einfach nicht zu taugen für den Job.

Aus und vorbei – Feierabend.

Und wenn Hirten dann noch Familie hatten, kann man sich vorstellen, was das bedeutete.

 

Und die Silbermünze der Frau?

Der finanzielle Wert war nicht besonders hoch. Allerdings wurden auch die Brautkronen mit Silbermünzen geschmückt.

Das heißt, der ideelle Wert war enorm, denn die Brautkrone stand für die Würde der Frau, ihren Stolz, die Bedeutung, die sie in den Augen ihres Mannes hatte.

Wenn die Brautkrone nicht intakt war, bedeutete das Schande! Spätestens beim nächsten Fest würde das auffallen und sie ins Gerede bringen.

Da grummelt´s und rumort´s also schon unter der Oberfläche.

Das Beben aber bricht endgültig aus durch die Art und Weise, wie Jesus es wagte von Gott zu reden.

Besonders bei den Pharisäern und Schriftgelehrten, denen nichts wichtiger war als der ernsthafte Umgang mit den 10 Geboten und den anderen Gesetzen der Heiligen Schrift.

Für sie war es eine unglaubliche und unerträgliche Provokation,

dass Jesus sagte: So, wie der verzweifelt suchende Hirte, der um seine Existenz kämpft, und grad so, wie die außer sich geratene Frau, die um ihre Ehre und Würde ringt, geradeso ist Gott.

 

Er, der allein Heilige, der Unantastbare, der Unnennbare, dessen Name beim Lesen der heiligen Schriften nie ausgesprochen werden darf,

er, den fromme Juden bis heute mit letztem Ernst auf Abstand halten gegenüber allen Vorstellungen und Wünschen, die Menschen so von ihm haben können,

er - der Allmächtige, gelobt sei sein Name – vergleichbar mit einem Menschen, mit einem Mann und – ja tatsächlich! – sogar einer Frau,

denen etwas fehlt und die fast verrückt werden vor Aufregung, bis sie gefunden haben, was sie suchen und sich dann vor Freude nicht mehr einkriegen,

so menschlich, so alltäglich, so emotional – so soll Gott sein? Nein! sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten.

Solches Reden und Denken ist schon gotteslästerlich und verdient Verachtung.

Dass Jesus aber sogar noch vorgibt, er handle in Gottes Auftrag – denn nur deshalb sei er zu den Zolleinnehmern und Sündern gekommen – das ist einfach zu viel für die frommen Juden.

Solches Reden, solche Anmaßung muss im Keim erstickt werden, bevor alles weggerissen wird wie von einer großen Flutwelle.

 

Man kann sich das zornige Gebrüll und hasserfüllte Gekreische von Jesu Gegnern gar nicht wild und aggressiv genug vorstellen. Viele von Jesu Worten, die für unsere Ohren so harmlos und leicht klingen, werden untergegangen sein im entstandenen Tumult.

Liebe Gemeinde,

solche Worte, aber auch solche alltäglich scheinenden Besuche bei den als gottlos geltenden Zöllnern und Sündern, bei habgierigen Betrügern, bei schweren Jungs und leichten Mädchen, all das führte am Ende dazu, dass Jesus des Hochverrats angezeigt und schließlich von den römischen Machthabern unter Pontius Pilatus am Kreuz hingerichtet wurde.

Seine Liebe aber und die Botschaft von Gott, der uns Menschen ganz nahekommt – dir und mir – spürbar und mitten im Alltag, das ließ, sich mit dem Kreuz nicht mehr aus der Welt schaffen –konnte nicht mehr ausgeixt werden.

Natürlich sind Jesu Worte Musik besonders in den Ohren der sogenannten „Verlorenen“ und Schuld Beladenen.

Sie hören: In den Augen der Menschen sind wir verloren und verdorben. Aber in den Augen Gottes sind auch wir wertvoll. Gott sucht uns so lange, bis er einen Weg in unsere Herzen gefunden hat.

 

Wie ein guter Hirte und eine gute Haushalterin sucht Gott voller Unruhe, bis er alles bei sich hat, was ihm lieb und teuer ist. Aufgeben ist für Gott keine Lösung.

Aufgeben ist niemals eine Lösung.

Zieht also keine Schlussstriche, die der Himmel nicht kennt. Verbeißt euch nicht in euer Urteil, ob ein Leben gelungen oder misslungen ist.

Bemüht euch lieber um jeden Verlorenen, damit Gottes Freude immer größer wird. Darum geht es.

Ja, liebe Gemeinde,

ein ganz schön kniffliger Auftrag!

Denn es geht um die anderen. Aber es geht eben auch um mich. Denn ich selber bin doch auch ein Verlorener, immer wieder auch von Schuld betroffener Mensch.

Ich bewege mich immer zwischen „iustus et peccator“, wie Martin Luther es ausgedrückt hat. Bin also immer beides: gerecht und sündig. Gott nahe – und fern.

Mal habe ich ein weites Herz und kann meinen Nächsten wie mich selbst mit Gottes liebevollen Augen sehen. Und mal ist meine Stirn eng und ich gebe mich oder einen andern vorschnell verloren.

Jesus lehrt aber: Bevor ich ein Urteil treffe, wer verloren oder bewahrt ist, muss ich mich Gott zuwenden.

Das muss nicht die große Kehrtwende im Leben bedeuten. Manchmal ist es nur die Erinnerung, mit Gottes Hilfe im Herzen weit zu bleiben.

Dann kann ich zulassen, dass sich Gott über jeden Menschen freut, den er gefunden hat oder der sich ihm wendet.

Wie gesagt: ein schöner und zugleich kniffliger Auftrag!

Er fordert mich, unruhig zu bleiben, solange nicht alles in Ordnung ist in der weiten Welt - wie in meiner kleinen.


Heute, liebe Gemeinde, wird der Internationale Weltflüchtlingstag begangen.

Etwa 82 Millionen Menschen weltweit sind aus ihrer Heimat vertrieben. Das sind doppelt so viele, als noch vor 10 Jahren. Wohin soll das führen?

Im letzten Gemeindegruß zu Ostern, haben wir Menschen vorgestellt, die als Flüchtlinge zu uns kamen und mittlerweile gut angekommen und aufgenommen wurden und zum Teil schon Fuß gefasst haben in der Arbeitswelt.

Dass dies für Viele gelungen ist, dass diese Menschen mit ihrer Misere umgehen können, dass sie Sicherheit haben und sich gerettet wissen, das ist eine angemessene Weise, die beiden Gleichnisse Jesu in die Tat umzusetzen.

Und für Freude auf Erden wie im Himmel zu sorgen.

 

Ja, ich weiß: es gibt Menschen in unserem Land und bestimmt auch in unserer Gemeinde, deren Freude sich über die Aufnahme von Flüchtlingen in Grenzen hält.

Die glauben, dass die Not der Fremden eher gesehen wird als die der Menschen im eigenen Land oder Dorf.

Manche fühlen sich als Verlierer und werden zornig darüber.

Ich verstehe es als Christenmensch als meinen Auftrag, mit ihnen im Gespräch zu bleiben, wenn sie es denn wollen.

Wie Jesus mit Pharisäern und Schriftgelehrten darf man dabei vermutlich auch nicht vor Gebrüll und Gekreische zurückschrecken.

Bei Bedarf kann ich das dann ja auch.

 

Was mich nicht nur am Weltflüchtlingstag am meisten beschäftigt: die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit sind Kinder.

„Wenn ich Gott wäre“, schreibt Astrid Lindgren einmal, „würde ich über die Kinder weinen!“

Ja, da könnte man wirklich weinen, nicht nur über die Kinder auf der Flucht. Aber über die besonders.

Auch über die Kinder, die in Kriegstrümmern spielen.

Die auf Müllhalden Essbares suchen.

Die in Steinbrüchen, wo unsere Grabsteine oder das Kopfsteinpflaster unserer Dörfer hergestellt werden, für einen Hungerlohn arbeiten.

Kinder, deren Leib und Seele von Erwachsenen missbraucht und verkauft werden.

Aber auch über Kinder, die ihren Eltern ziemlich egal sind und die sich nicht um sie scheren. Die sie nicht aufsuchen in ihren Nöten.

Und das hat dann nichts mit Flüchtlingen zu tun.

Unsere Mitarbeitenden in den Kitas, aber auch viele Lehrkräfte, können da einiges dazu sagen.


Was mir Mut macht: Immer mehr Menschen werden aufmerksam, gerade auf die Situation der Kinder.

Es gibt unterstützenswerte Initiativen, etwa gegen Kinderarbeit.

Das jetzt gerade verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz, das die Großunternehmen verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Produkte ohne Kinderarbeit hergestellt werden, geht in die richtige Richtung.

Und vor allem gibt es Menschen, die sich schlicht und einfach um die Nöte von Kindern kümmern und ihnen so zu Hirtinnen und Hirten werden.

Das freut nicht nur die Engel Gottes, sondern Gott im Himmel auch.

 

Dieser Himmel, liebe Gemeinde, will auf die Erde.

Der Himmel sucht die Nähe auch zu dir und mir.

Der Menschensohn und Heiland Jesus bringt Himmel und Erde zusammen.

Ich glaube fest daran:

Die Rettung für die Erde kommt vom Himmel, damit auf Erden alles gut wird.

Damit die Menschen miteinander gut sind. Ungetrübt in ihrer Freude.

Das wäre tatsächlich der Himmel auf Erden.

 

Solange das nicht der Fall ist, bleibe ich unruhig.

Mir und jedem anderen zugewandt.

Ob mir das jeden Tag gleich gut gelingt, weiß ich nicht.

Aber versuchen will ich es in Gottes Namen.

Ich möchte gern daran mitwirken, dass Gott im Himmel samt seiner Engel das große Halleluja singt.

Und ich mit der ganzen Welt einstimme. So sei es.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am 2. Sonntag nach Trinitatis - 13. Juni 2021

Predigttext: 1. Kor. 14, 1-12 - in der Übersetzung der BasisBibel - hier nachzulesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

der Herr Professor rückt zufrieden seine Brille zurecht, ist mit seinem Vortrag am Ende. Ehrfurchtsvolles Schweigen im Raum unter all denen, die eine Stunde lang aufmerksam gelauscht haben.

Der Sitzungsleiter räuspert sich und ermuntert zu Rückfragen an den Referenten. Nur zögerlich kommt ein Gespräch in Gang.

Und schnell ist klar: Eigentlich hat keiner verstanden, was er da gehört hat. Es waren zweifelsfrei intelligente Gedanken, wunderbare Formulierungen, treffsichere Pointen.

Aber was der Herr Professor nun eigentlich sagen wollte, ist nicht angekommen.

Das ist allen ein bisschen peinlich, weil ja keiner dumm sein will. Aber ist tatsächlich der dumm, der nicht versteht, oder ist es eine eigene Art von Dummheit so zu reden, dass es keiner versteht?

 

Der Apostel Paulus bezieht sich in seinen Worten aus unserem Predigttext an die Gemeinde in Korinth auf eine ganz eigene Art des Redens: die Zungenrede.

In unseren Gemeinden, in unserer volkskirchlichen Frömmigkeit spielt die keine Rolle.

Dass der Geist so von einem Menschen Besitz ergreift, dass er durch ihn spricht, lallt, stammelt, kennen wir in aller Regel nicht.

 

In pfingstlerischen Gemeinden und in manchen freireligiösen Kirchen auf evangelikaler Seite aber ist das ganz anders.

Ähnlich war es wohl damals in Korinth, wohin Paulus seinen Brief schrieb.

Da gab es Menschen, die der Zungenrede eine große Bedeutung beigemessen haben, sie über das „normale Reden“ stellten, hier Gottes Anwesenheit in besonderer Weise vermuteten.

Wer in Zungen sprach, war der bessere Christ, näher bei Gott. Auch wenn kein Mensch verstehen konnte, was da einer stammelte.

Mit Gott auf du und du. Das ist okay, aber es hilft den anderen nicht, schreibt Paulus.

Im Gegenteil: es schließt die anderen aus, weil sie nicht verstehen, worum es geht.

Vielleicht bekommen sie sogar das Gefühl, dass sie noch nicht fest genug glauben oder dass an ihrer Beziehung zu Gott was nicht stimmt. Und das ist lieblos.

Der Sender der Botschaft spielt eine Rolle, ja klar. Die Botschaft selbst spielt eine Rolle, natürlich!

Aber eben auch der Empfänger/die Empfängerin ist wichtig.

Ob er oder sie überhaupt etwas verstehen kann von der Botschaft des Senders.

Im Prinzip benennt der Apostel also ein Grundprinzip von Kommunikation, das bis heute gilt.

 

Der Vortrag des Herrn Professor war eigentlich für die Katz, weil hinterher keiner schlauer war als vorher.

Und auch die beste Predigt taugt nichts, wenn sie nur kluges Wortgeklingel in den Ohren der Zuhörenden ist.

Die Botschaft mag noch so wahr und richtig sein, um nachhaltig zu sein, braucht sie eine Empfängerin/einen Empfänger, der sie verstehen kann.

Das gilt für die christliche Botschaft im besonderen Maße, weil sie Wort Gottes an die Welt und für die Menschen ist. 

 

Die Predigenden sollen also mit Gottes Hilfe klar und verständlich und deutlich von dem reden, was ihm wichtig ist.

Das heißt „unbeirrt auf dem Weg der Liebe bleiben“ – und grad so wird Gemeinde aufgebaut, getröstet und ermutigt, sagt Paulus.

Die Liebe also ist auch hier der Maßstab. Auch wenn es um Worte geht.
Auf diesem Weg der Liebe wird kein Mensch ausgegrenzt. Dass muss oberste Priorität haben.
Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Worte sollen verbinden, nicht ausschließen.
Und doch tun sie es. Oft sogar unbeabsichtigt. Auch hier bei uns. Hier in und neben der Kirche.
Bis zur Reformation haben die Pfarrer auf Latein gepredigt.

Das Volk verstand sie nicht. Es nahm am Schauspiel der Kleriker teil, aber gehörte nicht wirklich dazu.
Auch die Bibel gab es noch nicht in Deutsch.
Das änderte sich dann. Durch Martin Luther, klar.

Plötzlich gab es die Muttersprache in der Bibel und auf der Kanzel.

Aber verstanden die Leute wirklich, was gesagt wurde?

 

Ich fasse mir da mal an die eigene Nase: Immer wieder passiert es, dass ich viel zu lange Sätze verwende. Und Fremdwörter schleichen sich dazwischen. Und oft auch Begriffe, die nur die wirklich Eingeweihten verstehen.

Mir ist bewusst, dass grad an unseren Jugendlichen vieles aus der Predigt vorbeirauscht, weil nicht ihre Themen behandelt werden, und es eher selten gelingt, das Anliegen der Predigt so auf den Punkt zu bringen, dass sie sich angesprochen fühlen.

Auf der anderen Seite ist es aber schon auch so, dass eine Rede, die länger als 10 Minuten dauert, allein schon wegen der geringer werdenden Konzentration zunehmend eine Herausforderung darstellt.

 

Dennoch verstehe ich den Text von Paulus als Ermahnung es immer und immer wieder zu versuchen, dass sich niemand ausgeschlossen fühlen muss.

Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es mit am besten gelingt, von der Gelehrten-Sprache wegzukommen, Themen griffig und handfest zu formulieren und möglichst alle möglichen Zuhörerinnen und Zuhörer im Blick zu behalten, wenn ich im Dialekt predige.

Das liegt nur zum geringeren Teil daran, dass Pfälzisch meine Muttersprache ist, sondern der Hauptgrund ist, dass man im Dialekt keine abstrakten Begriffe gebrauchen kann.

Da kann man nicht ungegenständlich reden oder in anderer Weise kompliziert.

Da muss man auf den Punkt formulieren.

Zum Beispiel so: „Mer wissen´s allminonner: Die Mensche sin guud. Awwer die Leit!“

Ja, do muss mer gar net mehr saage.

Un sehn´er: Genau zu denne Leit is de Jesus hiegonge.

Zu denne arme Deiwel, uff denne die onnere allsfort rumgetrompelt hänn;

zu denne, die Dreck om Schdecke khadde hänn un die gemäänt hänn, sie kännden´s nimmie wage onnere in die Aage zu gugge; un zu allminonner, die´s Leewe krumm un bugglisch gemacht hot – vor lauder Sorge un Kummer, aus Ongscht oder weil se so traurisch waren un s´Herz so schwer, dass se ääfach de Kopp nimmie hochkriet hänn.

Genau zu so Leit is de Jesus hiegonge – wie in guude Kumpel, weil er wollt, dass niemond ausgschlosse werd.“

 

Ich hoffe, dass ihr mich jetzt alle versteht.  Dass ich euch, die ihr mir noch zuhört, mitgenommen habe. Dass ihr noch dabei seid.  Denn jede und jeder von euch gehört dazu.
Auch mir liegt an einer Kirche, die niemanden ausgrenzt.
Ich will mit euch und den Leuten aus unserem erweiterten Presbyterium eine Kirche gestalten, die diesen Weg der Liebe geht.
Eine Kirche, die für euch alle ein guter, ein sicherer, ein liebevoller Ort ist. – Fer die Mensche, awwer a fer die Leit.

Ich weiß, dass der Weg grundsätzlich noch weit ist.

Immer noch hören viel zu viele Menschen, dass sie nicht willkommen sind, nur weil sie etwa anders lieben, anders fühlen, anders sind, als die sogenannte Norm.

Immer weniger eigentlich gelingt es, finanziell arme Menschen und sozial Benachteiligte wirklich in unserer Gemeinde einzubinden und sie nicht nur als Empfängerinnen und Empfänger von Zuwendungen zu sehen.

Ja, und immer noch nehmen wir Menschen mit Behinderungen viel zu wenig wahr.

 

„Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.“
Jesus lebt sie, diese Liebe. Geht diesen Weg.
Vor 2000 Jahren hat er Kinder in den Arm genommen, Zachäus, den Beutelschneider, vom Baum geholt und sich vor die Frau gestellt, die vom Mob gelyncht werden sollte.

Vor wen würde er sich wohl heute stellen?
Vor die Synagoge, um jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schützen, vor das Frauenhaus, das Flüchtlingswohnheim, die Obdachlosenunterkunft, den Saunaclub, in dem rumänische Frauen zur Prostitution gezwungen werden?

An seinem Tisch sitzen sie alle, die nirgendwo sonst einen Platz bekommen.
Die immer weggejagt werden, die sind willkommen.
Und das Tolle ist: Auch ihr seid willkommen – und ich.
Niemand wird weggeschickt. Jede verwundete Seele wird umarmt.

Jetzt noch Corona-konform nur mit Worten, bald aber körperlich nah, für alle, die das brauchen und wollen.

 

„Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.“
Geht ihn weiter, diesen Weg, ihr Christen und Christinnen.
Mit euren vielen Stimmen und den vielen Weisen zu leben.
Geht den Weg nicht für euch allein, sondern zusammen mit allen, die lieben.

Die Liebe hört an den Kirchenmauern nicht auf.
Sie gehört hinein in die Welt.
In die Pflegeheime und in das Rathaus.
Ans Krankenbett und ins Vereinslokal.
 Öffnet euer Herz für die, die anders sind als ihr.
Denn das ist der Weg von Jesus. Kein anderer.

 Sprecht Worte, die verbinden.
Worte, die verwundete Seelen umarmen.
Die ermutigen und trösten.
Prophetische Worte der Liebe.
 Worte, die ich noch mehr hören und anderen sagen will.
Denn sie verbinden. Mit Jesus.

Euch und mich und die ganze Welt.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt zu Trinitatis - 29. Mai 2021

Predigttext Joh 3, 1-8 - hier nachzulesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.


Liebe Leserin, lieber Leser,


Nikodemus, der in der Heiligen Schrift Bewanderte, kommt in der Nacht zu Jesus. 

Kommt er im Dunkeln aus Angst vor anderen in seinem Volk, die ihn verurteilen, vielleicht sogar verfolgen könnten, weil er sich mit dem vermeintlichen Gegner trifft?

 

Unmittelbar vor diesem Treffen hat es einen Skandal gegeben. Jesus war im Tempel gewesen. Er hatte die Tische der Geldwechsler umgestoßen. Mit der Peitsche hatte er alle vertrieben, die aus der Religion ein Geschäft machen: die Händler mit ihren Opfertieren, die Geldwechsler. Die Kirche ist ein Bethaus und kein Kaufhaus!

Anders gesagt: In der Kirche geht es um die Beziehung zu Gott. Und nicht um bürgerliche Geschäfte.

Nicht um die Sachzwänge einer mehr oder minder verweltlichten Institution.

 

Hatte Nikodemus also Angst, mit Jesus gesehen zu werden und kommt deshalb in der Nacht?

Nein, ich glaube der Grund ist ein ganz anderer.

Sein Kommen in der Nacht erzählt mir von was ganz Anderem.

Ich denke, zumindest viele Erwachsene kennen das auch:

Manchmal kommen erst in der Nacht entscheidende Gedanken und Fragen, wenn das Alltägliche mich nicht mehr ablenkt. Bei Kindern und Jugendlichen ist das manchmal am Abend vor dem Einschlafen auch so.

 

Der Alltag mit seiner Unruhe muss lange genug hinter mir liegen oder noch auf sich warten lassen, bis ich die Fragen und Gedanken wahrnehmen kann, die mich in der Tiefe beschäftigen.

Etwa: Wie sind die letzten Tage gelaufen?

Wenn´s Zoff gab, immer wieder auch die Frage: Was war mein Anteil daran?

Und wenn die Eltern sich nicht vertragen, etwa, weil der Druck durch Homeoffice, Homeschooling und dem ganz normalen Alltagswahnsinn in der Familie doch zu arg stresst, ringt mancher vielleicht mit der Frage: Wie kriegen wir wieder ein entspanntes Familienleben hin? Was kann und muss ich ändern?

 

Und grundlegender auch ist da in der Nacht vielleicht plötzlich die Frage: Lebe ich eigentlich das Leben, wie ich es wirklich für mich will oder bin ich irgendwo auf meiner Lebensstraße falsch abgebogen und krieg die Kurve nicht mehr.

Manchmal melden sich dann auch schon die Themen des kommenden Tages. Die Aufgaben. Die Herausforderungen.

Ja, in der Nacht ringen manchmal beide miteinander.

Die Geister der Vergangenheit und der Zukunft.

Und dann kommst du kaum noch zur Ruhe.

Es gibt in diesem Kampf eigentlich eine entscheidende Frage:

Kann aus der Vergangenheit, kann aus einer schwierigen Gegenwart eine bessere Zukunft hervorgehen?

 

Jesus lässt sich auf das Nacht-Gespräch mit Nikodemus ein.

Aber eigentlich reden die beiden dann aneinander vorbei.

Nikodemus will genau wissen, braucht Bestätigung, ob Jesus wirklich von Gott gekommen ist. Seine Wundertaten deuten zwar darauf hin, aber ist es das wirklich, was wir sehen: Du bist der Sohn Gottes, der Messias?

Jesus antwortet dem Nikodemus, aber der versteht nicht so recht, was Jesus meint. Oder hat Jesus das Ansinnen seines Gegenübers nicht richtig erfasst?

Ich kann mir gut die gerunzelte Stirn des Nikodemus vorstellen, aber auch die Versuche Jesu von der Stirn des Nikodemus in sein Herz vorzudringen.

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

 

Da sind wir beim Thema der schlaflosen Nacht.

Bei der Unterscheidung der Geister. Beim Ringen zwischen Gestern und Morgen.

Es braucht eine radikale Erneuerung, sagt Jesus. Einen grundsätzlichen Neuanfang. So von Grund auf wie eine Geburt.

 

Nikodemus versteht das natürlich nicht.

Er ist ein Mann, der gut damit gefahren ist bisher auf das Bewährte und gut Etablierte sich zu verlassen.

Für ihn garantieren die wohl organisierten Strukturen der Religion, dass sich das Leben beständig entwickeln kann.

Aus dem Erbe der Vergangenheit die Zukunft gestalten. Das ist erfolgreiche Grundlage der jüdischen Religion – bis heute.

Nikodemus versteht Jesus deshalb ganz handfest:

Von Neuem geboren? Soll ein Mensch denn zurück in den Bauch seiner Mutter?

 

Unser Lukas hat das mal gewünscht, als sein kleiner Bruder auf wackligen Beinchen zum wiederholten Mal kam und seinen kunstvoll arrangierten Turm umgestoßen hatte: „Mama, kann man den nicht wieder in deinen Bauch zurückschieben?“

So nachvollziehbar diese Idee vielleicht zunächst erscheinen mag - Jesus hat das mit dem von Neuem geboren werden anders gemeint. Ihm geht es um eine ganz andere Neugeburt. Er nennt sie: geboren werden aus Wasser und Geist.

 

Wir Heutigen können verstehen, was Jesus damit meint.

Der aus dem Fleisch geborene Mensch, das ist der Mensch, der aus den bekannten Verhältnissen kommt.

Der Mensch, der sich eingerichtet hat in der Welt. Der Mensch, der keine Idee hat, wie echte Erneuerung gehen soll.

Der diese Gedanken noch nicht mal braucht, weil es ihm ja ganz gut geht, so wie er lebt. Solange für ihn alles läuft, warum sollte er etwas ändern wollen?

Jesus aber weiß: Ohne grundlegende Erneuerung wird es keine heilvolle Zukunft geben.

Dazu braucht es einen besonderen Geist, Spirit.

Den Geist Gottes. Den Geist von Pfingsten.

Wenn ein Mensch von diesem Geist ergriffen wird, verändert ihn das.

Die Antwort darauf kann dann die Taufe sein.

Zumindest, wenn man nicht schon als Kleinkind getauft worden ist, was damals ja nicht üblich war.

Die Taufe mit Wasser. Deshalb sagt Jesus: geboren werden aus Wasser und Geist.

Im Nachtgespräch zwischen Jesus und Nikodemus geht es ganz schnell um die Schlüsselfrage:

Wie kann aus dem Gestern ein gutes Morgen werden?

Wie können schädliche Strukturen überwunden werden?

Was ermöglicht eine heilvolle Zukunft?

Woher kommt der Geist der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Neuanfangs?

 

Liebe Gemeinde,

wir können diese Fragen ganz persönlich auf uns beziehen. Wie kann ich neue Kraft schöpfen?

Wie kann ich hinter mir lassen, was mich lähmt? Wie kann mein Glaube, mein Leben wieder lebendig werden?

 

Und gleichzeitig sind das auch die Fragen unserer Gemeinschaft. Unserer Gesellschaft.

Die ganze Menschheit sehnt sich nach einem Neuanfang.

Die Impfungen lassen zumindest bei uns auf dem sehr wohlhabenden Teilstück der Erde die Hoffnung wachsen:

Die Pandemie kann überwunden werden.

 

Die Sehnsucht ist groß: Nach Begegnungen. Nach Umarmungen. Nach Besuchen im Kino, Theatern und Museen, aber auch in Schwimmbädern. Nach Singen und Feiern. Nach sicheren Arbeitsplätzen und nach unbeschwerten Reisen.

 

Und gleichzeitig wachsen die Fragen:

Wird es nach der Pandemie so weitergehen wie vorher?

Können wir wieder zurück zur alten Normalität? Dürfen wir das überhaupt?

Denn die Welt steuert auf großes Unheil zu.

Durch unseren Lebensstil vernichten wir die Grundlagen des Lebens. Verändern das Klima mit schlimmsten Folgen zunächst wieder für Mensch, Tier und Umwelt der südlichen Hemisphäre.

Das wird dann aber auch bald uns einholen in Form von Lebensmittel- und Wasserverknappung und dem enormen Druck, weil immer mehr Leute nur eine einzige Chance erkennen das Leben ihrer Kinder zu sichern, wenn sie zu uns flüchten. 

Wir vermüllen die Welt. Vernichten Tiere und Pflanzen in immer schnelleren Maße. Der radikale Rückgang der Insekten bei uns ist da ja nur ein kleiner, aber spürbarer, Teil davon.

Das richtet im doppelten Sinne des Wortes der „Mensch des Fleisches“ an.

Die Virus-Pandemien der letzten Jahre: Ebola, Sars, Mers, Vogelgrippe, HIV, sind alle Zoonosen.

Das sind Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen können.

Eine indirekte Folge unseres Verhaltens und Lebensstils. Weil dadurch eben auch die Lebensräume von Wildtieren verändert werden und der Mensch da viel zu intensiv eindringt. Und deshalb muss unsere Nachtfrage heißen:

Wie kann mit diesem Erbe eine gute Zukunft entstehen? Wie kann ein Neuanfang aussehen?

 

Die Herausforderung ist eigentlich überdeutlich: Nein, es darf eben nicht so weitergehen wie vor der Pandemie!

Jesus ist völlig eindeutig: Es braucht einen radikalen Neuanfang! Wir Menschen müssen von Grund auf erneuert werden. Sozusagen: neu geboren werden. Aber Jesus ist kein Umstürzler. Kein Revoluzzer.

Seinen Auftritt im Tempel vorher darf man nicht missverstehen. Das war nicht die Gewaltaktion eines Fundamentalisten.

Jesus weiß: Es geht um Klarheit – um die Unterscheidung der Geister.

Wer mit Macht und Gewalt die Verhältnisse ändern will, der ist letztlich ein Mensch des Fleisches. Weil der die Rezepte versucht, die schon tausendfach gescheitert sind.

Neu geboren werden aus Wasser und Geist – das ist eine andere Art von Veränderung. Eine geistliche Umwandlung – wirklich schlecht ganz genau zu fassen.

Auch Jesus gibt bloß einen Hinweis, wie sie aussehen kann:

Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.

 

Zugegeben, das ist rätselhaft. Geheimnisvoll.

Und doch vermitteln diese Worte ein Gefühl. Eine Ahnung von dem, worauf es ankommt.

Leben im Vertrauen, dass dir das Richtige zufließt.

Offen sein für etwas, das ich nicht im Griff habe.

Du weißt nicht, woher es kommt und wohin es Dich führt.

Das gibt Dir die Ahnung: Du bist nicht nur gefangen in Deinen Verhältnissen. Nicht nur ein Produkt Deiner Lebensumstände. Sondern Du bist unterwegs. Lebst aus einer unsichtbaren Quelle. Getragen durch Deinen Schöpfer. Du darfst das Leben lieben. Und kannst immer wieder neu anfangen.

 

Prima, wenn wir etwas von diesem Geist spüren können.

Dem Geist der Freiheit. Dem Geist der Liebe. Der Liebe zum Leben. Der Liebe zu den Mitmenschen und zur Natur.

Der Liebe Gottes, die in uns wirksam ist.

Dieser Geist gibt keine einfache Antwort auf die drängenden Fragen von heute.

Aber er ist der Geist, mit dem die passenden Antworten gesucht werden können. Und der Geist, der die Kraft zu Veränderungen gibt.

Die Neuanfänge, die aus diesem Geist erwachsen, werden ganz praktisch sein.

Die eine wird ihren Garten verändern und Steinbeete durch blühende Pflanzen ersetzen, den alten Rasen zur Insektenweide umgestalten.

Der andere wird auf Flugreisen verzichten und sein Auto so oft wie möglich stehen lassen. Der eine wird versuchen, Verpackungen und Müll zu vermeiden. Die andere wird in ihrem Beruf nach nachhaltigen Verfahren suchen. Andere reduzieren ihren Fleischkonsum und achten beim Kleiderkauf auf Herstellung und Transportwege.

Manche werden sich für die Würdigung von Menschen einsetzen, die für die Vielfalt des Lebens stehen.

Andere werden sich in Sport und Gastronomie, in Kirche und Kunst bemühen, gemeinschaftliches Leben wieder in Gang zu bringen.

Einige werden als Aktivist*innen oder in der Politik darum ringen, möglichst viele Menschen für Veränderungen zu gewinnen.

Viele werden durch all das wieder ihre eigene Lebendigkeit spüren. Verzagtheit und depressive Verstimmungen überwinden. Und in ihrem Leben neuen Sinn finden.

Liebe Gemeinde, all das gehört zusammen und ist immer nur ein Anfang – immer wieder.

In alldem können wir das Sausen des Windes spüren.

Das Wehen von Gottes Geist, der neues Leben ermöglicht.

 

Wir sind auf der Suche. Noch herrscht das Dunkel der Nacht. Aber Jesus verheißt uns, wie es werden kann.

Du hörst das Sausen wohl. Weil Du ein Kind Gottes bist, das aus dem Geist geboren ist.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt Pfingstsonntag - 23. Mai 2021

Predigttext: 1. Mose 11 - hier nachzulesen.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Sie wollen die Predigt hören? Dann klicken Sie hier!



Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

als Predigttext ist uns aufgetragen über ein Stück Weltliteratur nachzudenken – die Erzählung vom Turmbau zu Babel aus dem 1. Buch Mose im 11. Kapitel.

Sie gehört zu den Texten, die man auch in kirchenfernen Milieus noch kennt.

Und bekannt ist sicherlich auch die übliche Deutung:

Die Menschen waren infiziert von der völligen Selbstüberschätzung, Gott gleich sein zu wollen.

Äußeres Zeichen war ihr Bestreben, einen Turm zu bauen, der in den Himmel reichen sollte.

Gott reagierte ärgerlich auf diese Anmaßung und als Konsequenz habe er dann die Sprache der Menschen verwirrt, damit sie einander nicht mehr verstehen konnten und ihren Plan aufgeben mussten.

Damit ist die Turmbau-Erzählung zu einer Art Symbol geworden für den Hochmut von Menschen – ähnlich der Geschichte vom Untergang der Titanic.

 

Aber: Was wäre, wenn es ganz anders wäre?

Was wäre, wenn nicht der Turmbau die menschliche Anmaßung wäre, sondern der menschliche Wunsch, dass es nur noch eine  Sprache geben sollte – einen für alle verbindlichen Code und damit den Zwang zur Uniformität und Unterordnung?

Was wäre, wenn die Verwirrung der Sprachen durch Gott nicht Strafe, sondern Ausdruck seiner Liebe zum Leben, zur Vielfalt und ein Geschenk der Freiheit wäre?

Hören wir auf die Geschichte.

Ich lese aus der Lutherbibel.

 

Lesen des Textes.

 

Mit dieser Erzählung endet im ersten Buch der Bibel die sogenannte Urgeschichte.

Es geht um Grundlegendes über das Wesen der Welt und der Menschen und deren Beziehung zu Gott.

Was selbst bei aufgeklärten Zeitgenossen immer vergessen wird: Es handelt sich dabei nicht um Tatsachenberichte, sondern um Glaubensaussagen.

Direkt vor unserer Erzählung geht es ein ganzes Kapitel lang darum, wie die Menschheit sich nach der Sintflut weiterentwickelt hat und sich in der damals bekannten Welt verteilte.

Sem, Ham und Jafet, die Söhne Noahs hatten nach der Sintflut Familien gegründet.

Daraus waren viele Völker entstanden.

Drei Mal wird betont: „Das sind die Söhne von Sem, Ham, Jafet nach ihren Geschlechtern, Sprachen, Ländern und Völkern.“

 

Und nun beginnt das 11. Kapitel mit der Feststellung:

„Es hatte alle Welt einerlei Zunge und Sprache.“

Daraus höre ich: Gott hatte es bei aller Vielfalt so eingerichtet, dass Austausch und Gemeinschaft möglich waren.

 

Aus manchen Nomaden wurden Acker- und Weinbauern.

Dann gab´s eine technische Revolution, denn die Menschen lernten Ziegel zu brennen.

Damit beginnt die Kultur, die große Menschenmassen zusammenführt. Städte können auch dort entstehen, wo es keine Steinbrüche gibt.

Mit den im Feuer gebrannten Ziegeln konnte man nun höher bauen als nur anderthalb Stockwerke.

Auf einmal ist es möglich, Bauwerke mit vielen Stockwerken zu errichten. So entstanden dort im Gebiet zwischen Euphrat und Tigris – das ist das Land Schinar - die Stufen-Türme.

 

Die Menschen aus unserer Erzählung beherrschen das Ziegelbrennen und wollen eine Stadt gründen, wollen sich zugleich einen Namen machen.

Aber Angst haben sie auch davor „zerstreut zu werden über die ganze Erde!“

Die Menschen sind Städtegründer geworden. Aber sie wollen noch mehr.

Immer wieder ist das zu beobachten in der Kulturgeschichte, dass technische Fortschritte bei einigen wirklich zur Hybris wird, ab jetzt alle Probleme des Lebens lösen zu können – zu sein wie Gott.

 

Manchmal hatte ich in den letzten Monaten den Eindruck, dass mit der Entwicklung der Corona-Impfstoffe ein ähnlicher Geist in der Welt war: "Jetzt ist für uns alles geregelt und möglich.

Ein, zwei Piekse und wir haben selbst die schlimmste Naturkatastrohe im Griff.

Mehr müssen wir dann gar nicht mehr tun.

Uns Menschen kann sowieso nichts aufhalten – technische Entwicklungen werden auch die schlimmsten Krisen bewältigen – auch den Klimawandel."

Ob Gott auch bei dieser Hybris helfend einschreitet und uns auf den Boden der Tatsachen zurückwirft?

 

Die eine negative Folge des Fortschritts der Damaligen war die Selbstüberschätzung.

Die andere der Versuch eine Einheitskultur zu schaffen, die die Herrschaft über alle Menschen ermöglicht.

Als Brandmauer gegen die befürchtete Zerstreuung baute man auf Vereinheitlichung und Zentralisierung.

Alle mussten sich dem gleichen Ziel verschreiben.

Gehorsam wurde zur obersten Doktrin und Desertieren zum schlimmsten Vergehen.

So ist das nun mal in totalitären Systemen.

Türmen kann da keiner mehr, wenn ein Turm gebaut werden soll, um Gott herauszufordern.

 

Solches Herrschaftsstreben bildet sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder ab in Projekten sogenannter Herrschaftsarchitektur:

Egal, ob Babylon oder Rom und Konstantinopel,

auch Machu Picchu oder das aztekische Tenochtitlan, ob Berlin, Moskau oder Pjönjang und Bejing.

 

Herrschende, totalitäre zumal, auch Kirchenfürsten, versuchen, ihre Bedeutung durch Kolossalbauten zu verdeutlichen und zu sichern.

Gut zu studieren immer noch an der übrig gebliebenen Monumentalarchitektur des NS-Reichsbauministers Alfred Speer.

Oder auch an vielen Gebäuden, die der sogenannte real existierende Sozialismus hinterlassen hat, der nichts anderes war als die Diktatur des Zentralkomitees einer Einheitspartei.

Folge dieser diktatorischen Architekturpolitik in der damaligen DDR war übrigens auch der gezielt herbeigeführte Verfall mittelalterlich geprägter Innenstädte samt ihrer alten Kirchen.

Vor Jahren noch konnten wir uns bei einer Familienfreizeit im thüringischen Mühlhausen davon überzeugen.

Oder Ulbricht sagte gleich: „Das Ding muss weg!“ Und die Universitätskirche St. Paulus in Leipzig wurde weggesprengt.

 

Trotz der Versuche, das Christentum aus den Stadtbildern zu tilgen, war es der Kirche in der DDR einigermaßen gelungen, Einmischungen des Staates in die innerkirchlichen Angelegenheiten abzuwehren und sich einigermaßen als staatsfreier Raum zu behaupten.

So konnten viele Kirchengemeinden in den achtziger Jahren sozusagen zu „Basislagern“ oppositioneller Bewegungen werden. Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen konnten im Jahrzehnt vor der Wende den Freiraum der Kirchen nutzen.

 

Unter dem Dach der Kirche sammelten sich unterschiedliche Menschen, die sich nicht in eine Einheitspartei und nicht in eine Einheitskultur zwingen ließen.

Sie waren sich zumindest darin einig, dass solche Einheit immer Einzelnen das Denken abnimmt, entmündigt, die Einzigartigkeit  zerstört, das Rückgrat bricht.

Darum sangen sie ihre Lieder und hörten ihre Musik, obwohl es verboten war und freuten sich ebenso über diese Buntheit und Vielfalt wie über die wachsende Hilflosigkeit der Herrschenden.

Trotz vom Staat verordneten Gleichmarschs und trotz öffentlich gefeierter Uniformität mussten die Herrschenden erleben, dass sie und ihr Volk sich mehr und mehr voneinander entfremdeten und nicht mehr die gleiche Sprache sprachen.

 

Die da oben begriffen einfach nicht, was die Menschen bewegte. Die da unten aber, die sich widersetzten und schließlich gestärkt durch den Geist der Gebete auf die Straßen gingen, waren sich einig in ihrer Haltung gegen den Einheitswahn und brachten Regime und Mauer friedlich zu Fall.

Nicht Einheit macht stark, sondern Einigkeit.

Einigkeit aber setzt Verschiedenheit voraus.

 

Mit einiger Ironie berichtet unsere urgeschichtliche Erzählung von der Reaktion Gottes auf die Absichten der Menschen:

So sehr überlegen ist er den Menschen in ihrem Größenwahn, dass er zweimal herabfahren muss: Einmal, um das menschliche Treiben genauer zu sehen.
Und dann ganz, um einzugreifen und diesem Treiben Einhalt zu gebieten.

Wie klein ist doch der Mensch, der so gerne groß werden möchte!
Auffallend ist, dass Gott nicht ihr Werk, die Stadt und den Turm zerstört, sondern an ihrer Kommunikation ansetzt.

 

Aber: Gottes Entscheidung, in die Stadt Babel hinunterzusteigen und ihre Sprache zu verwirren, ist keine Strafe für die Menschen, sondern eine göttliche Befreiungstat, die die Ambitionen eines übergriffigen Systems begrenzt.

 

Da steht eben nicht, dass die verschiedenen Sprachen und Völker in diesem Moment erst geschaffen werden.

Im 10. Kapitel ist das alles schon vorhanden, sondern es wird erzählt, dass ihre Sprache verwirrt wurde, „damit keiner des Anderen Sprache verstehe“!

Gott greift ein, damit sein guter Plan für die Zukunft nicht vereitelt wird: die Vielfalt und Freiheit der Völker, Sprachen, Kulturen und ihrer Geschichte.

Die Vielfalt der Sprachen ist also nicht die Folge menschlicher Sünde oder gar eine göttliche Strafe, sondern von Gott gewollt.

 

So gesehen ist die Pfingstgeschichte im Neuen Testament, als der Heilige Geist mit einem Brausen auf die Jünger kommt, auch nicht eine „Antigeschichte“ zur Turmbaugeschichte, sondern sie nimmt den roten Faden aus der Urgeschichte auf und führt ihn fort.

Die aus vielen Völkern für die Festtage in Jerusalem versammelten frommen Juden hören die Apostel in ihrem regionalen galiläischen Dialekt predigen.

Überraschenderweise versteht sie aber jeder in seiner eigenen Muttersprache!

 

Pfingsten: Das steht für „ein Herz und eines Sinnes werden.“ Babel war Herrschaft, Knechtschaft, Kadavergehorsam.

Pfingsten dagegen ist: Sympathie, Einig-werden-wollen, verstehen.

 

Diese erste Vereinte-Nationen-Versammlung, wie sie die Bibel beschreibt, fand ich immer schon super: Parther, Meder und Elamiter, Kreti und Pleti, Einwanderer aus Rom. Alle versammelt um den Glutkern der Kirche: Bemühen um Verständnis und aufeinander Hören.

So wird deutlich: Das Pfingstwunder ist eigentlich gar kein Sprachenwunder, denn die Jünger reden weder in einer anderen noch gar in einer himmlischen Sprache.

 

Pfingsten ist ein Hörwunder; alle hören die Apostel in der je eigenen Muttersprache die großen Taten Gottes verkünden!

Der Heilige Geist schaltet die Vielfalt nicht aus.

Im Gegenteil: Er bestätigt und würdigt die von Gott gestiftete sprachliche und kulturelle Vielfalt der Menschen. 

Der Geist Gottes schafft an Pfingsten etwas Neues:

Eine Verbundenheit, eine versöhnte, mehrsprachige Gemeinschaft der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu.

Das ist nicht weniger als der Beginn einer neuen Gesellschaft.

 

Gott lässt keinen Zweifel daran, dass er auf seiner Erde eine kulturelle Vielfalt will, in der nicht eine Kultur über die andere herrscht. Vielmehr sollen diejenigen, die Macht haben, sie abgeben zugunsten derjenigen, die Unterdrückung erleiden.

 

Die meisten Menschen dieser Erde erleben es anders:

Moderne Technologien setzen die Trends, die Weltsprache ist Englisch. Wer da nicht hinterherkommt, wird abgehängt.

 

In einem Wirtschaftssystem, in dem alles zur käuflichen Ware wird, werden einzelne Kulturen zu Leitkulturen:

Alle sollen „unsere“ Produkte, „unsere“ Musik, Lebensmittel und Medien konsumieren, alle sollen sich nach „unserer“ Mode kleiden. Schlank und hellhäutig ist universales Schönheitsideal.

Was noch abweicht, steht unter dem Druck, sich anzupassen oder zu verschwinden.

 

Die Pfingstgeschichte erzählt eine bessere Globalisierungsgeschichte.

Mit dem Geist Gottes wird es möglich, über alle Sprachbarrieren hinweg Menschen aller Nationen und Kulturen zu erreichen.

Alle behalten ihre Eigenheiten, alle bleiben verschieden; es gibt aber ein gemeinsames Verständnis, einen gemeinsamen Geist, aus dem ein Wir-Gefühl entsteht.

Die Gemeinschaft, die da geboren wird, entsteht auf der Basis eines gemeinsamen Glaubens, jenseits von Nation, Familie, Ethnie, Klasse:

Globalisierung, die nicht die Uniformierung der Welt bedeutet, sondern Verständigung in aller Verschiedenheit.

Aktuelle Bewährungsprobe dafür ist auch die weltweite Verteilung der Impfstoffe.

Wird dieser Gemeinschaftsgeist gelebt, werden nicht nur Millionen Menschen in der südlichen Hemisphäre gerettet, sondern letztendlich auch wir selbst, weil sich nur so die Pandemie wirklich besiegen lässt, wenn alle geimpft sind und keine neuen Mutationen mehr entstehen.

 

An ein Letztes will ich erinnern:

Heute vor 72 Jahren, am 23. Mai 1949, wurde unser Grundgesetz verabschiedet.

Ein Zeugnis besonderer Geistesgegenwart von Männern und Frauen nach der Befreiung vom nationalsozialistischen Terror, aus Kadavergehorsam und aus schuldhafter Verstrickung in ein verbrecherisches System.

 

Die Würde eines jeden Menschen, die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – all das ist auch aus dem Geist erwachsen, durch den Gott das Leben auf dieser Erde ermöglicht.

Wenn wir uns aktiv dafür einsetzen und den Verächtern unserer demokratischen Grundordnung die Stirn bieten, handeln wir im Geiste Gottes. 

Denn Einigkeit und Recht und Freiheit befördern die Vielfalt und das Leben.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.


Predigt zum Sonntag Exaudi am 16.05.2021

Predigttext: Jesaja 60, 1-6

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best

 

Die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen Amen.


Liebe Leserin, lieber Leser,

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Jesaja 60 die Verse 1-6

Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt, kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arm hergetragen werden. Dann wirst du es sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen heiligen Geist Amen.

 

Liebe Gemeinde,

Gott bittet um Gehör. Der allmächtige Gott ergreift nicht donnernd das Wort. Er fällt uns nicht ins Wort. Er mischt sich ein in unsere Debatten, aber so, dass er bittet, ihm zuzuhören.

Offenbar ist es nicht selbstverständlich, dass er gehört wird. Es ist still geworden um Gott in unserer Welt. Man sieht nur selten etwas von ihm.

So lasst uns für einen Augenblick unser Reden unterbrechen und zuhören, was er uns zu sagen hat. Lasst uns für einen Augenblick die Fernsehbilder zurückstellen und hinschauen, was er uns zu zeigen hat.

Wer der Gerechtigkeit nachjagt, wer Gott sucht, ist besonders eingeladen.


Da sind wir doch dabei, liebe Gemeinde. Wir wollen doch mitkriegen, was er uns zu sagen, wir wollen doch hinschauen, was er uns zu zeigen hat.

Gottes Geschichte mit uns ist eine Segensgeschichte. Gott bittet um Gehör, damit wir entdecken, dass seine Geschichte mit uns eine Segensgeschichte ist. Schaut einmal weg vom Durcheinander eurer eigenen Geschichte und der Weltgeschichte.

Schaut hin, welchen Segen Gott immer wieder gegeben hat. Schaut hin! Das ist auch das Motto des diesjährigen dritten Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt, der vom 13. bis 16. Mai stattfindet. Schaut hin, ist auch das: Erinnert euch an eure Väter und Mütter im Glauben. Geht ruhig weit zurück, tief in den Brunnen der Vergangenheit, bis Abraham und vergesst die Saras nicht! Entdeckt, dass in Abraham und Sara das Volk Israel, aber auch wir Christen und alle Völker gesegnet sind. Schaut genau hin.

Auf den ersten Blick sieht man den Segen in der Geschichte oft nicht. Hört genau hin. Wendet euch nicht enttäuscht ab. Es lohnt sich, genau hinzuschauen und hinzuhören.


Gewiss, zwei Dinge wird man nicht abstreiten können: Zum einen sind es zwiespältige und fehlerhafte Menschen, die Gott erwählt:

Abraham wollte aus Angst um sein Leben seine Frau Sara an den König Abimelech verkaufen; und Sara lachte nicht aus Freude und Gottvertrauen, sondern aus Bitterkeit und Gotteszweifel.

Martin Luther entdeckte das Evangelium neu, aber er ließ Andersdenkende verfolgen.

Florence Nightingale setzte als „Engel der Kriegsgefangenen“ Zeichen der Humanität mitten im Krieg, war aber im persönlichen Umgang eher schwierig.

Und unsere eigenen Väter und Mütter? Wir selbst Gläubige und Halbgläubige, Gerechtigkeitssuchende und Selbstverliebte, Hoffnungsträger und Resignierte!

Trotzdem, Gottes Segen gilt uns fehlerhaften Menschen und lässt uns zum Segen werden.

 

Zum anderen verläuft diese Segensgeschichte nicht ungebrochen. Da gibt es Segen, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, aber auch Unheil, Unrecht und Zerstörung. Und doch; immer wieder blitzt Gottes Segen und Heil in der Geschichte auf, in der Geschichte Israels, in der Geschichte der Kirche, in unserer ganz persönlichen Lebensgeschichte, auch in der Weltgeschichte.

 

Ja, es braucht den Heiligen Geist, damit unser Ohr offen wird für Gottes Segen. Ja, es braucht den Blick des Glaubens, um die Segensgeschichte zu schauen.

Lasst es euch sagen und zeigen, wie Gott segnet. Ihr werdet Hoffnung und Kraft daraus schöpfen.

Gott ist ein Gott des Trostes, Gott bittet um Gehör für sein Trostwort. Dieses Trostwort gilt den Trümmern Jerusalems, den Trümmern des Lebens.

Eine moderne Super-Stadt braucht keinen Trost, aber ein zerlumptes Slum und ein trostloses Flüchtlingscamp.                  Ein perfektes Leben braucht keinen Trost, aber ein Lebensentwurf in Trümmern.                                                                     


Dass Trost ankommt und gelingt, ist nicht selbstverständlich, selbst bei Gottes Trostwort nicht. Aber ein sprechendes Trostwort und ein belebendes Trostbild sind etwas Wunderbares.

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet, spricht Gott.

Jesus verspricht: der Heilige Geist, der Tröster, bleibt für immer bei euch. Er trocknet nicht nur Tränen, sondern öffnet den Blick nach vorne. Und da gibt es Schönes zu sehen:

Schaut hin, wie Gott aus dürrem Land einen Garten Eden gestaltet, aus der Wüste blühende Landschaften.

Am Ende steht Freude und Wonne, Dank und Lobgesang.

Malt euch ruhig diese schönen Bilder aus. Gewiss, schaut auch auf die ausgetrockneten Böden und die überschwemmten Landstriche, auf die sich ausbreitenden Wüsten aller Art. Schaut da auch hin, aber schaut nicht nur dahin, sondern schaut auf die Verheißungsbilder Gottes. Sie sind ein „Dennoch“ des Trostes zu all dem Trostlosen. Da findet ihr heute schon ein Stück Freude und Wonne, Dank und Lobgesang. Ohne Verheißungsbilder würdet ihr verzagen oder zynisch werden. Mit ihnen könnt ihr zuversichtlich zu Hoffnungsträgern werden.

 

Gott bringt das Recht unter die Völker. Er tut das nicht mit Gewalt. Er greift nicht hart durch. Er bittet um Gehör für das Recht. Er lädt die Völker ein, genau hinzuschauen. Dann sehen sie, wie Gottes Heil hervortritt, wie das Recht zum Licht der Völker wird.                                                                             

„Gerechter unter den Völkern“ ist der höchste Ehrentitel, den das jüdische Volk verleiht.

Umgekehrt: Wo man einer Person, einer Volksgruppe oder ganzen Völkern das Recht verweigert, wird die menschliche Würde zutiefst verletzt. Nur da, wo ein Mensch sein Recht bekommt, kann er Mensch sein. Deshalb sehnen sich die fernsten Inseln nach Recht und Gerechtigkeit.

 

Die Liturgie des diesjährigen Weltgebetstags der Frauen kam aus Vanuatu. Dieser kleine pazifische Inselstaat aus 80 Inseln, früher Neue Hebriden, ist durch Klimawandel und steigenden Meeresspiegel vom Untergang bedroht. Premier Tallis Moses, ein evangelischer Pastor, hat einen eindringlichen Appell an die Welt gerichtet. Er bittet um Gehör, seinem Land Vanuatu und den Menschen, den Nivanuatus, das elementare Existenz-Recht zu erhalten. Ob wir und die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ihm Gehör schenken?

 

Gott ist ein Gott des Rechts. Wir hören gerne, dass Gott die Liebe ist. Und wir singen gerne: Wo die Liebe wohnt und Güte, da ist unser Gott. Wir werden diesen Glaubenssatz ergänzen dürfen und müssen, dass Gott die Gerechtigkeit ist. Wo Gerechtigkeit wohnt und Recht, da ist unser Gott. Gott suchen und der Gerechtigkeit nachjagen, das gehört untrennbar zusammen.

 

Aber nun hören wir genau hin: Gott appelliert nicht nur an unser Rechtsempfinden; er fordert uns nicht nur auf, endlich mehr Recht zu schaffen in Deutschland und unter den Völkern.

Gott bringt das Recht unter die Völker, nicht als Forderung, sondern als Geschenk, zuerst als Gabe und dann erst als Aufgabe.

 

Der gerechte Gott macht sich auf. Er verlässt den Himmel der Gerechten. Er kommt auf die Erde voller Unrecht und Zwiespalt. Höchstpersönlich bringt er Gerechtigkeit bis zu fernsten Inseln. Seine Gerechtigkeit ist nahe. Sie lässt jeden Menschen zu seinem Recht kommen, die Opfer von Unrecht zuerst und dann letztendlich auch diejenigen, die es nicht verdient haben.     

 

Gottes Gerechtigkeit lässt auch die Schöpfung zu ihrem Recht kommen.

Lasst uns also zuhören und sein Geschenk der Gerechtigkeit annehmen; lasst uns zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten.

Wir können damit anfangen, indem wir auf Tallis Moses hören und die Invanuatas in ihrem Lebensrecht unterstützen. Mit unseren Anfängen wird Gott etwas anfangen.

Am Ende werden sich Gottes Verheißungen erfüllen. Zugegeben, sie haben sich bisher oft auch nicht erfüllt, bei Zion-Israel, in Südafrika, im wieder vereinten Deutschland, zumindest nicht so wie erhofft.

 

Die Segensgeschichte ist nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte, aber eine Hoffnungsgeschichte.

Diese Verheißungen des Propheten entfalten ihre Hoffnungskraft bis heute. Wir hören auf sie, wir bauen auf sie, wir schauen die Hoffnungsbilder, wir lassen uns ermutigen. Wir lassen uns sagen: Wer darauf vertraut, wird nicht zuschanden werden.

 

Manchmal sagt man: es wird schon recht werden. Das klingt betulich und lähmt die Diskussion um den rechten Weg. Aber man könnte diesen Satz auch anders verstehen: Ja, es wird recht werden, wirklich.

Gott selbst sorgt dafür, dass es - dass alles recht wird.

Dann klingt dieser Satz als große Verheißung und eröffnet die Diskussion um Zeichen dieses Rechts schon heute.

 

Darum liebe Gemeinde, gibt es uns als Christen, gibt es eine Kirche und die Diakonie, gibt es die Predigt und den Gottesdienst. Gottes Bitte um Gehör darf nicht verstummen; seine Bilder und Verheißungen der Gerechtigkeit dürfen nicht übersehen werden. Hört hin, schaut hin! Es lohnt sich.

Amen.

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

 

Psalm: 27, Lieder: 136 O komm, du Geist der Wahrheit.

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Predigt zu Christi Himmelfahrt - 13. Mai 2021

Predigttext: Epheser 1, 15-23 - wird während der Predigt verlesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger. Wenn Sie die Predigt anhören wollen, klicken Sie hier.


Liebe Leserin, lieber Leser,


heute am Fest Christi Himmelfahrt denken wir als Gemeinde, aber auch ich persönlich, sehr gerne zurück an die Gemeindefeste, die wir vor Jahren wechselweise im Hofgut Nonnenhof von Familie von Heyl haben feiern können.  

So grüße ich heute zu Beginn dieser Predigt ganz herzlich die Eigentümerfamilien und die Bewohnerinnen und Bewohner des Hofguts Nonnenhof.

Die Erinnerungen an diese besonderen Tage und Abende bei euch draußen und die spezielle Atmosphäre dieser Feste gehören mit zu den schönsten meiner Amtszeit.


Nun zur Predigt.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Himmelfahrt ist ein geheimnisvolles Fest, liebe Gemeinde.

Eigentlich kaum zu glauben. Schon, dass Jesus den Frauen und seinen Jüngern am Ostermorgen erschien war, war ja nur schwer zu begreifen gewesen.

Und doch war er wundersamer Weise nur drei Tage nach der Kreuzigung auferstanden, war den Freundinnen und Freunden vierzig Tage lang immer wieder begegnet, hatte sich von ihnen berühren lassen, mit ihnen geredet, gegessen und getrunken.

 

Und nun, so erzählt es Lukas in seiner Apostelgeschichte, versammelt er die Zwölf ein letztes Mal um sich, redet Worte, die in ihren Ohren geheimnisvoll und rätselhaft geklungen haben müssen.

Er verheißt ihnen den Heiligen Geist; er verspricht ihnen, dass sie mit dessen Kraft Zeugen der Frohen Botschaft werden „bis ans Ende der Erde“.

Und kaum hat er dies gesagt, wird er vor ihren Augen „emporgehoben“, eine Wolke nimmt ihn auf, und er fährt gen Himmel.

 

Kaum zu glauben, nicht wahr?

Die Worte, die ich Ihnen gleich vorlesen werde, sind eigentlich auch kaum zu glauben. Sie stammen aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesus aus dem 1. Kapitel.

Der Apostel beginnt mit starken, fast überschwänglichen Worten.

Er schreibt (Epheser 1,15-23):

 

Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.

Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.

Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

So weit die Worte der Heiligen Schrift.

 

Kaum zu glauben! Gewalt und Macht, überschwänglich große Kraft und Hoffnung, Reichtum an Liebe – dies alles soll die christliche Gemeinde auszeichnen!

Das Ganze wird noch unglaublicher, wenn man bedenkt, dass Ephesus damals eine Weltstadt war.

So wie man heute von New York, Paris, London, Moskau, Tokio oder Berlin spricht – so waren damals Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Jerusalem und eben auch Ephesus in aller Munde.

An ihren Ruinen kann man bis heute sehen, wie reich und prächtig diese Stadt einmal gewesen sein muss. Immer noch ist sie die am meisten beeindruckende von allen antiken Städten, die ich gesehen habe.

 

In der damaligen Weltstadt Ephesus, an der Mittelmeerküste der heutigen Türkei gelegen, gab es eine junge christliche Gemeinde, die vermutlich aus Sklaven, Hafenarbeitern und einfachen Handwerkern bestand.

Der Apostel Paulus war auf seinen ausgedehnten Reisen einige Jahre zuvor auch nach Ephesus gekommen und hatte dort von Jesus erzählt, wie sehr Gott die Menschen liebt – besonders die, die sich ausgegrenzt und schwach fühlen, und die schlechtgemacht werden.

Paulus erzählte davon, dass die Menschen noch viel glücklicher sein könnten, wenn sie ihr Leben an Jesus ausrichteten.

Für diese paar Leute waren diese Geschichten von Jesus, dem Gott der kleinen Leute, zur Frohen Botschaft geworden. Sie mussten sie einfach immer wieder hören. So trafen sie sich regelmäßig, um miteinander zu essen und zu trinken und Gottesdienste zu feiern. Und bei dieser Gelegenheit lasen sie sich wohl auch immer wieder die Briefe vor, die der Apostel Paulus ihnen geschrieben hatte.

 

Wie ungewöhnlich diese Zeilen des Apostels sind, macht man sich am besten auf folgende Weise klar:

Im Vergleich zu dem Reichtum und zu der Macht dieser Stadt war die christliche Gemeinde in Ephesus absolut bedeutungslos, eine in seiner Bedeutung scheinbar „vernachlässigbar geringe Zahl“, wie Mathematiker in solchen Fällen zu sagen pflegen. Das heißt, sie stellten eine Größe dar, die man auch weglassen könnte, ohne dass sich am Ergebnis wesentlich etwas verändert.

Was hat sich Paulus dabei gedacht, dass er über diese winzige Gemeinde mit solch überschwänglichen Worten schreibt?

Die Antwort ist, so vermute ich: Paulus sieht die Gemeinde mit anderen Augen an! Mit den Augen des Herzens.

Und er bittet Gott, dass er auch den paar Christen in Ephesus „erleuchtete Augen des Herzens“ geben möge.

Paulus weiß: Mit den erleuchteten Augen des Herzens kann man manchmal mehr und tiefer sehen als mit den Augen im Kopf.

 

Unsere menschlichen Augen sehen nur ein paar Sklaven und Handwerker – rohe, ungebildete Menschen – eine klägliche Minderheit in einer riesigen Stadt, schutzlos den Mächten und Gewalten der Welt ausgeliefert.

Die Augen des Herzens aber sehen in diesen Menschen den Leib Christi.

Diese Menschen gehören zu Christus, sagen die Augen des Herzens. Und weil sie dies wissen, kann ihnen keine Macht der Welt etwas anhaben.

 

Liebe Leserin, lieber Leser, 

wäre es nicht ganz wunderbar, denke ich manchmal, wenn wir „Augen des Herzens“ hätten, die uns dies zu jeder Zeit und in jeder Lage ermöglichten?

Unsere menschlichen Augen sehen oft nur die Schreckensbilder, die täglich über die Bildschirme laufen: eine Welt, die scheinbar unaufhaltsam dem Abgrund entgegenschlittert.

Unsere menschliche Vernunft sagt in vielen Fällen, wie jetzt auch im immer mehr sich aufheizenden Konflikt zwischen Israel und Palästina: „Das ist halt so; da kann man nichts machen! Das war immer so und wird immer so bleiben.“

 

Die Augen des Herzens aber weigern sich zu resignieren; sie sehen diese Welt, wie Gott sie ansieht. Sie sehen tiefer. Sie sehen auch im Dunklen und Schweren Gott am Werk, und sie blicken schon voraus und hoffen auf jenen Tag, an dem keine Fragen mehr offen sind und die Rätsel des Leidens und aller Tränen ihre Antwort gefunden haben werden.

Menschliche Augen sehen unsere kleine Kraft, die angeblich nur wenig zum Guten auszurichten vermag. Die Augen des Herzens aber sagen: Tu das, was dir möglich ist! Ganz sicher bleibst du nicht allein. Und selbst wenn, die Augen des Herzens wissen: Jeder noch so kleine Funken Liebe zählt und ist nicht vergeblich.

 

Das Geheimnis von Himmelfahrt kann mit unserem Verstand wohl nur zum geringen Teil erfasst werden. Man braucht die „Augen des Herzens“ dazu, die die Fähigkeit haben, durch die zum Teil harte Realität hindurch eine größere Wirklichkeit zu erkennen. In dieser Wirklichkeit hat Jesus seit jenem ersten Himmelfahrtstag den Platz an der rechten Seite Gottes eingenommen.

Das heißt, die Machtfrage in der Welt ist gelöst; und zwar ein für alle Mal. Christus ist der Herr über alle Reiche. Er sitzt im Himmel und achtet auf uns.

Christus ist und bleibt zugleich das Haupt seiner Gemeinde, also unser Herr.

 

Ihr merkt es und das Bildwort von den Augen des Herzens umschreibt dies:

Es geht hier nicht um unsere Erfahrungen in der Welt.

Die können durchaus ganz andere sein. Gewalt und Herrschaft liegen oft in den Händen von Menschen, die sich nicht um Liebe kümmern, sondern um ihren Einfluss und ihren Geldbeutel. Das ist so und war auch zu Zeiten der ersten Apostel so.

Der Text stellt fest, was ist, und nicht, was wir erfahren. Denn auch, wenn wir viel anderes erfahren – Christus ist und bleibt der Herr.

Das wird sich auch erweisen gegenüber denen, die ihre Macht in der Welt auskosten. Sie werden damit nicht durchkommen. Im Gegenteil. Sie werden zur Rechenschaft gezogen – in dieser oder in der anderen Welt. Gott lässt sich nicht spotten. Er wird Gebrauch machen von seiner Macht – wenn er es für richtig hält.

 

Wir feiern an Himmelfahrt nicht, dass Jesus plötzlich vor den Augen der Jünger, seiner Freundinnen und Freunde, verschwunden ist, sondern dass er nun die Macht in seinen Händen hält.

Himmelfahrt heißt nicht, dass Jesus weggeht und nun weit weg und hoch oben über allem schwebt, sondern – im Gegenteil – dass er nun „alles in allem erfüllt“, also allen Menschen auf ganz neue Weise viel näher ist als jemals zuvor.

Jene „Augen des Herzens“, von denen der Apostel schreibt, sind nicht gegen die Vernunft, wohl aber höher als alle unsere Vernunft, sie sehen weiter und tiefer:

Sie sehen nicht auf das, was wir erfahren, sondern auf das, was man machen kann, das, was werden wird.


Und so schließe ich mich gerne der Bitte des Apostels für uns heute an:

Er gebe uns erleuchtete Augen des Herzens,

damit wir erkennen,

zu welcher Hoffnung wir von ihm berufen sind

und wie reich die für uns bestimmte Herrlichkeit ist.

 

Unsere Stärke ist nicht die äußere Kraft und Macht, unsere Stärke liegt innen, in der Zuversicht und Hoffnung, die Welt mit den „Augen des Herzens“ anzusehen.

Menschliche Augen sehen nur unsere Gemeinde in Bobenheim-Roxheim mit oft nur geringen Mitteln und Möglichkeiten.

Die Augen des Herzens aber wissen: Wir sind nicht allein. Wir gehören zu Christus. Niemand kann uns aus seiner Hand reißen.

Christus ist unser Haupt. Alles hat Gott unter seine Füße getan. Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Das zu wissen ist genug und tut so gut!

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt Rogate - 09. Mai 2021

Predigtthema: Sophie Scholl und der standhafte Mut zum Einsatz für Frieden und Freiheit

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger - zur Hörversion der Predigt gelangen Sie hier.


Liebe Leserinnen, liebe Leser,


am 16. und 17. April wurde mit einem Festakt und einer beeindruckenden Multimedia-Inszenierung in Worms an den Wagemut Martin Luthers erinnert. Genau in diesen Tagen vor 500 Jahren weigerte er sich vor dem Kaiser und dem päpstlichen Gesandten seine revolutionären 95 Thesen gegen den Ablasshandel zurückzunehmen.

Standhaft legte er so ein Bekenntnis dafür ab, dass die tiefe Überzeugung des Gewissens nicht vor weltlichen Urteilen einknicken kann.

Das gereifte Gewissen, besonders wenn es in den Worten der Heiligen Schrift wurzelt, lässt letztlich keine andere Wahl, als an der Überzeugung festzuhalten, selbst wenn die Folge davon ein hartes Urteil vor dem Gesetz oder vor der öffentlichen Meinung ist – oder koste es am Ende gar das eigene Leben. 


In der Folge seines aus der Bibel und der eigenen Vernunft entwickelten Beharrens auf seinen Schriften wurde Luther für vogelfrei erklärt. Er schwebte nun in Lebensgefahr. Allerdings und Gott sei Dank hatte er einflussreiche Beschützer, die es vermochten die Hand über ihn zu halten.


Ich möchte heute an eine Frau und ihre Begleiter erinnern, die genauso standhaft zu ihrer Überzeugung standen. Aus ihrem christlichen Glauben heraus konnten sie nicht mitmachen bei dem, was formal zwar „Gesetz“, aber für sie offenkundig nicht „Recht“ war.

Ich rede von Sophie Scholl und anderen Studierenden der Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“.

Sie widersetzten sich, weil sie „Gott mehr gehorchten als den Menschen“, die sich als Unmenschen erwiesen.

Leider hatten sie keine einflussreichen Beschützer und auch Gott hat ihr Schicksal nicht gewendet.

Für ihr unbeugsames Eintreten für die Menschlichkeit und den Frieden

zahlten die Mitglieder der „Weißen Rose“ mit ihrem Leben.


 „Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“

Das sind Worte von Sophie Scholl. Und sie hat es gewagt auszusprechen, was andere nicht wagten. Sie und ihre Freunde verteilten Flugblätter. Darin riefen sie zum Widerstand gegen das Hitlerregime auf und dazu, den sinnlosen blutigen Weltkrieg endlich zu beenden.

Am 18. Februar 1943 wurde Sophie Scholl verhaftet. Sie war vom Hausmeister gesehen worden, wie sie gemeinsam mit ihrem Bruder Hans im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität München Flugblätter auslegte. Einen Tag später fasste man auch Christoph Propst, ein weiteres Mitglied der Weißen Rose. In Rekordzeit – schon vier Tage später - stellte man die drei vor Gericht. Der Hausmeister erhielt später 6.000 Reichsmark als „Fangprämie“.


Recht sollte in dem Prozess nicht gesprochen werden. Es war ein im Schnellverfahren durchgepeitschter Schauprozess.

Aus Berlin wurde Roland Freisler eingeflogen, der Präsident des Volksgerichtshofes; er war berüchtigt dafür, andere niederzubrüllen und zu erniedrigen.

Und doch kam auch er nicht umhin, Sophie nach ihrem Motiv zu fragen. Und sie antwortete:

„Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“


Weil sie es wagte, kann sie heute am 9. Mai nicht ihren einhundertsten Geburtstag feiern – zugegeben ein hohes Alter, das sie vielleicht nicht erreicht hätte. Aber es sagt auch kein Kind von ihr, kein Enkel, kein Urenkel: „Heute hätte die Mama, heute hätte die Oma und Uroma Geburtstag.“

Denn Sophie Scholl zahlte eben einen hohen Preis für ihren Mut. Am 22. Februar 1943 wurde sie zum Tod verurteilt.


Kurz nach der Urteilsverkündung - noch am gleichen Tag - schlug man ihr und ihrem Bruder Hans und Christoph Probst in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim mit der Guillotine den Kopf ab.

Andere Mitglieder der Weißen Rose sollten bis Kriegsende noch folgen.


„Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“

78 Jahre ist das jetzt her. Aber vergessen ist Sophie Scholl nicht. Nicht in München, nicht in Deutschland, auf der ganzen Welt kennt man diese 21-jährige Frau. Und wenn man an sie denkt – ihrer gedenkt, da schwingt oft die Frage mit:

an welchem Ort man selber wohl stehen würde.


Jeder hofft wohl: nicht an der Seite der Roland Freislers zu stehen, diesem brüllenden Lügner, Mörder und Schlächter.

Manch einer ordnet sich in die Menge der vielen ein, die in ihrem Herzen wussten und dachten, wie schlimm die Nazis, wie schlimm der Krieg ist, aber nicht wagten dagegen aufzubegehren.


Umso drängender dann die Frage: Was gab dieser jungen Frau und ihren Freunden den Mut gegen Hitler anzutreten?

Niemand wird darauf eine erschöpfende Antwort geben können. Und doch gibt es ein paar rote Fäden im Leben von Sophie Scholl, die bei der Antwort weiterhelfen.

Gemeinsam ist all diesen Fäden, dass sie mit ihrem Glauben zu tun haben.


Da wäre einmal das Elternhaus. Von der Mutter, Magdalena, genannt Lina, Scholl, kam so etwas wie das Fundament von Sophies Glauben: Abendgebet, Lieder, Kirchgang, Psalmen und die Geschichten der Bibel, damit ist sie groß geworden. Aber ohne Zwang und Angst, Lina Scholl erzählte ihren Kindern vielmehr von einem freundlichen Gott, von einem liebenden Heiland, der Mensch geworden ist, um die Welt zu erlösen und nun unsichtbar über alle wachte.


Die Worte zwischen Mutter und Tochter, kurz vor der Hinrichtung bei einem letzten Besuch im Gefängnis, gehen heute noch zu Herzen:

„Nun wirst du also gar nie mehr zur Türe hereinkommen“ sagt Lina Scholl zu ihrer Sophie.

Und dann zum Abschied: „Gelt, Sophie, Jesus.“ Und ihre Tochter antwortet: „Ja, aber Du auch.“


Der Vater war weniger kirchlich, aber gerade von ihm kam dieser mutige trotzige Glaube. Als Roland Freisler ihn beim Prozess aus dem Gerichtssaal werfen lässt, ruft er ihm laut zu: „Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit.“

Dabei war Robert Scholl selber schon vorbestraft. Er hatte Hitler eine „Gottesgeißel“ genannt und wurde 1942 dafür zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Sophie spielte ihrem Vater mit der Flöte vor den Mauern der Justizvollzugsanstalt Ulm die Melodie des alten Widerstandsliedes „Die Gedanken sind frei“ vor. Dessen vierte Strophe klingt so:

Und sperrt man mich ein / im finsteren Kerker,
das alles sind rein / vergebliche Werke;
denn meine Gedanken /  zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei: /  die Gedanken sind frei.


In ihren Tagebüchern und in Briefen schreibt Sophie Scholl viel über ihren Glauben.

Immer wieder betont sie, wie wunderbar Gott diese Welt geschaffen hat.

Ob das bei der Namenswahl der Gruppe eine Rolle spielte? „Weiße Rose“ - Rosen sind etwas Lebendiges, Schönes, Anmutiges. Zeichen der Hoffnung.

Für Sophie sogar Ausdruck von Gnade. In ihr Tagebuch schreibt sie als 19jährige:

"Auf meinem Nachttisch stehen zwei Rosen. An die Stiele und das Blatt, die ins Wasser hängen, haben sich winzige Perlen gereiht. Wie schön und rein dies aussieht, welch kühlen Gleichmut es ausstrahlt.

Dass es dieses gibt.

Dass der Wald so einfach weiterwächst, das Korn und die Blumen, dass Wasserstoff und Sauerstoff sich zusammengetan haben zu solch wunderbaren lauwarmen Sommerregentropfen. Manchmal kommt mir dies mit solcher Macht zu Bewusstsein, dass ich ganz voll davon bin und keinen Platz mehr habe auch nur für einen einzigen Gedanken.

Dies alles gibt es, trotzdem sich der Mensch inmitten der ganzen Schöpfung so unmenschlich und nicht einmal tierisch aufführt.   

Allein dies ist schon eine große Gnade."


Ihr Bruder, Hans Scholl, schreibt in einem Brief von der Front:

„In meiner Brusttasche trage ich die Knospe einer Rose. Ich brauche diese kleine Pflanze, weil das die andere Seite ist, weit entfernt von allem Soldatentum und doch kein Widerspruch zu dieser Haltung. Man muss immer ein kleines Geheimnis mit sich herumtragen.“


Einen Tag vor ihrer Verhaftung schreibt Sophie Scholl einen Brief an ihre Freundin Lisa. Sie hört dabei ein Musikstück. Es ist das Forellenquintett von Schubert. Ein Stück, das die Melodie eines Liedes über eine „launische Forelle“ aufgenommen hat.

„Ich lasse mir gerade das „Forellenquintett“ vom Grammophon vorspielen. Am liebsten möchte ich da selbst eine Forelle sein, wenn ich mir das Andantino anhöre. Man kann ja nicht anders als sich freuen und lachen. Man spürt und riecht in diesem Ding von Schubert förmlich die Lüfte und Düfte und vernimmt den ganzen Jubel der Vögel und der ganzen Schöpfung. Die Wiederholung des Themas durch das Klavier – es kann einen entzücken. Oh, ich freue mich so auf den Frühling.“

(Teile des 4. Satzes aus Schuberts Forellenquintett werden eingespielt)


 „Oh, ich freue mich so auf den Frühling.“ Sophie hat keinen Frühling mehr erlebt.


Neben diesem dankbaren Wahrnehmen von Gottes Schöpfung hatte Sophie Scholl eine weitere Kraftquelle: Das Gebet.

Bei einem Menschen, der Hitler und seinem scheinbar allmächtigen Unrechtsregime die Stirn bot, da würde man vielleicht Gebete von Stärke und Glaubenssicherheit und von einem unerschütterlichen Gottvertrauen erwarten. Jedoch genau das Gegenteil ist der Fall. In ihren Gebeten ist von Selbstzweifel die Rede und von Verzagtheit.

Sie selbst charakterisiert ihr Beten als das Stammeln eines schwachen und für Gott tauben Menschen.

Sophie Scholl empfindet sich selbst nicht als blühende dornenbewehrte Rose, sondern vielmehr als Wüste.

So schreibt sie an ihren Freund an der Ostfront, Fritz Hartnagel:

„.... gegen die Dürre des Herzens hilft nur das Gebet, und sei es noch so arm und klein... so will ich es Dir und mir stetig wiederholen: Wir müssen beten, und für einander beten, und wärest du hier, ich wollte die Hände dir falten, denn wir sind arme Kinder, schwache Sünder …. Ich bin Gott so ferne, dass ich ihn nicht einmal im Gebet spüre. Ja manchmal, wenn ich den Namen Gott ausspreche, will ich in ein Nichts versinken. Doch hilft dagegen nur das Gebet, und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, auch wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühle.“


In der Nacht vor ihrer Ermordung hat Sophie Scholl einen Traum. So erzählt sie Else Gebel, einer Mitgefangenen, sie habe ein Kind im weißen Taufkleid einen steilen Berg hinaufgetragen. Es war ein schöner klarer Tag. Plötzlich tat sich unter ihr eine Gletscherspalte auf und sie habe das Kind gerade noch retten und auf der gegenüberliegenden Seite ablegen können. Dann sei sie in die Tiefe gestürzt.
 

Else Gebel hat später für sich den Traum Sophies gedeutet: das Kind stehe für all das, wofür Sophie und ihre Freunde sich mit ihrem Leben eingesetzt hätten.

„Einer muss ja doch schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“


Sophie hat angefangen. Und viele haben weitergemacht. Bis zum heutigen Tag wagen Menschen einzutreten für ihre Hoffnungen, ihren Glauben, ihre Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit, so in Belarus und Russland, in Hongkong und in Myanmar.

Sie alle heben dieses Traumkind im Taufkleid auf und tragen den mutigen Glauben Sophie Scholls weiter.

Manch einer bezahlt dafür mit seinem Leben.


In Deutschland gibt es die Freiheit auszusprechen, was ich denke und glaube. Allerdings irren all jene am rechten Rand des politischen Spektrums, die denken ihre Pöbeleien, Verunglimpfungen, Lügen, Herabwürdigungen und die Verächtlichmachung unserer demokratischen Grundordnung müssten unwidersprochen bleiben.


Die Freiheit ist zerbrechlich und braucht mutige Menschen, die sie bewahren und verteidigen.

Denn auch die Roland Freislers sind noch da, ergreifen das Wort und greifen nach der Macht. Leider frecher und ungehemmter als in den letzten Jahrzehnten.

Deshalb ist es wichtig, Sophie Scholl nicht zu vergessen, was sie wagte und was sie dachte, was sie uns hinterließ.

Sie soll heute das letzte Wort haben. Es ist ein Gebet aus ihrem Tagebuch.

Mein Gott,
wie ein dürrer Sand ist meine Seele, 
wenn ich zu Dir beten möchte,
nichts anderes fühlend als ihre eigene Unfruchtbarkeit.
Mein Gott, 
wie ein dürrer Sand ist meine Seele. 
Verwandle Du diesen Boden in eine gute Erde, 
damit dein Samen, dein Wort nicht umsonst in sie falle,
wenigstens lasse auf ihr die Sehnsucht wachsen 
nach Dir, ihrem Schöpfer.
 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.
 

Sehr lesenswerte Informationen zu Sophie Scholl und die „Weiße Rose“ sowie Bildmaterial finden Sie auf folgenden Seiten:

https://www.evangelisches-gemeindeblatt.de/detailansicht/mit-viel-innerer-freiheit-sophie-scholl-die-unbeugsame-3007/

 

https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/sophie-scholl/

Predigt Kantate - 02. Mai 2021

Predigttext Lk 19, 37-40. Nachzulesen in der Version der BasisBibel hier.

Den eingelesenen Text aus der BasisBibel können Sie hier anhören.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Wenn Sie die Predigt anhören wollen, dann klicken Sie hier!


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

an den ein oder anderen Dorn, an dem ich mich vor Wochen beim Rosenschneiden gepikst hatte, fühlte ich mich erinnert, als ich für die Predigtvorbereitung wieder wahrgenommen habe, dass der heutige Sonntag „Kantate“ heißt: Singet!

Abgeleitet aus Psalm 98: „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“

 

Natürlich weiß man spätestens nach 25 Jahren Pfarrdienst, dass zwischen den Sonntagen „Jubilate“ (Freuet euch!) und „Rogate“ (Betet!) der Sonntag kommt, der unmissverständlich zum Singen in der Gemeinschaft auffordert – „Kantate!“ eben. 

In der jetzigen Situation aber, in der wir wegen der immer noch hohen Infektionszahlen und unserer engen Räumlichkeiten keine Gottesdienste feiern können und so besonders auf das so heilvolle, tröstende, verbindende und Hoffnung stiftende Miteinander-Singen verzichten müssen, da ist die Aufforderung „Kantate“ wie ein Stich - nicht in die Hand, sondern mitten ins Herz.

 

Was mir dann ein wenig Abhilfe verschafft hat: Ich griff mein Gesangbuch aus dem Regal, schloss Bürotür und Fenster und sang aus der Playlist meiner Favoriten: „Ich steh an deiner Krippen hier“ (besonders Strophe 4: „Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.“); „Von guten Mächten“; „In dir ist Freude in allem Leide“; „Die ganze Welt hast du uns überlassen“ (Mel. II) und „Meine Zeit“.   

 

Das Singen – auch wenn´s allein stattfand - gab mir für eine gewisse Zeit die Leichtigkeit zurück.

Die Leichtigkeit, in der man sich bei Gott ganz geborgen fühlen darf. Damit kam dann auch die Muse zurück mich mit dem Predigttext zu befassen.

 

Ihr werdet das auch schon erlebt haben – und gerade deshalb vermissen ja wohl besonders die vormals eifrigen Gottesdienstbesucherinnen und - besucher, an die ich in diesen Tagen häufiger denke – das gemeinschaftliche Singen:

Das Singen kann uns befreien, ermutigen, Sorgen und sogar Trauer leichter werden lassen. Wir können uns an Gott wenden und unsere Stimme erheben zu seinem Lob.

 

So ist es ja schon in der Weihnachtsgeschichte, wie Lukas erzählt. Da erscheinen die Engel bei den Hirten auf dem Felde, und sie preisen und loben Gott: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Lukas erzählt, wie die Hirten zum Stall liefen und allen erzählten, dass der Engel gesagt hatte: Euch ist heute der Heiland geboren. Danach, als sie wieder zurückgingen zu ihren Feldern, stimmten sie ein in den Gesang der Engel.

„Sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten“, schreibt Lukas.

 

Später haben die Jüngerinnen und Jünger Jesu an diesen Lobgesang der Weihnachtsgeschichte angeknüpft. So wie es Lukas in dem Abschnitt berichtet, der uns für heute als Predigttext vorgegeben ist.

Als Jesus auf einem Esel reitend mit seinen Leuten in Jerusalem einzog, haben diese laut gesungen.

 

Erst waren es die Hirten, jetzt sind es die Jüngerinnen und Jünger, die Gott loben über alle Taten, die sie gesehen hatten.

Wie die Geburt Jesu die Welt verändert hatte, so tun das jetzt seine Worte und Taten, sein Einzug in Jerusalem.

Anders als die Engel singen die Jüngerinnen und Jünger aber nicht vom Frieden auf Erden; sie preisen den Frieden im Himmel und die Herrlichkeit in Himmelshöhe.

 

Doch für die Mächtigen ist dieser Gesang vom Frieden gefährlich, denn Frieden heißt nicht bloß, dass kein Krieg herrscht, sondern dass Gott umfassend Wohlergehen und Gerechtigkeit für jeden Einzelnen und die Gemeinschaft will.

 

Zurecht wittern die Mächtigen die Gefahr für sich, die vom Frieden im Himmel ausgeht, denn sie wissen: Gott kann den Himmel öffnen und in die Menschenwelt hineinwirken. Kann Regen schicken oder Manna, aber auch Segen und Frieden.

Längst ist es für sie wohl mehr als nur ein Ahnen: In Jesus wird das Reich Gottes, werden Frieden und Gerechtigkeit auf Erden sichtbar und greifbar.

 

„Stimmt ein in unser Loblied auf den König, der im Namen des Herrn kommt“, singen die Jüngerinnen und Jünger mit lauter Stimme, und das stellt die religiöse und politische Macht radikal in Frage.

Denn die Hoffnung auf Gottes Reich ist wie das weiche Wasser, das schließlich doch den Stein bricht.

 

Und während der Gesang immer kräftiger und auch von weitem schon vernehmbar wird, stellen sich ausgerechnet Pharisäer, mit denen Jesus so manches Streitgespräch geführt hat, auf seine Seite und raten ihm, dass seine Jüngerinnen und Jünger doch lieber schweigen und nicht so euphorisch singen und jubeln sollen. Je weniger Aufsehen um seine Person gemacht wird, desto sicherer wäre er vor verdächtigen Blicken der römischen Besatzungsmacht und der jüdischen Oberschicht und ihrer Entourage.

 

Aber wie so oft erstaunt Jesus mit seiner Antwort wieder einmal alle.

Nein, sie sollen weiter singen. Vom Frieden Gottes und von seiner Herrlichkeit.

Die Wahrheit des kommenden Friedens lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Denn, so folgert Jesus, wenn man sie zum Schweigen brächte, so würden die Steine schreien.

Steine schreien? Das Wort Jesu klingt zunächst sehr rätselhaft. Es wird aber verständlicher, wenn man im Lukasevangelium weiterliest. Da erzählt Lukas nämlich, wie Jesus über die Stadt Jerusalem weint, weil er die kommende Zerstörung voraussieht: „Sie werden dich, Jerusalem, dem Erdboden gleichmachen,“ sagt Jesus, „und keinen Stein auf dem andern lassen in dir.“

 

So schreien die Steine, sie ächzen und wehklagen unter der Zerstörung. Und sie schreien damit hinaus, wie Jerusalem den kommenden Frieden verpasst hat.

Unter Tränen sagt Jesus bei Lukas: Wenn du, Jerusalem, doch „erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient!“

Von der Hoffnung auf den künftigen Frieden singen beide: die Jüngerinnen und Jünger in ihrem Lobgesang und die Steine in ihrem stummen Schrei.

 

So schreien Steine bis heute und mahnen zum Frieden. Die Reste des Tempels in Jerusalem sind bis heute für die Juden der Ort der Klage und zugleich der Ort der Hoffnung auf Gottes Rettung.

 

In unserem Land sind auch manche Ruinen des Krieges nicht beseitigt worden.

Die Steine schreien auch nach mehr als 75 Jahren: Sie erinnern an die Opfer von Gewalt und Krieg, und sie mahnen zum Frieden: Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin; St. Nikolai, die ehemalige Hauptkirche in Hamburg, oder St. Christoph auf dem Mainzer Karmeliterplatz.

 

Die stummen Schreie der Steine können so stark sein, dass sie bis heute Machthabern Angst machen.

Als die Fanatiker der Organisation „Islamischer Staat“ vor einigen Jahren weite Gebiete Syriens und des Iraks erobert hatte, wurden unter anderem die Ruinen uralter Kulturdenkmäler zerstört. Offenbar war die Botschaft der Steine sehr bedrohlich. Doch ihr Schreien lässt sich nicht unterdrücken.

 

Es sind ja nicht nur die Steine, die schreien. Wenn Menschen zum Schweigen gebracht werden, dann kann die Erde schreien.

So wie es am Anfang der Bibel erzählt wird, als Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte. Da spricht Gott zu Kain: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“

 

Doch die Erde schreit natürlich nicht nur das Unrecht und die Klage hinaus. Sie ist auch voller Gotteslob.

Die ganze Schöpfung erzählt von der Herrlichkeit Gottes, wie sie in den Psalmen besungen wird: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt´s dem andern, und eine Nacht tut´s kund der andern, ohne Sprache und ohne Worte, unhörbar ist ihre Stimme“ (Psalm 19,2-4).

 

Wie die stummen Schreie der Steine ist auch der Lobgesang der Kreatur ohne den Klang einer Stimme. Dennoch kann man beides wahrnehmen, die Mahnung und den Lobpreis – in der Zerstörung und in der Schönheit der Natur.

Beides soll im Singen zur Sprache kommen.

 

In Jerusalem singen die Jünger vom himmlischen Frieden, während die Steine vom Unfrieden auf der Erde schreien. Beides gehört zusammen.

Wer nur von der Herrlichkeit Gottes singt, verliert die Bodenhaftung.

Vom künftigen Frieden in Gottes Reich lässt sich glaubwürdig nur singen, wenn auch der Unfriede der Welt zur Sprache kommt.

Und umgekehrt: Wer nur das Unrecht unserer Zeit herausschreit, verliert den Glauben an eine bessere Welt.

Damit uns nicht die Luft ausgeht, brauchen wir im Kampf gegen Unfrieden und Gewalt die Kraft der Hoffnung.

 

Kantate! Singet!

Das Singen wird zum Ausdruck gelebten Glaubens, wenn beides zusammenkommt: Dass wir nicht nur die schönen Lieder singen, in denen wir Gottes Herrlichkeit preisen, sondern auch das Unrecht herausschreien, das wir erleben.

Wenn wir von dem Frieden singen, den Christus uns gebracht hat, dann gehört dazu, dass wir auch sehen, wie viel Unfrieden es in der Welt gibt, wie Menschen leiden unter den Folgen von Krieg und Verfolgung.

„Unfriede herrscht auf der Erde. Kriege und Streit bei den Völkern und Unterdrückung und Fesseln zwingen so viele zum Schweigen“, wie es in EG 663 heißt.

Stellvertretend für sie müssen wie unsere Stimme erheben.

Genau damit beauftragt uns auch der Monatsspruch für den Monat Mai:

„Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen.“

Nachzulesen im Buch der Sprüche Salomos im 31. Kapitel.

 

Wenn wir in der Osterzeit davon singen, wie Gott neues Leben schenkt und uns frei atmen lässt, dann gehört dazu, dass wir einstimmen in die Rufe der amerikanischen Bewegung gegen Rassismus: „I can´t breathe – ich kann nicht atmen“.

Das hatte George Floyd im Mai letzten Jahres mehrfach gerufen, bevor er von Polizisten für immer zum Schweigen gebracht wurde. Nicht die Steine, sondern Millionen von Menschen weltweit schreien das Unrecht heraus.

 

Und auch dies: Wenn ein beschwingtes Lied in uns aufsteigt, weil durch die Impfungen jetzt wirklich ein helles Licht am Horizont unserer Ängste aufsteigt, und wenn wir selbst schon geschützt sind, müssen wir dennoch auch die Klage anstimmen über alle, die Opfer dieser Pandemie geworden sind – Tote, grad vor wenigen Tagen ein lieber Nachbar, den ich nur aktiv und fröhlich kannte – aber auch Angehörige von Verstorbenen und auf jeden Fall auch die Pflegekräfte auf unseren Intensivstationen, von denen viele schlicht am Ende sind mit ihrer physischen und psychischen Kraft. Viel zu lang schon zehren sie von ihrer Substanz mit Folgen, die wohl in der Zukunft erst voll sichtbar werden als Überlastungssyndrom.

Der dankbare Applaus der Wohlmeinenden wird dann nicht mehr helfen.

Die schreiende Ungerechtigkeit: Nicht selten müssen die Pflegenden fast Übermenschliches leisten, weil Menschen immer noch und immer wieder ignorant und fahrlässig, manchmal aber einfach nur dumm gegenüber dem Corona-Virus handeln.

 

Kantate! Singet!

Ja, wahrlich, manchmal ist´s wirklich schwer.

Manchmal ist da bloß noch ein Krächzen, wo vorher eine volle Stimme war.

Und natürlich sehnen wir uns alle danach endlich wieder miteinander singen zu können.

Aber bis dahin können wir doch etwas tun: Wir können Gottes Segen erbit ten.

Vielleicht erst mit mehr Frosch als Ton in der Stimme. Dann aber wird´s mit der Zeit besser werden, immer klarer und leichter.

Und wenn wir dann alle dasselbe Segenslied singen und uns so miteinander verbunden wissen, dann werden wir die Zeit noch gut überstehen, bis wir endlich wieder miteinander Gott die Ehre geben können.

Herr, wir bitten, komm und segne uns, lege auf uns deinen Frieden.

Segnend halte Hände über uns. Rühr uns an mit deiner Kraft.

In die Nacht der Welt hast du uns gestellt, deine Freude auszubreiten.

In der Traurigkeit, mitten in dem Leid, lass uns deine Boten sein. (EG 610)

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt Jubilate - 25. April 2021

Predigttext: Apostelgeschichte 17, 16-34 - hier nachzulesen. Anhören können Sie den Predigttext hier.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger. 

Die eingelesene Version dieser Predigt können Sie hier anhören.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Leserin, lieber Leser,

vor wenigen Tagen wurde unter anderem mit einer imposanten Multimedia-Inszenierung an der Wormser Dreifaltigkeitskirche sowie einem Fernsehgottesdienst aus der Magnuskirche an Martin Luthers mutigen Auftritt auf dem Wormser Reichstag 1521 erinnert.

Seine Weigerung im Angesicht von Kaiser Karl V. und dem päpstlichen Gesandten Aleander seine Lehren zu widerrufen, gilt als Schlüsselmoment der Kirchengeschichte. Der evangelischen zumal.


Papst und Kaiser die Stirn zu bieten, gestützt allein auf die Bibel, das eigene Gewissen und die daraus resultierende innere Haltung, das setzte enorme Kräfte frei.

Bundespräsident Steinmeier bezeichnete Luthers Verteidigungsrede gar als „europäische Sternstunde des erwachten individuellen Gewissens.“

Man kann scheinbar gar nicht groß genug davon reden und schreiben, was der standhafte Auftritt Luthers in Gang setzte und bewirkte.


Von einem anderen Aufrechten, der Haltung und auch Mut beweist, Paulus nämlich, erzählt unser heutiger Predigttext.

Über das Ergebnis seines Auftritts heißt es: „Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.“

Wollte man´s im Bild vergleichen, müsste man wohl sagen: Luthers Auftritt auf dem Reichstag in Worms löste Flutwellen aus.                     

Der Auftritt des Paulus auf dem Areopag in Athen, von dem wir heute hören, verursachte demgegenüber eher ein Rinnsal. 

Und doch kam dort was in Fluss. Rinnsale sind´s, die Bäche speisen. Wo mehrere zusammenkommen, werden Flüsse daraus, später Ströme, die sich irgendwann ins Meer ergießen.


Luthers Widerrufsverweigerung als „Weltereignis“, wie es Ministerpräsidentin Malu Dreyer bezeichnete, wäre nie möglich gewesen, ohne den Glauben, die Erkenntnis und Standhaftigkeit seines theologischen Lehrmeisters Paulus 1.500 Jahre vor Luther.

Unser Predigttext aus der Apostelgeschichte zeigt mir, dass Paulus und Luther wohl aus demselben Holz geschnitzt waren. Beiden verhalf ihr Glaube und die daraus resultierende Haltung zu Sicherheit und Freiheit, die nichts und niemand fürchten musste.


Auf seiner zweiten großen Missionsreise, die ihn irgendwann in die damalige Welthauptstadt Rom führen sollte, macht Paulus Halt in Athen.

Immer noch ist er bald unermüdlich getrieben von dem Bestreben, das Evangelium unter die Leute zu bringen.  

Man kann ihn ohnehin schon wegen seiner unablässigen Missionsreisen bewundern. Er hat die Brücke zwischen Israel-Palästina und Europa geschlagen und das Christentum hergebracht. Aber seine Besuche gingen doch sonst eher sehr unauffällig ab und unter wenig Aufsehen erregenden Bedingungen.

In der Regel suchte er sich eine jüdische Synagoge, und er predigte vor ehemaligen jüdischen Glaubensgenossen. Wenn es hochkam, waren auch Neugierige dabei, die sich mit der fremden Religion befassten.

Aber alles war „kein großer Aufstand“.


Hier in Athen war das ganz anders! – Keine schützenden Wände einer Synagoge, keine Glaubensgenossen! Hier wehte ein anderer Wind.

Paulus steht auf dem Areopag unterhalb der Akropolis!

Das ist eine uralte Gerichtsstätte.

Wenn man da stehen kann, wie es mir schon zwei Mal vergönnt war, können einem heilige Schauer überkommen, wenn man an die Jahrtausende alte Geschichte denkt, die man da fast greifen kann.

Athen, Stadt der griechischen Götter, Weltstadt der Antike, Ort der Philosophie und der höchsten Geisteswissenschaften.

Sokrates, Plato und Aristoteles haben hier gewirkt, Medizin wurde gelehrt, Mathematik, Physik, Rechtslehre. Vieles davon wirkt immer noch in unsere eigene Kultur hinein.

Man muss kein besonderes Gespür haben, um diesen Ort als geheiligt zu empfinden.

Zur Zeit des Paulus aber ist Athen schon seit Jahrzehnten besetzt und geschlagen von den fremden römischen Herrschern.

Tief gedemütigt. Bedeutungslos geworden. 

Nur noch alte Scherben statt imposanter Götterdramen.

Die Menschen dort werden gelitten haben unter dieser Demütigung.

Aber neugierig, wissensbegierig und durstig nach neuen Hoffnungen, das waren sie noch immer.

Und Paulus steht mitten unter ihnen.

Inmitten all der Geschichte, mitten unter Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft, die allermeisten aber gut gebildet.

 

Nach der Beschreibung der Bibel würde man heute sagen, Paulus war ein komischer Kauz,

nicht grad von schöner Gestalt, ums mal vorsichtig auszudrücken und dann ist er auch noch sehr schwer zu verstehen, als er zu sprechen anfängt, denn er hatte einen ausgeprägten Sprachfehler.

 

Ob ihm da nicht auch, trotz aller inneren Haltung, die Knie gezittert haben?

In seiner Rede knüpft Paulus an ein Bildnis an, das er in einer Athener Straße gesehen hat, vielleicht einen kleinen Steinaltar.

 

Da wird „die unbekannte Gottheit“ verehrt. Wohl Folge eines alten Aberglaubens, dass es nicht gut ist, einen mächtigen Gott zu übersehen oder zu missachten. Für alle gab´s ja Statuen – also auch für eine „unbekannte Gottheit“, um ja nichts falsch zu machen und keinen der doch oft so eifersüchtigen Götter zu vergessen.

 

Auf einem Hocker stehend darf Paulus seine Predigt entfalten, und die ist eine der ersten zusammenhängenden Darstellungen christlichen Glaubens, die wir besitzen.

Paulus beschreibt den für die Athener unbekannten Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Er spricht von der Erschaffung des Menschen, erzählt vom Lebensraum und den Grenzen, die Gott den Menschen gesetzt hat, um die Erde zu bewohnen. Er spricht von der Nähe Gottes zu den Menschen.

„Denn in Gott leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“

Also Gott nicht oben im Himmel über uns; auch nicht vorne, am Ziel der Geschichte bloß;

auch nicht Gott in uns als das Gewissen – sondern du, ich, in ihm, wie in Psalm 139: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“

Das kann man sich denken, wie ein noch ungeborenes Kind im Leib der Mutter. Das Kind lebt von ihr, in ihr, mit ihr.

So umfassend muss man Gott glauben. Sagt Paulus.

 

Nicht als Urbeweger oder Gesetzgeber oder Richter weit weg, nicht als theoretisches Gehirn der Weltgeschichte – sondern als Vater/ Mutter des Lebens.

Der Grund, die Erde, aus der wir leben und blühen, er ist die Wirklichkeit: das Gute Ganze. Gott.

Deshalb: „In ihm leben, weben und sind wir von ihm, zu ihm, durch ihn; und noch stärker: Keiner lebt sich selber, keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir aus Gott, sterben wir, so sterben wir in Gott, ob wir gleich leben oder sterben, wir sind sein“, wie Paulus im Römerbrief schreibt.
 

All das sind ganz neue Töne für die Athener, die sich spätestens seit der Machtübernahme durch die Römer von allen guten Göttern verlassen fühlen.

 

Und dann ein großer, großer und doch ganz einfacher Satz: Wir sind göttlicher Herkunft.

Von einem Gott, der aus seinem Olymp zu den Menschen herabsteigt, um ihnen nahe, ja stets bei ihnen zu sein, haben die Athener bei allen klugen Philosophien, Dramen und Wissenschaften erst recht noch nie etwas gehört.

 

Ich stelle mir vor, wie der erst zaghafte kleingewachsene Paulus innerlich an Größe gewinnt. Er hat den richtigen Ton für diese Menschen getroffen, überzeugend, aber nicht überheblich. Sie sind stehen geblieben.

Sie laufen nicht weg. Sie wollen hören, was da noch kommt.

 

Und dann spricht Paulus von Jesus Christus.

Auch von Umkehr und von Auferstehung. Darauf läuft alles hinaus.

Das Thema, an dem sich immer die Geister scheiden. Paulus weiß das.

 

Am Ende wird berichtet, dass auch genau über diese Frage sich die Menschen in Athen scheiden werden. Die Einen spotten. Die Anderen wiegeln ab und sagen: „Ach, darüber lass uns mal ein anderes Mal reden.“

 

Für die Menschen in Athen ist das alles neu, was Paulus zu sagen hat.

Für sie, die seit Generationen nur darauf warten, dass endlich etwas geschieht, das die Welt verändert, die Beschämung und Bedrückung durch Besatzer aufhebt, ist das etwas unvorstellbar Neues, kaum Begreifliches.

 

Paulus setzt einen Zukunftsgedanken.

Er – Gott – wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit.

Mit anderen Worten: Er wird allen Menschen Recht schaffen.

 

Lassen wir das ganze Wie und Was weg:

DASS Gott die Welt nicht so enden lässt, wie sie sich entwickelt;

DASS Gott eingreift und eingreifen wird -

für alle, die unter Unrecht und Unterdrückung, unter Missachtung und Verachtung leiden, die gedemütigt werden, weil ihnen das, was sie zu einem einfachen Leben brauchen, vorenthalten wird, auch für Athener, die nicht mehr als Sklaven Roms sind, ist das ein starkes Signal.

 

Dass Gott "den Erdkreis mit Gerechtigkeit richten will", ist also keine Schreckensbotschaft, sondern ein Ausdruck der Hoffnung. Die Ungerechtigkeit hat nicht das letzte Wort.

Mit der Auferweckung Jesu von den Toten ist schon mitten im Alten die Umkehrung der Verhältnisse angebrochen. Die Welt kann also anders werden. 

Das heißt: Gott eröffnet für seine Schöpfung eine hoffnungsvolle Perspektive. Und er ermutigt uns, um diese Hoffnung zu beten und aus ihr zu handeln.

 

In Athen ist der Missionsarbeit des Paulus ein großer, sichtbarer Erfolg versagt geblieben.

Keine Gemeinde ist dort entstanden. Dionysius, Damaris und wenige andere wurden gläubig. Das war´s dann auch schon.

Dass das Wort Gottes, wie es beim Propheten Jesaja heißt, "nicht leer zurückkommt" (Jes 55,11), ist aber offensichtlich nicht immer unmittelbar an dem abzulesen, was vor Augen sichtbar wird.

Das kann uns vor Entmutigung bewahren.

 

Unsere Aufgabe ist es ja sowieso nicht, nachzuzählen, wie viele Menschen das Wort Gottes erreicht hat.

Unsere Aufgabe ist es, uns mit Paulus getrost auf den Markt der religiösen Angebote zu begeben und dort für das einzustehen, was wir glauben, was uns Halt gibt und Hoffnung und was uns stärkt zu jeder guten Handlung.

 

Wir müssen keine Wellen anschieben, die dann zu Flutwellen werden.

Rinnsale sind´s, die Bäche speisen. Und wo mehrere zusammenkommen…  

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

 

 

 

Predigt Miserikordias Domini - 18. April 2021

Predigttext Ezechiel 34, 1-16.31 - wird während der Predigt gelesen.

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer.

Die eingelesene Version dieser Predigt können Sie hier anhören.


Liebe Onlinegemeinde,

 

ich grüße Sie mit dem Wochenspruch für die heute beginnende neue Woche aus dem Johannes-Evangelium:

"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben."


Am heutigen Sonntag „Miserikordias Domini“ werden wir an die Barmherzigkeit Gottes erinnert und schauen auf den guten Hirten.

 

Der Predigttext steht im Buch Ezechiel im 34. Kapitel und wird während der Predigt gelesen.

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

 

Was wünschen Sie sich für unsere Welt?

Auf Anhieb fällt mir vieles ein: Das Ende aller Krankheiten, das Bewältigen der Corona-Pandemie, ein Ende von Krieg und Gewalt. Kein Hunger mehr, keine Umweltzerstörung, keinen Hass.

Geht es Ihnen manchmal auch so – als erstes fällt einem ein, wie es nicht sein soll.

Also folgt natürlich jetzt die Frage, wie sollte es sein?

Es sollte gerecht zugehen in der Welt, ehrlich und lebensbejahend.

Ich sehne mich nach einer Welt, in der mehr Liebe unter den Menschen spürbar ist, in der Gerechtigkeit und Vernunft herrschen. Eine Welt der Freiheit und der Fürsorge für die Schöpfung. Eine Welt, in der die Meinungen der Anderen Gewicht haben und geachtet werden, wie unterschiedlich sie auch sein mögen.

 

Doch unsere Welt ist nicht so.

Sie war es auch früher nicht. Wenn wir zurückgehen in der menschlichen Geschichte, finden wir genug Beispiele davon. Denken Sie nur an Kain und Abel – das biblische Zeugnis stellt dar, dass schon zu Anbeginn Neid und Streit in Gewalt münden.

Gott hatte es anders vorgesehen. Doch wir Menschen sind frei zu wählen, wie wir handeln. Gottes Sehnsucht ist es, dass die Welt so wird, wie sie sein könnte. Gott tritt in Beziehung zu Menschen, teilt die eigene Sehnsucht mit, ebenso seinen Unwillen darüber, dass es anders ist.

 

Auch der Predigttext zum heutigen Sonntag schildert, wie es ist und wie es sein sollte im menschlichen Miteinander, wie es sein sollte im Gottesvolk Israel. Worte und Vorstellungen, geschrieben in einer Zeit, in der dieses Volk sein Land verloren hatte, in der Verbannung lebte und eigentlich gescheitert war.

 

Der Prophet Ezechiel lebte selbst im Exil. Für ihn war es folgerichtig, dass Gott Israel bestraft hat, weil es sich anderen Göttern zugewandt und nicht nach den Weisungen Gottes gelebt hat. Ezechiel schreibt vom Unheil, das Israel trifft und der Prophet hält Gottes Anklage gegen sein Volk fest.

 

Wir lesen Verse des Propheten Ezechiel im 34. Kapitel, zunächst die Verse 1 – 4:

Und des Herrn Wort geschah zu mir:

Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?

Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden.

Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt.

 

Das ist mal ein deutliches Bild: Die von Gott Beauftragten erfüllen nicht das, was nach Gottes Weisungen gelebt werden soll. Sie leben selbst nicht danach, sondern suchen ihren eigenen Vorteil.

Gottes Weisungen zielen auf Gerechtigkeit ab, auf Miteinander und darauf, dass alle versorgt sind und niemand mehr für sich beansprucht, als benötigt wird.

Gott selbst wünscht sich Gerechtigkeit in der Welt. Stattdessen ist die Welt zersplittert, haben die einen viel, die anderen wenig; in der Folge zerfällt Gesellschaft; Machtgier und Krieg zerstören die Ordnung; das Gottesvolk ist herausgerissen.

 

Bei Ezechiel fährt Gott fort:

Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut.

Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet.

 

Aus diesen Worten spricht Kummer, Enttäuschung, Leid: Gott ist traurig über das Schicksal der Menschen, Gott leidet mit dem Volk in der Verbannung. Gottes Sehnsucht wird sichtbar: Sehnsucht nach Veränderung zum Besseren hin. Sehnsucht nach einer Welt, in der Gerechtigkeit lebendig ist, eine Welt ohne dass die einen die anderen bedrücken und ausbeuten.

Im biblischen Text des Propheten Ezechiel heißt es weiter:

Darum hört, ihr Hirten, des Herrn Wort!

So wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr: weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, darum, ihr Hirten, hört des Herrn Wort!

So spricht Gott, der Herr: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

 

Hier ist Gottes Ärger zu spüren, sowie der starke Wunsch nach Veränderung. Alles soll anders werden. Das leidende Volk soll Rettung erfahren.

Das sind nicht die Worte eines fernen Gottes ohne Interesse für die Schöpfung, für seine Menschenkinder.

Hier kommt zur Sprache, dass Gott nahe sein will und sich nähert; weil das eine nicht funktioniert hat, will Gott anders werden, sich Israel anders zeigen als zuvor.

 

Wir lesen weiter von Ezechiel:

Denn so spricht Gott, der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.

 

Wir kennen das Bild von Gott als dem guten Hirten. Vielen von uns fallen dabei die ersten Zeilen des 23. Psalmes ein: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zu frischem Wasser.“

Gott, der sich der Menschenkinder annimmt wie ein guter Hirte; dieses Bild hat auch Jesus für sich übernommen.

In seiner Frühzeit lebte das Volk Israel nomadisch, man zog mit den Herden von einer Weidemöglichkeit zur nächsten. Die Aufgaben eines Hirten waren Alltag und von seiner Arbeit hing das Leben der Gemeinschaft mit ab. Heute gibt es kaum noch Hirten, doch es ist klar, worauf es ankommt.

 

Im Bibeltext wird noch einmal deutlich beschrieben, was einen guten Hirten ausmacht:

Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.

Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und allen Plätzen des Landes.

Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.

Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott, der Herr.

 

Was verloren ist, wird mit aller Anstrengung gesucht, die Herde wird zusammengehalten, die besten Weideplätze werden genutzt und stets darauf geschaut, dass es den Tieren gut geht. Leicht lassen sich diese Bilder übertragen auf die Menschen, um die es geht: Das Volk Israel, das darauf wartet, in die Heimat zurückzukehren, frei zu sein, gut leben zu können.

 

In Christus sind wir Teil des Gottesvolkes – und so, wie die Bilder vom guten Hirten uns gelten, sprechen die Zusagen Gottes aus dem Prophetenbuch Ezechiel ebenso uns an. Denn wer wollte sagen, dass unsere Welt nicht besser sein könnte? Auch unser Land – auch bei uns gibt es Armut, Unterdrückung, Gewalt, Korruption und Machtmissbrauch.

Wo das deutlich vor Augen steht, erwacht da nicht die Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit?

 

Bei Gott ist diese Sehnsucht spürbar; ich lese weiter aus Ezechiel:

Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

 

Daraus spricht die Sehnsucht nach Gerechtigkeit: Denjenigen helfen, die es brauchen, eine Balance herstellen, das verändern, was das Gleichgewicht stört. Was schwach ist, soll gestärkt werden, was wohlbehalten ist, soll behütet sein.

Gottes Sehnsucht ist unsere Sehnsucht. Die Worte des Propheten Ezechiel können uns dies neu bewusst machen, den Wunsch nach Veränderung für die Welt.

Als Christinnen und Christen sind wir gerufen, daran mitzuwirken in der Nachfolge Jesu. In unserem Glauben werden wir dafür gestärkt – auch durch Gottes Zusage:

Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott, der Herr. Amen.

 

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.  Amen.

Predigt Qusimodogeniti - 11. April 2021

Predigttext Joh 21, 1-14 Hier können Sie die Bibelstelle lesen.

       Die Bibelstelle können Sie sich hier vorlesen lassen.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

      Wenn Sie die Predigt hören wollen, klicken Sie bitte hier.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Leserin, lieber Leser,

sie sind in ihren Alltag zurückgekehrt, die sieben Jünger Jesu, von denen der Evangelist Johannes uns heute berichtet.

Damit handeln sie damals schon nicht anders, wie wir es auch heute noch vielfach tun, wenn emotional überwältigende Ereignisse uns aus der Bahn zu werfen drohen.

Nach Abschieden, Trennungen, Nachrichten über schlimme Erkrankungen oder nach Todesfällen, die wir verkraften müssen, versuchen auch wir möglichst bald wieder unseren gewohnten Alltag zu leben, denn das Vertraute gibt Sicherheit und Struktur. Lange eingeübte Verrichtungen garantieren Verlässlichkeit, wenn alles zu fallen scheint und sich das Leben wieder einmal als unfair erweist.

Ja, wahrlich, das Leben ist nicht fair.

Es braucht große Tapferkeit, nicht klein bei zu geben und sich den Alltag zurück zu erobern.

Ein Rezept dafür gibt es nicht. Vielen hilft reden, erzählen. Bloß nicht stumm bleiben. Bloß nichts in sich hineinfressen. Reden und Weinen, das hilft ein wenig.

Und um Hilfe bitten, wenn’s zu schwer wird, ums allein zu tragen.

Die Nachbarn fragen, die Freundinnen; Gott selbstverständlich.

Und immer wieder: Erzählen. Wer nicht verzweifeln will, darf nicht verstummen. Braucht etwas Tapferkeit.

Es ist keine Antwort auf schwere Fragen. Aber eine Haltung.

Ich will möglichst aufrecht bleiben, darf nicht nur weinen; ich will noch ein wenig für mein Leben und meine Lieben sorgen. Die Familie, die Enkel, wer damit gesegnet ist. Aber auch für Hund oder Katze, den Garten oder die Blumen auf der Fensterbank.

 

Ob die Jünger viel miteinander geredet haben, nach allem, was sie erlebt hatten?

Draußen auf dem See ging das nicht, da sollte schon Ruhe herrschen, aber nach dem Einholen und Säubern der Netze, erst Recht beim Netze Flicken blieb Zeit, das Geschehene Revue passieren zu lassen. Die mit Jesus erlebte Geschichte aus der je eigenen Sicht nachzuerzählen.

 

Ja, so kann ich mir das gut vorstellen, wie sie da am Ufer nahe der Boote beieinander waren in wechselnden Grüppchen und erzählten, was sie erlebt hatten.

Von den machtvollen und überzeugenden Predigten Jesu, mit denen der so vielen Menschen Hoffnung schenkte. Aber auch wie er heilte, zu den Ausgestoßenen ging, um sie wieder in die Gemeinschaft hereinzuholen. Aber auch wie er die Mächtigen aufsuchte, um ihnen ihren Wahn, sie seien etwas Besonderes, auszutreiben.

Und natürlich über die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Zeit werden sie erzählt haben.

Wie ein Teil der religiösen Oberschicht sich gegen Jesus verbündete, das Volk aufwiegelte, ihm dann den Prozess machte und wie der römische Statthalter Pontius Pilatus dann einknickte und der Hinrichtung zustimmte.

Jesus musste sterben. Das war für sie alle ein großer Schock.

Von Angst erfüllt und zugleich voller Trauer flohen sie. Nur weg aus Jerusalem.

Man kann sich ihren Zustand kaum vorstellen

 

Und es sollte ja noch schlimmer kommen. Drei Tage nach seinem Tod verschreckten einige Frauen die Jünger:

Sie hatten Jesus gesehen, er war auferstanden. Sie waren ihm begegnet auf eine besondere Art und Weise, die sie tief bewegte und erschütterte.

Inzwischen war Jesus auch anderen erschienen. Sollte man das für möglich halten? Oder hatte hier die große Trauer den Menschen einen Streich gespielt?

 

Der Austausch miteinander hatte ihnen geholfen sich tapfer erneut dem Leben zu stellen und ihr Alltagsgeschäft wieder aufzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Und nun dieser Morgen.

Da stand er auf einmal. „Als es aber Morgen war, stand Jesus am Ufer“.

Was jetzt geschah, muss ihnen vorgekommen sein wie das, was wir ein Déjà vu nennen, die seltsame Erfahrung, etwas schon einmal erlebt zu haben.

Der geheimnisvolle Fremde, den sie nicht erkannten, bat sie, noch einmal die Netze auszuwerfen und Fische zu fangen – ganz wie am Anfang, als er sie berufen hatte.

Eigentlich völlig zwecklos am helllichten Tag nochmals auszufahren.

Das widerspricht aller fachmännischen Erfahrung.

Und doch: Sie machten wieder einen großen Fang.

Dann setzten sie sich hin und aßen mit dem Fremden. Man kann sich vorstellen, dass sie gar nicht so richtig verstanden, was hier gerade vor sich ging.

 

Aber dann geschieht es: Als er sie bittet, mit ihm zu essen, erinnern sie sich wieder, wie oft er mit ihnen gegessen hatte. Und da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: Er ist es wirklich.

Über Wissen und Verstand sind sie gewiss: Es ist der Herr und Heiland!

 

Dann erzählt Johannes, der Evangelist, ganz einfach und trocken: „Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt‘s ihnen, desgleichen auch den Fisch.“

 

Mehr erfahren wir nicht. Das brauchen wir auch nicht. Es ist völlig klar: Es ist Jesus. Was er immer gesagt hatte, nämlich, dass er auferstehen wird, ist geschehen.

Das war der Moment, in dem die Angst und der Zweifel, jedenfalls für diesen Moment, von ihnen fiel. Sie waren wieder die Jünger, die sie damals waren: Und er mitten unter ihnen.

 

Daraus lese ich:

Jesus Christus wartet auch auf uns. Wartet am Rand unserer Nächte, am Ufer unsrer Trauer, der Abschiede, der Tränen und der Angst.

Wartet am Beginn des Tages, wenn wir darunter leiden, wie leer alles geworden ist.

Hält uns an zur Tapferkeit und sagt: Wirf das Netz wieder aus, auch, wenn alles dagegen zu sprechen scheint.

Er wartet auf uns als der, der genau weiß, was uns fehlt.

 

Für die Jünger Jesu war das der Neubeginn, Entstehung der starken Gemeinschaft derer, die sich um Jesus versammeln – oder besser gesagt: Die Jesus um sich versammelt.

Der Same, aus dem später die Kirche erwachsen sollte.

 

Es entstand damals eine Hoffnung und eine Kraft, sich wieder auf den Weg zu machen und das, was Jesus begonnen hatte, fortzuführen.

 

Und wenn wir uns heute fragen: Was wird aus der Kirche, wohin führt uns der Weg? Wenn wir heute unsicher werden oder in Zweifel geraten, weil doch so viele Menschen sich von der Kirche und vom Glauben abwenden: Es sind diese alten Geschichten, die in uns die Hoffnung wieder wecken wollen.

 

Vielleicht habt ihr es noch im Ohr:

An Ostern ging es um die Erzählung von der Befreiung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten als Urerfahrung der Menschen mit Gottes Willen.

Heute also hören wir von der Befreiung aus der Knechtschaft des Todes, der Leere und der Angst vor der Zukunft.

Diese Hoffnungsgeschichte erzählen wir weiter.

Wir erzählen sie am Grab, wenn wir um Menschen trauern.

Wir erzählen sie bei der Taufe, wenn wir uns über ein neugeborenes Menschenkind freuen.

Wir erzählen sie Weihnachten, wenn selbst Menschen, die lange nichts mehr von Gott gehört haben, in die Kirchen kommen oder sich mit vielen anderen, wie im letzten Jahr bei uns, den Gottesdienst via Internet ins Wohnzimmer holen, weil sie sich davon etwas erhoffen. Und wie dankbar viele waren. Wie auch jetzt beim digitalen Ostergottesdienst.

 

Wir erzählen diese Hoffnungsgeschichten unseren Kindern und Enkeln, damit der Faden zu Gott nicht abreißt.

Wir erzählen sie, wann immer wir gefragt werden, was es denn mit dem Glauben auf sich hat, was uns trösten, ermutigen und begeistern kann. Und was uns schließlich auch hilft, tapfer zu sein gegenüber dem oftmals unfairen Leben.

 

Zum Glauben und zur Hoffnung kommen wir nicht durch Argumente und durch

Logik. Zum Glauben können wir nicht überredet werden. Glaube entsteht in dem Moment, in dem uns diese alten Geschichten so berühren, so unmittelbar angehen, als wären sie eben geschehen, wenn wir sie so hören – als wären sie eben zum ersten Mal erzählt worden, grad für dich und für mich. Geschichten davon, wie Gott uns im Leben begegnet als der, der befreit, der den Tod überwunden hat.

 

Was dann entsteht, nennen wir Hoffnung. Glauben über den Augenschein hinaus. Wenig später, nach dieser Geschichte am See, wird Thomas Jesus bitten, ihn berühren zu dürfen. Jesus lässt es zu, wohl wissend, dass diese Berührung nichts bringen wird, wenn nicht das Herz zuerst berührt wird. „Selig sind“, heißt es dann, „die nicht sehen, aber doch glauben“.

 

So ist es bis heute. Es hat wenig Zweck, danach zu fragen, ob das alles denn wirklich so geschehen ist, wie es Johannes berichtet.

Zum Glauben führt uns die Gemeinschaft der Hoffenden und Glaubenden, die wie die Jünger damals, auf einmal spüren: Es ist der Herr, er ist mitten unter uns.

 

Das ist wie neugeboren werden. So heißt dieser Sonntag heute auf Lateinisch: Quasimodogeniti: „Wie die neugeborenen Kindlein.“

Für die Jünger damals war die Begegnung mit Jesus ein starker Impuls zum Leben.

Quasimodogeniti – wie bei den neugeborenen Kindlein, die fast jeden Tag eine neue Welt sich erobern. So viel Dynamik, soviel Werden und Entwicklung.

 

Das kann auch für uns heute so sein, auch, nein, erst Recht in dieser Krise, wenn wir nicht aufhören, von Jesus zu erzählen, in dem Menschen Gott erlebt haben – auf eine ganz neue Weise.

Nicht als ferner Gott und Richter, der aus einem unendlichen Himmel über uns Menschen herrscht, sondern als ein Mensch, der zu uns gekommen ist, um unseren Schmerz und Kummer zu tragen und ihn mit einem Glanz zu umgeben, der unser ganzes Verständnis der Welt auf den Kopf stellt und uns als Menschen eine neue Würde verleiht: Gott wird Mensch, damit wir Menschen werden, eine Gemeinschaft von Tapferen, Glaubenden, Hoffenden und Liebenden.

 

Jetzt immer noch auf Distanz zueinander, aber dennoch verbunden in dem Heiland, der auf uns wartet. Bald aber – und in schon gar nicht mehr langer Zeit – auch wieder nah beieinander.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

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Predigt Karfreitag - 02. April 2021

Predigttext Psalm 22 in Auszügen nach der Übersetzung der BasisBibel - wird während der Predigt gelesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger - Hier kann man die Predigt anhören.


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

das große Kreuz aus Metall, das sie als Bild auf der Homepage finden, steht in unserer Kirche eigentlich neben dem Eingangsportal.

Alle, die die Kirche betreten, gehen an ihm vorbei – ob sie das Kreuz sehen oder nicht.

Damit soll symbolhaft klarwerden: Unser Lebensweg als Christenmenschen ist ein Weg unter dem Zeichen des Kreuzes Jesu. Wer diesen Weg aber so geht, darf nach vorne blicken und auf neues Leben hoffen – jenseits aller Kreuzwege.

Orientierung gibt der auferstandene Christus. Sein Bild prägt von Anfang an auch unsere Kirche.

Und das ist im doppelten Sinne gemeint.

 

Heute nun an Karfreitag habe ich das Kreuz nach vorne auf den Altar gestellt. Der Werkstoff, aus dem es geschmiedet wurde, ist Eisen. Es wird sich im Laufe der Jahrzehnte verändern – einen sichtbaren Alterungsprozess durchlaufen – geradeso wie auch wir Menschen uns wandeln. Ja – und manchmal auch etwas Rost ansetzen.

 

Wo beim Kreuz Vertikale und Horizontale - Gott und Mensch - aufeinander treffen, entsteht große Spannung, Dynamik und dadurch auch manche Risse.

Allein: Beide Ebenen sind untrennbar miteinander verbunden, wie auf ewig verschränkt.

Und das wirklich Aufregende an unserem Kreuz, wie ich finde, sind nicht die Brüche und die greifbare Dynamik am Kreuzungspunkt zwischen Vertikalen und Horizontalen, sondern die Art der Verbindung.

Als der Künstler beim Schmieden des Kreuzes die heißen Metallschienen miteinander verschränkt hat, hat er Dornen aus dem Eisen herausgetrieben.

Diese Dornen sind´s, die das Kreuz zusammenhalten. Nur sie.

Das heißt doch: Das Verletzliche und Leidvolle, das Schmerzhafte und Gefährliche begründet die unlösbare Verbindung von Gott und Mensch.

 

So wie das Kreuz jetzt hier steht, kann man wahrnehmen:

Erst hinter dem Kreuz, erst durch die Risse und Brüche, die im Kreuz sichtbar werden, hindurch, kann man das Licht der Auferstehung erkennen. Noch dominieren die Dornen - und halten doch alles zusammen.

So will das Kreuz hier vorne daran erinnern:

Gerade auch jetzt, während sie das lesen oder anhören, leiden Menschen.

Sie leiden in Krankenhäusern und Sterbezimmern, auf den Beatmungsstationen und in den Pflegeheimen,

sie leiden in Folterkammern und Gefängnissen, manche auch in ihren eigenen Wohnungen.

Sie weinen, schluchzen, wimmern, röcheln, stöhnen, verstummen – Leiden hat viele Stimmen.

Wir hören sie jetzt nicht. Aber wir können hier am Kreuz auf eine Stimme aus dem Chor des Leidens hören.

Ich lese auszugsweise aus Psalm 22 in der Übersetzung der BasisBibel:

 

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

Fern ist meine Rettung, ungehört verhallt mein Hilfeschrei.

3»Mein Gott«, rufe ich am Tag, doch Antwort gibst du mir nicht.

Und ich rufe in der Nacht, doch Ruhe finde ich nicht.

4Du aber, du bist der Heilige! Du thronst über den Lobgesängen Israels!

5Auf dich vertrauten schon unsere Vorfahren.

Sie vertrauten darauf, dass du sie rettest.

6Sie riefen zu dir und wurden gerettet.

Auf dich haben sie sich verlassen

und wurden nicht enttäuscht.

7Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,

ein Gespött der Leute und verachtet vom Volk!

8Alle, die mich sehen, lachen nur über mich.

Sie spitzen die Lippen, sie schütteln den Kopf:

9»Soll er doch seine Last auf den Herrn abwälzen!

Der soll ihn auch retten! Der soll ihn aus dem Elend reißen.

Er ist ja sein Freund!«

 

15Ich fühle mich wie ausgeschüttetes Wasser.

Ich habe keine Gewalt mehr über meine Glieder.

Mein Lebensmut ist weich wie Wachs,

dahingeschmolzen in meinem Innern.

16Trocken wie eine Tonscherbe ist meine Kehle

und die Zunge klebt mir am Gaumen.

So legst du mich in den Staub zu den Toten.

17Ja, Hunde rotteten sich um mich zusammen,

eine Meute von Bösen hat mich eingekreist –

wie ein Löwe, der bereit ist zum Sprung.

 

18Schon zähle ich alle meine Knochen.

Sie aber schauen zu, sie gaffen mich an.

19Sie verteilen meine Kleider unter sich

und werfen das Los über mein Gewand.

20Doch du, Herr, bleib nicht fern von mir!

Du bist meine Stärke, hilf mir schnell!

 

– Mein Gebet hast du erhört. –

23Ich will meinen Brüdern und Schwestern

von deinem Namen erzählen.

Im Kreis der Gemeinde will ich dich loben.

24Lobt ihn, die ihr Ehrfurcht habt vor dem Herrn!

All ihr Nachkommen Jakobs, gebt ihm die Ehre!

Erschreckt vor seiner Herrlichkeit,

all ihr Nachkommen Israels!

25Denn er hat die Augen vor dem Elend nicht verschlossen

und sich nicht gescheut, dem Armen zu helfen.

Sein Angesicht hat er nicht vor ihm verborgen.

Als er um Hilfe schrie, hat er ihn gehört.

 

Liebe Leserin, lieber Leser, 

hier schreit einer sein Leiden heraus.

Immer wieder neue Vergleiche benutzt er, um sein Elend zu schildern. Von Schmerzen gequält, von Feinden umgeben, rechtlos geworden und ohne Eigentum, so klagt er.

Vor allem aber ist er verlassen, nicht nur vom Glück, sondern von Gott. Er ruft - Gott antwortet nicht, er fragt: „Warum?“ und Gott schweigt.

Der hier klagt, der klagt stellvertretend für alle Leidenden und er tut das, was die, die heute leiden, höchstens heimlich tun: er klagt Gott an: „Warum hast du mich verlassen?“

 

Viele, die in ihrem Leid gar nicht mehr fähig waren, eigene Worte zu finden, haben die Worte dieses Beters nachgebetet.

Sie fanden sich wieder in seinen Worten, erkannten ihr Geschick in diesen Bildern des Leids. Darum machten sie sich diese Klage zu eigen.

 

Der 2. Teil des Gebets zeigt: er ist inzwischen errettet worden. Seine Not, sie ist vorbei.

Und das trennt diesen Beter von denen, die heute leiden.

Er hat das erfahren, was für viele Leidende unerfüllbare Sehnsucht ist und bleibt.

Die Worte des Dankes und Jubels werden niemals ihre Worte sein. Der, in dessen Worten und Klagen sie sich wiedergefunden hatten, war nur kurze Zeit ihr Leidensgenosse.

Die, deren Leid weitergeht, sind dann wieder ohne Gefährten und ohne diesen Leidensgenossen als Sprachrohr.

 

Jesus ist niemals so weit gekommen wie dieser Beter.

Am Kreuz, im Todeskampf, hat Jesus Psalm 22 nachgebetet.

Aber er kommt nicht weiter als bis zum ersten Satz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“

Der Dank für Rettung kann nicht über seine Lippen kommen, weil es für einen ans Kreuz Festgenagelten keine Rettung mehr gibt.

Für die wortgewaltigen Klagen fehlt den Sterbenden die Luft. Außerdem: Ist mit diesem ersten Satz nicht alles gesagt?

 

Derjenige, der zu den Ausgestoßenen und Verbrechern ging, der hängt nun ausgestoßen zwischen zwei Verbrechern.

Der anderen ihr Leid genommen hatte, leidet nun ohne etwas dagegen tun zu können.

Der hämische Spott der triumphierenden Schriftgelehrten ist Beschreibung der Wirklichkeit: „Soll er doch seine Last auf den Herrn abwälzen!“

Nicht weil ihn seine Kraft verlassen hat, sondern weil Gott ihn verlassen hat.

Derjenige, der anderen Gottes Botschaft brachte, bekommt von Gott keine Antwort.

Der Gottes Gemeinschaft lebte, ist verlassen von Gott.

Was er gelebt, geredet und getan hat, das Kreuz widerlegt es.

Das ist Karfreitag!

Leiden und Sterben eines Unschuldigen, der nicht nur sein Leben verliert, sondern alles, was sein Leben auszeichnete und ausmachte.

 

Für viele Leidende ist das letzte verstehbare Wort Jesu, seine Klage und Anklage gegen Gott, das Wort, bei dem sie stehen bleiben, über das sie nicht hinauskommen.

Jesus der Gekreuzigte, der ist für sie der Leidensgenosse, der sie nicht verlässt.

Einer, der zwar nicht aus dem Leid herausführt, aber einer, der bis zum bitteren Ende mitleidet.

Und so wird für viele das letzte Wort Jesu zu ihrem letzten Wort über Gott.

 

Das führt unweigerlich zur letzten Konsequenz:

Entweder gibt es Gott nicht oder Gott ist nicht so, wie ihn Jesus verkündet hat, nicht nah, sondern fern, nicht barmherzig, sondern völlig ungerührt vom menschlichen Leid.

 

So sieht Karfreitag aus: Jesus – von Gott verlassen, gescheitert, Gott – fremd, dunkel, ohne Mitleid.

Was bleibt ist das Verletzliche und Leidvolle, das Schmerzhafte und Gefährliche, wie die Eisen-Dornen an unserem Kreuz.

Allerdings: so sieht Karfreitag aus ohne den Durchbruch zu Ostern, ohne die Auferstehung des Gekreuzigten.

Wer bei Karfreitag stehen bleibt, der findet zwar einen Leidensgenossen, aber verliert Gott.

Ostern zeigt, was in unserem Kreuz hier abgebildet ist:

Gott ist gerade durch die Dornen, durch das Leid, untrennbar mit Jesus verbunden.

Gott ist so, wie Jesus es gelebt und verkündet hat.

Gott ist von Jesus nicht getrennt, Gott ist in Jesus. So gibt die Auferstehung Jesu Karfreitag eine ungeheuerliche Bedeutung:

 

Dort am Kreuz von Golgatha, da hängt nicht einfach ein Mensch, nicht ein unsterblicher Gottessohn, dem das Leiden nichts ausmacht, nein, da hängt Gott selbst.

Der, der für uns frei von Leid ist, leidet.

Gott, der für uns völliger Gegensatz zu Tod ist, stirbt.

Karfreitag, da geschieht nicht etwas an und mit einem Menschen, Karfreitag geschieht etwas an und mit Gott.

Gott verlässt seinen Thron, Gott hängt am Galgen.

Der, der nach Meinung der Menschen den Tod schickt, geht in den Tod.

Das ist der unbegreifliche Hintergrund von Jesu Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Gott verlässt sich selbst, gibt seine Allmacht und Überlegenheit auf.

 

Das macht diesen Tag für uns so schwer erträglich, dass sich nämlich am Kreuz Jesu herausstellt: was wir über Gott zu wissen glauben, ist falsch.

So wie wir uns Gott vorstellen und wünschen, so ist er nicht.

Nicht der souveräne Sieger, nicht der, der oben ist, nein, der ganz unten ist, in der Tiefe des Todes, und das nicht nur als Stippvisite oder zum Schein, nein, im blutigen Ernst.

 

Für alle Frommen der damaligen Zeit war die Botschaft von einem leidenden, sterbenden Gott eine unerträgliche Gotteslästerung. Atheisten, Gottlose!

Das war der erste Vorwurf gegen die Christen.

Ich kann diesen Vorwurf gut verstehen.

Denn auch mein Herz hängt an den ausgedachten Gottesbildern, die Gott aber verlassen hat.

Der leidende Gott passt nicht zu meinen Wunschvorstellungen von Gott.

Golgatha macht deutlich, wie schwer es ist, das erste Gebot zu halten. Dann heißt es nämlich: „Ich, der Gekreuzigte, der Leidende und Sterbende bin dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“

 

Es ist immer wieder schwer das zu verstehen.

Aber wir müssen wieder neu lernen, wer Gott ist, am Kreuz von Golgatha.

Und wir müssen wieder lernen, was daraus folgt, dass Gott so ist: Erstens: Da, wo Menschen im Leid ihren Gott verlieren, gerade da ist er zu finden. Wer leidet, der verliert nicht Gott, sondern seinen Götzen;

nämlich den Gott, der den Glücklichen und Erfolgreichen nahe ist und fern denen, die leiden.

Wer leidet, der verliert den Gott, der Glück und Unglück nach dunklen Plänen auf die Menschen verteilt.

Das Kreuz Jesu zeigt Gott als den Leidenden, nicht als den Verursacher von Leiden.

 

Zweitens folgt aus dem Kreuz Jesu: Gott ist nicht und niemals bei denen, die andere leiden lassen, nicht bei den Kriegsknechten, die hinrichten, nicht bei den Handlangern, die Kreuze machen.

Gott ist ein Gott der Opfer, nicht der Täter.

 

Als Drittes und Letztes: Der Gott Jesu will nicht, dass auch nur Einer oder Eine leidet.

Darin ist sein Leiden stellvertretendes Leiden, dass auf Golgatha für immer genug gelitten ist.

Leid gibt es nicht, weil Gott es so will.

Leid gibt es, weil wir Menschen sind, die immer wieder Gott mit ihren Götzen verwechseln und so anderen zu Teufeln werden und weil wir in dieser Welt leben, die Anteil hat an der Abkehr von Gott.

 

Gott erspart uns nicht das Leiden und wer an den Gott Jesu glaubt, wird nicht weniger, sondern mehr leiden, weil ihn das Leiden anderer nicht kaltlässt, und weil er sein Leiden und das Leiden anderer nicht als gottgewollt hinnehmen kann.

Dass Gott mit uns leidet, das ist unser einziger Trost im Leid.

Ja, gerade die Dornen halten Vertikale und Horizontale zusammen.

Dass Gott das Leiden und den Tod besiegt hat und besiegen will, nur das lässt uns das Leiden annehmen und gleichzeitig auf die Zukunft vertrauen.

 

Nirgendwo in dieser Welt können wir die Entmachtung des Todes ablesen. Aber durch die Aufbrüche des Kreuzes hindurch sehen wir nicht Leid, sondern Freude, nicht Tod, sondern den Auferstandenen und das Leben.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.


Predigt am 6. Sonntag in der Passionszeit - Palmsonntag  - 28. März 2021

Predigttext: Hebräer Kap. 11, 1-2; 8-12. 39+40; Kap. 12, 1-3 - wird während der Predigt verlesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger - Die eingelesene Predigt können Sie hier anhören.


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

heute ist Palmsonntag, der Tag, der am Anfang der Karwoche steht, in der wir uns ganz intensiv an die Leidensgeschichte Jesu und die Rettungsgeschichte Gottes erinnern.

 

Der Predigttext für heute legt uns ans Herz, dass wir uns nochmal intensiv auch mit dem Thema „Glauben“ beschäftigen. Was es eigentlich heißt zu glauben, welchen Sinn das macht und wie das überhaupt geht: glauben.

 

Je mehr ich mich auf diese Themen einlasse, umso intensiver bin ich im Gedanken bei unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden, die gerade heute ihren Festtag der Konfirmation feiern würden und bei dem Teil der Gruppe, die schon letzte Woche konfirmiert worden wäre.

Mit den Fragen, die der Bibeltext für heute aufgibt, aber auch mit den Themen Leiden Jesu, letztes Abendmahl, Kreuzigung, Auferstehung und neues Leben hätten wir uns in den letzten Monaten beschäftigt.

Wie wir die ausstehenden Themen bearbeiten bis zur verschobenen Konfirmation im Juli werden wir noch sehen.

 

Für jetzt so viel: Wenn ich die Predigt eingesprochen habe, werde ich mit der Namensliste der Konfis in die Kirche gehen, damit ich auch wirklich niemanden vergesse, und die Namen laut vor Gott bringen und für sie und ihre Familien beten.

 

Nun aber zum heutigen Predigttext und der Glaubensfrage. Nicht mit dem speziellen Blick auf die Konfirmandinnen und Konfirmanden, aber in der Hoffnung auch sie was mit der Predigt anfangen können in ihrer Situation.

Der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt:

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte;

und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.

Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters;

denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.

Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt.

Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,

und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.

Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“

 

Abraham war mehr als nur müde. Er war völlig erschöpft.

Jetzt brauchte er erst einmal frische Luft. Es war die zweite Nacht, die er an ihrem Lager gesessen hatte.

Ihre Hand, die er Stund´ um Stund´ gehalten hatte, war noch warm. Aber sie war gegangen für immer.

Seit den frühen Morgenstunden war er ganz allein.

Der Weg war zu Ende, den sie beide miteinander gegangen waren.

Noch einmal sah er auf ihr stilles Gesicht, so klar und ruhig, wie sie da lag im Dämmerlicht des Zeltes.

Und als er sie ansah, war es, als liefe ihr ganzes Leben noch einmal an ihm vorbei. Sara, die Frau, die sich mit ihm auf den Weg gemacht hatte, damals.

Sie beide hatten das große Versprechen gehört, das Gott ihnen gab.

Land und Kinder.

Mit diesem Versprechen sollten ihre tiefsten Wünsche erfüllt werden. Denn sie lebten ja in Zelten, immer schon, immer unterwegs. Und sie waren, anders als all die anderen, immer nur zu zweit.

Land und Kinder, was für ein Versprechen.

Wie ein Glanz legte es sich auf Saras Gesicht und die Jahre ohne Hoffnung waren nicht mehr zu sehen darin.

 

Aber er erinnerte sich jetzt auch ihr Gesicht, damals, als ihm die Zeit zu lang wurde und er nicht mehr warten mochte, bis sich einstellte, was Gott ihnen versprochen hatte. Als er die jüngere Frau nahm und mit ihr ein Kind zeugte.

Sara hatte ihm dazu geraten.

Und doch hatte sie das Gesicht abgewandt, als er ihr von der Schwangerschaft berichtete. Ihr Gesicht, voller Schmerz und Scham über ihr Lebensschicksal als unfruchtbare Frau.

 

Aber Gottes Möglichkeiten waren größer als alles, was sie beide sich vorstellen konnten. Genau erinnerte er sich an Saras Gesicht, so alt und müde von all den Jahren des Wartens und nun erschöpft von der Geburt. Er sah ihr faltiges Gesicht vor sich und daneben die zarte Wange ihres neugeborenen Sohnes.

Hier in diesem Zelt war das gewesen, dort, wo sie jetzt lag.

Saras Gesicht über die Jahre und Jahrzehnte, ein Spiegel dessen, was ihm und was ihr widerfahren war. Nun war sie gestorben. Ein gemeinsamer Weg und ein Ende.

Als er aus dem Zelt trat, sah er nach oben, wie immer, wenn er aus dem Dämmerlicht und der Enge des Zeltes nach draußen kam.

Die Kühle des frühen Morgens umfing ihn. Die Sterne verblassten gerade am Himmel. „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.“

Das hatte Gott versprochen.

Und davon war noch nicht viel zu sehen. Immer noch wohnte er in einem Zelt, immer noch war er unterwegs, und jetzt war ihm nur noch ein Sohn geblieben.

 

Eine Lebensgeschichte, die Geschichte Saras und Abrahams.

Wie bei jeder Geschichte, müssen wir uns hineindenken in sie und die schnellen Striche, mit denen sie gezeichnet wird, ausmalen zu einem Bild mit mehr Details.

 

Im Hebräerbrief wird nur mit solchen schnellen Strichen gemalt. Flüchtig wie die Wolken am Himmel ist die „Wolke der Zeugen“, nur Namen werden genannt, schnell nacheinander.

Die Geschichten dahinter ballen sich in den Namen zusammen und reißen gleich wieder auseinander, so wie der stürmische Wind gestern mit Wolken am Himmel spielte.

Aber alle diese Geschichten sind miteinander verbunden, haben den gleichen Horizont: Den Glauben.

Im Nacherzählen dieser Lebens- und Glaubensgeschichten verstehe ich besser, was Glauben ist:

„Eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

 

Denn am Ende steht Abraham vor dem Zelt. Über ihm öffnet sich der Himmel und er sieht die Sterne, jedes Mal, wenn er sein Zelt verlässt. Manchmal funkeln sie hell, wie in der Nacht, als sein Sohn geboren wurde. Manchmal verblassen sie, so wie an diesem Morgen, als Sara gegangen ist für immer.

Und immer spürt er: Der Boden unter meinen Füßen, der gehört mir nicht.

Und das Kind, das ich habe - von seiner Zukunft weiß ich doch überhaupt nichts.

 

Glauben heißt, mit einem Versprechen zu leben. Mal näher, mal weiter entfernt davon, dass es sich erfüllt.

Aber weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir stehen seit über einem Jahr miteinander wie vor dem Zelt und als ob wir Ausschau halten würden, jeden Tag.

Wo man früher nur gucken musste, wie das Wetter war, geht es heute um eine ganz andere Wetterlage, um die Wolkenfelder der Pandemie.

Gerade ziehen wieder sehr dunkle Wolken auf. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Allerdings, wenn wir den Wissenschaftlern vertrauen, deren Prognosen sich bisher alle fast zu 100 Prozent erfüllt haben, dann wartet nochmal eine wirklich schwere Zeit auf uns.

Und selbst, wenn´s besser wird als errechnet: Wir sind weit davon entfernt die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können. Wir müssen weiterhin Geduld haben, müssen klug bleiben und ausdauernd und auch damit rechnen, dass nicht alles so kommt, wie wir es uns wünschen.

 

So war es bei Sara und Abraham, auch noch, nachdem sich ihr großer Wunsch nach einem Kind erfüllt hatte. Sie haben trotzdem nicht alles bekommen, sie „sind gestorben im Glauben und haben die Verheißungen nicht ergriffen, sondern sie nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind“ wie es im Hebräerbrief ganz am Anfang heißt. (1,13)

 

Abraham ist aufgestanden und aus dem Zelt gegangen, als Sara gestorben war.

Vor dem Zelt hat er die Sterne gesehen, die am Himmel verblassten.

Und dann hat er zwei Dinge getan.

Er hat ein Grab für Sara gekauft in Machpela bei Hebron. Ein Grab in einem fremden Land. Und das ist das einzige Stück, das ihm von dem versprochenen Land jemals wirklich gehören wird.

Danach hat er seinen Knecht losgeschickt, in die alte Heimat, um endlich eine Frau zu suchen für seinen Sohn.

Eine Frau und dann vielleicht ein Enkelkind und Leben und Zukunft.

 

Es ist so gekommen. Aber dass es so kommen wird, wusste Abraham nicht, als er es tat. Er tat es im Glauben.

Und das heißt, mit einem Versprechen zu leben.

Mal näher, mal weiter entfernt davon, dass es sich erfüllt.

Auf jeden Fall aber weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

 

Auch Jesus hatte die Dinge nicht mehr in der Hand, als er zum Passahfest nach Jerusalem kam. Dem Fest, bei dem die Lebensgeschichten so vieler Menschen seit Jahrtausenden nacherzählt werden und die Rettungsgeschichte des ganzen Volkes. Zusammen: Die Wolke der Zeugen.

 

Je näher Jesus der Stadt kommt, auf einem Eselchen reitend für seinen bemerkenswerten Einzug in Jerusalem, umso näher kommt ihm auch diese Woche mit all den Begegnungen und Abschieden, Jubel und Verrat,

vieles, was zum letzten Mal geschieht, auch intensive Liebe und abgrundtiefer Hass, letztes Abendmahl, Verhör, Verleugnung, Urteil und Hinrichtung.

Eine Woche in engster Gemeinschaft und größter Einsamkeit.

Was am nächsten Sonntag sein wird, weiß Jesus nicht.

Aber sein Glauben lässt ihn diesen Weg gehen, seine Bereitschaft, ganz aus dem Versprechen Gottes zu leben und weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

So fängt Glauben an. Und so vollendet er sich.

 

Vor dem Zelt stehen wir. Und erinnern uns, an Sara und Abraham, an Jesus, die Anfänger und Vollender des Glaubens.

Über uns Himmel, Wolken und Sterne. In uns eine feste Zuversicht auf das, was wir hoffen.

Ein Nicht-Zweifeln an dem, was wir nicht sehen. Nicht matt werden und den Mut nicht sinken lassen.

Denn Glauben ist immer weitergehen.

Und ganz zum Schluss nach Hause - zum Bleiben im Hause des Herrn immerdar.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am Sonntag Judica - 21. März 2021

Predigttext Hiob 19, 19-24 Den Predigttext in der Übersetzung der BasisBibel finden Sie hier.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger. Die eingelesene Predigt können Sie hier anhören.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


 Liebe Leserinnen und liebe Leser,

Judika heißt dieser Sonntag nach dem Psalmwort „Schaffe mir Recht, Gott“.

So viele Menschen finden in ihrer Umgebung keine Gerechtigkeit und suchen sie bei Gott.

Und doch begegnen uns eigentümliche Vorstellungen von göttlicher Gerechtigkeit, alte und neue. Vorstellungen, die manchmal mehr über uns Menschen erzählen als über Gott.

Was es mit Gottes Gerechtigkeit auf sich hat und was diese mit unserem Leben zu tun hat, dem will ich mich mit der Predigt über den für heute vorgegebenen Predigttext aus dem 19. Kapitel des Buches Hiob nähern.

 

Die Erzählung von Hiob ist Teil einer viel größeren umfassenderen Geschichte. Sie klingt ein wenig wie ein Märchen, aber tatsächlich ist sie irgendwie auch unsere eigene Geschichte. Man könnte sie folgendermaßen erzählen:

 

Vor Urzeiten lebte eine Menschheitsfamilie. Sie bestand aus verschiedenen Sippen.

Wo immer sie lebten, hatten die Menschen gelernt zusammenzuarbeiten. Das machte es leichter, etwas zu essen zu bekommen und sich gegen wilde Tiere zu verteidigen.

Und indem ihr Leben leichter wurde, fingen sie an, Besitz anzusammeln.

Dadurch allerdings entstand immer wieder Streit. Die eine nahm der anderen etwas weg. Einer meinte, das Kind, das er mit seiner Frau zusammen ernährte, sei nicht von ihm. Man wurde zornig und wollte Strafe. Oder lieber noch: Rache.

Aber Rache gebar noch mehr Rache. Die ging´s oft maßlos zu.

Tötest du meinen Bruder, töte ich zwei deiner Brüder.

Darum erfanden die Menschen Gesetze. Diese sollten für ein Gleichgewicht sorgen, das man Gerechtigkeit nannte.

Zum Beispiel: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Man durfte nur so viel wegnehmen, wie einem selbst weggenommen worden war. Es sollte Wiedergutmachung geben, aber keine Rache.

Und die Menschen waren stolz darauf, dass sie nun zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse unterscheiden konnten.

 

Sie merkten, wie machtvoll diese Unterscheidung war, und waren davon überzeugt, sie müsse von Gott gekommen sein. Sie stellten sich vor, dass Gott ihr oberster Richter war, der alles sehen konnte und darüber wachte, ob die Gesetze eingehalten wurden. Er würde es gut finden, wenn sie alles richtig machten. Und er würde sie strafen, wenn sie es nicht taten.

Wenn jemandem etwas Schlimmes widerfuhr wie Krankheit oder Unfall, hieß es: Du musst etwas Böses getan haben, sonst würde Gott dich nicht bestrafen. Und wieder waren die Menschen stolz. Denn mit Gottes Strafe konnten sie Dinge erklären, die ihnen vorher ein Rätsel gewesen waren.

Und weil sie feststellten, dass es keinem Menschen gelingt, immer nur gut zu sein, brachten sie Gott Opfer, damit er sie trotzdem nicht strafte.

 

Bald fingen sie an, sich Geschichten zu erzählen von erstaunlich gerechten Menschen, die alles taten, was Gott von ihnen wollte. Sie erzählten von Abraham, der für Gott sogar seinen Sohn geopfert hätte.

Sie erzählten von Hiob, der all seine Kinder, seinen Reichtum und seine Gesundheit verlor, weil der Teufel mit Gott um seine Treue gewettet hatte. Aber Gott gewann, denn Hiob hielt zu Gott.

Er wurde gesund und reicher und kinderreicher als zuvor.

Niemand interessierte sich für Abrahams erschrockenen Sohn oder Hiobs tote Kinder.

Niemand interessierte sich für die Frage, ob ein gerechter Richter die Menschen auf solche Proben stellen würde.

Wichtig war nur der unglaubliche Gehorsam gegen Gott, auch wenn Hiob weinte und schrie und Gott anklagte.

Denn dieser erschien ihm wie eine Mauer, gegen die er anrannte, bis Gott schließlich in all seiner Macht doch mit ihm sprach und ihn von seinem Leid erlöste.

 

Die Menschen liebten diese Geschichten, denn sie wussten aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt zu leiden.

Sie wussten, wie schrecklich es ist, wenn man krank ist oder seine Kinder verloren hat – und wenn andere einem dann noch die Schuld dafür geben.

Sie wussten, wie furchtbar es ist, wenn man seine Unschuld beteuert und niemand einem glaubt.

Indem sie Hiobs Geschichte erzählten, begriffen sie: Das Leben ist nicht gerecht ist, weil es den Gerechten, wie Hiob, nicht immer gut geht oder den Bösen schlecht.

Aber weil sie keine Erklärung dafür fanden, fuhren sie fort, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, denn das hatte sich bewährt. Manchmal konnten sie dadurch Gerechtigkeit herstellen. Und manchmal fühlte es sich einfach gut an, wenn man sich selber zu den Guten zählen und mit dem Finger auf andere zeigen konnte.

 

Als viel später Jesus von Nazareth mit den sogenannten Bösen zu Abend aß, von der Vergebung Gottes predigte und sagte: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ –

da taten sich einige zusammen, die genau zu wissen glaubten, was das Gute ist, und brachten Jesus um.

Sie hofften, niemand würde sich an seine Worte erinnern.

Aber es dauerte nicht lange, da lief die Botschaft wie ein Lauffeuer durch Jerusalem und die Orte ringsumher und allen, die sie hörten, brannte das Herz vor Glück: Gott hat Jesus auferweckt und er wird auch alle anderen Menschen eines Tages auferwecken. Und die Menschen, die an Jesus glaubten, wurden immer mehr.

 

Sie waren sich sicher, dass Gott mit dem Tod Jesu einverstanden gewesen sein musste.

Ja, sie sagten, sein Tod sei sogar nötig gewesen, um das gerechte Gleichgewicht wiederherzustellen, das die Menschen mit ihren bösen Taten durcheinandergebracht hätten.

Man fing an, von Jesus als einem Opfer zu sprechen, das den Zorn Gottes besänftigt habe.

Oder man nannte ihn ein „Lösegeld für die menschlichen Sünden“. Denn Opfer und Lösegeld kannten die Menschen, schon; diese Erklärung erschien ihnen vernünftig. Und sie erwarteten eine große Gerichtsverhandlung Gottes, zur Strafe und zur Belohnung an Orten, die sie Hölle und Himmel nannten.

 

Ganz aktuell drängt sich mir da die Frage auf, wie es wohl nun ehemaligen Kirchenoberen ergeht, die mit dieser Erzählung immer noch Menschen züchtigen wollten und die jetzt der schweren Sünde der Lüge überführt sind. Ob sie nur „Männer im Nebel“ sind oder doch in der selbst prophezeiten Hölle geläutert werden?   

 

Zurück zu unserem Predigttext und dem, was er bedeutet: Menschen, die in dem Schema „Himmel und Hölle“ zu denken gelernt hatten, überlegten, wer von ihnen wohl eines Tages an welchen Ort kommen würde.

Sie fingen an, nicht nur die Taten der anderen zu beurteilen, sondern auch den Glauben und die Meinungen.

Es war schön, sich selbst zu denen zu rechnen, die später in den Himmel kommen würden.

Es tat gut sich vorzustellen, wie die, die man noch nie gemocht hatte, später in die Hölle kommen würden.

Der alte Drang nach Rache und Strafe wohnte immer noch in den Herzen der Menschen.

 

Und so urteilten sie und bewerteten einander. Jahrhunderte lang.

Und immer mehr Menschen fühlten dasselbe wie Hiob: „Meine engsten Freunde verabscheuen mich. Sogar diejenigen, die mir am liebsten sind, stehen mir feindselig gegenüber. Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut?

Wann hört ihr endlich auf, mich zu zerfleischen?“

 

Die Verfolgten versuchten, sich aus den Schubladen zu befreien, in die man sie gesteckt hatte. Sie schrien auf gegen Vorurteile und Hassreden und gegen den Verdacht, von Gott verabscheut zu werden. Und sie sehnten sich danach, dass man ihnen ihre Unschuld glaubte.


Es waren immer wieder Einzelne, die den kühnen Gedanken wagten – gegen alle Obrigkeiten und Konzilien - dass Gott nicht Gerechtigkeits-Prüfer von Beruf ist,

keiner, der Belastungsproben erfindet, und schon gar kein Buchhalter mit gewaltigen Listen von Sünden oder guten Taten. Diese Einzelnen versuchte man anfangs noch mundtot zu machen, aber die Saat, die sie gelegt hatten, ging auf bei immer mehr Menschen.

Man ahnte, dass Gott kein Wettbüro hat und keine Lösegelder oder Opfer fordert wie die Mafia.

Denn Gott ist es noch nie um Strafe gegangen.

Es sind die Menschen, die sich danach sehnen - nach Rache und Genugtuung.

Gott aber geht es um etwas Anderes: „Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Als mein Anwalt wird er auf der Erde auftreten und zum Schluss meine Unschuld beweisen. Mit zerfetzter Haut stehe ich hier. Abgemagert bin ich bis auf die Knochen. Trotzdem werde ich Gott sehen.“

 

In dieser langen Geschichte sind wir auf dem Weg immer besser zu verstehen, dass Gottes Absicht – sein Hauptberuf der des Erlösers ist.

Wie schon Bonhoeffer sagte, ist er imstande, selbst aus dem Bösesten Gutes entstehen zu lassen. „Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“

Gott lehrt uns Menschen, was Achtung und Vergebung ist.

Auch wenn das quälend lange dauert, haben wir schon viel dazugelernt.

Wir brauchen Richter für unser Zusammenleben, aber wir versuchen dafür zu sorgen, dass jedem Angeklagten zugehört wird.

Wir haben die Todesstrafe abgeschafft und kämpfen gegen Folter. Wir versuchen, die Höllen von Gewalt und Unterdrückung auf der Welt zuzuschütten. Dafür müssen wir das Böse erkennen und beim Namen nennen und wollen das doch auch.

Zugleich ahnen wir aber, wie groß die Versuchung ist, andere für böse zu erklären, nur um sich selbst überlegen zu fühlen.

Wir lernen immer mehr, dass wir immer noch eine Menschheitsfamilie sind.

Wir brauchen einander rund um den wunderbaren Erdball.

Das ist ja wohl auch eine Lehre aus der derzeitigen Corona-Krise.

 

Ja, wir sind eine Menschheitsfamilie. Alle Kinder Gottes.

Deswegen stehen wir denen bei, denen Schlimmes widerfährt, egal wer sie sind.

Wir leiden mit; und was wir nicht verstehen können, werden wir nicht mit Gottes Strafe erklären.

Wir hören zu, damit Menschen in ihrer Verzweiflung nicht gegen eine Mauer des Schweigens rennen und sich von Menschen verurteilt fühlen, so als hätte Gott selbst sie verurteilt.

Wir lernen von Gott. Er ist Erlöser. Er ist der Schöpfer jenseits von Gut und Böse. Er ist weniger Richter als vielmehr Anwalt des Lebens und des Zusammenlebens - uns zugut!

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

Wunderschöne Musik finden Sie hier bei Youtube.

Georg Friedrich Händel, "Ich weiß, dass mein Erlöser lebet", in einer Aufnahme aus der Kilianskirche Heilbronn.

Ausführende: Tabea Schmidt (Sopran), Agnes Karasek (Traversflöte) & Kilianskantor Stefan Skobowsky (Truhenorgel)


Predigt am 4. Sonntag in der Passionszeit - "Lätare" - 14. März 2021

Predigttext Johannes 12, 20-24 - wird während der Predigt gelesen.

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer


Zur Hörversion der von Bärbel Neubauer eingelesenen Predigt gelangst Du hier.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

 

Liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer,

 

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“

 

Mit dem Wochenspruch für die kommende Woche begrüße ich Sie ganz herzlich am heutigen Sonntag „Laetare“.

Er wird auch das kleine Osterfest in der Mitte der Passionszeit genannt.

Ja, wir freuen uns, dass wir nach den letzten Monaten nun draußen in der Natur wieder neue Hoffnung schöpfen können. Dieser Hoffnung können wir nachspüren bei dem lebhaften Bild vom Weizenkorn. Und so werden wir auch erfrischt vom sprießenden Grün auf den Feldern, von den aufspringenden Knospen an den Bäumen und vom ersten Duft nach Frühling.

Hören wir nun den Predigttext aus dem Evangelium des Johannes, Kapitel 12, die Verse 20-24:

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Gott, segne du unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

Liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer,

 

vom Sterben und vom Leben hören wir Jesus heute aus dem Evangelium zu uns sprechen.

Ich muss dabei an ein Bild aus einem Kinderbuch denken. Auch dort kam ein Bild aus der Natur vor. Das Bild von Blättern, die im Herbst vom Baum fallen. Und dann das Bild von neuen Blättern, die im Frühjahr sichtbar werden. Die alten Blätter fallen, aber es kommen neue nach. Sie fallen, weil neue nachkommen. Oder sogar, damit neue nachkommen.

Ein tröstendes Bild soll das sein. Ein Bild, das hilft, mit dem Sterben um-zugehen. Das Fallen der Blätter ist also nur so etwas wie eine Pause.

Aber dann ist alles wieder wie vorher. Das Leben hört nicht auf. Der Baum wird wieder grün.

Auch Jesus zeigt uns ein Bild aus der Natur: das von einem Weizenkorn. Hier ist es anders als bei dem Baum mit den Blättern. Es ist sogar besser. Denn wo ein Korn in die Erde fällt, da wächst nicht nur ein neues Korn. Es wächst ein Halm mit vielen neuen Körnern.

Das Sterben ist kein Ende, es ist ein Anfang. Der Anfang von etwas Anderem und sogar von etwas Größerem. Aus dem Tod entsteht neues Leben in Fülle.

 

Jesus zeigt uns ein gutes Bild für einen Sonntag mit dem Namen „Laetare“. Übersetzt: „Freut euch!“

Kann man das so ergänzen: „Freut euch, denn da wächst ja nicht nur irgendetwas, sondern da wächst vor allem mehr?“

Das ist doch verlockend: Ein Bild für Steigerung! Ein Bild für etwas, was wir so ähnlich auch aus unserem Leben kennen.

Was braucht es nicht oft alles, damit etwas Frucht bringt! Man setzt seine volle Kraft ein, weil nur so etwas dabei herauskommt. Man spricht sogar von Opfern, die es eben braucht. Das kennen wir aus Filmen: Der Held, der am Schluss gewinnt, muss zuerst einmal leiden.

Vor einen Sieg gehören oft Schmerz und Not, so kennen wir es aus dem Sport: Wer seinen Körper fordert, der bringt mehr Leistung. Wer im Training alles gibt, wird belohnt.

 

„Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“  

Unser Evangelium spricht nicht bloß von Anstrengungen und Hindernissen, sondern von einem letzten Verlust und einer völligen Niederlage: dem Tod.

Und es spricht darum auch vom größtmöglichen Sieg: dem Leben.

Der Weg zur Verherrlichung ist der Ausblick auf ein Ende, das zum Anfang wird. Ein Ende, an dem Jesus wie in einem Triumph als seine letzten Worte sprechen wird: „Es ist vollbracht.“

 

Mein Staunen ist groß über solch eine Zuversicht.

Da ist nicht nur ein Mensch, der keine Angst vor dem Tod hat. Da ist ein Mensch, der sich sicher ist: Das Sterben ist kein Ende. Nein! Es bringt neue Frucht. Wie ein Weizenkorn. Welch ein Grund zur Freude!

 

Ich schaffe es aber nicht, bei Sterben und Tod nur an Jesus zu denken. Dieses Thema betrifft mich zu sehr selbst. Zu nahe gehen mir mein eigenes Sterben-müssen und das Sterben-müssen der Menschen, die ich liebe.

Der Tod, der schon war und der wegnimmt. Der Tod, den es gibt, während ich spreche, überall auf der Welt. Der Tod, der noch kommen wird. Unser Tod. Zum Schluss mein eigener.

Da verschwindet mir das Bild vom Weizenkorn.

Und auch manches, was ich aus dem Leben kenne, fügt sich nicht mehr zusammen zu einem Bild, das mir hilft.

Auch starke Körper sterben. Es gibt Anstrengungen, die nicht zum Erfolg führen.

Es gibt Katastrophen, die so viele Menschenleben auslöschen, wie in Fukushima vor 10 Jahren. Es gibt Opfer, die sich nicht lohnen.

 

Zweifelnd kann man werden und wütend, wenn man beim Nachdenken über Sterben und Tod an einem Sonntag, der Laetare genannt wird, eben diesem Aufruf begegnet: „Laetare!“ „Freut euch!“

Dieses „Freut euch“ ist zwar gut gemeint, aber was, wenn mir nun mal nach Trauern und Klagen ist?

Wenn nichts, aber auch gar nichts „herrlich“ ist?

 

„Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“

 

Jesus spricht von Verherrlichung. Aber er zeigt uns ein Bild, das nichts mit einem „Herrn“ zu tun hat. Nichts mit Herrlichkeit und Herrschaft. Nur ein Korn.

Und wenn man es genau nimmt, dann stirbt es auch nicht. Es verändert sich. Es lässt anderes wachsen. Es dient dazu, dass es neue Körner gibt. Körner, die aus ihm herauswachsen und mit ihm zusammenhängen. Die davon leben, dass das Korn sein Leben weitergibt.

 

Dieses Bild erinnert mich, dass meine Eltern mich prägten, andere Menschen etwas von sich weitergeben. Meine Kinder und Freunde mich teilhaben lassen an ihrem Leben. Wir alle leben gut davon, dass uns andere etwas weitergeben.

Jesus verspricht uns, dass wir mit dem, was er uns weitergibt, auch gut sterben können.

Jesus zeigt uns den Glauben an Gott, dem allein alle Herrlichkeit ist, in Ewigkeit. „Wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ 

 

Eine herrliche Frucht ist dieser Glaube. Und doch ist es damit, wie mit allem, was weitergegeben wird. Wie mit dem, was die Eltern teilen, was Lehrer*innen beibringen, woran Freunde Anteil geben.

Und doch ist es mit dieser Frucht, wie es immer ist, wenn man sagt: „Laetare! Freut euch! Freut euch doch! Freut ihr euch etwa nicht?“

Nämlich: Die einen nehmen den Glauben an Gott an wie ein Geschenk an, mit dem man wirklich etwas anfangen kann:

So vielen Menschen etwa ist der Psalm 23 ein großer Trost: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal“. Also: „Du bist bei mir - in meiner Krankheit.“

Für mich selbst ist es ein Lied, wie: „Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen“- in Tagen des Zweifelns.

 

Aber andere Menschen haben vielleicht das Gefühl, den Glauben verloren zu haben. Ihnen hilft kein Bild vom schönen Weizenkorn, wo die Wirklichkeit so oft doch ganz anders aussieht.

„Wo alles dunkel ist, wie im Tod, woher sollte da Licht kommen?“

 

Der Glaube ist eine herrliche Frucht, die leider auch manchmal vertrocknet oder nicht recht schmecken will.

 

Vielleicht muss sie aber auch erst entdeckt und probiert werden.

„Wahrlich, wahrlich“, so spricht uns Jesus aus dem Evangelium zu. Das ist deutsch für „Amen, Amen“.

 

Für mich kommt vor dem Amen das Gebet:

Vater im Himmel,

dein Sohn gibt uns den Glauben daran,

dass du uns bewahrst im Leben und im Sterben,

dass du uns im Tod nicht allein lässt,

dass du uns zu neuem Leben führst.

Nun mach in uns auch diesen Glauben lebendig.

Mach unser Hoffen stärker als unser Verzweifeln,

unser Vertrauen größer als unsere Angst.

Gib uns deinen Frieden!  Amen.

Predigt am 3. Sonntag in der Passionszeit - 07. März 2021


Predigttext: 2. Korinther 6, 1-10 - wird während der Predigt gelesen

Lesung: Matthäus 4,1-11 - hier nachzulesen

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Predigt in der eingelesenen Version können Sie hier anhören.


Liebe Leserinnen und liebe Leser,

 

als Symbol zur heutigen Predigt habe ich eine Batterie mitgebracht. Damit kann man selbstverständlich viele Dinge betreiben, zum Beispiel eine Taschenlampe leuchten lassen, wenn die Batterie genug Spannung, genug Saft hat.

 

Warum ich Ihnen davon erzähle? Nun, weil es im Predigttext den ich für heute ausgesucht habe, genau darum geht:

Um Spannungen.

Paulus schreibt: „Wir gelten als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet;

als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die, die nichts haben und doch alles haben.“


Das sind die Spannungen, in denen die Christen damals leben müssen. Und es ist unüberhörbar: Diese Spannungen sind existenziell, d.h., für ihren Glauben stehen die Menschen damals mit dem Leben ein.

Na, Gott sei Dank geht es bei uns so spannungsvoll nicht zu:

Uns trachtet keiner nach dem Leben, nur weil wir Christen sind. Uns würde auch keiner verprügeln, selbst wenn wir jetzt in Corona-Zeiten wieder zum Gottesdienst gingen. Und anders herum werden wir auch nicht von den kopflosen Alu-Hut-Trägern attackiert, weil wir keinen Gottesdienst anbieten, wo es doch in deren Augen gar keine Corona-Gefahr gibt. Das alles nicht.

Aber mal ganz im Ernst:

Solche Spannungen, wie Paulus sie erlebte und wie Christen in anderen Teilen der Welt sie auch heute erleben, kann sich ja wohl niemand wünschen.

Eines aber sollten wir trotzdem aufmerksam hören: Wir sollten hören, dass Paulus die Spannungen, die er erlebt, nicht etwa negativ bewertet und womöglich darüber klagt.

Nein, Paulus versteht all diese Widrigkeiten viel mehr als eine Herausforderung, denn er schreibt:

„Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten.“

 

In der Physik gilt: Wenn die Batterie Spannung hat, dann kann die Lampe leuchten. Gibt es keine Spannung, dann gibt es auch kein Licht.

Wenn ich Paulus richtig verstehe, dann gilt dies in übertragenem Sinn auch für den christlichen Glauben:

Gerade die Spannungen können das Licht des Glaubens heller leuchten lassen.

Und wenn wir in die Kirchengeschichte schauen, dann bestätigt sich dies: Denn die großen Leuchten christlichen Glaubens, die finden wir oftmals gerade in spannungsreichen Zeiten.

Ich denke da in diesen Tagen natürlich an Martin Luther.

Vor genau 500 stand er drüben in Worms und musste auf dem Reichstag Farbe bekennen. Spannung sonders gleichen. Aber gerade so wurde er nicht nur zum Licht, sondern zum Leuchtturm unseres evangelischen Glaubens.

 

Ich muss es ja nicht besonders betonen: In theologischer Hinsicht und in Bezug auf Luthers Mut bin ich nur ein klitzekleines Lichtlein.

Was ich aber trotzdem gut verstehe an den Worten des Paulus ist Folgendes:

Verständigung und Aussöhnung und ein freundliches Miteinander sind total schön und gut.

Manchmal sind sie aber offenbar auch eine Versuchung, notwendigen Spannungen und Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen.

Und das hilft dann nicht weiter, weder im Glauben noch im Leben überhaupt.

Ich ziehe deshalb daraus den Schluss: Spannungen auszuhalten, das ist zuweilen richtig und wichtig. Und an diesen Stellen sollten wir nicht der Versuchung erliegen und diesen Spannungen aus dem Wege gehen wollen.

 

Wie das aussehen kann, das können wir im heutigen Evangelium nachlesen, in der Versuchung Jesu.

Die erste Versuchung, das ist die materielle Zufriedenheit:

Mach doch, dass diese Steine Brot werden, so sagt der Teufel. Jesus aber antwortet: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort aus dem Mund Gottes.

 

Nein, es ist weiß Gott nicht verwerflich, gut und reichlich zu essen zu haben. Manchmal aber hilft das Fasten, wenn es nicht aus einem gewissen Leistungswillen oder Gruppendruck geschieht, manchmal hilft der Verzicht, helfen auch Begrenzung und Mangel, dass uns wieder bewusst wird:

Wir müssen neu schauen, wovon wir wirklich leben und wie wir leben wollen.

Das fängt ja schon beim Fleischkonsum an – aber vieles andere beim Thema Tierwohl, Landverbrauch und Umweltbelastung hängt damit ja zusammen. Wenn wir da von falschen Wegen umkehren wollen, hilft bestimmt keine Cent-weise Erhöhung des Fleischpreises an der Einkaufstheke.

Und die Frage, wie wir leben wollen, gilt ja auch im übertragenen Sinne.

Ich will es jetzt nicht allzu hoch hängen, aber könnte es nicht doch sein, dass dies eine der bleibenden Erkenntnisse aus der derzeitigen Krise ist, was mir viele unserer Seniorinnen und Senioren am Telefon sagen:

Dass die Nachbarschaft so gut funktioniert ist ein Segen.

Und ich denke, wenn wir doch nur nicht vergessen würden, wie hilfreich, wohltuend und manchmal sogar lebensrettend die Gemeinschaft, das Miteinander ist, dann hätte Corona nicht nur Opfer produziert, sondern langfristig sogar einen Gewinner: Unser Zusammenleben. 

Dass Menschen achtsam aufeinander bleiben und sich respektieren jenseits von Herkunft, Alter, Hautfarbe, Religion und sexueller Orientierung.

 

Viele sehnen sich nach einem Leben wie vor der Corona-Zeit.

Wollen ihr altes Leben zurück.

Aber schon jetzt ist ja erkennbar: Es reicht nicht, einfach nur so weiterzumachen wie vorher gewohnt.

 

Eine einprägsame Erzählung dazu ist die von der Wüstenzeit des

Gottes-Volkes Israel. Aus dieser Geschichte zitiert Jesus ja in seiner Antwort an den Versucher: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“

Das Brot, das die Israeliten vor und während der Wüstenzeit  immer gegessen haben, waren gebackene Matzen.

Die Nahrung, die dann aus dem Mund Gottes kommt, ist dagegen das Manna, das vom Himmel fällt und das die Israeliten bis dahin nicht kannten.

Die Israeliten überleben die Wüstenwanderung, weil sie sich von dieser neuen Speise zu ernähren wagen:

„Von einem jeden Wort aus dem Mund Gottes.“

 

Erwarten wir in unserer Corona-Wüstenzeit noch was von Gott?

Und für die Zeiten danach? Lassen wir uns leiten von ihm und – wo es nötig ist – auch aus unseren offensichtlichen Sackgassen herausführen hin zu mehr Achtung der Menschen und der Schöpfung?

Oder ist die Impfung der moderne Götze, den wir anhimmeln und alles von ihm erwarten, Sicherheit vor allem, damit wir uns anschließend wieder mit aller Kraft engagieren können, um ausschließlich die materiellen Verluste der letzten Monate aufzuholen?

Ja, da werden Spannungen entstehen und intensive Diskussionen nötig sein – auch innerhalb unserer Gemeinde.


Dabei kann man sich durchaus dann an die zweite Versuchung, erinnern, die Jesus erlebt.

Ich nenne sie spirituelle Überheblichkeit: „Spring doch und verlass dich ganz auf Gott“, so sagt der Teufel.

Jesus aber weist das zurück. Sollen wir uns auf Gott verlassen? Na klar, weil er uns trägt, gerade auch in den Abstürzen des Lebens.

Das bedeutet aber nicht, den Verstand auszuschalten.

Denn ob wir bis an den Abgrund treten oder darüber hinaus, das können und müssen wir schon selber nüchtern entscheiden.

Das heißt, mit seiner Antwort hält Jesus auch hier die Spannung offen, die Spannung zwischen Gottes Verantwortung für uns und unserer eigenen Verantwortung für uns und unser Tun.

Fatal finde ich in dem Zusammenhang das Verhalten von Manchen, die sich für besonders fromm halten und sich bewusst nicht impfen lassen und auch sonst keine Schutzmaßnahmen ergreifen, weil Corona ihnen nichts anhaben könne, wie sie sagen, da sie alles aus Gottes Hand nehmen – auch eine mögliche Infektion.

Dass sie damit ihr eigenes Leben gefährden ist schlimm genug. Dass sie aber riskieren zu Superspreadern zu werden ist gemeinschaftsfeindlich und in höchstem Maße unsozial und somit alles andere als fromm!

 

Aber auch unsere persönlichen Probleme und alles, was mit dem Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ zusammenhängt, werden wir nach Corona auch in demselben Spannungsfeld diskutieren und angehen müssen, also zwischen Gottvertrauen und je eigener Verantwortung.

Geradeso aber kann Gutes gelingen und der Glaube zum Leuchten kommen.

Und dazu gibt es ein weiteres Warnlicht:

 

Die dritte Versuchung, die Jesus erlebt, das ist der Wahn der Machbarkeit:

„Alles will ich dir in die Hand geben, wenn du mich anbetest“, so sagt der Teufel.

Ja, es ist und bleibt eine Versuchung, alles selber in der Hand zu haben, alles zu machen und womöglich auch noch besonders gut machen zu wollen.

Ich weiß, wovon ich da rede. Und ich merke auch, dass es mir deshalb die ganze Zeit wahrlich nicht leicht fällt, vieles aus der Hand zu geben, was ich vor Corona-Zeiten selbst planen, organisieren und umsetzen konnte.

 

In der wichtigen Frage zum Beispiel, ob und wann wieder Gottesdienste stattfinden sollen, beachten wir miteinander die maßgeblichen Zahlen und Werte, hören, was die Regierungen fordern und empfehlen.

Dann aber entscheiden die Mitglieder des erweiterten Presbyteriums, was dabei die für uns adäquate Reaktion ist.

Der dabei notwendige Austausch und die lebhafte Diskussion

kann dann auch zu anderen Ergebnissen führen, als ich es gewollt und favorisiert habe.

Bei den bisherigen Entscheidungen zu den Corona-Konsequenzen war das nicht der Fall. Die sind alle einmütig gefallen.

Und wenn zukünftig nicht?

Ja, dann kann gerade dadurch wieder die positive Spannung wachsen, die uns als vielfältige Gemeinde die ganzen Jahre auszeichnet und unser Licht des Glaubens leuchten lässt durch die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen.

 

Wir sollten der Versuchung widerstehen, Spannungen durch materielle Zufriedenheit, durch spirituelle Überheblichkeit oder durch den Wahn der Machbarkeit aufzulösen. So höre ich bei Jesus und bei Paulus.

Weil auch der Glauben erst dann leuchten und ausstrahlen kann, wenn Spannungen als Herausforderung verstanden und genutzt werden. Siehe Batterie und Lampe.

 

Deshalb wünsche ich euch und mir eine gesegnete Zeit. Ich wünsche mir, dass wir uns nach dieser Zeit frohen Herzens wiedersehen. Wir dürfen gespannt sein, wie es dann weitergeht.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

Lieder und Psalm:

EG 452: Er weckt mich alle Morgen

EG 750: Psalm 91

EG 347: Ach bleib mit deiner Gnade

EG 391: Jesu geh voran

EG 369: Wer nur den lieben Gott lässt walten

 

Predigt zum zweiten Sonntag in der Passionszeit 28. Februar 2021

Predigttext: Jesaja 5 - Das Weinberglied - hier nachzulesen.

Prediger: Pfarrer Ralf Hettmannsperger


Die Predigt können Sie hier anhören.



Der Friede Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit uns allen. Amen.


Liebe Zuhörerinnen und liebe Zuhörer,

unser heutiger Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja führt uns mittenhinein in eine lebhafte Feier in Jerusalem. Es ist Erntefest. Allein daran zu denken, wie da Menschen eng beieinander stehen oder sitzen, miteinander lachen, essen, trinken und die Stimmung immer ausgelassener wird ,lässt mich fast neidisch werden.

Ja, mit vielen anderen sehne ich mich danach, dass wir im September wieder unseren Pälzer Owend vorm Gemeindehaus feiern können, wenn wir endlich die Corona-Krise einigermaßen hinter uns haben werden und wieder sowas wie Alltag einkehrt.

Gleichzeitig aber hab ich schon noch im Ohr, was mir grad vor kurzer Zeit der junge Winzer sagte, bei dem ich in letzter Zeit unseren Wein einkaufe. Die Nässe mit Regen und Schnee der letzten Zeit hätten seinen Reben gut getan.

Auch die knackige Kälte hätte wohl besonders den Rieslingstöcken gefallen. Das letzte Frühjahr sei viel zu trocken gewesen. Zwar können Weinstöcke bis zu 10 Meter lange Wurzeln ausbilden, manchmal auch mehr.

Doch je weiter das Grundwasser absinke, umso schwieriger werde es eine gute Lese einzufahren. „Wir Winzer kriegen den Klimawandel schon länger zu spüren. Darauf müssen wir uns weiter einstellen“, sagte er.

„Andere Sorten pflanzen und vor allem immer mehr auch probieren, welche Reben den sich ändernden Bedingungen wirklich gewachsen sind.“

Weine testen konnte ich ja nicht. So wurde mein Einkauf zum interessanten Gespräch über den Klimawandel, über die Gefährdung besonders des Rieslings, über die Bewässerung der Gemüsefelder, die das Grundwasser absinken lassen

und auch über uns als Verbraucherinnen und Verbraucher, die nur alles möglichst preisgünstig kaufen möchten.

„Ach, ich sag ihnen was“, meinte er beim Bezahlen und lachte dabei, „wenn sie die erste Schorle oder den Weißburgunder im Glas haben, denken sie bloß nicht mehr so viel an die ganzen Probleme, sondern genießen sie meinen Wein.“

Ich muss gestehen, beim ersten Glas ist das noch nicht gleich gelungen. Später dann schon. Und dennoch muss ich auch beim Wein im Glas immer mal wieder darüber nachdenken, wie groß wohl der menschliche Anteil ist – und konkret

auch mein eigener und der meiner Generation – an der überall feststellbaren radikalen Verschlechterung der Umweltbedingungen. Zusammengefasst im Begriff Ausbeutung der Erde.

Wer alles Kreatürliche als von Gott geschaffen und uns geschenkt versteht, der kann nicht anders als Ausbeutung Sünde – Abkehr von Gott – zu nennen.

Davon weg zu kommen, davon umzukehren ist Thema grad in der Passionszeit.

Wie kollektives Versagen und Schuld mit Gott zusammenhängen, darum geht esauch bei Jesaja.


Lassen wir uns hineinnehmen in seine Darstellung.
Erntefest in Jerusalem.
Viele Menschen sind unterwegs. Die Straßen und Gassen sind belebt. Auf einem kleinen Platz stimmt jemand sein Instrument. Leute bleiben stehen, erwarten einen Vortrag. Sie stoßen einander an.

„Ist der da drüben nicht…“, wispert einer. „Ja, genau, der Sohn von Amoz. Jesaja heißt der.“
„Das ist doch ein Spinner, oder. Neulich lief er nackt durch die Stadt. Völlig durchgeknallt, der Typ.“
„Er erzählt von Gott“, sagt ein anderer. „Er sagt, wir haben Gott verlassen. Gott wird uns bestrafen. Die Assyrer werden alles kaputt machen.“„Ach, hör auf. Diese Untergangsbotschaft will keiner hören.“

Bevor sie sich richtig in die Haare bekommen, stößt einer der Umstehenden sie in die Rippen. „Ruhe jetzt.
Hört doch mal zu. Will der singen?“
Das Instrument ist gestimmt. Mit merkwürdigem Singsang ertönt eine Stimme über den Platz.
„Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem
Freund und seinem Weinberg.“

 „Ein Liebeslied“, raunen die Leute. „Ein Hochzeitslied.“ Schön. Sie machen es sich bequem. Entspannen sich.

Der Weinberg – das Bild der geschmückten Braut, die ihren Bräutigam erwartet und mit ihm die Früchte des Weinstocks genießt. Oder „Weinberg“ ist das Bild des Volkes, an das Gott sich gebunden hat.

Endlich mal eine wohltuende Botschaft von diesem Propheten, von dem man sonst so viel Bedrohliches hört.

Und da geht es auch schon weiter.


„Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er
baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er
gute Trauben brächte…“


Welch eine Liebe und Sorgfalt zeigt sich in diesem Bild. Vor den Augen der Zuhörenden entstehen der Weinberg und der Weingärtner. Eine Hacke trägt er, um die Steine aus dem Boden zu holen. Harte Arbeit. Die Sonne brennt und bringt den Bauer zum Schwitzen. Aber seine Augen leuchten. Er ist voller Liebe zur Erde, voller Liebe zu seinem Stück Land und zu seinem Wingert. Mit Hingabe hackt und jätet er, gießt und schneidet, zieht die Ruten raus, heftet die
Triebe an. Dann nimmt er große Steine und baut einen Turm, damit er die Weinreben schützen kann, und gräbt eine Kelter, in der in einigen Monaten die Trauben mit den Füßen gestampft werden.
Der Singsang klingt zwar merkwürdig, aber der Text handelt von dem, was wir kennen und schätzen, denken die Menschen: Die Arbeit, die Liebe, die Sorgfalt.
Es ist, wie wenn ein Mann um die Frau wirbt, die er liebt.

Oder wie wenn Eltern ihren Kindern alles an Fürsorge und Schutz geben, was sie haben.

Es ist - wie es eben natürlich und gut ist. Das Bild ist so schön. Dann hören sie Jesaja weiter zu.
„… aber er brachte schlechte Trauben....“


Was? Das darf nicht sein – das kann nicht sein. Aber er brachte schlechte…

Der Winzer hat alles richtig gemacht. Er hat für seinen Weinberg alles gegeben, was er hatte. Seine Zeit, seine

Arbeitskraft, seinen ganzen Einsatz, seine Liebe. Sonne und Regen sind gekommen – aber der Wingert bringt schlechte Trauben hervor. Saure, ungenießbare Trauben. Früchte, die krankmachen. Ein Schlag ins Gesicht für den Winzer.


Die Menschen sehen sich um. Der Schock steht vielen ins Gesicht geschrieben. Die Idylle - auf einmal beendet. Das schöne Bild des Weinbergs mit seinen saftigen, reifen Trauben bleibt eine Wunschvorstellung.

Das Grummeln unter den Leuten wird immer lauter. Das Lied aber wird fortgesetzt.


„Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und
meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das
ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht,
während ich darauf wartete, dass er gute brächte?“


Wer spricht denn da, fragen sich die Menschen. Wer ist mit dem Winzer gemeint?
Der Mann, der seiner Braut einen Antrag macht?
Die Eltern, die sich für ihr Kind einsetzten, ihm alles gaben, was sie hatten? Die dann aber enttäuscht werden, als es erwachsen ist. Zeit, Kraft und Liebe aufgewendet - für nichts.
Der Weinberg ist trocken und verdorben. Der Traum ist ausgeträumt.
Einer denkt an seine geplatzte Hochzeit und kann noch den Schmerz fühlen.


Die, die neben ihm steht, hat ihren Sohn vor Augen. Sie hat nicht gewollt, dass er diesen Weg eingeschlagen hat. Enttäuschung breitet sich wieder in ihr aus.
Ein anderer musste gerade seinen Laden schließen. Sein Konzept ist nicht aufgegangen. Vielleicht ist ihm auch übel mitgespielt worden. Er lässt die Wut darüber wieder aufsteigen.
Eine denkt an ihre Mutter. So viel Bitterkeit und Ablehnung. Und immer hatte sie es doch richtig machen wollen. Und nichts hat gefruchtet. Jeder Satz wird irgendwie falsch aufgefasst. Ständig gibt´s Vorwürfe und Aggressionen.


Wohin man schaut: Vergeudete Liebe. Fürsorge und Kraft in den Sand gesetzt. Alles für nichts.

Und dann ist da wieder Jesajas Stimme. Jetzt noch schroffer.
„Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf
regnen.“


Eigentlich ist das gerecht, denkt der verlassene Bräutigam. Nichts mehr tun. Sich einfach umdrehen und gehen. Sie grad ihrem Schicksal überlassen. Nicht mehr trauern. Das Leben geht weiter. Sie war es nicht wert.


Aber, denkt die Mutter, er ist doch mein Sohn … ich kann doch nicht einfach …
obwohl, vielleicht täte es mir gut. Ein klarer Schnitt. Ein Ende mit Schrecken. Sonst wird es noch ein Schrecken ohne Ende, wie man so sagt. Sie spürt die Trauer. Soll ich ihn wirklich verlieren müssen?


Der andere sieht sich schon die Tür abschließen zu seinem Laden. Die Regale werden nicht wieder gefüllt. Dann eben nicht. Woanders werde ich Kunden finden, die mein Angebot zu schätzen wissen. Trotz steigt in ihm auf.


Und die Tochter schließlich zieht innerlich eine klare Grenze. Sie haben es nicht besser verdient. Ich geh einfach nicht mehr hin. Basta! Und zu ihrer Beerdigung werde ich auch mal nicht kommen, denkt sie.


Einfach nichts mehr tun. Nicht mehr kämpfen, nicht mehr leiden. Den Schmerz nicht mehr ertragen.

Wenn selbst das Allernatürlichste nicht mehr erwartet werden kann, ist es Zeit für einen Schnitt. Die Menschen fühlen sich bestärkt und wollen sich schon umdrehen und gehen.

Doch halt, das Lied geht noch weiter. Wirklich? Es war doch eigentlich alles gesagt …


„Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“


Das sitzt. „Wir sind die Härtlinge – die ungenießbaren Trauben“, merken die Menschen.
„Wir sind gar nicht die Winzer, die Heger und Pfleger. Was soll das?“
Kein klarer Gedanke mehr. Halt, will einer rufen. Doch der Prophet dreht sich um und verlässt den Platz.

Einer nach dem anderen, so machen die Menschen sich auf den Heimweg. Ratlos. Nachdenklich.

Auch ein bisschen trotzig. Hat er recht? Und was wird geschehen?
Statt Rechtsspruch Rechtsbruch. Statt Gerechtigkeit Schlechtigkeit.

Der Weinberg hat es nicht besser verdient.

Vielleicht haben wir Menschen es nicht besser verdient. Manches fällt auf uns zurück.

Die Folgen unserer Taten und Unterlassungen werden wir tragen müssen.

Noch viel mehr aber unsere Kinder und Kindeskinder.
Klimawandel, Verteilungskämpfe um Wasser, Druck durch Flüchtlingsbewegungen,
Krankheiten durch Umwelteinflüsse. Da sind Viren, die von Tieren auf Menschen überspringen, nur ein kleiner Teil.


Fast 700 Jahre nach Jesaja erzählt ein Prophet wieder von Weinbergen und Arbeitern im Weinberg. Von Winzern und vom Weinstock, an dem die Reben hängen. Und er spricht von Gottes Barmherzigkeit. Vom Vater mit seinen beiden
Söhnen. Von Neubeginnen und Gottes Großzügigkeit.

Im Raum und unter dem Schirm der Barmherzigkeit können Menschen sich verändern, sagt und lebt Jesus.

So ist ein Neubeginn möglich. Die Menschen können ihre falschen Wege verlassen, von ihren Sünden umkehren, weil sie mit Liebe angesehen werden. - Gedenke, Gott, an deine Barmherzigkeit! -


In der „Barmherzigkeit“ steckt das Herz, das Gott für uns, für seine Menschen, hat.
Und dann ist er für uns eingetreten. In die Mitte getreten, in den Riss, der zwischen uns und der Welt verläuft.

Trägt, was wir nicht tragen können. Versöhnt mit dem, was ist.

Schenkt Frieden, den wir nicht schenken können – auch mit der Schöpfung.
Er, den wir in diesen Wochen nach Jerusalem begleiten, bis ans Kreuz und durch das Grab hindurch.


Weil er es gewagt hat, für Barmherzigkeit zu leben und zu sterben, gibt es einen Neubeginn für mich, für uns.

Für die Welt. Immer wieder. Das Leben setzt sich durch.
Am Weinberg können noch gute Trauben wachsen.
Beschenkt von Gottes Barmherzigkeit können wir umkehren und die Erde wird heilen.


Oder wie mein junger Winzer sagte: „Na ja, unsre Enkel sollen doch auch noch
Riesling aus der Pfalz trinken können.“

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt am Sonntag Invokavit - 21. 02. 2021

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext Johannesevangelium 13, 21-30 - hier nachzulesen.

Die eingelesene Predigt können Sie hier anhören.


Willkommen auf unserer Predigtseite.

Heute ist Invokavit. Der erste Sonntag der Passionszeit.

Invokavit heißt: „Er hat gerufen“. Abgeleitet aus Psalm 91.

Dort heißt es: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“

Gut und heilsam, wenn wir das so für unser Leben annehmen können.

 

Ob dieser Zuspruch auch für eine der dunkelsten Figuren der Bibel gilt, für Judas, den Verräter Jesu, darüber werden wir mit unserem Predigttext aus dem Johannesevangelium nachdenken.


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

„Und es war Nacht“. Diese vier Worte am Ende unserer Perikope sind so schlicht und gleichzeitig so unheilschwanger.

„Und es war Nacht.“

Keine laue Sommernacht mit Vollmond und Glühwürmchen. Keine Nacht der ersten Liebe. Schon gar nicht rauschende Ballnacht, durchtanzt und beendet mit einem zärtlichen Tête-à-Tête in der Bar.

Nein, diese Nacht hier ist kalt, finster, voll schleichenden Unheils. Sie riecht förmlich nach Verderben, Verrat, Wahnsinn.

Und es war Nacht – mit vier Worten zusammengefasst der Schrecken, die Tragödie, die bevorsteht.

Aber was ist hier überhaupt los?

 

Jesus ist mit seinen Jüngern zusammen. Eben gerade noch nach dem Essen diese liebevolle, ja fast demütige Geste der Fußwaschung. Am Anfang haben sich die Jünger bestimmt geziert, als ihr Meister sich eine Schürze umband, nach einer Schüssel fragte und anfing ihnen nacheinander die Füße zu waschen.

Und dann in diese freundliche fast zärtliche Situation hinein spricht er dunkle Worte, „damit die Schrift erfüllt werde“ und zitiert aus Psalm 41: „Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen“.

Was soll das? Viele Stellen aus der Schrift kannten sie natürlich sehr gut. Aber ausgerechnet jetzt solche Worte?

 

Geht es im Endeffekt darum: Alles geschieht nach einem Plan, muss so geschehen, vorgegeben durch Worte aus der heiligen Schrift? Alles wie auf Schienen? Ohne die Chance auszuweichen? Kein Aufhalten?

 

Jesus kündigt das Ungeheuerliche an: „Einer von euch wird mich verraten“.

Und aus der Runde der Zwölfen tönt es nicht etwa: „Was redest du denn da?“ Oder: „Lass den Unsinn. Damit macht man keine Späße!“

Das Echo der Freunde ist nur das beklemmende Gefühl: „Meint er vielleicht mich?“ 

Grenzt das nicht an Wahnsinn, nach allem, was sie miteinander erlebt haben in den letzten Monaten, dass niemand von den Jüngern ausschließt, dass er es sein könnte, von dem ihr Meister redet. Eine Situation zum Luftanhalten.

 

Und dann die Sache mit dem Liebling. Jesus hat einen Lieblingsjünger. Tja, so ist das halt. Ich hab‘ euch alle lieb, aber einen noch ein bisschen lieber? Da liegt doch Konfliktpotenzial drin.

Zumal der Liebling ihm auch noch wie eine Katze schnurrend an der Brust liegt. Ist das denn so ohne Weiteres in Ordnung? Die anderen fühlen sich da nicht zurückgesetzt? Müsste denn nicht wenigstens Jesus alle gleich liebhaben?

 

Und was ist eigentlich mit Petrus los? Sonst so klar und vollmundig akzeptiert er wohl, was er da am Tisch sieht. Mehr noch: Er bittet den Schmuser um Vermittlung.

Taut er sich nicht, selber zu fragen? Egal! Jetzt wird´s bretthart. Aber die Antwort von Jesus ist nicht offen und gerade heraus: Judas!, sondern indirekt, über eine Geste. „Der ist‘s dem ich den Bissen eintauche und gebe“.

 

Merkwürdig. Auch, was dann folgt: Kein aufgeregtes Reden, kein Durcheinander, das in Chaos abzugleiten droht. Nein! Es wirkt alles wie auf Schienen, wie ein Theaterstück, Inszenierung voll dunkler Symbolik.

Und warum? „Damit die Schrift erfüllt würde“?

Judas, der doch die Ansage Jesu ja ebenfalls gehört haben muss, er nimmt den dargereichten Brocken und isst.

 

Und „nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn“. Wie der Blitz, als wenn da etwas einrastet. Armer Judas.

„Was du tust, das tue bald“, hört er noch von seinem Meister – und nach ein paar peinlichen Missverständnissen stolpert er hinaus in die Nacht. Ein Verlorener.

 

Das Unheil nimmt jetzt seinen Lauf. Oder müssen wir, die wir ja die folgenden Ereignisse kennen, nicht besser sagen: Nicht das Unheil nimmt seinen Lauf, sondern: das Heil nimmt seinen Lauf?

Das ist es doch, was die Geschichte sagen will: das Heil, die Heilung, die Wende zum Guten nimmt ihren Lauf durch Unheil, Verrat und den Teufel persönlich.

Ein armer Hund als tragisches Werkzeug. Armer Judas.

Er hat in diesem Drama wirklich die ganz schlechte Karte gezogen. Weckt das nicht unser Mitgefühl?

 

So weit, so dunkel, so Nacht.

Aber. Ja, Judas. Aber. Was spielst du nur für eine Rolle? Ist es nicht plötzlich die Hauptrolle?

Du armer vom Teufel besessener Hund. Was wär denn aus der Welt und der gesamten Menschheit geworden ohne deinen Verrat? 

Wärst du nicht in diesen Abgrund gesprungen, hätte es nie eine Verurteilung Jesu gegeben, keine Kreuzigung und auch nicht Gottes großer Tat der Auferweckung dieses Ersten von den Toten.

Auf die Spitze getrieben: ohne Satan, das Böse, den Teufel keine Erlösung und Befreiung von unseren Sünden, von der Trennung zwischen Gott und Mensch.

 

Mensch, Judas, wenn ich meine Abscheu überwinde, kann ich ja mal versuchen dich zu verstehen.

Gehörtest du zu den Zeloten, gar zu den Dolchträgern, die hofften Jesus würde den bewaffneten Aufstand gegen die verhassten Römer anführen? Wie enttäuscht musst du da gewesen sein, als er euch und den Menschen, die ihm in Scharen zuliefen, tagaus, tagein von der Feindesliebe predigte und dies auch lebte?

 

Oder war es die verborgene Geltungssucht in dir, die dich zu deiner irrsinnigen Tat des Verrats drängte?

Du hast auf so viel verzichtet, hast so viel für Jesus hinter dir gelassen und dich aufgeopfert, hast den harten Job, das wenige Geld für alle zusammenzuhalten unter den schwierigsten Bedingungen -  und er – dein Meister?

Er hat einen Lieblingsjünger. Hat er dir jemals gesagt, wie wichtig du ihm bist? Wohl kaum. Und dann siehst du dieses zweibeinige Kätzchen, das ihm an der Brust liegt und kuschelt. Wie tief hat dich das verletzt?

Es wäre nicht der erste Verrat aus enttäuschter Liebe.

 

Wir wissen nicht genau, was Grund der Abgrund tiefen Enttäuschung des Judas ist.

Wir können aber ahnen, dass sie da ist. Wer verrät, was er liebt, ist enttäuscht, bitter enttäuscht. Und begeht zugleich einen großen Fehler, wenn er die Liebe verrät.

Diesen Fehler bereut Judas, als er wieder bei Sinnen ist. Da weiß er, dass man Enttäuschung, ganz egal, wie veranlasst, nicht mit Verrat beantworten darf. Sondern nur mit anhaltender Liebe. Wie Gott uns liebt, trotz aller Enttäuschungen. Aber, Mensch, Judas, wie unglaublich schwer ist es, dies zu erkennen.

 

Und wie sieht es aus mit Mensch Kurt? Mensch Simone und Iris, Mensch Günter und Ralf? 

Na klar, fallen mir Gelegenheiten ein, in denen ich mehr Judas als Lieblingsjünger war.

Verrat kann viele Gesichter haben.

So voller Abscheu zu sein, einem anderen Menschen Schlimmes zu wünschen? Ich bekenne!

Hass als Reaktion auf erlittenes Unrecht? Ja, ist schon vorgekommen. Immer wieder auch Zorn und manche Schadenfreude. Von Gerechtigkeit reden und selbst profitieren von der Ausbeutung anderer? Ja, da häng ich mit drin. Und bestimmt werde ich auch mit großer Freude die Fußball-WM schauen. Und weiß doch auch von so vielem Leid, das damit zusammenhängt in Katar.

Dass man bei all dem dann erschrickt über sich selbst, glättet nichts. Ist nur das Mindeste.

 

Ich ahne: Judas ist einer, der in uns allen steckt. Und dazu muss man ja wirklich nicht den Satan bemühen. Vielleicht reicht ja auch die Erkenntnis, dass wir zu der zweifelhaften Gattung gehören, die sich Mensch nennt.

Und weil das an dieser Stelle kein Ruhmesblatt ist, hilft mir hoffentlich das Eingeständnis, der nüchterne Blick auf mich selbst. Ja, ich kann so sozial sein, freundlich, lieb und auch fromm – aber dieses Untier, dieses arme Judas-Ding steckt eben auch in mir.

Da finde ich die Jünger beispielhaft. Diese Sorge von jedem: Könnte ich’s sein? Diese Haltung ist heilsam. Denn die wirklich schlimmen Leute sind doch wohl die, die so hoch von sich denken, dass sie sagen: „Ich doch nicht! Auf gar keinen Fall.“ Die haben dann noch nichts von sich begriffen und sind wirklich gefährlich in ihrer Selbsteinschätzung als gute Menschen.

 

Zum Schluss? Was sagt uns die biblische Szene über die wenig erfreuliche Selbsterkenntnis hinaus?

Ich komme da nochmal zum Anfang zurück. Auf diese starr erscheinende Sache, „damit die Schrift erfüllt werde“.

 

Alles geschieht nach einem Plan, vorgegeben durch Worte aus der heiligen Schrift? Wie auf Schienen – ohne Chancen auszuweichen? 

Ja! Genau so. Wir alle sind in einem Plan. Gottes Plan, uns zu retten, auch durch die Nacht, auch mittels der Nachtseite unserer Existenz.

Uns zu retten trotz aller Enttäuschungen – aus lauter Liebe.

Es ist etwas geschehen und geschieht weiter und immer wieder neu für jeden von uns. Auch das Böse dient dem, der niemanden aufgibt. Gottes Wille ist unbeirrbar. Seine Liebe kennt keinen Aufenthalt.

 

Der Theologieprofessor Karl Barth hat einmal folgendes Bild zu beschrieben:

Wir sitzen alle in einem Zug. Dieser Zug fährt seinem Ziel entgegen, niemand wird diesem Ziel entgehen.

Man kann in dem Zug nach hinten laufen oder sich unter dem Sitz verstecken, er kommt dennoch am Bahnhof an.

 

Das mag manchem als beklemmend erscheinen - und ist doch ein großer Trost. Denn in diesem Bild ist die Gewissheit enthalten, dass auch Judas, unser Bruder, Schatten, Feind und Freund, dabei sein wird.

 

Judas Iskariot, so spricht Gott auch zu Dir: „Ich bin bei dir in der Not. Ich will dich herausreißen und zu Ehren bringen.“

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.



Predigt am Sonntag Estomihi - 14. Februar 2021

Predigttext: Jesaja 58, 1-9 - wird während der Predigt gelesen.

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer

Die eingelesene Predigt können Sie hier anhören.


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

ganz heftig beginnt der Abschnitt aus dem Buch des Jesaja als Text für unsere Predigt heute.

So heftig, dass wir uns fragen:

Wer darf so reden und wer will diese Vorhaltungen hören, ohne sofort wegzuhören?

Aber so anklagend diese Rede beginnt, so strahlend hell leuchten die Worte am Schluss. Uns würde Entscheidendes entgehen, wenn wir nicht bis zum Schluss hinhören würden.

Außerdem macht ja auch so ein krasser Einstieg neugierig darauf, was da denn unbedingt gesagt werden muss.

Lesen Sie selbst:

 

Jesaja 58, 1-9

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

 

"Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!" -

Wahrlich keine einschmeichelnde Botschaft ist das!

Aber klare Worte können notwendig sein. Etwa bei einer Krankheit. Eine erfolgreiche Therapie braucht eine Diagnose, die klar benennt, was zur Heilung notwendig ist.

Von Heilung wird ja am Ende noch die Rede sein. Sie ist das Ziel.

Sinneswandel und Umkehr sind möglich. Deshalb diese deutlichen Worte.

 

Es geht um falsches und richtiges Fasten. 

Fasten ist in. Nicht nur religiös. Fastenkuren versprechen besseres Leben. Entschlacken, größere Klarheit im Kopf - dafür üben Menschen Verzicht, den sie aber als Gewinn für ihr Leben ansehen. So ist Fasten auch ein Weg der Selbst-Optimierung und damit im Trend.

 

Religiös verstanden war Fasten in evangelischer Tradition lange Zeit verpönt als Ritual einer verordneten Frömmigkeit.

Dabei übersehen wir, was es bringt für die, die mitmachen: zum Beispiel als gelebte Gemeinschaft gerade in der "Fremde"- bei Muslimen in Deutschland.

Oder als Zeit der Besinnung auf das Wesentliche bei der Aktion "Sieben Wochen ohne". Auch viele evangelische Christen sind dabei, weil sie spüren, dass der Verzicht auf alles Ablenkende auch Freiheit zulässt für neue Impulse.

 

Von denen, die der Prophet Jesaja kritisiert, heißt es: "Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen!"

Und sie machen es sich nicht leicht, sie verlangen sich auch körperlich einiges ab.

Das alles, weil sie Gott suchen. Was ist daran verkehrt?

Menschen suchen Gottes Nähe und "wollen, dass Gott ihnen nahe sei" heißt es.

 

Hinter dem Fasten dieser Menschen steht ihr Wille, dass Gott ihnen nahe sei. Das wünschen sich Menschen in ihrer Not und mit ihren Wünschen und Bedürfnissen.

So möchten sie Gott beeinflussen und für sich vereinnahmen, aber was ist, wenn Gott umgekehrt will, dass wir ihm nahe sind, uns ihm zuwenden?

 

Die Richtung macht den Unterschied. - Und der Irrtum, es könne allein um das Verhältnis zu Gott gehen.

Diese Rechnung geht nicht auf, und sie fragen: "Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst es nicht wissen?"

Die Menschen sehen nicht, dass wir Gott nie nur für uns allein haben können, als hätte unsere Beziehung zu Gott nichts mit unserem Nächsten zu tun. Nähe zu Gott ohne Nähe zum Nächsten können wir nicht haben.

Sie fasten, und gleichzeitig gehen sie ihren Geschäften nach und bedrücken ihre Arbeiter. So lautet die harsche Kritik.  

Sind wir denn auch so? fragen wir uns irritiert.

 

Christen, die nach außen fromm und demütig leben, aber ihren eigenen Angehörigen das Leben schwermachen, soll es wohl geben.

Aber nicht sie allein trifft die Kritik des Propheten. Dann könnten wir auf sie zeigen und wären selbst fein raus.

Uns gelingt es in der Regel, ein "anständiges" Leben zu führen.

Aber wenn wir genauer hinhören oder lesen, wovon hier die Rede ist: Geschäften nachgehen und Arbeiter bedrücken, dann kommen wir ins Grübeln.

 

Wir wissen genug über ungerechte Löhne und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse heute, in die wir durch unsern täglichen Konsum und durch den Weltmarkt verstrickt sind, ob wir das wollen oder nicht.

Wir können nicht verleugnen, dass Hunger und Elend in der Welt, in der Nähe und in der Ferne, mit wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun haben, die wir so eigentlich nicht wollen. Trotzdem machen sie den Wohlstand möglich, an den wir uns gewöhnt haben.

 

Fasten, Beten, jedes religiöse Ritual hat immer auch mit den Nächsten zu tun, mit einem Dreiecksverhältnis zwischen uns, Gott und den Nächsten.

Von Anfang an will Gott nicht eine exklusive Nähe zu einzelnen Frommen.

Gottes Nähe, die wir suchen, ist immer Gemeinschaft "all inclusive": In die Ruhe des Sabbats bezieht schon Gottes Gebot ausdrücklich nicht nur Sohn und Tochter, sondern auch Knecht, Magd, Vieh und Fremdling mit ein!

 

Genauso ist nur das ein Fasten, das Gott gefällt, das alle im Blick hat, mit denen wir verbunden sind.

Schwer zu verstehen ist das nicht. Aber das praktisch umzusetzen ist für uns heute nicht leicht. Wir sind vielfältig mit Menschen verbunden, deren Arbeit uns zugutekommt, die aber längst nicht immer unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten und leben: die Saison- und Wanderarbeiter zum Beispiel in unserem Land in der Spargel- und Erdbeerernte.

Im letzten Frühjahr durften die Erntehelfer nicht einreisen und die stattdessen eingesetzten Studenten konnten erfahren, was da für ein Knochenjob zu leisten ist. Was die Erntehelfer als Lohn erhalten, ist im Vergleich zu der Armut in ihrer osteuropäischen Heimat für sie finanziell immer noch lohnend.

Und so kommen sie und nehmen oft Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse in Kauf, die eigentlich unwürdig und nicht akzeptabel sind.

Genauso die Arbeiter in den Schlachthöfen. Erst als im letzten Jahr durch die Corona-Pandemie das Risiko auch für andere in ihrer Umgebung zu hoch wurde, wurde das Ausmaß dieser Missstände unübersehbar.

 

Mit den Worten "Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!" war vielleicht ursprünglich gemeint die eigenen Angehörigen oder die Angehörigen des eigenen Volkes mit ihren Nöten nicht aus dem Blick zu verlieren.

Aber sind nicht auch Menschen, mit denen wir nicht verwandt sind, Menschen wie wir? Zählen nicht alle Menschen, egal wo auf dieser Welt, zu unserem „eigenen Fleisch und Blut?" Sind wir nicht alle miteinander Gottes geliebte Kinder?

Nicht verwandt miteinander im herkömmlichen Sinn, aber doch verbunden durch die Arbeit dieser Menschen und die Produkte, die wir kaufen und nutzen, so, dass wir um die Frage nicht herumkommen, ob wir sie nicht doch "bedrücken", wie es der Prophet nennt.

 

Gott reicht es nicht, dass wir Einzelnen die Last von ihren Schultern nehmen, sondern er will, dass wir jedes Joch wegreißen. So steht es da! So konkret und so konsequent redet der Prophet im Namen Gottes.

Wir singen: "Brich mit dem Hungrigen dein Brot!" und wollen das ja auch und stoßen dabei doch notgedrungen immer wieder an unsere Grenzen, die Not anderer, die wir sehen, zu lindern oder gar zu beseitigen.

 

Aber dennoch sind wir aufgefordert, jeden Tag unseren Blick und unser Herz zu öffnen für die Nöte anderer, egal ob in der Nähe oder Ferne, und zu tun, was wir tun können.

Manche Fastenaktionen wollen genau das bewirken: uns zu öffnen für die Nöte anderer Menschen, mehr noch: aller Geschöpfe.

Wie zum Beispiel die Aktion "Klimafasten".

Das Motto „So viel du brauchst“ erinnert uns daran, dass bei Gott nichts und niemand zu kurz kommen soll.

 

So hart die Rede anfängt: "Erhebe deine Stimme und verkündige meinem Volk seine Sünden!", so strahlend schön ist die Perspektive auf eine gute Zukunft, einen guten Ausgang:

"Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich."

 

Heilung ist möglich! So lautet die Mut machende Botschaft am Ende, deshalb münden die eindringlichen Mahnungen und die Worte des Propheten in ein strahlend-leuchtendes Bild von einem Zug, den ich mir wie einen Festzug vorstelle, indem unsere Gerechtigkeit vorweg geht und die Herrlichkeit Gottes den Zug beschließt.

 

Einen Festzug, bei dem keiner verlorengeht, ein Festzug mit allem was dazu gehört. Bei dem ganz sicher auch wieder eine festliche Musik erklingt. Anders kann es ja gar nicht sein.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Lieder: EG 445; Psalm 31, EG 716; EGs 181.6; 644; 418; 295.


Predigt zu Sexagesimae - 07. Februar 2021

Predigttext: Lukas 8, 4-8 Vom Sämann - hier nachzulesen mit dem weiteren Umfeld des Textes.

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger - hier anzuhören.


Liebe Leserin, lieber Leser,

warum wirkt Gottes heilsames Wort nicht überall?

Diese Frage will Jesus beantworten in dem Abschnitt, der heute unser Predigttext ist. Er muss die Frage auch beantworten, weil Menschen ihn wohl danach gefragt haben. Das deutet darauf hin, dass eben auch früher nicht alles besser war.

Auch damals, und selbst bei Jesus, verwehten die heilsamsten Worte im Wind, wie Samen, den einer auf seinen Acker werfen will. Der Same aber kommt dort nicht an. Er verfliegt, landet auf Felsen oder unter Dornen.


Warum wirkt Gottes heilsames Wort nicht überall?

Jesus antwortet mit einem Gleichnis, das unmittelbar einleuchtet.

Worte verfliegen, werden überhört, lassen Menschen gleichgültig.


Bei unseren menschlichen Worten, besonders denen, die von Hass und bösen Absichten geprägt sind, kann man ja geradezu froh sein, dass sie nicht alle aufgehen wie Samenkörner auf gutem Boden.                                                    Schlimm genug, dass sie bei einigen zu bösen und abscheulichen Taten werden, wie jetzt gerade wieder bei der Gerichtsverhandlung zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wahrzunehmen, oder wenn wir uns an den Sturm auf das Kapitol in Washington erinnern, als versucht wurde, die Demokratie aus den Angeln zu heben und fünf Menschen zu Tode kamen.


Ja, bei der Flut der Hass- und Lügenbotschaften im Internet muss man froh sein, dass die allermeisten versanden, nicht gründen und keine Wurzeln treiben.

Aber Gottes Wort?

Warum wirkt es nicht überall?

Um im Bild von Jesu Gleichnis zu bleiben, könnten wir sagen: Weil nicht überall der Boden dafür bereitet ist.


Bei all dem, was Tag für Tag auf uns einstürmt, können wir vor lauter Brausen um die Ohren dieses Wort gar nicht hören. Und wenn der Kopf uns heiß ist, weil Sorgen uns plagen und immer gleiche Gedankenfiguren uns vollauf beschäftigen, da schotten wir alles um uns herum ab, drehen uns um uns selbst und können uns nicht ausrichten nach oben, nicht ganz Ohr sein für das, was Gott uns sagen will.


Mehr und mehr werden wir so selbst zum felsigen Land – müssen ja hart sein – und zum Feld voller Dornen – müssen uns ja wehren. Und fragen uns schließlich, wenn doch mal eine Minute Zeit bleibt: Gottes Wort, was ist das überhaupt?


In etwas abgewandelter Form begegnet mir die Frage immer wieder, wenn ich nach intensiven Gesprächen mit den Angehörigen die Beerdigungsansprache für ihre lieben Verstorbenen vorbereite.

Wie wird im Leben eines Menschen Gottes Wort sichtbar? Wie kann man in der nacherzählten Lebensgeschichte die Geschichte Gottes darin wahrnehmen?


Grad vor Kurzem war es wieder so. Ich hatte eine fromme russlanddeutsche Frau zu beerdigen.

Nennen wir sie Helga. Sie wurde geboren in der heutigen Ukraine in einer armen Familie, in der es für sieben Personen nur ein paar Schuhe gab.

Zu der Zeit, 1936, herrschte eine Hungersnot im Land, die Hunderttausende Menschen dahinraffte.

Dann gab´s schon wenige Jahre später den Angriff der deutschen Wehrmacht. Helgas Vater wurde als vermuteter Kollaborateur verhaftet. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.

Die Mutter musste Helga und ihre vier Geschwister irgendwie durchkriegen. 1941 wurden dann knapp eine Million Russlanddeutsche ohne Hab und Gut und von jetzt auf nachher ins heutige Kasachstan zwangsumgesiedelt. Sie alle standen unter Generalverdacht mit dem Feind zusammenzuarbeiten.

Ein Vorwurf übrigens, den diese Menschen nie mehr ganz los wurden. Wie Vieh seien sie behandelt worden und so auch in Viehwaggons ohne Verpflegung transportiert worden. In der Zielregion seien sie dann grad ausgeschüttet worden während eines entsetzlich kalten Winters. Wer überleben wollte, musste sich Erdlöcher graben, denn befestigte Häuser gab es keine für die Nemzy, die verhassten Deutschen.

Die allermeisten wurden zu rechtlosen Arbeitssklaven. Auch Helga. Sie arbeitete mit Schafen und hat sich dabei eine entzündliche Krankheit zugezogen, die ihr Zeit ihres Lebens starke Knochenschmerzen verursachte. Wie Rheuma, sagte sie immer.

Später heiratet sie und dem Paar werden vier Kinder geschenkt. Als das jüngste 7 Jahre alt ist, die anderen sind zwischen 9 und 16 Jahren, stirbt plötzlich der Ehemann. Wieder drohte allen der Hungertod. Aber sie haben es doch irgendwie geschafft zu überleben. Natürlich mussten alle intensiv mitarbeiten und schuften. Zeit für Schulbildung blieb kaum. Für Zärtlichkeiten wohl auch nicht.

Sie ist schon Mitte 60, als Helga den großen Schritt wagt und nach Deutschland aussiedelt. Nach Wochen im Aussiedlerheim kam sie in unser Dorf. Später zogen ihre Kinder mit ihren Familien nach.

Am Meisten gefiel Helga, wie sich hier alle entwickelt haben und was alles aus ihnen geworden ist. Sie hielten zusammen und waren fleißig und Gott meinte es gut mit ihnen. Das war ihre Erklärung für den sichtbar wachsenden Wohlstand. Sie fühle sich hier wie im Paradies hat sie ihren Kindern immer wieder gesagt.

Zwischen Weihnachten und Silvester waren alle nochmal bei ihr zu Hause: Vier Kinder, sieben Enkel und acht Urenkel. Noch im Januar ist sie gestorben. Seit einem Jahr hatte sie Lungenkrebs. Dann kam noch eine Thrombose am Bein dazu und im Krankenhaus hat sie sich mit Corona infiziert.

Nach Gottes Wort in ihrem Leben musste ich nicht lange Ausschau halten.

In ihrer alten in Fraktur gedruckten Bibel war dick ein Wort aus dem Josua-Buch angestrichen:

„Siehe, ich gehe heute dahin, wie alle Welt; und ihr sollt wissen von ganzem Herzen und von ganzer Seele, dass nichts dahingefallen ist von all den guten Worten, die der Herr, euer Gott, euch zugesagt hat. Es ist ealles gekommen und nichts ist hingefallen.“

„All die guten Worte, die der Herr, euer Gott euch zugesagt hat“ und von denen nichts „dahingefallen“ ist – waren sie anderes als Durchhaltekraft, Lebensmut, dem Tod die Stirn bieten, glückliche Fügung, immer wieder aufstehen und die Hoffnung nicht ganz verlieren?


Ein Leben mit vielen Grenzerfahrungen wie bei Helga ist unser Leben ja Gott sei Dank nicht.

Viel weniger dramatisch. Das schon.

Aber brauchen nicht auch wir täglich eine Ration Mut und Kraft zum Durchhalten - Gottes Wort also?

Erst Recht jetzt, wo immer noch kein Ende der Pandemie abzusehen ist, wir langen Atem brauchen und die Erzählung geht, dass immer mehr – selbst Gutmeinende – schon zu japsen anfangen und scheinbar alles nicht mehr lange aushalten.

Genau das ist Gottes Wort: Mut und Kraft zum Durchhalten und Energie, die Leben gedeihen lässt.                                Nicht Worte darüber, nicht Nachricht von, sondern die Sache selbst: Durchhaltekraft, Beharrlichkeit, Impuls nach vorn und der richtige Drive.

Wort Gottes sagt nicht dies und das von Gott, sondern sagt Gott an, teilt Gott mit, ist Grundberührung mit dem Grund aller Dinge. Gibt Teilhabe an seinem Wesen.

Wort Gottes macht, dass Leben, Liebe, Glaube in uns keimen, aufgehen und schließlich Frucht bringen. Auch aus der Lebensgeschichte von Helga wird doch ersichtlich: Wort Gottes ist, womit Gott auf uns einwirkt, er uns trifft, er uns begegnet.


Ich will´s mal vergleichen mit einem Liebesbrief. Wenn man den schreibt und von seinem Innersten preisgibt, aber auch beim Erzählen dessen, was man gerade so macht, gibt man ja von sich selbst und nimmt den Liebsten/die Liebste mit hinein in sein Leben.

Der Liebesbrief ist ja kein Berichtsblatt, sondern ist Liebe selbst. So ist auch Wort Gottes kein Satz über Gott, sondern sein Wesen, das er dir und mir mit-teilt, austeilt.

Gott teilt mit uns sein Wesen. Er redet dich an, darum bist du;

sieht dich an, darum hast du Ansehen;

hört dich, darum ist dein Reden wichtig, besonders, wenn du deine Stimme für alle Stummen erhebst.

Wort Gottes, das ist das Lebendige am Leben, was Leben sät, eben, was dich sein lässt. Was macht, dass du du bist. 
Deshalb sind wir doch auch oft so verrückt – weggerückt aus dem, was unsere Lebensmitte sein sollte, weil wir den Kopf so voll haben, dass wir Gottes Wort über unsere Bestimmung weder hören, noch sehen oder sonst wie wahrnehmen.


Vielleicht warten sie ja schon darauf, liebe Leserinnen und Leser, dass ich auch dazu was schreibe:

Ja, Gottes Wort gibt es auch in schriftlicher Form. Es gibt sowas wie ein konzentriertes Archiv früher ergangener Worte Gottes, Bibel genannt.                                                                                                                 

Die göttlichen Wesensmitteilungen waren unseren Vor-Vorfahren zuteilgeworden. Manche haben die Erzählungen davon dann gesammelt und aufgeschrieben, weil sie sie als wesentlich erkannt hatten – wichtig für alle Zeiten.


Durch die Aufzeichnung dieser Gottesbegegnungen können wir aus dem, was sich einst in der Lebensgeschichte von Menschen von Gott her ereignete, heute noch Nutzen, Wahrheit, Inspiration und Kraft ziehen.

Die Mitte der Bibel als Archiv der geschehenen Worte Gottes ist der Mensch Jesus. Er ist Wort Gottes auf zwei Beinen.

Bis heute hat das, was Jesus Christus geschehen ist, Offenbarungskraft:

Gott ist kein Gott der Toten sondern der Lebenden. Darum sind die Toten vielleicht für uns tot, aber in Gott leben sie, sind auch für uns nur wenig jenseits.                                                                                                                                              Der auferstandene Heiland ist das Wort Gottes, in dem wir erkennen:

Gott ist Schöpfer, der nichts und niemanden aufgibt, auch nicht im Tod. Darum ist Exitus ja auch ist nicht Finish, sondern wirklich Exitus: lateinisch: Ausgang. Ausgang aus diesem Leben hier - hin zur unmittelbaren Nähe bei Gott.

Darum dürfen wir auch wissen: Die uns hier gestorben sind - es geht ihnen gut bei Gott. Sie kommen zurecht und sind mit Gott beschäftigt. Mehr müssen wir gar nicht wissen.

Gottes Wort pflanzt Leben in die Welt. Jeden Tag neu.

Am Anfang der Bibel heißt es: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“

So ist das Licht, ist jeder Sonnenaufgang Wort Gottes an dich und mich.                                                                                 Ein neuer Tag. Geschenk für alle Menschenkinder.                                                                                                                     Und die wärmende Sonne auf dem Gesicht eines Kindes macht uns Lachen, weil wir sehen und spüren: Das Leben ist voller Werden, kraftvoll und schön.


Wenn sich dies in Herz und Verstand eingesenkt hat, können wir leicht durchdeklinieren, was alles Gottes Wort ist, wo und wie es Wurzeln treibt und Frucht hervorbringt:

Eltern, die durch ihre Kinder zu Partnerinnen und Partner Gottes werden und die das ihnen in den Schoß und den Arm gelegte Leben als Auftrag annehmen.

Und die Kinder später dann die alt gewordenen Eltern: Die mir zum Leben geholfen haben, denen helfe ich jetzt.


Wort Gottes: Die Liebe, ja vor allem die Liebe! "Gott ist die Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." Die Liebe in all ihren wunderbaren Variationen ist Wort Gottes.

Und alles, was Menschen zu dem ihnen gemäßen Leben verhilft – Gerechtigkeit – Solidarität - Freiheit – Friede.


Wort Gottes auch alles, was das Herz erfreut und Lust macht am Dasein. Gestalte-Kraft und gute Arbeit leisten, aber auch lecker kochen und essen. Nicht zu vergessen saftigen Wein, schöne Augen machen und alle Erotik. Und dann natürlich die Musik.

Gottes Wort ohne Musik zu denken, wäre wie das das Fehlen einiger Wellenlängen bei der Farbe Weiß.


Warum wirkt Gottes heilsames Wort nicht überall, habe ich zu Beginn der Predigt gefragt.

Spannender noch wär ja vielleicht die Frage, ob und wie Gottes Wort bei mir selbst wirkt und ob ich ihm schon den Boden bereitet habe.


Viel Spaß beim Forschen und interessante Entdeckungen.

Bleibt behütet und bleibt stark – aus Gottes Wort.

Amen.


Predigt zum Letzten Sonntag nach Epiphanias - 31. Januar 2021

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best

Predigttext: 2. Mose 3, 1-8 - wird während der Predigt verlesen.

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

 

Wer bin ich eigentlich? Was ist mit wichtig? Welche Ziele setze ich mir für mein Leben?

Wie soll meine Zukunft aussehen?

Irgendwann stellt sich jede und jeder diese Fragen. Bewusst oder unbewusst, im Gespräch mit anderen, oder ganz für sich allein!

Dabei fallen die Antworten auf derlei Fragen sehr unterschiedlich aus. Sie hängen davon ab, wie ich mich erlebe und wie ich sein möchte. Welche Ideale oder Idole ich habe; wer mir ein Vorbild ist und wem ich nacheifere.

Und nicht zuletzt hängt die Antwort auch ab von meiner derzeitigen Befindlichkeit: Wie ich mich im Augenblick fühle, wie es mir heute und jetzt gerade geht.

Und noch etwas: Die Antworten auf diese Fragen ändern sich im Laufe der Jahre!

Sie sehen heute vermutlich anders aus als vor 10 Jahren. Und sie werden in 10 Jahren anders aussehen als heute.

Wer bin ich eigentlich?

Zugegeben wenn es einem wirklich richtig gut geht, kommt einem eine solche Frage wohl eher nicht in den Sinn!

Aber in Krisenzeiten:

Wenn scheinbar alles durcheinander geraten ist, mein Leben oder gar die ganze Welt;

wenn ich unsicher bin oder Angst habe;

wenn ich nicht mehr aus noch ein weiß,

dann spätestens brennt mir diese Frage unter den Nägeln.

Und oft kommt dann noch eine andere Frage hinzu: „Wo ist Gott?“

Antworten auf diese Fragen geben uns die biblischen Geschichten! Keine fertigen Antworten in dem Sinn, dass damit alle Fragen ein für alle Mal geklärt wären!

Nein, keine „fertigen„ Antworten, aber solche, mit denen wir etwas anfangen können, im wahrsten Sinne des Wortes!


Hören wir dazu unseren heutigen Predigttext.

Er steht im 2. Buch Mose im 3. Kapitel, die Verse 1-15:

„Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin,

ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Mose sprach zu Gott:

Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?

Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.

Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose:

Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt. Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Herr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.“

 

Mitten in der Geschichte stellt Mose die alles entscheidende Frage: Wer bin ich?

Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 

Wie kam es zu dieser Frage?

Es ist ein ganz normaler Tag. Unsereiner wäre aufgestanden und hätte dann sein Tagespensum vor sich:

Auf zur Arbeit, in die Werkstatt, ins Büro, an den Schreibtisch, hinaus aufs Feld oder ins Geschäft zum Einkaufen!

Keine besonderen Vorkommnisse. Ein ganz normaler Tag eben.

Aber dann kommt es ganz anders als gedacht und erwartet!

So ähnlich war das auch bei Mose.

Er macht sich auf seinen täglichen Weg. Er ist für die Schafe verantwortlich. Er rechnet mit nichts Besonderem.

Mitten in der Routine, mitten im Alltagstrott sieht er das Außergewöhnliche.

Ein Busch brennt, aber er ver-brennt nicht. Vermutlich eine faszinierende Naturerscheinung, die ihn neugierig macht!

Er will es genauer wissen.

„Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.“

Mitten im Alltag gerät er in Erstaunen!

Er bekommt etwas zu sehen und später auch zu hören und gerät ins Staunen!

 

So beginnt nicht nur die Geschichte von Mose mit Gott,

so beginnt im Grunde jede Glaubens-Geschichte:

Neugierig werden und staunen!

Glauben heißt: staunen über Geschehnisse und Ereignisse, die andere für selbstverständlich halten!

 

Mitten im Alltag ist Mose aufmerksam und stößt neugierig auf etwas Ungewöhnliches und begegnet dabei Gott!

Mitten im Alltag kommt es zu einer völlig unverhofften Begegnung mit Gott, einfach so!

Er wird mit seinem Namen angesprochen: „Mose, Mose!“

Und antwortet: „Hier bin ich.“

Und dadurch verändert sich etwas, ohne dass Mose zunächst etwas davon merkt oder spürt!

Durch die Gegenwart Gottes wird das Normale verändert:

Wird aus einem normalen Ort auf einmal eine heilige Stätte!

Durch die Gegenwart Gottes wird aus einem sonntäglichen Beisammensein einiger Menschen nunmehr ein Gottes-Dienst!

In der Begegnung mit Gott, wo auch immer, verändert sich etwas, auch wenn nach außen hin alles beim Alten bleibt!

In der Begegnung mit Gott verändert sich der Augenblick und manchmal sogar das ganze Leben.

 

In der Begegnung mit Gott werden wir selbst zu Heiligen.

Was ja nicht heißt, dass wir von nun an mit Heiligen-Schein herumlaufen würden, sondern dass wir zu Gott gehören!

Heilige sind Menschen, die sich von Gott angezogen und angesprochen fühlen und darum mit seiner Gegenwart rechnen!

Und dann stellt Gott sich vor:

„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört. Ich habe ihre Leiden erkannt.“

Er hat genug gesehen, um zu wissen, was notwendig ist!

Sein Volk leidet, seine Kinder werden als Sklaven missbraucht, sie erleben Ungerechtigkeit.

Und das alles ist Gott nicht egal. Es berührt ihn.

Das, was er sieht, lässt ihn nicht kalt! Das, was er hört, lässt ihn handeln! Er kommt auf die Erde. Er bleibt nicht in der Ferne. Kein neutraler, unbeteiligter Beobachter!

 

Gott lässt sich anrühren vom Leid der Menschen; er hört, wie sie ihm ihr Leid klagen und wie sie auch über ihn selbst klagen. Mitten im Elend, in der Verwüstung und im Schmerz ist Gott da und hört sie.

 

Aber nun kommt Mose ins Spiel! Angesichts so großen Leids braucht Gott Menschen; Frauen und Männer, die sich von ihm in Dienst nehmen, sich von ihm schicken lassen.

Gott will Mose und braucht Mose!

Und Mose wird es angst und bange. „Wer bin ich?“, fragt er.

Und wir könnten ergänzen: „Gott, das ist eine Nummer zu groß für mich! Ich kann das nicht, und ich habe auch Angst davor!“

 

Ja, es ist gar nicht so einfach, sich auf das Leid oder die Verzweiflung anderer einzulassen:

Bin ich denn wirklich der oder die Richtige? Kann ich denn wirklich helfen? Wer bin ich?

Und wer bist du, Gott?

Wo bist du, wenn Menschen leiden?

Jedenfalls kein Gott in weiter Ferne, der über allem thront. Herunter gekommen ist er damals und heute!

 

Nahe ist er uns gekommen damals als Kind in der Krippe und heute in jedem Menschenkind.

Er ist bei denen, die weinen, die schreien, die klagen und bei denen, die sich anrühren lassen; die helfen wollen und können.

Ich will mit dir sein! Das ist Gottes Erkennungszeichen!

Auf die Frage des Mose: Wer bin ich?

Gibt Gott die Antwort: Ich will mit dir sein!

 

Als Mose Gott nach seinem Namen fragt, um den Israeliten Rede und Antwort stehen zu können, antwortet Gott:

„Ich werde sein, der ich sein werde!“

So sollst du zu den Israeliten sagen: „Der ich werde sein“, der hat mich gesandt!

Mose und Gott zwei, die sich mit Namen ansprechen, die sich nahekommen, so dass Vertrauen wachsen kann!

„Ich werde sein, der ich sein werde! Ich bin da, für dich, bei dir!“

Gott ist da, wenigstens das!

Für manche zu wenig.

Für manche nicht spürbar und nicht erlebbar.

Aber dennoch. Er ist da.

Mag unser Blick in die Zukunft auch getrübt sein!

Mögen auch Tränen die Aussicht versperren.

Mag Hoffnungslosigkeit lähmen und einen nur die falschen Worte finden lassen! In all dem ist Gott da!

 

So also lautet seine Antwort auf unsere Frage Wer bin ich?

Ein Mensch, der nicht alleine ist.

Egal, wie viel Leid ihm geschieht; egal, welche Aufgaben auf ihn warten! Amen.

 

Herr, unser Gott,

deine Herrlichkeit strahlt auf in der Finsternis,

draußen in der Welt und drinnen in unseren Herzen.

Du hörst nicht auf, Schöpfer des Lichtes und des Lebens zu sein.

Wir danken dir und loben deinen Namen.

Dir sei Ehre in Ewigkeit – Amen.

 

Lieder: EG 440; 331: 554; Psalm 97

 

 


                                  Bild von nellyaltenburger aus pixabay.com

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias - 24. Januar 2021

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Rut 1, 1-19 Hier nachzulesen. Den eingelesenen Predigttext können Sie hier anhören.


Die eingelesene Predigt können Sie hier anhören.


Liebe Leserinnen und liebe Leser,

unser heutiger Predigttext entstammt dem kleinen Büchlein Rut, das bei unseren jüdischen Freundinnen und Freunden in besonders hoher Achtung steht. Es gehört zu den fünf megillot, den Festrollen. Aus dem Buch Rut wird beim Wochenfest gelesen.

Die gerade mal vier Kapitel oder 85 Verse empfehle ich dringend zur persönlichen Lektüre. Sie werden dabei eine der schönsten Liebensgeschichten zumindest der Bibel entdecken.

Zunächst geht es um Flucht und Migration einer Familie aufgrund einer Hungersnot und mündet nach dem Tod ihrer Ehemänner in den Überlebenskampf zweier Frauen in einer patriarchalen Welt, in der vor allem arme und kinderlose Witwen schutzlos waren und ins soziale Nichts zu fallen drohten.

Am Ende werden Treue, Freundschaft und Solidarität zwischen den beiden Frauen Naomi und ihrer Schwiegertochter Rut belohnt durch Gottes Solidarität, Freundschaft und Treue.

So gibt es ein happy end.

Naomi hält mit Obed, Ruts Sohn aus ihrer zweiten Ehe, einen Stammhalter auf ihrem Schoß.

Obed übrigens ist dann der Großvater von König David.

Damit ist das Überleben nicht nur der beiden Frauen, sondern auch das des ganzen Stammes gesichert.

Auf Gott zu vertrauen, den Ausbruch aus vorgegebenen Normen und Verhaltensmustern zu wagen, sich einander anzuvertrauen und bedingungslose Solidarität führen am Ende in eine gesegnete Zukunft.

Auf diese Weise findet Rut als eine von fünf Frauen Aufnahme in den Stammbaum Jesu. Nachzulesen beim Evangelisten Matthäus.

Für ihn ist die Geschichte der Rut klarer Hinweis auf Gottes allumfassendes Heilshandeln in Jesus Christus, das alle Grenzen sprengt.


Doch nun der Reihe nach.

Wann hört das endlich auf? Die Einschränkungen? Dieses Nicht-Wissen, wo´s langgeht, wie´s besser werden könnte.

Wann fängt es an, wirklich wieder besser zu werden? Ich bin durch die ganze Situation so kraftlos und fast wie gelähmt. Ich kann mich gar nicht dran erinnern, wann ich zum letzten Mal morgens gern aufgestanden bin, weil ich mich auf den Tag freute, der vor mir lag. Jetzt komme ich kaum noch in die Gänge.

Wenn´s so weiter geht, kriegen wir noch nicht mal unsere beiden Jungs durch. Ganz blass sind sie schon und immer müde.

Es rührt mich zu Tränen, wenn meine Naomi jeden zweiten Abend Steine in den Topf auf der Feuerstelle legt und den Jungs so lange sagt, dass das Fleisch noch kochen muss, bis sie vor Hunger eingeschlafen sind.

Und manchmal muss ich mir die Ohren zuhalten, dass ich das Gebrüll unseres Zickleins nicht mehr hören muss, das wir von ihrer Mutter separieren mussten, damit unsre Jungs wenigstens noch ein wenig von ihrer Milch abbekommen.

Lange werden sie das nicht mehr durchhalten. Die Tiere nicht und unsere Jungs nicht.


Mit diesen düsteren Gedanken tritt ein Mann durch die Tür seines Hauses. Er schnuppert. Elimelech hat Hunger. Doch es riecht wie es schon die letzten Wochen roch: nach dünner Suppe.

Wie er den Duft von frisch gebackenem Brot vermisst!

Elimelech betrachtet den völlig vertrockneten Weizenhalm in seiner Hand. Er trägt ihn zu seiner Frau, legt ihn auf den Tisch und sagt: Sieh Dir das an. Der Weizen vertrocknet. Wir werden auch in absehbarer Zeit nicht genug zu essen haben.

Entschlossen blickt er auf: Lass uns gehen.

Auch wenn Bethlehem „Brothaus“ heißt: Hier gibt es kein Brot. Und ohne Brot ist „Brothaus“ nicht mehr unser Zuhause.
Wenige Tage später und nach etlichen Diskussionen legt Elimelech den Keil unter die Haustür und zieht mit Naomi und den beiden Söhnen los. Die Ziege und ihr Junges hat er seinem Nachbarn überlassen. Soll er sich kümmern, solange es geht.

Elimelech lässt das Vertraute und seine Toten zurück und bricht mit seiner kleinen Familie auf in die Fremde. Im Osten, jenseits des Jordans, im Grünland Moab soll es genug Nahrung geben.


Und tatsächlich: Dort finden sie genug. Werden im ursprünglichen Feindesland aufgenommen. Nicht herzlich. Das nicht. Aber immerhin erhalten sie eine Bleibe. Und vor allem: Es gibt Essen und einen überschaubaren Alltag. Nach kurzer Zeit macht auf das Aufstehen wieder Spaß.

Nach einigen Jahren aber stirbt Elimelech. Übrig bleiben Naomi als Witwe und zwei Halbwaisen.

Und jetzt? Die Söhne treffen die Entscheidung: Sie heiraten in der Fremde. Man bleibt. Es geht ganz gut, Naomi ist versorgt, es gibt Essen und erneut einen überschaubaren Alltag.

Schade, dass die Ehen der Söhne kinderlos bleiben. Und dass Elimelech fehlt, schmerzt immer noch.


Doch dann sterben auch die beiden jungen Männer als hätte sich die Bedeutung ihrer Namen wie ein böses Omen auf ihr Leben gelegt: Kiljon und Machlon hießen sie. Ja, in schwieriger Zeit waren sie geboren worden.

Ihre Namen klingen nach „kränklich“ und „schwächlich“.

 

Und jetzt? Von der ursprünglichen Familie bleibt übrig: nur Naomi. Als Witwe in der Fremde.

Die Verluste tun so weh. Und der Blick in die Zukunft auch:

Wer wird für sie sorgen? Da gibt es kein Netzwerk für sie, die Übriggebliebene, für die Fremde in der Fremde.

Und erneut und verschärft lautet die Frage: Bleiben mit nichts oder Zurückkehren mit nichts außer einer Geschichte von Verlust und Scheitern?


Naomi gibt sich einen Ruck und steht auf. Sie geht zurück. Den Ausschlag gibt ein Gerücht: Gott gibt wieder tägliches Brot – seinem Volk. Bethlehem ist wieder „Brothaus“. Bethlehem hat wieder Brot.

Vielleicht auch für Naomi? Der Geruch von Brot und Heimat steigt Naomi in die Nase. Das Gerücht wird für Naomi zum lockenden Geruch.

Sie macht sich auf, steht auf, wird aktiv, bricht auf, bricht ihre Situation auf.
Ihre Schwiegertöchter Ruth und Orpa hat sie im Schlepptau.

Unterwegs kommt Naomi ins Grübeln. Ja, sie stammt aus Bethlehem. Sie hat dort noch Verbindungen. Sie wird eine Chance haben.

 

Doch die fremden Witfrauen? Sie werden dort so verloren sein wie Naomi es in der Fremde war. Naomi bleibt stehen. Sie muss die beiden Frauen wieder zurückschicken. Und das tut sie.

Mit den besten Wünschen und einem Abschiedskuss. Doch die beiden jungen Frauen weigern sich.

Sie beteuern lauthals: „Wir wollen bei Dir bleiben.“

Sie sind bereit, das Vertraute hinter sich zu lassen um der einen

Vertrauten willen.

Doch Naomi widersetzt sich. Keine Zeit für Gefühle. Hier muss pragmatisch gedacht und gehandelt werden. Und so malt Naomi den Frauen klipp und klar vor Augen: Mit mir habt ihr keine Zukunft, kein Leben. Naomi unterstreicht: Mit ihr mitzugehen bedeutet, Gott gegen sich zu haben. Denn so erlebt Naomi ihre Situation, so deutet sie sie:              Gott war gegen sie, sie musste scheitern. Kein Brot. Kein Mann. Keine Söhne. Keine Hoffnung. Keine Zukunft. Alles hat ihr Gott genommen. Bitter ist ihr Leben. 

Zum Albtraum wurde ihr Dasein. Das ist nichts für die jungen Frauen!

Diesmal gibt Orpa Naomi den Abschiedskuss zurück, dreht Naomi den Rücken zu und kehrt heim.


Doch Rut erweist sich als Klette. Sie klammert. Sie hängt sich an Naomi. Ein drittes Mal schickt Naomi Rut weg:

„Geh zurück, schnell, lauf Orpa nach!“

Doch Rut weigert sich. Rut hat sich entschieden. Sie bleibt bei Naomi.

Wie ernst es ihr ist, macht Rut mit einer großen Selbstverpflichtung deutlich:
„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. 
Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“
 
In großer Dichte bindet Rut ihr Leben an das von Naomi, hängt sich an sie, als wollte sie sagen: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.   

Soll heißen, ich darf mitgehen, bei dir bleiben Tag und Nacht bis zum Ende.
Und Rut besiegelt ihre Entscheidung mit einem Schwur bei dem Gott, den Naomi als feindlich gesinnt erlebt. Rut ist es bitterernst.
So kehrt Naomi als Witwe mit nichts außer einer Geschichte des Scheiterns und des Verlustes und einer fremden Frau, die selbst bereits Witwe ist, nach Bethlehem zurück. Mit nichts in den Händen außer der Hoffnung auf Brot und einem Netzwerk, das sie hoffentlich irgendwie tragen wird.

Pläne? Ein Fremdwort. Leben von Tag zu Tag ist angesagt.

Wann hört es endlich auf? Wann wird sie wieder gerne morgens aus dem Bett aufstehen und den Tag als Freund erleben?  So kehrt Naomi zurück: als „Rest“ ihrer ursprünglichen Familie.

 

Mitten in ihrer Perspektivlosigkeit sieht sie nicht, was kommt. Und doch ist es längst angelegt: eine bessere Zeit.

Denn immerhin: Ein Rest kehrt zurück. Und mit einem Rest hat Gott in seiner Geschichte mit den Menschen immer wieder etwas vor.

Es ist der Gott, der von Anfang an sein zusammengewürfeltes Volk aus Sklaven und Nomaden berief. Der das Verwundete verbindet, die Geschundenen aufrichtet und die Pläne der Großen durchkreuzt.

Dem Rest gilt seine besondere Liebe.

Dieser Rest bildet den Sauerteig für einen Neuanfang.


Und ein Zweites ist angelegt: Obgleich fremd, kommt Rut mit.

Und diese Fremde wandert ein. Nach Bethlehem. In das Volk Gottes.

In den Stammbaum Davids wandert sie ein und so in den Stammbaum Jesu. Es werden kommen vom Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Dies hat längst angefangen.
 
All das bekommt Naomi nicht mit. Wie auch? Sie steckt ja mittendrin. 

So wie wir.

Noch ehe die nächsten 10 Jahre vergangen sind, am Ende des Buches Rut, wird erzählt, wie Naomi einen kleinen Jungen auf dem Schoss hält, Obed, den Sohn von Rut.

Bestimmt hat Naomi dem Obed Geschichten erzählt. Von früher.

Zum Beispiel wie sie nach Bethlehem zurückkam. Wir hören Naomi erzählen:
„Nur ich allein war übriggeblieben. Wozu?“

„Na um auf mich aufzupassen!“, ruft Obed begeistert. Naomi lacht. „Damals hab ich mir doch nicht vorstellen können, noch einmal einen solchen Schatz in den Händen zu haben! Jedenfalls habe ich unterwegs nachgedacht: Ich geh nach Hause, nach Bethlehem zurück. Allein.“

 

„Biste aber nicht!“, quakt Obed dazwischen. Naomi nickt versonnen. „Hast recht, bin ich nicht. Deine Mutter hing an mir wie eine Klette und wollte unbedingt bei mir bleiben. Unbedingt! Bei Gott hat sie es geschworen.

Und dann blieb sie bei mir, bei Tag und bei Nacht.“

„Und bei mir und bei Papa und in Bethlehem und beim lieben Gott.“, ergänzt Obed begeistert. Naomi nickt.

„Es war so gut, dass sie ihren Sturkopf durchgesetzt hat! Sonst gäbe es dich nicht. Und mir ginge es bestimmt schlechter. Wer hätte das damals gedacht, dass alles so gut werden würde!“

 

In dem Moment tritt Obeds Mutter Rut vor die Tür und ruft: „Wir essen!“ Und aus dem Haus dringt der Duft von frischem Brot.
 
Tatsächlich: Es werden kommen vom Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Und es wird gut sein. Menschen werden gerne aus ihrem Bett aufstehen, weil sie sich auf das freuen, was vor ihnen liegt.

 

Wann wird das sein? Wann bekommen wir einen Vorgeschmack, wann wird es besser?

Wenn ich von unserem Predigttext her denke: Das hat schon längst angefangen. Und das Gerücht, das gute Gerücht vom Brot, von Leben und Zukunft dringt auch uns entgegen.

Der Geruch, der Duft von frischem Brot, weht hinein in unser Mittendrin mit all seinen Rückschlägen und Verlusten. Und dieser Duft lockt.
 

Von daher: Vielleicht ist es an der Zeit, sich aufzumachen. Nicht so griesgrämig zu sein auf jeden Fall.

Mal sehen, was werden wird. Mal sehen, wen wir mitbringen werden dorthin, wo aller Hunger gesättigt wird.

Mal sehen, wann er uns aufgeht, der Sauerteig von Gottes Güte, der Kern vom guten Ende. Denn der steckt unsichtbar, doch gegenwärtig auch in unserem Mittendrin.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

Fürbittengebet

Gott, du Licht der Welt, du heller Glanz in der Dunkelheit.

Die Weisen haben dein Leuchten entdeckt und sind zu dir aufgebrochen.

Mit allen, die wie die Weisen nach neuen Wegen suchen, bitten wir:

Herr erbarme dich.

 

Wir bitten dich um Besonnenheit und Hingabe

für alle, die Verantwortung tragen in Kirchen und Gemeinden,

in Politik und Wirtschaft.

Wir bitten auch für diejenigen, die in der Wissenschaft neue Wege suchen.

Gib Klarheit in ihre Gedanken, dass sie ihre Begabung zum Wohl dieser Welt einsetzen.

Wir bitten: Herr, erbarme dich.

 

Wir bitten dich um Frieden

für die Menschen, die in Kriegsgebieten ausharren müssen,

für die Menschen zwischen den Fronten,

für die Kinder, die ohne Schutz aufwachsen.

Für alle, die mitten in Europa als Flüchtlinge unbehaust sind,

Kälte, Regen und Schnee ausgesetzt sind, weil niemand ihren Schutz übernehmen will.

Mit ihnen bitten wir: Herr, erbarme dich.

 

Gott, du Licht der Welt, du machst die Herzen hell.

Wir bitten dich für unsere Kranken,

besonders auf den Intensiv- und Beatmungsstationen.

Wir bitten für die Trauernden und die Sorgenvollen,

für alle, die wir lieben.

Segne sie und mache ihr Leben hell

durch Jesus Christus, unseren Morgenstern.

Wir bitten: Herr, erbarme dich. Amen.


Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Römer 12, 1-7 - hier nachzulesen.

Hier kann man die eingelesene Predigt hören.



Mit dem heutigen Gottesdienst werden die Mitglieder des neu gewählten erweiterten Presbyteriums in ihr Amt eingeführt. Was hoffentlich einmalig bleiben wird: Der Gottesdienst fand wegen der Selbstbeschränkung in der Corona-Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit als digitaler ZOOM-Gottesdienst statt.

Deshalb ist auch die Predigt speziell auf die Presbyterinnen und Presbyter bezogen, kann aber hoffentlich auch mit einigem Gewinn von allen Interessierten gelesen oder gehört werden.

Begrüßung und Eingangsliturgie können Sie hier nachlesen.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Presbyterinnen und Presbyter,

 

Röm 12, 1-7. Ein Text, der über 2000 Jahre alt ist, als Wegweiser für eine Strecke, die wir hoffentlich viele Jahre gemeinsam werden gehen können.

Das unterscheidet uns ja schon mal von jedem Verein:

Wir orientieren uns nicht an einer festgeschriebenen Satzung, die sich kaum länger bewährt hat als zwei, drei Generationen, sondern Maßstab für unser Leben als Christin und Christ ist Gottes lebendiges Wort, das Hand und Fuß gekriegt hat durch Jesus Christus, der als Stallbursche der besonderen Art aus der Krippe das Futter des Evangeliums gebracht hat.

Die es vermochten, haben in Worte gefasst, was es ihnen bedeutete, Buchstaben, Zeichen, Bilder, Chiffren und Symbole.

In der Auseinandersetzung damit und so auch im Gebrauch der eigenen Vernunft bleibt das Christentum, bleibt unser Glaube lebendig.

Und so entsteht Kirche immer wieder neu als Gemeinschaft der Heiligen.

Das sind alle, die sich in diesen Prozess mit hineinbegeben.

So auch du und ich.

Martin Luther nannte das die ekklesia semper reformanda.

Die Kirche, die immer neu reformiert werden muss.

Nicht, um sie an die Zeiten anzupassen, sondern damit zu unterschiedlichen Zeiten das Evangelium von der Güte und Barmherzigkeit Gottes recht verstanden werden kann.

 

Den Mitgliedern des Presbyteriums kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, denn der Protestantismus – das hat die Geschichte gezeigt - erneuert sich insbesondere durch Impulse und Ideen aus den Gemeinden, wo das Wort Gottes lebendig ist.

 

Paulus erinnert uns im Predigttext genau daran, wenn er sagt: „Ihr habt verschiedene Gaben, setzt sie ein.

Und erkennt in diesen Gaben die Gnade Gottes, die euch selbst zuteil geworden ist.“

Werdet Euch also, indem Ihr selbst abgebt von dem, was Ihr habt, bewusst darüber, wie viel Ihr habt.

Werdet dankbar und letztlich auch reich, indem Ihr gebt.

 

In den ersten Tagen und Wochen scheint es so, als wären uns durch die notwendigen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung die Hände gebunden in unserer Arbeit.

Wie viele andere auch können und dürfen wir das nicht mehr geben, was wir zu geben hätten.

Ins Haus einladen? Ein Ehrenamt ausüben? Menschen besuchen? Öffentliche Gottesdienste durchführen? Alles Fehlanzeige.

 

Auch Paulus damals waren die Hände gebunden. Es war ihm nicht möglich, seine Gemeinden, die so weit auseinanderlagen, zu besuchen. Immer wieder musste er seine Reisen unterbrechen, weil ihn eine Krankheit dazu zwang, weil er festgenommen wurde, weil er Schiffbruch erlitt. Immer wieder war er auf Hilfe angewiesen.

Und doch hat er wie kaum ein anderer

Menschen erreicht und ermutigt,

christliche Gemeinden gegründet und sie lebendig erhalten.

Wie er das gemacht hat, davon lesen wir im Neuen Testament in seinen Briefen.

Und damit ist schon eine Antwort gegeben auf die Frage, wie er es geschafft hat, die Menschen zu erreichen trotz aller Widrigkeiten:

Er hat Briefe geschrieben. 

Eine Möglichkeit, die auch uns gegeben ist bei allen Einschränkung durch die Pandemie.

Ihr habt ja vielleicht auch gemerkt, wie dankbar die Menschen waren, für die wir kurz vor Weihnachten noch den Brief mit der Andacht zugestellt haben.

Erst Recht, wenn ihr da noch kurz geklingelt habt für drei, vier Sätze.

Harry hat mir grad gestern noch davon berichtet.

Bärbel hat prima Erfahrungen gemacht mit ihrer Post an den Frauenkreis, ebenso die Leute von der Kigo-Arbeit.

Und auch ich hab mehrere Dankkarten und Briefe für die Aktion erhalten – und wohlgemerkt: Nicht weil meine Andacht so super war.

 

Da haben wir also weiter Entwicklungspotential. Nicht nur in Form von offiziellen Briefen, sondern auch so, dass ihr selbst vielleicht einen Dreizeiler schreiben könnt, als Presbyterin, als Presbyter:

Kurze Vorstellung und dann: „Ich wünsche Ihnen, dass sie die Hoffnung nicht verlieren. Wenn ich heute Abend bete, denke ich an Sie.“

Überlegt mal, ihr würdet einen so freundlichen Brief erhalten.

 

Paulus hat Briefe geschrieben. Und er hat sich, wie wir heute sagen: „gut vernetzt“.

Er hat also, trotz weiter räumlicher und zeitlicher Entfernungen den Kontakt gehalten zu seinen Leuten.

Da haben wir es ja heute leichter als er mit unseren modernen Medien.

Die 1.050 Zugriffe auf den Heilig Abend Gottesdienst zeigen, dass hier die Arbeit und das Geld gut angelegt waren.

 

Die Klicks auf unsere Homepage dürfen noch zunehmen.

Vielleicht braucht es da auch weitere Werbung – oder interessantere Beiträge.

Da müssen wir uns demnächst drüber unterhalten.

 

Ich komm nochmal auf´s Beten zurück.

Als besondere Gabe hatte Paulus die Fähigkeit die Anliegen seiner Mitmenschen im Gebet vor Gott zu bringen.

Seit einem Predigtimpuls von Karl Heinz Schunk mach ich das noch regelmäßiger und konsequenter als vorher, wo´s nur sporadisch vorkam:

Ich schreib mit tagsüber Namen von Menschen auf, denen ich begegnet bin, die eine Anfrage hatten oder an die ich mich schlichtweg erinnere.

Und abends sage ich Gott dann diese Namen im Gebet.

Überlegt mal, mit wie vielen Menschen ihr trotz Corona in Kontakt kommt und wie viel mehr euch einfallen.

Vielleicht brauchen grad sie euer Gebet.

Was ich auch gelernt hab:

Mit dem Beten dient man nicht nur den Menschen, für die man betet, sondern auch sich selbst.

Denn beten verändert Menschen.

Und veränderte Menschen können die Welt verändern.

 

Eine der wichtigsten Gaben von Paulus:

Er hat in schweren Zeiten den Mut nicht verloren, sondern auf Gott vertraut.

Wenn es hart auf hart kam, hat er sich das ins Gedächtnis gerufen: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen“ (1.Kor 15,10)

Das ist ein „vernünftiger Gottesdienst“ sagt er.

Der Gottesdienst, der darin besteht, dass wir unsere Möglichkeiten füreinander lebendig werden lassen.

Etwa so, dass wir nach dem Motto der Jahreslosung barmherzig zueinander und zu uns selbst sind.

 

Ein leichtes Neigen des Herzens, das ist Erbarmen.

Man neigt sich einem anderen zu, so beginnt Barmherzigkeit.

Bei Jesus stelle ich mir das so vor.

Er sprach mit Menschen niemals von oben herab;

Er sprach mit Menschen entweder auf Augenhöhe oder er neigte sich ihnen zu.

Menschen haben dieses Neigen anderer nötig.

Sie sind oder fühlen sich gebeugt, von Lasten niedergedrückt, haben das Gefühl ganz unten zu sein, vielleicht noch nicht ganz, aber bald.

Sie brauchen das Zuneigen unseres Herzens.

Jesus bittet uns darum:

„Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Daran kann man sich übrigens auch halten, selbst wenn sich einem für eine Zeit lang der eigene Glaube mal verdunkelt.

Ich tue einfach das, worum Jesus mich bittet.

Ja, ich kann mal an der Güte Gottes zweifeln, aber ich bewahre mir meine Güte, mein Erbarmen.

Das will Jesus. So hat´s Paulus gemacht.

 

Unser christlicher Glaube und die Art, ihn zu leben, ist immer in Bewegung.

Wir sind niemals fertig.

Etwas, was sich gestern noch als guter Weg herausgestellt hat, kann heute schon nicht mehr passen. Nicht nur in Corona-Zeiten.

Aber Paulus traut seinen Leuten das zu, dass sie ihre Gaben füreinander lebendig werden lassen in ihrer jeweiligen Zeit und unter den jeweiligen Bedingungen.

Und: In ihrem jeweiligen Kontakt zu Gott.

Was möchte Gott von mir in diesen Zeiten?

Mit welchen Gaben rüstet er mich aus?

Was kann ich jetzt tun? Und was lasse ich besser bleiben?

Das sind Fragen, die sich Paulus und seinen Leuten täglich neu stellten. Und das sind Fragen, die sich uns täglich neu stellen.

Was möchte Gott von uns? Er möchte, dass wir nach seinem Willen fragen und seine Antwort für uns hören.

Und wie können wir seine Antwort in unserem Leben hören?

Paulus beantwortet das so: Indem wir bescheiden und maßvoll leben. Indem wir unsere Gaben füreinander einsetzen, einander dienen und in dem, was wir tun, sorgfältig sind.

 

Indem wir einander vom Glauben erzählen und mitfühlend sind.

Indem wir miteinander auch über unsere Zukunft bei Gott sprechen.

 

Wir sind von Gott mit reichen Gaben ausgestattet.

Paulus in Kleinasien.

Die römische Gemeinde in Europa.

Wir heute.

Wir sind Teil des Leibes Christi über die zeitlichen und räumlichen Entfernungen hinweg.

Auch die, die nicht zu unserer Kern-Gemeinde gehören und trotzdem gewählt haben;

aber auch die anderen, die eingetragen sind in unsere Mitglieder-Datei und kaum am Gemeindelaben teilnehmen.

Auch außerhalb von Kirche und Gemeindehaus gewinnt Leib Christi Gestalt. Bei den Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus einsetzen für die Flüchtlinge und Migranten im Ort,

bei den Jugendlichen, die über unsere Umwelt nachdenken,

auch der kranke Mann, der lernen muss, mit seiner Krankheit zu leben und die Frau, die sich einfinden muss als Witwe zurecht zu kommen. Alles Glieder am Leib Christi.

Dazu gehören auch alle, die politisch arbeiten, um das Zusammenleben aller Menschen gerecht zu regeln

und alle in Forschung, Medizin und Pflege, die jetzt überall gefordert sind, dass wir gut durch die Corona-Krise hindurchkommen, sowieso. 

Und die Menschen, die vielleicht weit weg wohnen und deren Schicksal uns nur über die Fernsehnachrichten erreicht, sind ebenso Teil dieses Leibes.

Auch das ist unser vernünftiger Gottesdienst, die nicht zu vergessen und sehr genau zu überlegen, was wir für sie tun können.

 

„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist,“ sagte Dietrich Bonhoeffer.

Auch deshalb bin ich gern Protestant.

Und freue mich total auf die nächsten gemeinsamen Jahre mit euch.

Gott schütze und bewahre uns und schenke uns miteinander die Kraft, lebendig zu bleiben als funktionierende Glieder an seinem Leib.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

Predigt zum 1. Sonntag nach Epipahias

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext Jes 60, 1-6 - wird während der Predigt verlesen


Zur Predigt kann man vorher hier die Erzählung von den drei Weisen aus dem Morgenland lesen


"Mache dich auf und werde licht" Das Lied vor der Predigt kann man sich hier anhören.

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

liebe Gemeinde,

in vielen Familien, die zumindest noch ahnen, dass Traditionen sinnstiftend sein können, geht mit dem heutigen Sonntag nach dem Epiphanias-Fest – umgangssprachlich „Heilige Drei Könige“ genannt  - die Weihnachtszeit zu Ende.

Ab morgen werden die Weihnachtsbäume abgeschmückt.

Gut zu hören, dass auch in diesem Jahr die Pfadfinder bei der Entsorgung helfen und die Bäume am kommenden Samstag abholen.

Wenn man dann noch Geld an den Baum hängt oder abgibt für das Projekt der Pfadis in Kenia, dann hat man eine win-win-Situation.

 

Wenn mich nicht alles täuscht, wollten so etwas Ähnliches auch die drei orientalischen Männer erleben, die sich vor über 2000 Jahren auf den Weg gemacht hatten - weit aus dem Osten

Richtung Mittelmeer.

Nein, sie wollten nicht ihren Tannenbaum abgeben, sondern sie wollten etwas Entscheidendes für ihr Leben gewinnen. 

Diese drei Menschen sind auf der Suche.

Drei Menschen mit einer Sehnsucht, die so groß ist, dass sie ins Unbekannte aufbrechen.

Wir wissen nichts über ihr Leben, aber eins steht fest:

Mag ihr Leben noch so prächtig gewesen sein – als Magier, Sternendeuter, gar Könige wurden sie dargestellt - etwas fehlte, es war nicht komplett, dieses Leben.

Die Lücke, diese Sehnsucht war so spürbar, dass sie dafür alles zurückgelassen haben und aufgebrochen sind.

Das, was sie suchten, war ihnen wichtiger als alles, was sie in ihrem Leben schon gefunden hatten.

Doch ihr Aufbruch war keine Verzweiflungstat, sie folgten keinem Hirngespinst, sondern waren voller Hoffnung, das Gesuchte auch zu finden; die Hoffnung erstrahlte vor ihnen wie ein Stern und erhellte ihren Weg. Sie waren weise genug, dieser Hoffnung zu vertrauen.

 

Obwohl im fremden Land unterwegs, waren sie „ortskundig“, denn sie hatten schon in der Heimat weit im Osten den Stern gesehen und folgten ihm.

Dennoch gingen sie für einen Moment in die Irre.

Ließen sich in die Irre führen von ihrer Vorstellung, ein König müsse in der Hauptstadt, in einem Palast geboren sein.

Ein Irrtum mit fatalen Folgen, denn so wurde Herodes auf die Geburt Jesu aufmerksam.

Die Schriftgelehrten brachten die Könige wieder auf den rechten Weg. Mit den heiligen Schriften hatten sie alles zur Orientierung in der Hand.

Dieser Stelle im Evangelium haftet etwas Tragisches an: Die Schriftgelehrten wussten um den Messias, sie wussten um den Ort seiner Geburt, doch all ihr Wissen machte ihnen keine Beine, brachte sie nicht auf den Weg. Allein die Schrift zu kennen, macht also noch keinen Glauben.

 

Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland ist eine Geschichte von Orientierung und Desorientierung, Klarheit und Unsicherheit.

 

Davor, die Orientierung zu verlieren, fürchten sich viele Menschen, gerade am Anfang eines neuen Jahres, das jetzt von noch strengeren Regeln wie gefesselt und festgezurrt wirkt.

Das nimmt uns den Bewegungsfreiraum, beschränkt unsere Entfaltungsmöglichkeiten – und doch ist´s zwingend notwendig, dass wir uns weiter begrenzen, wo es möglich ist. Dass wir durchhalten und nicht zu viel jammern, denn das nimmt ja zusätzlich die Luft weg.

Und vor allem, dass wir uns nicht aufwiegeln lassen von wohlfeilen Besserwissereien und populistischem Geschwätz.

Aber natürlich müssen wir auf die Sorgen und Ängste hören – unsere eigenen artikulieren.

Was ist, wenn ich nicht nur Einschränkungen erlebe, sondern aus der gewohnten Lebensbahn geworfen werde?

Durch Konkurs, Arbeitslosigkeit oder Krankheit oder das Scheitern einer Beziehung?

Was ist, wenn ich mich im Leben nicht mehr zurechtfinde?

Wie soll ich alles hinkriegen, wenn ich es noch nicht mal schaffe, einen Impftermin zu organisieren?

Alles wird immer komplizierter. Wie kann´s weitergehen?

 

Ja, ich glaube, viele von uns fühlen sich ein wenig verloren, weil vieles nicht mehr gilt oder möglich ist, was bis vor wenigen Monaten noch unser Leben ausmachte:

körperliche Nähe, Gemeinschaft, Kontakt mit der Familie, reisen, miteinander feiern, Gottesdienste auch.

In einer Krise kann ich schnell die Orientierung verlieren. Es stellt sich dann die Frage: Bei was – oder besser:

bei wem – finde ich Orientierung und Halt?

Eine Antwort gibt die Erzählung von den drei Weisen, die ihrem Stern der Hoffnung folgten.

 

Eine andere Antwort gab rund fünfhundert Jahre früher der Prophet Jesaja dem Volk Israel, das nach Jahrzehnten heimkehrt aus der Gefangenschaft im babylonischen Reich.

Heimkehr hört sich so positiv an. Doch die Situation in der von allen so ersehnten Heimat ist alles andere als positiv.

Das Heimatland ist zerstört. Sogar der Tempel als Zeichen der Gegenwart Gottes ist geschleift.

In Jerusalem ist kein Stein mehr auf dem anderen.

Jetzt kommen noch die Streitigkeiten dazu zwischen den Daheimgebliebenen und den aus der Gefangenschaft Heimkehrenden - auch aufgrund von Versorgungsengpässen bei Nahrungsmitteln und Wohnraum.

Also alles andere als rosige Zeiten.

Hier hinein in die aufbrechende Resignation und Mutlosigkeit spricht Jesaja die Worte über die zukünftige Herrlichkeit Jerusalems.

"Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! 

Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.

Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.

Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt, kommen zu dir.

Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arm hergetragen werden. Dann wirst du es sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen." 

 

Soweit die Worte des Jesaja.

In der Schönheit dieser Verse liegt schon Trost, wie ich finde.

Licht, Glanz, Strahlen – der Prophet Jesaja weissagt mit so starken, lebendigen Worten, dass das Licht in Schwingung kommt - fast hörbar wird.

Zukünftiges Licht, das schon heute die Dunkelheit erhellt.

Ein Strahlen, das ein Lächeln auf die Lippen zaubern kann.

Denn das, was der Prophet großartig beschreibt, steht noch aus, darauf dürfen wir uns noch freuen.

Man kann sagen, wir leben im Advent dieses himmlischen Jerusalems, des kommenden Reiches Gottes,

dessen Keim die Weisen gesucht und im Stall von Bethlehem gefunden haben.

Dass wir uns dieses Licht zusagen lassen, ist so wichtig, wenn um uns herum vieles im Dunkel ist.

 

Das himmlische Jerusalem, das Reich Gottes ist keine Vertröstung in eine ungewisse Zukunft; es ist ein Versprechen mit Garantie. Garantie, weil es schon mitten unter uns angefangen hat:

„Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt, hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd; aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren, welches uns selig macht.

Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt´s die Finsternis.

Wahr Mensch und wahrer Gott hilft uns aus allem Leide; rettet von Sünd´ und Tod.“

 

Ja, wir sind mitten drin in der Heilsgeschichte, von der Jesaja spricht.

 

„Und was hat das mit mir zu tun?“, wird da vielleicht jemand fragen. Na, ganz viel. Denn jede und jeder von uns spielt in der Heilsgeschichte Gottes eine Rolle.

Nicht die eines Statisten oder Komparsen, sondern eine Hauptrolle.  Du und ich sind die Lieblingsbesetzung Gottes für deine oder meine Rolle. Unendlich geliebt und unendlich wertgeschätzt.

Die Welt wäre eine andere, wenn sich das jeder Mensch vor Augen führen und ins Herz sagen würde:

Ich bin eine Hauptrolle, und die neben mir sind es auch.

Dann würden wir noch viel mehr aufeinander Rücksicht nehmen.

Wir können es ja. In der Krise haben wir es doch bewiesen.

Dann würden wir einander mehr noch stützen, miteinander gehen auf dem Weg, den Gott uns führt.

 

Noch, liebe Gemeinde, noch leben wir nicht vollkommen im Reich Gottes. Wir leben hier und jetzt. Am Ende der Weihnachtszeit. Wir können nicht im Glanz bleiben.

Genauso wenig wie die drei Könige an der Krippe bleiben konnten. Sie müssen heimkehren. Sie steigen nicht für immer aus dem Alltag aus, sondern wieder ein. Aber sie werden verändert heimkommen.

Der Stern ihrer Hoffnung führte sie zum Kind in der Krippe.

Den Daheimgebliebenen werden sie später erzählen von dem Geheimnis, das sie dort erlebt haben und das sie zu Gewinnern machte. 

Sie haben dem Jesus-Kind ihre Gaben geschenkt und empfingen den Glanz, der alle verzauberte und ihre Sehnsucht stillte. Sie knieten huldvoll nieder, senkten ehrfürchtig ihr Haupt und wurden geadelt, stark gemacht und aufgerichtet von all der Sanftheit und Zärtlichkeit des göttlichen Kindes.  

Sie gaben das Wertvollste, was sie hatten, und sie wurden noch reicher beschenkt mit Güte und Liebe und Menschenfreundlichkeit. 

Aufgebrochen waren sie mit dem Stern vor Augen, einem großen kosmischen Zeichen; sie kehren verändert heim mit dem Blick für das Kleine, und einem Kind in ihrem Herzen.

 

Heute endet für viele die Weihnachtszeit.

Viele von uns können immer noch nicht in den vormals gewohnten Alltag zurückkehren, so sehr sie es auch wollten.

Vielleicht noch einige Wochen nicht. Wie werden wir damit umgehen?

Als Statisten unserer Lebenszeit oder gar als Fehlbesetzung – unsicher, stammelnd und immer ein wenig im Schatten und hinten dran oder übernehmen wir die uns zugedachte Hauptrolle – vorn auf der Bühne des Lebens, dort, wo das Licht ist und unsere Texte gut verständlich?

Wie also steht´s mit unserer Hoffnung und Orientierung?

 

Vielleicht, so denk ich, hängen all diese Antworten auch damit zusammen, ob die Weihnachtszeit für uns nur Essen und Trinken, Ablenkung, Verdruss und Ärger über die Einschränkungen waren, oder aber, ob wir es geschafft haben, wie die Weisen, zur Krippe zu gelangen – hin zu dem göttlichen Kind, dem Heiland der Welt.

 

Was gut ist und tröstlich: Niemand muss jetzt erschrecken, er oder sie hätte vielleicht eine Gelegenheit zur Veränderung verpasst. Dafür ist es nie zu spät.

Wir können von den Weisen lernen: Innerlich aufbrechen und uns auf das Unerwartete einlassen;

Gottes Zeichen deuten, sein Wort zur Orientierung nehmen;

im Kleinen das Große entdecken. Gott anbeten, ihm alles sagen, Klage und Dank.

Ihm unsere Gaben anvertrauen: die Talente, die wir in die Gemeinschaft einbringen können, auch das Geld, das wir entbehren können, damit andere Lebenschancen erhalten.

Wir können uns immer verändern im Vertrauen darauf, dass es Gott ist, der uns zum Guten wandelt.

 

Ohne ihn wären die Weisen nie zur Krippe gelangt, ohne ihn hätten sie in dem Kind nicht den Mensch gewordenen Gott entdeckt, ohne ihn müssen auch wir nicht in dieser schwierigen Zeit leben.

Also: Machen wir uns auf und werden licht. Nach vorn, wo das Licht ist.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

EG 31 Es ist ein Ros´entsprungen

Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten, 03.01.2021

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best

Predigttext: Lukas 2, 41 – 52 - hier nachzulesen.

 

Liebe Gemeinde,

ich begrüße Sie herzlich mit der Jahreslosung für das Jahr 2021.

"Jesus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist." (Lukas 6,36)

 

So wünsche ich Ihnen für das neue Jahr alles Gute, Gesundheit und Hoffnung, dass durch die Impfung, diese Corona Epidemie eingedämmt wird und wir wieder in den normalen Alltag zurückkehren können.

Gottes Segen möge Sie dazu begleiten!

 

Liebe Gemeinde,

„Wem gehörst du eigentlich?“

Manche erinnern sich noch an diese Frage. In unseren Dörfern wurde sie oft gestellt, wenn ein fremdes Gesicht auftauchte, ein Kind, das man nicht zuordnen konnte. Es war klar: Mit dieser Frage war mehr gemeint als nur der Name, mehr gemeint als nur Straße und Hausnummer. Jene lebenswichtigen Daten, die uns die Eltern schon in früher Jugend einprägten und die wir aufsagen sollten, falls wir uns mal verlaufen würden.

„Wem gehörst du eigentlich?“

Wenn wir als Kinder so oder so ähnlich gefragt wurden, dann war ja unsere Herkunft angesprochen, all das, was uns vor allem durch unser Elternhaus mitgegeben wurde: an Überzeugungen und Verhaltensweisen, an Arten, auch an Unarten – bis hin zu unserem Aussehen – all das, was uns – ob wir das wollen oder nicht – zeitlebens mitbestimmt und prägt.

„Sag mir, wohin du gehörst, und ich sage dir, wer du bist!“

Kein Wunder, dass manch einen diese Frage nach seiner Herkunft und der lauernde Ton dahinter immer auch etwas verlegen gemacht hat. Mit zunehmendem Alter vielleicht auch etwas ärgerlich. Schließlich sollte doch meine Herkunft, also meine Eltern und mein Elternhaus, nicht allein darüber Auskunft geben, wer ich war und vor allem wer ich selbst sein wollte: Nämlich eine eigenständige und unverwechselbare Person – sicher nicht ohne die Eltern, aber dann auch wieder im gehörigen Abstand zu ihnen. Manchmal auch Abstand zu dem, wie sich Eltern das Leben ihres Sohnes oder ihrer Tochter so vorstellen, Abstand zu dem, von dem Eltern meinen, dass es gut und notwendig, ja lebensnotwendig für ihre Kinder sei.

„Hast du vergessen, zu wem du gehörst?“

So mögen die Eltern des 12- jährigen Jesusknaben, so mögen Maria und Joseph gefragt haben, als sie ihren Sohn nach langem Suchen endlich gefunden hatten – in einer Stadt,

die jedes Mal zum Passahfest einen Massenansturm von Pilgern erlebte. Aber das war nun keine neugierige Frage, sondern ein strenger und harter Vorwurf, der uns fast vertraut vorkommt. „Hast du ganz vergessen, wo Du eigentlich hingehörst!“.

In der Nähe des Tempels – unter den vielen Pilgern – hatten sie ihn plötzlich aus den Augen verloren. Vielleicht ist er mit Bekannten vorausgegangen, dachten sie, oder er kommt mit ihnen nach. Aber Jesus blieb verschollen, blieb ein verlorener Sohn. Und so haben sie ihn – inzwischen, wie man sich vorstellen kann – mit großer Sorge, auch mit der Angst, es könnte ihm vielleicht etwas zugestoßen sein, überall gesucht.

Drei Tage lang, so wird uns erzählt, haben sie sich durchgefragt. Ohne Ergebnis.

Und dann finden sie ihn endlich – im Tempel, mitten unter den Schriftgelehrten. Im theologischen Gespräch. Dort entdecken sie ihren frühreifen, für manche wohl etwas altklug wirkenden Sohn, der – das zeigt seine Antwort – gänzlich unbeeindruckt zu sein scheint von der elterlichen Suchaktion, von ihrer Sorge und Angst.

Warum mutet er das seinen Eltern zu? Wo bleibt da der Respekt vor den Eltern und vor dem Gebot „Ehre Vater und Mutter!“?

So mögen sich Maria und Joseph gefragt haben – und ihnen imponiert dabei ganz und gar nicht, dass Jesus im Kreise der Schriftgelehrten Eindruck macht, weil er offenbar kluge Fragen stellt und kluge Antworten gibt.

Wie hält es Jesus mit dem fünften Gebot? - so fragt jeder, der diese Geschichte hört und die Reaktionen seiner Eltern nur zu gut verstehen kann.

Oder – so könnten wir ja auch fragen: Hat Jesus das Elterngebot durchaus verstanden, nur auf eine andere Art und Weise?

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ - kann dieses „ehren“ nicht auch darin bestehen, dass wir uns nicht dauernd von elterlichen Erwartungen und Wünschen unter Druck setzen lassen?

Zum Erwachsenwerden eines Menschen gehört es ja, sich immer wieder aus der meist ja ganz liebevoll gemeinten Fürsorge und Umarmung seiner Eltern zu lösen, ja sich manchmal sogar regelrecht daraus herauszureißen, damit wir ein freier, verantwortungsbewusster und lebenstüchtiger Mensch werden können – was sich doch jeder Vater und jede Mutter letztlich wünschen kann?

Ja – es ist gut, wenn Eltern ihren Kindern eigene Wege gönnen.

 

Die Geschichte vom 12- jährigen Jesus im Tempel könnte uns allen, den jungen und den älteren oder schon ziemlich alt gewordenen Kindern, neu die Augen dafür öffnen, was es heißt, im Sinne Jesu „Vater und Mutter zu ehren“. Diese Geschichte kann uns die Augen dafür öffnen, wie wir in unseren Familien, im Umgang der Generationen untereinander, offen und vor allem frei dafür werden, zu fragen, worin denn dieses „ehren“ wirklich und tatsächlich bestehen kann und worin nicht!

 

„Und er sprach: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich an dem Ort sein muss, der zu meinem Vater gehört? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte“

 

Dass Kinder sich plötzlich oder mit der Zeit von ihren Eltern lösen, den Ort, wo sie erzogen wurden und aufgewachsen sind, verlassen und ganz woanders, bei Freunden und Freundinnen und schließlich in einer eigenen Familie ein neues Zuhause finden, wo sie hingehören wollen – diesen Prozess, diesen oft schmerzlichen Prozess müssen wohl alle Eltern einmal durchmachen.

Weil wir doch so gern unsere Kinder auch festhalten und gern bei uns behalten wollten, was uns, den Älteren, mit den Jahren lieb und wichtig geworden ist.

In solchen Situationen hängt viel davon ab, ob wir nur auf das Eigene bedacht sind oder ob wir aufmerksam füreinander bleiben und darauf achten, dass das Miteinander der Generationen nicht zerbricht. Das Erstaunliche an diesem ungewöhnlichen Familienkonflikt, wie ihn der Evangelist Lukas berichtet, ist ja nicht, dass Eltern und Sohn sich von nun an trennen und er – der theologische Wunderknabe – seine eigenen Wege geht, weil er sich etwa zu Höherem berufen sieht und sich im kleinbürgerlichen Milieu einer Handwerkerfamilie nicht mehr wohlfühlt.

 

Das Gegenteil davon wird erzählt: „Er ging mit ihnen hinab nach Nazareth“ - also aus der erhebenden Jerusalemer Atmosphäre religiöser Gelehrsamkeit hinunter in die Kleinstadt Nazareth, in die Provinz – hinunter zu den einfachen Leuten, deren Sohn er auch war und deren Sohn er auch weiter sein und bleiben wollte: “und war ihnen gehorsam“ - so formuliert es Lukas. “Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist“?! „Ich bin euer Sohn!“ - heißt das: „Ich gehöre zu euch. Aber ich gehöre euch nicht ganz. Ich gehöre auch einem Anderen. Ich gehöre zu Gott“ Das ist nicht leicht zu verstehen.

 

Auch Maria, die Mutter, hat nicht verstanden. Noch nicht. Aber sie denkt nach. Und ihr Herz wird bewegt und berührt. Maria bewegt in ihrem Herzen das Unbegreifliche. Erst allmählich wird sie – unter Schmerzen – wahrnehmen, was das für ein besonderes Kind ist.

Sie hat es geboren. Sie hat es in Windeln gewickelt. Sie hat es in eine Krippe gelegt.

Und dann hat sie von dem alten Simeon gehört: Es ist der Retter der Welt. Er wird den Völkern, die sehnsüchtig auf Frieden und Hilfe in ihrem Elend warten, ein Licht sein.

Und jetzt hört sie von dem herangewachsenen Kind selbst, dass er ihr nicht ganz gehört. Sie kann nicht über ihren Sohn verfügen. Er gehört Gott, ihrem Gott. Er wird ihr mit diesem Kind viel zumuten, viele Leidenswege.

„Wisst ihr nicht, dass ich sein muss an dem Ort, der zu meinem Vater gehört?“ Das sagt Jesus von sich selbst. Er ist Gott ganz nahe. Und er ist ihm in unvergleichlicher Weise verbunden.

„Er ist Gottes Sohn“, sagen wir dazu in der Sprache unseres Glaubens

„und doch ganzer Mensch“; “Gottes und Marien Sohn“.

 

Wir spüren, liebe Gemeinde, worin eigentlich das Wunder der Weihnacht besteht. Es ist diese in der Tat unbegreifliche Nähe des großen Gottes bei uns Menschen, bei jedem Einzelnen von uns.

 

Was in unserem Text auf Jesus bezogen ist – gilt das nicht auch für uns? Sind nicht auch wir auf solche Orte unseres Glaubens angewiesen, auf Orte und Gelegenheiten, wo wir – wie Jesus im Tempel – mit Menschen in Ruhe über Gott und die Welt reden können, mit Menschen unseres Vertrauens, denen ich sagen kann, was mein Herz bewegt und belastet?

Ist nicht jede christliche Gemeinde ein solcher Ort?

Brauchen wir nicht alle solche Zeiten, wo wir mit unserem Gott gewissermaßen auf du und du sein können, wo wir vor ihm all das aussprechen, was uns auf der Seele liegt? Zeiten und Orte, wo wir seine Gegenwart, die sonst von uns so wenig wahrgenommen wird, besonders spüren? Haben wir nicht schon gemerkt, dass wir dann ruhiger, gelassener werden, dass uns der Terminkalender und alles, was es Tag für Tag zu erledigen gilt, nicht mehr so in Beschlag nehmen können, als ob sie die Herren unseres Lebens wäre, als ob wir ihnen – mit Haut und Haaren – gehörten!

„Zu wem gehörst du?“ - so hatten wir am Anfang gefragt. Bei unserer Taufe ist darauf eine klare Antwort gegeben worden. Es ist gut, liebe Gemeinde, wenn wir uns immer wieder daran erinnern, was uns bei und mit unserer Taufe gesagt wurde: „Gott, der Herr, spricht: Fürchte dich nicht. Denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mit.“ Amen

 

Psalm 100, Lied EGs: 39, 1-3; 56, 1-5; 34, 1-3, 170,1-4


Predigt zu Silvester 2020

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: 2. Mose 13, 20-22 - wird während der Predigt gelesen.


Zur Hörversion der Predigt gelangen Sie hier.


 „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“ Amen.

 

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Schwestern und Brüder,

 

jetzt, so wenige Stunden vor der Schwelle zum neuen Jahr, wenn es darum geht Abschied zu nehmen vom Jahr 2020 und alles Belastende hinter uns zu lassen, damit wir offen und zuversichtlich sein können für alles, was Gott uns schenken will in den kommenden 365 Tagen, da stellt sich bei mir das Bild einer Beerdigung ein.

Auch mit dem Blick auf den für heute vorgeschlagenen Predigttext, auf den ich nachher noch zurückkommen werde, lässt mich das Bild nicht los:

Es gilt Abschied zu nehmen nach langer intensiver Zeit der Krankheit, vielfacher Verluste und großer Schmerzen.

 

Liebende Angehörige, denen solch ein Abschied auferlegt ist, spüren den Stachel der Trauer viel intensiver und leiden häufig länger.

Zumeist ist dann auch das Trauergespräch, um die Beerdigung vorzubereiten, inhaltlich und zeitlich ganz geprägt von dieser letzten Lebenszeit – und manchmal sind´s dann Jahre, in denen der oder die Verstorbene fast Unmenschliches zu erleiden hatte.

Oft sind die Menschen im Gespräch dann immer noch wie gebannt von all dem Schrecklichen.

 

Manchmal mutet es mich selbst im Nachgang dieser Treffen wie ein grobes Schubsen an, wenn ich während des Gesprächs nach den Zeiten vor der intensiven Erkrankung frage.

Aber wenn sich dann erst einmal der vorher gebannte Blick lösen kann von allem Belastenden, dann ist oft auch eine größere Leichtigkeit da.

Die Trauer tritt zumindest einen kleinen Schritt zurück. Vielleicht zum ersten Mal.

Da geht es dann darum, was den Verstorbenen beschäftigt oder gar fasziniert hat, welches seine Begabungen waren, ihre Leidenschaften,

auch, wie man sich kennengelernt hat und wie die Liebe wuchs. Welchen Stellenwert die Familie hatte, was glücklich machte und welche Gründe es gibt stolz zu sein.

 

Und oftmals sind es dann dieselben Angehörigen, die zu Recht vorher so viel zu beklagen hatten, die dann von Gott reden und Sätze des Dankes sagen, etwa,

dass sie die Kraft hatten, so lange, Tag für Tag, mittragen zu können,

oder dass die Hoffnung nie verloren ging, allem gewachsen zu sein

und dass es so viele Menschen gab, die geholfen und geraten haben – in der Familie, im Freundeskreis und besonders, dass es solch liebevolle Pflegekräfte gibt, die sich fast aufopferten.

Und überhaupt, wie dankbar man sein muss, dass Gott einem einander über den Weg geschickt hat.

Gerade diese innere Haltung hilft natürlich langsam wieder den Kopf zu heben und zumindest ein wenig zu spüren: die Zukunft kann trotz des Abschieds doch auch lebenswert sein.

 

Aus all dem stellt sich bei mit immer wieder das Ahnen ein:

Gottes Geschichte und die Lebenszeit dieses Menschen waren miteinander verflochten und ergeben ein Ganzes.

Ganz fassen und überblicken kann ich´s selten.

Aber ich bin mir sicher: Gott hat das Leben dieses Menschen überblickt, ihn durch sein Leben geführt, durch die Tage und die Nächte seines Lebens.

Durch die dunklen und hellen Momente.

Im Rückblick auf das Leben dieses Menschen kann ich dann am Grab voll Vertrauen sagen:

Er ist jetzt dort angekommen, wohin Gott, der sein ganzes Leben begleitet hat, ihn geführt hat, im Neuen Leben.

Dorthin, wo alles heil wird.

Dorthin, wo wir uns einst alle wiedersehen werden.

 

Und manchmal denk ich dann: Wenn ich doch immer so vertrauen könnte!

Wenn ich doch immer aus dieser Perspektive leben könnte!

So, als wüsste ich schon im Voraus: Es wird gut ausgehen.

Gott führt auch mich schon ans Ziel.

Am liebsten würde ich diese Perspektive festhalten und in mir abspeichern.

Damit ich sie dann abrufen kann, wenn ich sie brauche.

Dann, wenn ich daran zweifle und mich frage: Wo bist du, Gott? Dann, wenn ich mich leer fühle und ich nicht weiß, wie ich durch die kommende Woche kommen soll.

Da wünsche ich mir, dass die Stimme in mir laut wird:

Gott überblickt meine Wege.

Gott wird mich ans Ziel führen, auch durch die Nächte meines Lebens.

 

Wär das nicht auch eine tröstliche Haltung jetzt in der Nacht, in der es Abschied zu nehmen gilt vom Jahr 2020?

Noch immer blicken wir ja wie gebannt auf die neuesten Zahlen des RKI und hoffen inständig, dass aller Verzicht der letzten Wochen sich bald niederschlägt in den gewünschten Inzidenzzahlen.

Was hat dieses Jahr nicht alles an Leiden gebracht!

Es gab viele wirtschaftliche, kulturelle, soziale und menschliche Katastrophen.

Ich will im Einzelnen bewusst nicht darauf eingehen, damit wir uns nicht auch jetzt noch zu sehr bannen lassen von all dem Leidvollen und Schrecklichen.

Eines aber muss ich erwähnen, weil es mich wirklich sehr bedrückt.

Die Beschäftigten besonders auf den Intensivstationen leisten seit Monaten schier Unglaubliches.

Dass nun aber Pflegekräfte schon ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen, die ohne Vorerkrankungen und im jungen Alter sind, intensivmedizinisch betreuen müssen, weil sie sich bei der Arbeit angesteckt haben, das übersteigt fast das menschlich Tragbare.

Und doch leisten sie ihren Dienst und kratzen nochmal ein paar Prozent Kraft, Aufmerksamkeit und Liebe zusammen, um das Schlimmste zu verhindern. Möge Gott doch dieses Wunder weiterhin befördern.

Bitte schließt diese Pflegekräfte, die gesunden und die kranken, in euer Gebet ein.

 

Auch wir brauchen jetzt ein Schubsen – einen Ruck, damit unser gebannter Blick sich lösen kann.

Was also hat uns im Positiven beschäftigt oder gar fasziniert in 2020?

Welche Begabungen haben wir entdeckt – Leidenschaften gar?

Wo ist Liebe gewachsen, was hat glücklich gemacht.

Welche Gründe gab es, um zurecht stolz zu sein?

Und schließlich: Wofür können wir Gott danken in diesem zu Ende gehenden Jahr 2020?

 

Da wird jede und jeder seine eigene Antworten mit hinzudenken müssen. Gut ist es ja, dass man in der geschriebenen Predigt sich die Fragen nochmal anschauen kann, wenn einem nicht gleich was einfällt.

Von mir jetzt nur so viel:

Auch in 2020 haben sich, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, Menschen ineinander verliebt und sind vielleicht gerade jetzt dabei einander tief in die Augen zu schauen.

Andere haben das größte Glück erlebt und sind zu Gottes Partnerin und Partner bestellt worden, damit ein neues Wunder, ein kleiner Mensch, das Licht der Welt erblicken konnte;

Ehepaare hielten sich die Treue und sind dankbar für Zuverlässigkeit und dass immer einer da ist, der einem die Flöhe von der Leber kratzt;

alt Gewordene wurden rührend versorgt in der Familie und wo es gar nicht mehr ging auch in den Senior*innen-Heimen – auch wenn dort dann das Essen nicht immer so schmeckt wie früher zu Hause.

Freundschaften wurden nach Jahren neu belebt.

Auch Hunde und Katzen erfreuen unser Herz.

Schul- Berufs- und Studienabschlüsse sind gelungen und wer gescheitert ist, kriegt die Kraft, eine zweite Chance anzupacken.

Es gibt einen tollen Weinjahrgang, die Sonne hat auch uns erwärmt;

Geld haben wir gespart, weil wir auf Balkonien und Terrassien waren;

Bayern München und THW Kiel sind Champions-League-Sieger.

Wir drehen die Heizung auf und es wird warm.

Die Müllabfuhr holt unseren Dreck ab und streikt auch nach Weihnachten nicht.

Biden ist Präsident und auch unsere Demokratie funktioniert:

Selbstverständlich auch in unserer Kirche.

Immer noch freuen wir uns über die hohe Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Presbyterium und dass über 1.000 unterschiedliche Geräte eingeschaltet wurden, um unseren Gottesdienst zu Heilig Abend anzuschauen. Das ist ganz prima.

Die allermeisten unserer Politiker*innen geben sich große Mühe und sind der Wahrheit verpflichtet.

Sie vertrauen der Wissenschaft und dort sind die allermeisten fasziniert nicht vom Geld, sondern von allem, was es zu entschlüsseln gibt.

An neuen Medikamenten wird geforscht, es gibt Impfstoffe als Licht am Horizont der Pandemie

und vor allem gibt es Menschen in unserem Gesundheitswesen, die schuften und rackern und ackern, um Leben zu erhalten.

Und schließlich gibt´s auch dies: Menschen finden Heilung, Trost und Hoffnung auch nach Sterbefällen und leidvoller Zeit. Viele machen gerade da die Erfahrung, dass Gott ihnen und ihren Angehörigen in einer geheimnisvollen und wunderbaren Weise nahe ist. So wächst dann auch das Vertrauen, dass wir Christenmenschen uns nie ein letztes Mal sehen.

 

Sollten wir bei alledem nicht auch auf das von Gott geschenkte Jahr 2020 dankbar zurückblicken können?

Und im Blick auf 2021 den Kopf heben und sagen:

Gott überblickt meine Wege.

Gott wird mich ans Ziel führen, auch durch die Nächte meines Lebens. Auch durch diese Nacht hindurch ins Jahr 2021.

 

Wenn es dazu noch eine Hilfe braucht, dann bietet sich der heutige Predigttext an.

Er führt uns weit zurück in die Geschichte Gottes mit seinem ersterwählten Volk, das damals wohl nicht mehr war als eine große Gruppe sozial Entrechteter, Sklaven und Grenzsiedler des ägyptischen Kulturlandes.

Dort in Ägypten hatten sie Sicherheit, waren aber unfrei.

Nun hat Gott ihr Flehen gehört und sie aus der Sklaverei herausführen lassen durch Mose.

Jetzt sind sie frei, aber alles wird unsicher.

Zurück zur alten Normalität an die Fleischtöpfe Ägyptens können sie nicht mehr.

Jetzt geht es nur noch nach vorn in eine ungewisse Zukunft.

Zwischen ihnen und dem ersehnten gelobten Land liegt die Wüste, Zeiten der Krise.

Aber wie da hindurchkommen?

Im 2. Buch Mose lesen wir:

"So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht."

 

Was für ein großartiges Bild! 

Die Säulen zeigten den Menschen: Gott weiß den Weg. Er führt uns ans Ziel. Er hat den Überblick.

Und die Säulen heißen auch: Die Israeliten vertrauten Gott.

Sie folgten ihm nach. Sie glaubten an ihn.

An manchen Tagen und Nächten fiel ihnen das vermutlich schwer. Dann, wenn sie daran zweifelten, dass Gott mit ihnen unterwegs war.

Wenn sie sich von Gott verlassen fühlten, wenn sie Hunger und Durst litten und fremde Völker sie bedrohten.

An anderen Tagen und Nächten fiel es ihnen wiederum leichter: an Tagen, an denen sie dafür danken konnten, dass sie bewahrt blieben.

Im Rückblick haben die Israeliten bemerkt:

Gott hat Recht behalten. Wir sind dort angekommen, wohin er uns gesandt und geführt hat. Unser Vertrauen hat sich bewährt.

Gott hat unsere Wege überblickt – vom Anfang bis zum Ziel.

Auch als wir dachten, nicht mehr weiterzukommen, überblickte er unsere Tage und führte uns den rechten Weg.

Deshalb hoffen wir jetzt: Er wird auch die Wege überblicken, die wir noch gehen werden.

Und weiter ging´s mit dem nächsten Schritt durch Sand, Hitze und Entbehrung, aber mit sicherer Führung und Vertrauen.

 

Was mir persönlich so gefällt an dieser Erzählung:

Die Anwesenheit Gottes in der Wolken- und Feuersäule ist unabhängig vom Verhalten der Menschen.

Wie oft wird in der Bibel davon erzählt, dass Gott sich wegen der „Sünden“ der Menschen von ihnen abwendet.

Oder auch, dass er sich zuwendet, weil ihm ein Opfergeruch besonders gut in die Nase gezogen sei.

In unserem Text ist Gott gegenwärtig in jeder Situation.

Das heißt für mich:

Keine Nacht kann so dunkel und angsterregend sein, als dass Gott sie nicht in Licht verwandeln könnte.

Und kein Tag mit seinen Konflikten, Sorgen und Nöten kann so verzweifelt machen, als dass Gott nicht in seinen Zeichen und Merkmalen bemerkbar wäre und mich leiten will.

 

Jetzt auf der Schwelle vom alten zum neuen Jahr wünsche ich uns, dass wir uns so mit Gott verbunden wissen.

Dass wir erfahren, dass ER uns führt. Dass wir sein Licht auf unseren Wegen wahrnehmen.

Ich wünsche uns, dass wir in diesem Vertrauen dem neuen Jahr 2021 getrost entgegengehen, was auch immer auf uns zukommen mag an dunklen Stunden und Lichtblicken.

Gott wird nicht von unserer Seite weichen.

Er wird uns führen und unsere Wege erleuchten.

 

Deshalb bleibt fein behütet und bleibt stark. Amen.

 

Lied EG 65  „Von guten Mächten wunderbar geborgen“

Predigt zum 4. Advent - 20.12.2020

Predigttext aus 1. Mose 18

Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer

Wenn Sie die von Lektorin Neubauer eingelesene Predigt hören möchten, dann klicken Sie hier.

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!

Mein Name ist Bärbel Neubauer.

Ich bin Presbyterin und Lektorin unserer Kirchengemeinde und grüße sie herzlich mit dem Pauluswort:

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Der Predigttext für den 4. Advent steht im

  1. Buch Mose im 18. Kapitel.

 

Und der HERR erschien Abraham im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm.

Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde

Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau?

Er antwortete: Drinnen im Zelt.

Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes.

Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise.

Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!

Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?

Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben.

Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht –, denn sie fürchtete sich.

Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht!

 

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.


Liebe Gemeinde!

 

Da staune ich nicht schlecht über dieses adventliche Predigtwort.

Advent: da erwartet man doch einen Hinweis auf das junge Mädchen, das da schwanger wird und einen Sohn gebärt. Auf Ermahnungen, dass wir wachsam sein sollen und hellwach, um ja das große Fest nicht zu verpassen. Vollmundigen Lobpreis der jungen Maria: Meine Seele erhebt den Herrn…

Stattdessen heute: ein altes Ehepaar, gut eingerichtet im Leben, aber tief frustriert, dass sich der Kinderwunsch nie erfüllt hat. Nie ein Kind kam. Das ist eine tiefe Kränkung und Not- besonders in der damaligen Zeit.

Aber sie haben’s verschmerzt. Muss halt so sein. Am besten nicht mehr drüber nachdenken…

 

Wie passt das zusammen: Zugehen auf den Tag der wunderbaren Geburt im Stall von Bethlehem

und die Begegnung mit dem alten, in diesem Bereich vom Leben enttäuschten Ehepaar Abraham und Sara?

 

Besuch bekommen sie von drei Männern. Wer immer sie waren, es war klar: Das ist jetzt  hoher Besuch.

Ein göttlicher gar…?

Wie viel, viel später bei Maria – der Engel. Mit der Botschaft. „Gegrüßet seist du…“

 

Gastfreundschaft wird auch bei Abraham und Sara groß geschrieben.

„Freilich bleibt ihr da! Wir bewirten euch!“ 

Die Männer vor dem Zelt. Die Frau hinten im Zelt, in der Küche. Ein sehr patriarchalisches System.

Dann der Satz: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.

Wie bitte?

Jetzt schlägt’s Dreizehn! Hättet ihr das mal vor 20 Jahren angekündigt – wir wären hoch erfreut gewesen.

Aber – die Sache ist durch! Das ist ja nur noch schmerzlich. Peinlich.

Lassen wir das Thema! Es hat uns genug schlaflose Nächte gekostet.

 

Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.

Und Sara lachte!

Schön, sich Sara vorzustellen, wie sie hinter dem Zelt steht und in sich hineinlacht.

Leider ist’s kein herzhaftes, kein fröhliches Lachen, sondern eher ein skeptisches, abwartendes Lachen.

 

Da wollen wir mal sehen! Ihr tollen Männer!

Ein Kalenderspruch fällt mir ein: „Vieles im Leben ist so hoffnungslos verwickelt, dass uns kein Schwert bleibt den Knoten durchzuhauen, – außer das Lachen.“

Und Sara lachte!

 

Da sprach der HERR zu Abraham: Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?

Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein????

 

Ist es das, was Abraham und Sara, die Weihnachtsgeschichte und uns heute verbindet:

Weihnachten, eine unerwartete Wendung und eine große Verheißung?!

Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?

 

Bei Abraham und Sara heißt die Wendung: Sie bekommen ihr nicht mehr erwartetes Kind: Isaak wird geboren! Sein Name wird im Hebräischen mit dem Lachen seiner Mutter in Verbindung gebracht. „Denn sie lachte“ so kann man Isaak übersetzen.

Das Leben geht weiter! Die Verheißung besteht! „Ich will dich segnen, dich und deine Nachkommen.“

Mehr als ein Tausend Jahre später: Maria und Josef:

Sie bekommen ihr Kind. Unerwartet, zeitlich unpassend, und gleich wird klar:

da passiert etwas nicht nur für die überraschten Eltern, da passiert etwas für alle Menschen.

„Seht, die gute Zeit ist nah. Gott kommt auf die Erde.

Kommt und ist für alle da, kommt dass Friede werde.“

 

Kommt dass Friede werde….?

Weihnachten – eine unerwartete Wendung und eine große Verheißung?

Auch für uns? 2020?

Maria bewegte das alles in ihrem Herzen.

Sara lachte.

Und wir? Was erwarten wir?

Ja, Weihnachten.

Dieses Jahr wird Weihnachten anders sein.

Schon allein weil wir uns Gedanken machen, wie können wir überhaupt zusammen sein ohne unsere Lieben zu gefährden.

Da rückt die Frage nach dem Weihnachtsessen völlig in den Hintergrund.

Einigen fehlt natürlich auch der Weihnachtstrubel, der Besuch der Weihnachtsmärkte, bummeln durch die schön beleuchteten Fußgängerzonen und eben auch das Zusammenstehen mit lieben Freunden beim Glühwein.

Anderen fehlt viel mehr der Gottesdienst an Heilig Abend in unserer Kirche, wie wir ihn alle Jahre wieder so gerne besucht haben.

Da kann einem das Lachen und Hoffen schon mal vergehen. Wie Sara.

 

Die drei Männer aber sagen: „Und über’s Jahr werdet ihr staunen und gute Erfahrungen gemacht haben.“

 

Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?

Weihnachten steht für unerwartete positive Wendung – und eine große Verheißung.

Auch in diesem Jahr. Auch unter den jetzt geltenden Corona-Regeln.

Zur Zeit des Abraham und seiner Sara hätte man es wohl für eine Zeichenhandlung gehalten, dass es gerade jetzt den Impf-Stoff geben soll, der hilft, die Pandemie unversehrt zu überstehen.

Ein Licht am sonst dunklen Horizont unserer Erwartungen fürs neue Jahr. Das kann doch zumindest ein Lächeln bringen für alle, die um ihre nahen Angehörigen in den Senioren- und Pflegeheimen so bangen. Die aber auch persönlich aufatmen können.

Dieses Licht, auf das so viele hoffen, verstanden als Zeichen, ist ja nur ein schwacher Abglanz von dem Licht, das uns aus der Krippe entgegenstrahlt. 

Jesus Christus, Licht der Welt, wird uns impfen gegen Hass und Gewalt, Neid, Vergeltung und Unbarmherzigkeit.

Mit diesem Kind in der Krippe ist Gott „begreifbar“ geworden.

Näher. Nicht so abstrakt.

 

Eine unerwartete Wendung:

Doch noch einmal das Leben finden.

Sich aussöhnen mit jemandem.

Mit sich selbst.

Den Glauben wieder spüren.

Vertrauen.

„Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah?“

 

Wie kommst du mir so nah?

Das hilft mir zu Zuversicht und Lebensmut.

Das ist mein tiefstes Weihnachten.

Du wirst in mir geboren. Als Hoffnung und neue Lebenszuversicht.

So kann ich weitergehen. Weiterleben.

Eine glückliche Wendung und Verheißung!

Neue Klarheit finden. Selbstvertrauen.

 

Bei sich selber sein können, weil da noch jemand ist: das göttliche Kind.

Wieder Licht sehen in der Dunkelheit.

„Fürchtet euch nicht!“

Weihnachten ist eine unerwartete Wendung und eine große Verheißung!

Für Sara und Abraham.

Josef und Maria.

Für dich und für mich!

Einer wird kommen,
der die Knoten deines Lebens auflöst,
der den roten Faden findet, 
der aus dem Labyrinth hinaus führt,
der deine schmerzenden Glieder berührt, 
der deine Verletzungen heilt.

Und du wirst staunen – ER kommt nicht als Held.

 

Als kleines Kind wird ER kommen, 
mit einem Lächeln voll Wärme,
das alles in dir zerfließen lässt,

mit einem Strahlen, das Glanz in dein Leben bringt,
mit einem Lachen, das dich vergessen lässt, 
was einmal war.

Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?

IHM ist das möglich!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus, Jesus. Amen.
 

Predigt zum 3. Advent - 13. Dezember 2020

Predigt gehalten von Pfarrer i.R. Karl Heinz Schunk

Predigttext: Lk 1, 67-79

Wenn Sie die von Pfarrer Schunk selbst eingelesene Predigt hören möchten, dann klicken Sie hier.


Liebe Gemeinde,

heute am 3. Advent werden wir einen Text aus dem Lukas-Evangelium hören, der uns zum Nachdenken auffordert.  Der Predigttext hat eine Vorgeschichte, die ich kurz nacherzählen werde.

Es geht um Zacharias, der im Tempeldienst an der Reihe war. Ihm erschien ein Engel, der ihm die Geburt eines Sohnes verkündigte. Er, erschrocken, erwiderte, dass seine Frau schon jenseits der Wechseljahre sei. Der Engel antwortete ihm, dass sein Sohn Johannes heißen soll, und weil er dem Wort des Engels nicht geglaubt hat, muss er bis zur Geburt stumm bleiben. Dann aber darf er wieder reden. Text:

Lukas 1, 67 – 79. Ich lese diesen Abschnitt aus der Basis Bibel

„Da wurde Zaharias, der Vater des Johannes, mit Heiligen Geist erfüllt. Er begann wie ein Prophet zu reden: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er ist seinem Volk zu Hilfe gekommen und hat es befreit. Er hat uns einen starken Retter gesandt, einen Nachkommen seines Dieners David. So hat Gott es von jeher angekündigt durch den Mund seiner heiligen Propheten, einen Retter, der uns befreit von unseren Feinden und aus der Gewalt aller, die uns hassen.

Damit hat Gott auch unseren Vätern seine Barmherzigkeit erwiesen. Er hat an den heiligen Bund gedacht, der er mit ihnen geschlossen hat. Ja, er hat an den Eid gedacht, den er unserem Vater Abraham geschworen hat: uns aus der Hand von Feinden zu retten.

Dann können wir ohne Angst Gottesdienst feiern, heilig nach seinem Willen, in seiner Gegenwart, solange wir leben. Aber auch du, Kind, wirst ein Prophet des Höchsten genannt werden. Du wirst dem Herrn vorangehen und die Wege für ihn bereit machen.

Du schenkst seinem Volk die Erkenntnis, dass der Herr es retten will und ihm die Schuld vergibt.

Unser Gott hat ein Herz voll Erbarmen. Darum kommt uns das Licht aus der Höhe zur Hilfe.

Es leuchtet denen, die im Dunkeln und im Schatten des Todes leben. Es lenkt unsere Füße auf den Weg des Friedens.

 

Führen wir uns einmal die Situation zur Zeit des Zacharias vor Augen:

Israel war von den Römern besetzt. Sie bestimmten, was im Land Recht und Gesetz war.

Die Einwohner mussten hohe Abgaben zahlen und so verarmte das Volk. Selbst die Hohenpriester hatten nur im Tempel was zu sagen.

Kranke, vor allem Leprakranke wurden außerhalb der Gesunden isoliert und abgegrenzt. 

In Indien habe ich Leprakranke gesehen, denen Stück für Stück die Glieder verfaulten. Ich weiß, wie schrecklich das ist - kaum zu ertragen.

Es gab zur Zeit des Zacharias so viel Not. Ältere Menschen, vor allem Witwen waren von Armut betroffen, denn eine Rente oder öffentliche Versorgung gab es nicht. Es gab welche, die das Sagen hatten und andere hatten es nicht.

Es waren düstere Zeiten. Armut und Verunsicherungen machen sich breit auf allen Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens.


Bei uns ist das heute nicht anders!

Zum Advent gehört für mich das Wort:“ Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein Licht.“  

Ich denke, dass wir heute auch in einer finsteren Zeit leben!


Sehen wir ein Licht?

Heute in unserer Situation erlebe ich zum ersten Mal bewusst, dass wir oft kein Licht sehen.

Viele, die Ihre Arbeitsplätze verlieren oder verloren haben, die Spannungen weltweit nehmen zu, Anstand, Fairness und Einfühlungsvermögen nehmen ab.

Einige werden reicher, viele ärmer. Viele erleben, dass wir in einer verrückten Zeit leben.

Wer hat was zu sagen und wer nicht? Andere unter uns, die den Krieg und deren Folgen erlebt haben, wissen oder ahnen, was alles passieren kann. Aber auch die Älteren leiden unter den Kontakteinschränkungen.

In unserem Innersten sind wir verunsichert, vielleicht sogar zornig, weil Viele die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht akzeptieren wollen. Das Klima in unserem Land wird rauer.

Rechte und Verschwörungstheoretiker, Hass und Gewalt zerstören unsre Gemeinschaften.


Einer, der sich Gedanken darüber gemacht hat, wie er das sieht, hat mir einen Text zugeschickt, den ich gerne weitergeben möchte.

„Stell dir einen Moment vor, du wärst im Jahr 1900 geboren. Wenn du 14 Jahre alt bist, beginnt der erste Weltkrieg und endet, wenn du 18 Jahre alt bist mit 22 Millionen Todesopfern.

Kurz darauf bricht die Spanische Grippe aus mit 50 Millionen Opfern und endet, wenn du 20 Jahre alt bist.

Wenn du 29 Jahre alt bist, beginnt die Weltwirtschaftskrise. Die Folgen sind Inflation und Massenarbeitslosigkeit.

Wenn du 33 Jahre alt bist, gelangen die Nazis an die Macht. Wenn du 39 Jahre alt bist beginnt der 2. Weltkrieg und endet, wenn du 45 Jahre alt bist mit 6o Millionen Todesopfern.

Im Holocaust sterben 6 Millionen Juden.

Wenn du 52 Jahre alt bist beginnt der Koreakrieg. Wenn du 64 Jahre alt bist beginnt der Vietnamkrieg und endet, wenn du 75 Jahre alt bist.

Ein Kind im Jahre 1985 dachte, dass Oma und Opa keine Ahnung haben, wie schwer das Leben sei.

Doch die beiden haben bereits mehrere Kriege überlebt.

Heute befinden wir uns mit allen Bequemlichkeiten in der modernen Welt in einer neuen Pandemie.

Menschen beklagten sich, weil sie mal für ein paar Wochen das Haus nicht verlassen dürfen. Sie haben Strom, Handys, warmes Wasser, genug Essen und ein sicheres Dach über dem Kopf. All dies gab es in früheren Zeiten nicht, doch die Menschen haben auch diese Zeiten überstanden und niemals ihre Lebensfreude verloren.

Heute beklagen wir uns, weil wir im Supermarkt und in den Innenstädten Masken tragen müssen.

Ein kleiner Perspektivwechsel kann Wunder wirken. „


Aber reicht das? Können wir Christen mit diesen richtigen Worten leben, fehlt für uns noch etwas?

Auf der ganzen Erde nehmen die Spannungen zu. Keine beruhigende Situation.

Ich erinnere an Zacharias, den Priester, der in seiner Zeit auch das ganze Elend wahrgenommen hat und der die frohe Botschaft zuerst nicht geglaubt hat, um dann seiner Freude lauthals Sprache zu geben.


Können wir, die wir uns im Advent an die Ankunft Jesu erinnern, dem Beispiel Zacharias folgen?

Ich denke NEIN! Für uns gibt es einen anderen Weg die Erwartung Gottes zu leben.

Wir können seinem Wort glauben, dass er uns führt und begleitet und uns die Kraft schenkt, die wir in unseren Zeiten brauchen.

Das Erste ist: wir brauchen den täglichen Kontakt zu Ihm!

Der Kontakt ist ein Wort zum Tage, aber auch ganz besonders das persönliche Gebet am Morgen oder am Ende des Tages. Am Morgen lesen wir laut die Tageslosung und die Gedanken, die zu dieser Losung aufgeschrieben wurden. Das Büchlein mit den täglichen Losungen und Texten heißt „Licht und Kraft“. Es begleitet uns jedem Tag das ganze Jahr hindurch.

Aber immer wieder erleben wir auch, dass über den Tag, doch Vieles wieder vergessen wird.

Für mich ist deshalb das Abendgebet so wichtig. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Zettel, auf dem viele Namen stehen. Es sind die Menschen, für die ich jeden Abend und oft jeden Morgen bete.

Ich bitte Gott um die Hilfe, die sie brauchen, oder ich danke Ihm, wenn sich Not zum Besseren wendet. So bleibt man mit Gott und den Menschen, für die ich bete, in Verbindung.


Ich möchte ihnen von einem ganz persönlichen Erlebnis berichten. Ein Ehepaar, das ich schon über 40 Jahre kenne, hat gerade in der Pandemie Abschied nehmen müssen. Die Frau ist gestorben. An beide habe ich immer in meinem Abendgebet gedacht. Ihr ging es immer schlechter und doch hatte sie schon so viele Krisen überstanden.

Wir waren zuhause und ganz plötzlich hatte ich den Drang, das Ehepaar anzurufen.

Der Mann war am Telefon und sagte: „Karl Heinz, meine Frau liegt gerade im Sterben. Willst du Ihr noch etwas sagen?“

Ich las ihr den 121 Psalm vor.

Die letzten Worte waren: „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“

„Eben ist sie eingeschlafen,“ sagte Ihr Mann.


Was will ich mit diesem Beispiel sagen?

Wenn wir Menschen im Gebet begleiten, dann sind wir auch mit ihnen verbunden, auch wenn sie weit weg wohnen. Das ist ein tolles Dreieckverhältnis die Verbindung über Gott zu denen, für die wir beten und Danken, Gott loben und ihn bitten.

Wir dürfen Gott vertrauen, der zu uns hält und uns begleitet.

Am Anfang steht das Vertrauen zu Gott, der ja nicht so einfach greifbar ist.

Aber wir haben die Worte aus dem AT und NT, die von Gotteserfahrungen berichten.


Wer dem Wort Gottes und seinen Versprechungen glaubt, wird Erfahrungen machen, von denen er geglaubt hat, dass sie niemals möglich gewesen wären.

Wir müssen lernen und damit leben, dass Gott den ganzen Tag um uns ist.

Am Morgen bitten, dass er uns und die Menschen, die wir in unser Gebet einschließen, behüten und bewahren möge, und am Abend danken, oder klagen, was nicht gut gelaufen ist an diesem Tag.

So bleiben wir immer mit ihm im Gespräch und mit den Menschen verbunden, deren Anliegen wir vor Gott bringen. Dann kann uns zur Gewissheit werden:

Obwohl räumlich getrennt, sind wir alle miteinander verbunden.

Wer kann dann noch von Einsamkeit reden??


Bleibt behütet und bleibt im Gespräch mit Gott, und mit den Menschen, die euch vor die Füße gelegt werden, damit ihr niemals einsam seid, auch nicht in einer Pandemie.

AMEN.

 

Gebet:

Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist,

wie danken dir, dass du die einzige Konstante in unserer so vielfältigen und verworrenen Welt bist.

Schenke uns die Kraft und die Gewissheit, dass es besser ist, dich in unser Leben einzubeziehen, als all den verwirrenden Angeboten von Fernsehen und anderen Medien zu glauben.

Du stehst zu deinem Wort, das uns Kraft und Hilfe ist.

Doch auch ein noch so kleines Gebet oder Seufzen erreicht dein Ohr.

Lehre uns im Kontakt mit dir beständig zu bleiben, damit wir immer wieder deine Nähe erfahren und die Gewissheit erleben, dass du an unserer Seite stehst.

Niemand ist bei dir vergessen.

So loben wir dich für alles, was du uns mit Deiner Nähe schenkst.

Behüte deine Kinder, die in Not und Verzweiflung leben, und mach uns wachsam, dass wir die Not um uns herum erkennen.

Du bist ja unser Gott! Wir loben und preisen dich für deine Liebe zu uns:                                                                                 So segne und behüte uns, lass leuchten dein Angesicht über uns und sei uns gnädig, lass deine Wahrheit unser Leben bestimmen und begleite uns. AMEN.


Predigt am zweiten Advent, 06.12.2020

 

Predigt: gehalten von Lektor Detlef Best

Predigttext: Lukas 21, 25-33 - hier nachzulesen

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

 

 Liebe Gemeinde,

mitten in dieser Zeit, die zum Erschrecken ist, steht dieser wunderbare Satz:

“Wenn das zu geschehen anfängt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn dann naht sich eure Erlösung.“

 

Das ist der Trost, den Jesus für seine Gemeinde bereit hat. Das ist der Trost, den wir vernehmen dürfen und gerade jetzt in der Corona- Pandemie gebrauchen können. Denn die Angst der Ansteckung ist hoch, besonders in den Alten- und Pflegeheimen, wo zur Zeit viele Sterbefälle zu beklagen sind.

Das ist der Trost, vor dem her wir leben dürfen und auf den wir hin leben dürfen:

Die Erlösung naht – da, wo ihr es nicht mehr wagt, den Kopf zu heben. Eure Erlösung naht – da, wo ihr schon verzweifelt seid über die vielen Einschränkungen, die zur Zeit durch die Regierungen vorgegeben sind.

Eure Erlösung naht, auch wenn ihr verzagt seid, gebeugt unter den Leiden der Zeit.

So wie etwa bei einem meiner Verwandten.

Wie ich jetzt erfahren habe, musste seine an Demenz erkrankte Frau mit Lungenentzündung in die Klinik eingeliefert werden und wird seither beatmet. Wie heilsam kann dann grad für ihn dieser Satz sein:

Unsere Erlösung - sie naht, weil unser Erlöser kommt.

Was auch immer auf uns zukommen mag, was auch immer uns bedrängen mag: am Ende kommt Jesus, der Menschensohn, der Erlöser.

Der, dem wir im Glauben hier in dieser Zeit das Herz gegeben haben, der kommt in der Macht Gottes. Der, dem wir im Glauben hier unser Leben anvertraut haben, der kommt in Herrlichkeit.

 

Unsere Erlösung – das ist unser Erlöser: Jesus Christus.

Was er uns zugesagt hat, als Gerechtigkeit, das gilt vor Gott.

Was er uns zugesagt hat als neues Leben, das löst er ein.

Sein Wort vergeht nicht, auch wenn Himmel und Erde vergehen. Sein Wort erweist sich als beständig in Zeit und Ewigkeit.

So warten wir ihm entgegen und der Erlösung, die er uns bringt.

Erlösung kommt uns entgegen, ein Erlöser kommt zu uns.

 

Was bedeutet das? Wie können wir uns das klarmachen?

Vielleicht so: Wenn die Menschen dringend auf den Impfstoff warten, damit wieder ein normales Leben eintritt.

Oder wenn Flüchtlinge von einem der Boote auf dem Weg über das Mittelmeer endlich festen Boden unter den Füßen haben.

Dann ist das für Menschen eine Erlösung.

 

Genau das trägt den Keim der Erlösung, von der Jesus spricht. Er kommt in eine zerbrechliche Welt, in der alles unterzugehen droht. Jesus sagt uns in diesen Worten das Ende unserer Welt an.

Ein Ende, das in Furcht und Schrecken versetzt. Denn es ist ja nicht ein sanfter Tod, den die Welt stirbt, sondern es ist eine ungeheure Katastrophe, aus der es kein Entrinnen gibt, keine Hilfen, kein Halten.

Wir leben in einer Zeit, in der solche Bilder, nicht mehr unrealistische Schreckensgespenster sind:

Klimawandel, Unwetterkatastrophen, Dürre und Hunger in den armen Ländern, für die wir in diesem Jahr wieder durch die Aktion „Brot für die Welt“ aufgerufen sind, durch Geldspenden zu helfen, lehren uns anderes.

Alles, an das wir Erwartung knüpfen, dass es fest steht, das wankt.

 Alles, was wir ewig wähnen, das erweist sich als schwach.

Sonne, Mond und Sterne, Zeichen für beständige Wiederkehr, vergehen. Nichts bleibt. Alles Sein wird offenbart in seiner Nichtigkeit. Es ist eine einzige große Richtung in eine Katastrophe, die hier unserer Welt angesagt wird.

 

Aber dieser Katastrophe ist als Gottes Gericht noch nicht das letzte Wort. Sie ist das Ende einer Welt, die sich von Gott gelöst hat. Das macht dies Geschehen ja so schrecklich: denn hinter allem steht Gottes Ernst, steht Gottes Urteil über die Welt, die ohne ihn lebt. Und es wird jedem, der auch nur das geringste von Gottes Heiligkeit ahnt, schlagartig klar: Wenn Gott so handelt, dann habe ich nichts mehr zu bieten; wenn Gott ernst macht, dann reicht mein Leben nicht aus, um mich vor diesem Gericht zu bewahren. In diesem Gerichtshandeln Gottes, zerbrechen alle Sicherheiten, auf die wir uns so gerne verlassen.

Und genau dahin, wo uns das Herz fallen will, wo wir nach Bergung suchen und nichts finden.

 

Da hinein, wo uns in der Ankündigung vom Ende der Welt schon unsere Hilflosigkeit bewusst wird, genau dahinein sagt Jesu: „Wenn dies alles geschieht, dann wird der Menschensohn kommen, dann steht auf, weil sich eure Erlösung naht.“

 

Liebe Gemeinde,

das ist für uns ungeheuer wichtig: Wir warten nicht auf das Ende der Welt. Wir warten auf den Erlöser. Wir warten auf den, der uns im Zerbrechen der Welt an die Hand nimmt und mit uns zum Vater geht und sagt: Diesen Menschen da habe ich geliebt und er hat mich geliebt. Verschon ihn um meinetwillen.

 

Merken Sie liebe Gemeinde, was das heißt: Da, wo die Zukunft der Welt vergeht, wo alles vergeht, worauf wir uns bei unseren eigenen Planungen verlassen, da wird uns von Jesus eine neue Zukunft aufgetan. Das ist Erlösung. Eine neue Zukunft geschenkt bekommen, wo eigentlich schon alles verspielt ist. Einen neuen Weg eröffnet bekommen, wo es eigentlich keinen Ausweg mehr gibt.

Eine neue Hoffnung haben, wo eigentlich nichts mehr zu hoffen war.

Das ist unsere Erlösung: Jesus tritt im Gericht Gottes für uns ein.

Er nimmt sich unserer gnädig an.

 

Wenn dies alles geschehen wird, dann kann ich mir aber nicht vorstellen, dass Christen da ohne Furcht herumlaufen, während die Welt zerbricht. Es lässt uns doch nicht kalt, was wir um uns herum sehen: Bilder von Umweltzerstörungen, sterbender Tierwelt und sterbenden Menschen.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Christen heute dieser Welt das Gericht Gottes ansagen und nicht furchtbar dabei selbst erschrecken und fruchtbar daran leiden.

Aber wenn dann Jesus Christus auf uns zutritt und sagt: Du bist mein Bruder, du bist meine Schwester, dann wird alle Furcht abfallen, dann wird alle Angst überwunden sein, dann wird es sein, als würde ich träumen. Denn ich weiß es doch nur zu gut, verdient habe ich das nicht.

Bis dahin sind wir wartende und hoffende Menschen. Bis dahin sind wir auch bedrückende Menschen, bedrückt vom Wissen um das kommende Urteil, um die Schrecken, die noch sein werden.

Bis dahin gibt es auch unter Christenmenschen noch viel Furcht und Ängstlichkeit, viel Verzagtheit.

Aber es gibt bei alledem doch ein Warten, das sich auch getröstet weiß. Ich möchte es einmal ganz schlicht von mir sagen:

Ich tröste mich in aller Sorge vor der Zukunft nicht selbst. Das funktioniert nicht.

Aber ich bin getröstet, wenn ich daran erinnert werde, dass Jesu, der mir heute seine Liebe zusagt, der wird mich auch dann nicht fallen lassen.

Deshalb ist das Warten im Advent nicht ein Warten in Hoffnungslosigkeit.

Deshalb wagen wir es auch, uns zu freuen auf den Tag, an dem Jesus kommt; denn es uns nicht der Tag, der bestimmt ist durch das Ende der Welt, sondern durch das Kommen Jesus.

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten zweiten Advent.

Bleiben Sie behütet und gestärkt im Glauben an unseren Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Lieder: EGs 17 und 19, neue Lieder P 107 und 71


Predigt am 1. Advent - 29.11.2020

Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Sacharja 9, 9-10 - gelesen während der Predigt


Die Gnade Gottes, der Friede Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 Liebe Gemeinde,

Advent 2020.

Vieles von dem, was für die meisten von uns zu den Wochen und Tagen vor Weihnachten unbedingt dazugehört, wird angesichts der Corona-Pandemie nicht möglich sein:

gemeinsames Singen, Gottesdienste und Konzerte in gut gefüllten Kirchen, Adventsbasare und Weihnachtsmärkte,

Feiern im Klassenverband, im Kreis von Arbeitskolleginnen und -kollegen, in den Vereinen und mit Freunden und vieles andere mehr.

Stattdessen der tägliche Blick auf die Fallzahlen und die neuesten Ansagen zu den Schutzmaßnahmen.

 

Und in alledem die Frage, wie Weihnachten wohl werden

und sich anfühlen wird.

Die Lockerung der Einschränkungen sind für die Weihnachtszeit staatlicherseits versprochen.

Damit soll erreicht werden, dass nicht noch mehr Leute all der Maßnahmen überdrüssig werden und den Anordnungen zur Eindämmung der Pandemie gar keine Folge mehr leisten.

 

Ich persönlich bin sehr skeptisch, ob die avisierten Lockerungen so sinnvoll sind.

Denn es steht ja zu befürchten, dass wir etwas größere Freude in den Familien und mehr Gemeinschaft eintauschen gegen mehr Infektionen anschließend und in der Folge mehr Todesfälle.

Gut, dass in unserem freien Land sich da jeder und jede nach der eigenen Überzeugung entsprechend verhalten kann.

 

Ganz unabhängig aber, wie man die Lockerungen einschätzt, am liebsten würden wir doch alle mit Blick auf Weihnachten einfach einen Schalter umlegen und alles wäre wieder so, wie wir es als Erinnerungen aus unseren Kindertagen im Herzen tragen:

Die Welt und unser Heim sind irgendwie verzaubert. Es riecht wunderbar nach Spitzgebackenem und Vanillekipferl.

In den Augen von so vielen spiegelt sich ein besonderer Glanz.

Manches ist geheimnisvoll auch.

Eine gewisse Nervosität ist spürbar und je näher es auf den Heiligen Abend zugeht, umso stärker.

Aber da ist auch ein Gefühl in uns, dass es jetzt friedlicher zugehen sollte. Wir selbst sind bereit unseren Beitrag dazu zu leisten und die Sehnsucht nach Wärme und Harmonie wird immer größer in uns.

Ist es nicht so, dass spätestens mit dem Kerzenlicht des Adventskranzes das Kind in uns erwacht und uns an die Verwandlung erinnert, die doch möglich ist: Die Welt wird strahlend und unser Herz wird leicht.  

Viele Menschen warten auf Weihnachten – erwarten noch etwas.

 

Wie Hanna zum Beispiel.

Sie ist im Kindergarten schon in der Vorschulgruppe.

Mama hat ihr versprochen, dass sie an Weihnachten endlich ihren neugeborenen Cousin sehen darf.

Hussein heißt er, wie ihr Freund in der Kita. Ob der Kleine auch schon so schwarze Haare hat?

Sie durfte ein Bild sehen von kurz nach der Geburt. Da sah ihr Cousin noch ziemlich verknittert aus. An seine Haare kann Hanna sich nicht erinnern, nur an diesen großen Mund, weil Hussein scheinbar beim Gähnen fotografiert wurde. Und er hatte überhaupt keine Zähne.

Während Hanna über Weihnachten nachdenkt, fällt ihr ein, dass sie noch das Bild für ihren Papa fertig malen muss. Die letzten beiden Wochenenden, an denen er sie holen wollte, sind ausgefallen.

Am Telefon hat er gesagt, dass er so viel arbeiten müsse.

Aber als ihre Mutter so komisch geschaut hat, wusste sie, dass mal wieder was nicht stimmte.

Das war häufiger so, seit Mama und Papa sich getrennt hatten.

Hanna wünschte sich so sehr, dass alles wieder gut werden könnte. So wie früher.

Mindestens so wie auf dem Bild, das sie malte.

Mama und Papa hielten sie an der Hand. Und hinten malte sie noch die Achterbahn drauf. Das war, als sie miteinander im Holiday-Park waren.

 

Hannas Mutter, Yvonne, hat grad zwei Bleche Kokosmakronen aus dem Backofen geholt. Alles viel zu dunkel.

Wahrscheinlich hatte sie die Zeit falsch eingestellt.

Yvonne ist in den letzten Tagen oft unkonzentriert.

Ihre Gedanken kreisen um das Weihnachtsfest. Das ist so bald schon und sie will ihrer Hanna dringend vorher noch erklären, dass sie ganz bald schon eine neue Familie sein werden, weil sie mit Dominik und seinem 12- Jährigen Sohn zusammenziehen will.

Wann aber ist der richtige Zeitpunkt für das Gespräch mit Hanna?

Und wie wird Weihnachten werden?

Ihre Eltern haben grad schon genug daran zu knabbern, dass ihre Schwester mit Mahmud ein Kind hat.

In ihr Warten auf Weihnachten mischt sich eine große Spannung.

 

Hannas Erzieherin Vanessa wartet auch.

Wie in jedem Jahr wartet sie auf Ruhe.

In der Adventszeit fühlt sie sich häufig so gehetzt und unruhig, dass sie sich nach Stille sehnt. Auch in diesem Jahr, das doch so ganz anders ist.

Aber die Stille kehrt wieder nicht ein. Mit zu vielem ist sie innerlich beschäftigt.

Von einigen ihrer Kinder weiß sie, dass sie eigentlich schon ein schweres Leben haben, obwohl sie noch so jung sind.

Manchmal wundert sie sich, wie unbeschwert sie doch oft sind. Dazu muss aber auch sie ganz gegenwärtig sein.

Sie befürchtet, dass ihr das nicht immer gelingt. So viel beschäftigt sie, nimmt sie fast gefangen.

Nicht zuletzt auch die Sorge, sich nicht anzustecken bei den vielen Kontakten, die sie hat. Was wär dann mit ihren eigenen Eltern, um die sie sich auch kümmert?

In jedem morgendlichen Stuhlkreis will sie zum Schluss eine kleine Kerzenmeditation machen – auch um selbst mehr zur Ruhe zu kommen.

Wie sehr sehnt sie sich nach Weihnachten und die freien Tage.

 

Marlies und Fred, Hannas Großeltern, warten darauf, dass Corona endlich vorbei ist und sie ihre Kinder und Enkel treffen können.

Die Einsamkeit und der Verzicht auf Umarmungen mit den Liebsten – das alles tut so weh.

Gleichzeitig aber sind sie ganz bedrückt, wenn sie an Weihnachten denken.

Sie sind ja wahrlich nicht fremdenfeindlich, aber musste es denn gleich ein Kind sein von einem Flüchtling, der keine feste Arbeitsstelle hat?

Und dann noch Yvonne mit ihrem Dominik und dem Jason. Der soll ja voll in Pubertät sein.

On das gut geht?

Keine guten Vorzeichen für ein Weihnachten in Frieden und Harmonie.

 

Es ist Advent. Worauf wartest du?

Ich warte auf Ruhe in meinen Gedanken und in meiner Seele – auch wenn in diesem Jahr der Druck der vielen Adventsfeiern mit Andachten oder Grußworten ausfällt.

Die erzwungene Ruhe sonst kann ich nicht immer gut aushalten.

Unterricht geb ich keinen mehr und auch die Konfi-Arbeit findet sporadisch im Internet statt. Man will ja die Konfis auch nicht überlasten mit all dem Digitalkram.

Da fehlt mir ein Stück Schierstoff, dass es rund läuft.

Froh bin ich, dass ich die heutigen Wahlen im Vorfeld organisieren konnte. Da war mal wieder mehr los.

Erst seit ich mich gestern um den heutigen Gottesdienst gekümmert habe, hat sich so etwas wie adventliche Stimmung aufgebaut. Na, eigentlich fing das am Freitag-Abend schon an bei Aussuchen der Musik für heute.

Und doch ist da ein Gefühl in mir, das ich schlecht beschreiben

kann. Ein intensives Warten – wie offene Arme und niemand schmiegt sich rein.

Und wenn ich die Situation in der Welt ins Auge nehme, wird’s noch stärker:

Ich warte auf Frieden in einer verzweifelten Welt mit Kriegen und Demonstrationen, rechtsradikalen Pöbeleien, Respektlosigkeiten, geschichtsvergessenen Dummheiten und Aluhelmen.

 

Ich warte auf Unbeschwertheit und Normalität in Wochen, in denen ich auf vieles verzichten muss.

Das Warten wird zur Sehnsucht.

Auch ich sehne mich danach, dass alles wieder gut ist.

Die Welt, das Leben, meine innere Unruhe.

Dass wieder Freude einkehrt. Und innerer Friede.

Es ist Advent. Worauf wartest du?

 

Der Predigttext für heute, liebe adventliche Gemeinde lädt uns ein genau hinzuhören.

Zu hören auf die alten Worte vom Warten und von der Freude.

Vor langer Zeit aufgeschrieben vom Propheten Sacharja. Vielleicht treffen sie deine und meine Sehnsucht.

Sacharja 9, 9-10

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.


Freue dich…!

Für den Propheten entsteht die Freude gerade in der Sehnsucht.

In der Sehnsucht nach einem König, der Frieden bringt und Kriegsgeräte zerstört.

Der endlich ein Ende macht mit der Ungerechtigkeit.

Der dafür sorgt, dass wir uns keine Sorgen mehr machen müssen. Der sich von mir umarmen lässt.

In dessen weit geöffneten Arme ich mich aber auch selbst schmiegen kann.

Und endlich ist Frieden da und Heilung. Freude.

Tochter Zion, Jerusalem, freue dich.

Aber ein armer König auf einem Esel?

Nicht Panzer, Drohnen, Waffen versprechen den Frieden – sondern: ein Esel…?

Wie kann ein Esel Ruhe in meine Unruhe bringen?

Sind meine Erwartungen falsch? Ja, sagt Sacharja.

Wenn du Heilung und Friede von der schieren Macht erwartest, hast du aufs falsche Pferd gesetzt.

Denn es geht gar nicht ums Pferd, das Tier der Mächtigen und Herrscher.

Nicht um die Starken, die sagen, wo es langgeht, nicht um den Chef, der durchgreift.

Denn darin liegt kein Frieden, keine Ruhe.

Warte auf den Esel, das Lasttier der Armen!

Ein Esel trägt eine schwangere Frau von Nazareth nach Bethlehem.

Er steht daneben, als Hirten und Weise bei der Krippe sind und die Engel vom Frieden auf Erden singen.

Ein neugeborenes Kind und ein Esel.

Nicht gerade den Erwartungen entsprechend.

 

Hast du deinen König wirklich so erwartet – arm und bedürftig?

Ohne großen Hofstaat? Ohne viel Ansehen und Prunk?

 

Und dann 30 Jahre später: derselbe Mann reitet auf einem Esel nach Jerusalem.

Der Friedensbringer, Heiland, Tod-Bezwinger.

Der verheißene König, in dem sich die Sehnsucht des Propheten für Christen erfüllt.

Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!

 

Mit einem Esel fängt alles an.

Die biblische Vorstellung vom ersehnten Retter zwingt beharrlich zum Umdenken.

Die Kriegsbogen sollen zerbrochen werden, aber nicht mit Gewalt.

Heilung und Friede sollen kommen, aber nicht im Kampf,

sondern durch das Wort von der Liebe und von der Tat, die diese Liebe weitergibt.

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

 

Du darfst ihn erwarten. Und so warte ich auf ihn. Mit Hanna und ihrer Erzieherin Vanessa.

Mit Yvonne, mit Marlies und Fred. Dass er kommt!

In die Unruhe meiner Gedanken, in die Sorgen meiner Konflikte,

in die Vorfreude und in den Überdruss,

in die Dunkelheit der Pandemie und in die Trostlosigkeit der Einsamkeit.

Er kommt – dir zum Trost und zum Frieden. Außen und innen.

Denn er teilt es. Das Leben, das Leiden.

Die Schwachheit und die Bedürftigkeit.

Die Einsamkeit – und womöglich sogar die Pandemie.

Lass ihn eintreten, vertraue ihm.

Es wird Frieden sein. Frieden in den Familien. Auch wenn nicht alles dem Bilderbuch entspricht.

Es wird Frieden sein in dir.

Denn du hast einen an der Seite, der dich kennt.

Wer auf einem Esel reitet, sitzt auch neben dir auf dem Sofa.

Es wird Frieden sein in der Welt. Auch wenn du es noch nicht siehst und spürst.

Aber er kommt. Er ist schon da.

Freue dich, du Tochter Bobenheim. Und freue dich Bruder Roxheim!

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.


Lieder: EGs 1; 17; Lied "Es kommt ein Schiff geladen" - moderne Version hier - Lied "Tochter Zion" - hier - Dresdner

             Kreuzchor; EG 171, 1+3











Kerzen erinnern im Gottesdienst am Totensonntag an die Verstorbenen des zu Ende gehenden Kirchenjahres. 

Dabei wird immer auch eine Kerze enzündet im Gedenken an alle Menschen aus unserer Kirchengemeinde, die anonym bestattet wurden.

Predigt am letzten Sonntag im Kirchenjahr - Gottesdienst mit Totengedenken


Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Offenbarung 21, 1-7 - hier nachzulesen


Die Gnade Gottes, der Friede Jesus Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

viele unter uns haben eine mehr oder weniger lange Zeit der Trauer hinter sich.

Sie mussten einen lieben Angehörigen für immer gehen lassen und haben so auch noch eine Zeit der Trauer vor sich.

Unser Gemeindehaus wird heute zu einem besonderen Schutzraum der Gnade.

Die Gemeinschaft mit anderen Trauernden und Glaubenden und Trostbedürftigen ist heilsam.

Heute gedenken wir unserer Verstorbenen in besonderer Weise.

Wir haben Kerzen entzündet und nennen noch einmal ihre Namen, denn jeden Einzelnen / jede Einzelne hat Gott beim Namen gerufen, und wir wünschen allen, dass das ewige Licht ihnen leuchte.

In diese unsere Situation hinein klingen himmlische Worte. Ich lese Offenbarung 21, 1-7.

Text aus der Lutherbibel wird verlesen.


Liebe Gemeinde,

wir alle sind unterwegs zu der Zukunft, die Gott uns bestimmt hat. Und diese Zukunft wird eine gute sein. Das sagt uns unser Predigttext.

Das sagt uns die Hoffnungs- und Glaubenskraft, die in uns allen ist, und die sich in einem Gottesdienst gegenseitig verstärkt.

Selbst in Corona-Zeiten, wo wir Abstand halten müssen und nicht singen dürfen.

Unsere Zukunft wird eine gute sein. Das sagt uns unsere Erfahrung. Wenn wir mitten in der Trauer Trost spüren.

Wenn wir mitten in unserem Alleinsein eine Nähe spüren, die uns von dem zukommt, von dem wir kommen und zu dem wir gehen.

Alpha und Omega – im griechischen Alphabet erster und letzter Buchstabe – also Anfang und Ende. Gott ist´s, der unser Kommen in die Welt und unser Gehen aus ihr heraus umfängt.

 

Ich hätte gerne, dass Sie von den himmlischen Worten unserer Bibel etwas mitnehmen in Ihre stillen Stunden zuhause oder in die schlaflosen Stunden in der Nacht.

Denn das ist unsere Zukunft, auf die wir ausgerichtet sind.

Das ist die irdische und die göttliche Welt, die mit unserer Welt schon längst verwoben ist.

In Gott sind wir verbunden, wir Lebenden und unsere Toten.

In den vergangenen Monaten bis hinein in die letzten Tage habe ich so viel Trauer gesehen und gespürt.

Kinder, die um ihre Eltern trauern, eine Frau um ihren Mann, ein Mann um seine Frau.

Eine Mutter um ihren Sohn, eine Enkelin um ihre Oma. Eine Frau um ihren Bruder, ein Mann um seine Schwester.

Und der Abschieds-Schmerz war oft so groß. Denn die Liebe war so groß.


Und dann waren da vorher vielfach noch die wochenlangen Zugangs- und Kontaktbeschränkungen durch das Corona-Virus. Da kam zur Trauer noch ein Gefühl der Unwirklichkeit hinzu.

Und jeder Spruch der Corona-Leugner war dann ein zusätzlicher Stachel.

 

Ja, viele haben es gespürt und erfahren: Trauernde Liebe ist besonders intensive Liebe. Sie tut so weh, wie sie wahr ist.

Ihre Unerträglichkeit ist genau so groß, wie das Wunder der Gemeinschaft es gewesen ist.

Wer also unsäglich leidet an seinem Schmerz, fühlt genau dem Gefühl entlang, das sich manchmal Jahrzehnte lang bewährt hat und bewahrt werden will.

 

Manche waren voller Tränen, manche wie erstarrt. Viele konnten nachts nicht schlafen und viele mochten nichts essen. Manche versuchten zu fliehen. Manche waren voller Wut. So viel Trauer.

Was ein wenig Trost verschaffen konnte, war die Erkenntnis, dass mit dem Tod Leiden beendet war, sowas wie Leichtigkeit, wo vorher

Alles unsäglich schwer geworden war, jede Bewegung, das Atmen.

Und manches Sterben war, dass man es mit dem Vogelflug vergleichen kann:

Während der Flug der Vögel uns tagsüber ziellos vorkommt, scheinen sie gegen Abend immer ein Ziel zu finden.

Sie fliegen auf etwas zu.

War es so nicht auch beim Lebensabend, beim Sterben einiger Angehörigen so? Ihr Leben schien anzukommen, zu münden in der Geborgenheit, heimzukommen.

 

Ruhe und Erlösung, das ist immer die eine Seite der Trauer:

Wir wissen, dass es gut so ist. Ruhe für den Verstorbenen. Wir sagen oft: Er ist erlöst. Sie hat es besser jetzt.

 

Aber das ist nur die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass in uns alles durcheinander ist.

Dass das Leben der Hinterbliebenen nicht mehr so ist wie vorher. Ein tiefes Loch, ein dunkler Abgrund.

Die Höllenqualen, von denen frühere Generationen gesprochen haben, sind gar nicht bei den Verstorbenen, oft leiden sie die Zurückbleibenden:

 

Die Dunkelheit, den Schmerz, die Unruhe, das Gefühl: er kommt jeden Moment wieder, er ist gar nicht gestorben.

Oder sie ist nur für einen Moment gegangen, kommt gleich von einer Reise wieder.

 

„Jeder Tod ist für den, der damit leben muss, wie eine Lawine, ein Erdbeben, ein Zusammenbruch bestehender Lebensvorstellungen“, schreibt der Trauerbegleiter Fritz Roth.

 

Ja, das kann passieren.

Du gehst spätestens nach der Beerdigung, wenn vieles, was noch organisiert werden musste und dich umgetrieben hat, erledigt ist,

wie durch ein Trümmerfeld.

Versuchst Bruchstücke deines Lebens zu sortieren, erinnerst, spürst der Sehnsucht nach - immer wieder.

Denn das ist die Trauerarbeit, die dann wartet:

Den Tod zulassen, akzeptieren, dass der, den du geliebt hast, - sie, die dein ein und alles war – für immer gegangen ist.  

 

Über all dem, liebe Gemeinde, das Wort aus dem heutigen Trostbuch:

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Gott wird abwischen alle Tränen.

Wie lange ist das her, dass dir jemand die Tränen abgewischt hat?

Das ist anders, als ein Taschentuch gereicht zu bekommen. Das ist viel näher.

Eine Nähe, die ich sicher von den meisten Menschen nicht zulassen könnte, nicht haben wollte.

Aber wenn es möglich ist, ist es etwas ganz Besonderes.

Wie eine Mutter ein Kind tröstet, eine Mann die Frau, die er liebt, so tröstet Gott uns.

 

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Ein neues Leben.

Ja, nach dieser Trauer ist ein neues Leben möglich.

Auch wenn es jetzt so weit weg scheint. Gar nicht zu erreichen.

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen.“

 

Einmal wird ein Neues sein. Und manchmal ist es jetzt schon.

In einem Moment.

Wenn du lachst, wenn du Freude spürst, vielleicht mit den Enkeln, wenn es dir gut geht.

Wenn du erlebst, dass Menschen neben dir sind, mit denen du gern zusammen bist, dass du nicht allein bist, dass einer mit dir spricht.

 

„Alles beginnt mit der Sehnsucht“, sagt die Dichterin Nelly Sachs.

Die Trauer beginnt mit der Sehnsucht nach dem Verstorbenen.

Und das neue Leben beginnt mit der Sehnsucht nach neuer Freude, neuem Glück, neuem Leben.

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen.

Gott sagt: ich will deine Sehnsucht stillen.

Ich will dir ein Neues geben.

Weißt du eigentlich, wonach du dich sehnst, weißt du eigentlich, was du brauchst, weißt du eigentlich, was dir fehlt, wonach du dürstest? Gott verheißt: ich will deinen Durst stillen. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

 

Nein, wie früher wird es nicht mehr sein. Anders.

Ein Stück der Trauer, des Schmerzes, der Sehnsucht nach dem Verstorbenen wird bleiben.

Ricarda Huch hat gedichtet:

 

„Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen

Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,

Und während Tage und Jahre verstreichen,

Werden sie Stein.

 

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,

Sie scheinen zerronnen wie Schaum.

Doch du spürst ihre lastende Schwere

Bis in den Traum.

 

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,

Die Welt wird ein Blütenmeer.

Aber in deinem Herzen ist eine Stelle,

Da blüht nichts mehr.“

 

Eine Stelle, da blüht nichts mehr. Eine Leerstelle.

Ein Platz in deinem Herzen, wo der Mensch ist, den du einmal geliebt hat. Die Stelle soll bleiben.

Doch während du sortierst, während du die Bruchstücke deines bisherigen Lebens sortierst, wirst du auch merken, was wichtig war, was groß war und was schön,

und was du davon in deinem Herzen und in deinem künftigen Leben bewahren willst.

Es ist vielleicht die Erinnerung an das warme Gefühl, wie schön es war, mit den Eltern zu kuscheln oder wie lecker der Kuchen der Oma schmeckte und wie es bei ihr roch.

Es ist vielleicht die Erinnerung an gemeinsame Gespräche, wo wir auf einer Wellenlänge waren. Die Freude über den Berufsabschluss.

Es ist vielleicht die Erinnerung an einen gemeinsamen Tanz, ein Lied, ein Blick.

Tief in deinem Herzen wird das bleiben. Wird dich wärmen.

Und Gott sagt: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

Gott sagt: ich will deinen Durst, deine Sehnsucht stillen.

 

Ich wünsche dir den Mut, den, den du geliebt hast, zu lassen,

sie, die dein Leben so bereicherte, loszulassen, gehen zu lassen, in Gottes ewiges Licht.

Ich wünsche dir, dass andere Menschen dich begleiten und ermutigen auf deinem Weg durch die Trauer.

Ich wünsche dir, dass du begreifen kannst, was du erlebst,

dass du siehst, was du verloren hast,

aber dass du auch siehst, wie reich dein Leben auch nach diesem Verlust ist.

Gerade durch die Erinnerungen an die gemeinsam gelebte Lebenszeit.

Genau dies war und ist dein Leben.

Nimm es auch weiterhin aus Gottes Hand.

 

Ich wünsche dir, dass du eines Tages sehen kannst, dass nach jedem Abend ein neuer Morgen kommt, dass jeder noch so dunkle Winter nur die Vorbereitung auf einen hellen Frühling ist,

dass nach jeder Wandlung auch aus der größten Tiefe die Auferstehung folgt.

 

Ja, ich wünsche dir, dass du einmal aus tiefstem Herzen sagen kannst „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

 

So bleib behütet und bleib stark.

Amen.


Predigt am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr - 15. November 2020

 

Predigt gehalten von Lektor Detlef Best

Predigttext Hiob 14, 1-17 - wird während der Predigt verlesen

 

Die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

 

Liebe Gemeinde,

die Geduld Hiobs ist fast sprichwörtlich geworden. So vieles musste er erdulden - sein ganzer Reichtum ging verloren, er wurde schwerstkrank und all seine Kinder sind ihm weggestorben. Hiob aber hat es hingenommen. Er hat es angenommen als von Gott gegeben.

Manche von Ihnen werden den Satz kennen: „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt.“

Das hat Hiob gesagt, als angesichts all des Schrecklichen, das Hiob widerfahren ist, seine Frau ihn fragte: Hältst du immer noch fest an deinem Glauben?

Wir hören heute von Hiob. Allerdings: So sehr geduldig scheint er in diesem Abschnitt des Hiobsbuches, aus dem der heutige Predigttext kommt, dann doch nicht zu sein. Einfach hingenommen hat er nicht, was ihm, so seine feste Glaubensüberzeugung, von Gott auferlegt wurde.

Vielmehr setzt er sich mit Gott und dessen Handeln auseinander. Er will verstehen. Und er will, dass Gott ihn endlich in Ruhe lässt.

Hören Sie zunächst die ersten sechs Verse aus dem 14. Kapitel des Hiob-Buches:

„Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen vom Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie Tagelöhner freut.“

 

Hiob erinnert Gott hier zunächst an dessen Schöpferwillen:

Du hast den Menschen als ein endliches Wesen geschaffen. Du hast ihn mehr oder weniger gut auf dieser Erde leben lassen. Nach kurzer Zeit ist dieses Leben zu Ende. Kurz zusammengefasst:

Das Leben ist kurz und heftig und endet tödlich.

Dann will Hiob von Gott wissen, warum er sich überhaupt so sehr mit ihm beschäftigt: „Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.“

Hiob fragt: Warum tust du mir und dir das eigentlich an? Wer bin ich denn schon, ich armes Erdenwürmchen?

Warum lässt Du mich nicht endlich in Ruhe?

Ich will doch nichts weiter als mein Leben zu Ende leben und dann endlich sterben.

Hiob versteht Gott nicht. Obwohl er im besten Sinne des Wortes ein frommer Mann war, nach Gottes Willen und Geboten gelebt hat, erfährt er so viel Leid. Damit, so argumentiert er, könnte es doch nun endlich ein Ende haben. Lass mich doch sterben. Das ist doch sowieso dein Schöpferplan für uns Menschen! 

Hiobs Geduld scheint hier am Ende zu sein.

 

Seine Geduld vielleicht, nicht aber sein tiefer Glauben daran, dass alles aus Gottes Hand kommt. Daran lässt Hiob keinen Zweifel - es kommt alles aus Gottes Hand, das Schöne und das Schwere. Und er nimmt es, alles aus Gottes Hand, auch wenn er nicht verstehen kann, warum er so viel Leid ertragen muss.

Er bittet Gott dennoch nicht darum, dass er ihm weniger zumutet, nicht darum, dass er ihn wieder gesund werden lässt, nicht darum, dass er nach all den vielen traurigen Erlebnissen wieder Beglückendes erleben darf. Worum er bittet, ist, dass Gott ihn in Ruhe lassen soll, dass nicht noch mehr kommen möge und dass er sterben darf.

Hiob hat, so scheint es, die Vorstellung, dass wenn Gott wegschaut, dass dann Ruhe ist. Dann würde Gott ihn nicht mit Gutem beglücken können und ebenso wenig mit Schwerem plagen können. Dann könnte er unbehelligt auf seinen Tod warten.

 

Gott möge wegschauen. 

Liebe Gemeinde, mir ist diese Vorstellung fremd - gar nicht geheuer. Gott schaut weg. Er sieht mich nicht mehr.

Das empfinde ich nicht als Entlastung, sondern eher als etwas Bedrohliches.

Gott kümmert sich nicht mehr; nicht mehr um mich, nicht mehr um die Menschen in dieser Welt. Wir sind ganz auf uns allein gestellt. Ich kann mich nicht mehr an ihn wenden, nicht, wenn ich traurig, wütend oder hilflos bin, und auch nicht, wenn ich froh, glücklich oder dankbar bin. Ich kann Gott nicht mehr um Verzeihung bitten, ich kann ihm nicht mehr sagen, wie schlecht es mir geht und ich kann mich auch nicht mehr bei ihm bedanken. Das befremdet mich.

Für Hiob scheint das aber eine gute Lösung zu sein, um mit seinem schweren Schicksal fertig zu werden. Denn er kann dennoch nach vorn sehen, sozusagen über den Tod hinaus, auch wenn er natürlich keine christliche Auferstehungshoffnung kennt.

 

Wie Hiob es sich vorstellt, darauf geben die letzten Zeilen unseres Predigttextes eine Antwort. Hören Sie, was Hiob zu Gott sagt:

„Ach, dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest!

Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände.

Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen!“

 

Wie vertrauensvoll kann Hiob hier mit Gott reden!

Keine Rede mehr davon, dass er ihn nicht ansieht, dass die Verbindung zwischen ihm und Gott abgebrochen ist.

Ganz im Gegenteil – nach dem Tod, dessen ist sich Hiob ganz sicher, wird alles gut werden.

Gott wird sich liebevoll um ihn kümmern und ihm seine Schuld vergeben. All das, was in seinem Leben nicht mehr gut ist, sein Leid, seine Trauer, sein Bedürfnis, aus Gottes Blickfeld zu entkommen, all das wird durch den Tod überwunden. Und das gibt

ihm Hoffnung. Das hilft ihm, geduldig zu warten, bis er sein Leben beenden kann. Das er dann doch recht ungeduldig darum bittet, dass das nicht mehr allzu lange dauern möge, ist ja gut zu verstehen.

Und nun rückt mit Hiob mit seiner Vorstellung von Leben und Tod, von Leid und Überwindung des Leidens wieder ein ganzes Stück näher.

 

Auch ich kenne Menschen, die wissen, dass es in ihrem Leben nicht mehr gut wird. Der Tod eines Kindes oder eines anderen geliebten Menschen wirft einen dunklen Schatten auf ihr Leben.

Gerade heute am Volkstrauertag denken viele an die gefallen Soldaten des ersten und zweiten Weltkriegs, Väter und Söhne die nicht mehr heim kamen. Auch Soldaten der Bundeswehr, die weltweit in Friedensmissionen eingesetzt sind, wurden bei ihrem Einsatz getötet. Angehörige haben gelernt mit der Trauer und dem Schmerz zu leben. Sie haben diese schwere Last angenommen,

Andere sind so schwer erkrankt, dass Heilung nicht mehr möglich ist. Ich denke hier an die vielen Corona-Erkranken, inzwischen liegen viele auf den Intensivstationen und müssen beatmet werden. Jeden Tag wird das Leben beschwerlicher.

Jeden Tag werden die Schmerzen mehr und die guten Momente weniger. Sie klagen Gott ihr Leid, sie bitten ihn um Kraft, auszuhalten.

Das sind Menschen, die sich im Leben auf ihren Gott verlassen und auch den Tod und „die Zeit danach“ getrost aus seiner Hand nehmen.

Hier scheint mir eine große Nähe zu Hiob zu sein. Auch er nimmt alles, was ihm im Leben und im Tod und danach begegnet, aus Gottes Hand an.

Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir den Herrn. Darum, ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn.

So hat es Paulus an die Gemeinde in Rom geschrieben. So glauben wir es als Christen. Gott begleitet uns im Leben und im Sterben und er nimmt uns nach unserem Leben hier auf der Erde in sein Reich auf.

Hiob ist kein Christ. Er ist gläubiger Jude. Er kennt Christus nicht als den Messias, der gekommen ist und die Menschen mit Gott versöhnt hat; den Gott als ersten von den Toten auferweckt hat, wodurch uns verheißen ist, dass auch wir einmal von den Toten auferstehen werden.

Hiob hat ein tiefes Vertrauen in Gott, von dem er alles empfängt - sein Leben, alles, was ihm während dieses Lebens begegnet, und den Tod und alles, was danach folgt.

Er hat die Kraft, sich immer wieder mit Gott auseinanderzusetzen, zu fragen, zu klagen, zu bitten. Darin möchte ich ihn mir gern zum Vorbild nehmen und mir etwas abschauen von seiner Ausdauer und auch von seiner Geduld. 

 

Bleiben Sie oder werden Sie gesund. Amen.

 

Lieder: EGs 161, 321, 152, 663, 610, Psalm 50

 


Predigt am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres - 08. November 2020


Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: 1. Thessalonicher 5, 1-11 - Die Übersetzung aus der BasisBibel finden Sie hier


Liebe Gemeinde,

 

der für heute vorgeschlagene Predigttext stammt aus dem ältesten Dokument, das wir als christliche Gemeinde haben. Es geht um den ersten Brief des Apostels Paulus an die von ihm wenige Jahre vorher gegründete Christengemeinde in Thessaloniki, einer Stadt im Norden von Griechenland.

Damals mindestens genauso prächtig wie heute – nur ohne Touristen, die hoffentlich im nächsten Sommer dort wieder die wundervollen Strände bevölkern werden.

 

Etwa 50 oder 51 – also etwa bloß 20 Jahre nach dem Tod von Jesus am Kreuz auf Golgatha und den Jubelrufen von wenigen, die drei Tage später erleben konnten: ER ist auferstanden. Jesus lebt.

Nirgendwo sonst in der Bibel sind wir zeitlich so dicht dran an dem, was damals - genauso wie heute - im christlichen Glauben entscheidend wichtig ist.

 

Es geht um die Frage aller Fragen: Wie ist das mit dem Tod? Und die Auferstehung – was bedeutet sie wirklich für unser Leben und was bedeutet Auferstehung für die, die wir so geliebt haben und die uns gestorben sind?

Wem dies widerfuhr, dass er abgeben musste, was doch so nah am Herzen lag, wer diesen Kummer und Schmerz fühlen musste, wer der Verzweiflung nahe sich vielleicht nur noch an einem Kleidungsstück des Geliebten festhalten konnte, bevor sich der jähe Abgrund unter einem öffnete oder wem nichts blieb, außer einem guten hoffnungsvollen Satz von ihr / von ihm oder wer nur noch Halt fand in einem Gebet – tonlos leise in schier endloser Nacht gesprochen, wo es nur Gott hören kann – wer so leiden musste, der weiß, dass mit der Frage nach dem Tod eines Einzelnen unweigerlich auch um die Frage nach aller Hoffnung geht und um den Sinn des Lebens überhaupt.

Wem mit dem Tod eines geliebten Menschen einem das Universum verloren geht, der muss auch um das Ende aller Welt bangen.   

 

Unsere Mütter und Väter im Glauben, die so dicht dran waren an Jesus Christus und seiner Auferstehung, die empfanden den Tod eines nahen Angehörigen – wenn man das so sagen kann – vielleicht noch dramatischer als wir.

Denn die ersten Christ*innen glaubten, mit dem Tod nichts mehr zu tun zu bekommen.

Sie waren überzeugt: Mit der Auferstehung Jesu habe eine neue Zeit begonnen. Sie glaubten, dass sie nicht mehr sterben würden und hofften, dass sie am eigenen Leib erleben würden, wie Gott neues Leben schenkt und schafft.

Da ließ sie natürlich der Tod geliebter Angehöriger oder Freund*innen fast verzweifeln.

War ihr Glaube sinnlos? Und am Ende der Zeit – sollte da alles untergehen? Und wann würde das überhaupt sein?

Da sie sich wirklich keine Antwort wussten auf diese ganz entscheidenden Fragen, schrieben sie an ihren Gemeindegründer Paulus, der mittlerweile schon weitergezogen war, um rings um das Mittelmeer weitere christliche Gemeinden zu gründen.

Die Antwort würde auf sich warten lassen. Die Spannung stieg von Tag zu Tag. Denn auch weiterhin wurden ja Menschen krank und waren dem Tode nahe.

Dann endlich nach Wochen kommt Timotheus, der Mitarbeiter des Paulus, mit einem Brief, der großen Trost verströmt.

Sie lesen und hören Sätze, wie diesen:

„Ihr sollt nicht um die Verstorbenen trauern, wie die anderen, die keine Hoffnung haben.

Wir glauben doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Ebenso gewiss wird Gott die Verstorbenen durch Jesus und gemeinsam mit ihm aus dem Tod herausführen.“

Und dann stehen da die Sätze, die für heute unseren Predigttext bilden.

Ich lese aus der BasisBibel: 1. Thess 5, 1-11

 

Liebe Gemeinde,

wach sein, nicht schlafen – seit der ersten Wahlnacht in den USA hab ich das für viele Stunden praktiziert und je länger umso mehr bin ich entsetzt, was sich da abspielt in dem Land, das so stolz ist - oder war - auf seine Demokratie und die parteiübergreifend anerkannten Jahrhunderte alte Regeln und Gepflogenheiten, wie man mit dem politischen Gegner umgeht und wie man die geschriebene Verfassung achtet.

Ein vom Präsidenten aufgestachelter Mob zieht zum Teil schwer bewaffnet vor die Rathäuser und versucht das wichtigste Element der Demokratie auszuhebeln: die Wahlen und die anschließende Stimmauszählung.

Plötzlich gibt es nur noch Feinde. Und der älteste Sohn des Präsidenten redet dumm und ohne Gespür vom „totalen Krieg“ und dass sein Vater um den Wahlsieg kämpfe bis zum Tod.

Und fast niemand auf der republikanischen Seite ist da, um diesen sichtlich schwer kranken Präsidenten in die Schranken zu weisen. Im Gegenteil – wo vor wenigen Jahren noch eine Partei nach dem Wohl aller strebte, gibt es jetzt nur noch einen Solitär, der einzig nach dem eigenen Vorteil schielt und dem seiner Familie und Entourage.

 

Mein Entsetzen ist mittlerweile zu einer tiefen Sorge geworden, denn ganz unabhängig davon, wie dieses Wahlergebnis ausgeht: Die Geschichte hat uns ja gelehrt, dass es überall dort, wo gezündelt wird, heißt, wo die Würde und Integrität von Menschen mit Füßen getreten und das Recht beschädigt wird, dort wird es irgendwann auch brennen. Und dann droht noch Schlimmeres zu folgen.

Wie gut, dass wenigstens sein Kontrahent da bewusst besonnen auftritt. Vielleicht auch als Stärke des reifen Alters.

 

Feindschaft ganz ohne Motiv. Sie kann so schnell entstehen und Entsetzliches anrichten.

Der Blick auf das Datum und das Erinnern der Reichspogromnacht von 1938 mahnt grad uns Deutsche da besonders nüchtern und wachsam zu sein.

 

Ja, wachen, nicht schlafen, weil da so viel zum Grübeln ist – grad auch im Persönlichen.

Vielleicht liegt dein Kind unruhig mit Fieber im Bett oder du weißt nicht, ob deine Mutter nur eine Bronchitis hat oder ob sie doch angesteckt hat mit dem Corona-Virus.

Wachen, nicht schlafen, weil du dich sorgst. Weil es Tage gibt, an denen du nicht weiterweißt. Vielleicht ist dein Partner gestorben und nach den ersten Tagen ist niemand mehr da, der deine Hand mal nimmt und der dich einfach eine Weile hält. Und immer mehr Raum nehmen die Gedanken ein, wo er jetzt ist – außer im Grab. Kommt da wirklich noch was nach dem Tod, wie es der Pfarrer bei der Beerdigung gesagt hat?

 

Wachen, nicht schlafen. Eine seltsame Zeit, dieses Jahr.

Anlass zur Sorge, für durchwachte Nächte gibt es mehr als genug. Auch: Wie geht es weiter mit der Pandemie? Werde ich gesund bleiben oder trifft es mich auch? Wann können wir zusammen sein, so wie früher? Und wie geht es weiter im Beruf?

Ach ja, das sind Momente zum Seufzen.

Es ist Herbst. Das Jahr geht langsam zu Ende.

Der Herbst dient nicht zufällig immer wieder als Bild dafür, dass sich Dinge dem Ende zuneigen.

„Wer jetzt kein Haus baut, baut sich keines mehr, wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, beten, lange Briefe schreiben, und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben“ – so dichtet Rainer Maria Rilke in seinem bekannten Gedicht mit dem Titel „Herbsttag“.

Und was kommt danach? Wir wissen es nicht.

 

Aber Paulus weiß es, liebe Gemeinde.

Er gibt den Leuten in Thessaloniki und auch uns einen Stups. Er schreibt: Wisst ihr noch?

Könnt ihr euch erinnern, wie stark und zuversichtlich euer Glauben immer war? Wie tröstlich und warm die Gemeinschaft ist, die ihr untereinander verspürt?

Ihr wisst doch genau, schreibt Paulus, der Tag des Herrn, der kommt wie ein Dieb in der Nacht. Gerade dann, wenn ihr ihn am wenigsten erwartet. Aber er kommt. Und ihr seid Kinder des Lichts.

Das heißt doch: Alle Sorgen, jede Empfindung, jeder Gedanke des Tages wird mit diesem Wort ins Licht Gottes gesetzt.

Die Nächte unserer Grübeleien werden erhellt und die Dunkelheit schwindet.

„Wir gehören nicht zum Bereich der Nacht oder der Dunkelheit“ schreibt Paulus.

Wir nicht und unsere Toten auch nicht.

Und deshalb ist es trotz allem wunderbar zu leben, und wir alle können dankbar hier sein.

Für die Kinder des Lichts leuchtet so mehr als ein Schimmer Frühling in den tristen Herbst hinein.

Und für unsere Verstorbenen leuchtet das Licht der Auferstehung.

Wir sind ausgestattet mit Glaube und Liebe als Brustpanzer und der Hoffnung auf Rettung als Helm.

 

Wer in der damaligen Zeit Brustpanzer und Helm hatte, der war gut vorbereitet für jeden Kampf und geschützt vor allen Angriffen. Konnte aufrecht bleiben und strahlte Stärke aus.

Damit wollte Paulus sagen: Ihr habt doch Glauben und Liebe und Hoffnung als innere Stärke und Kraft. Vertraut darauf, wenn euch das Leben schwer wird und die Sorgenstacheln euch piesacken.

Haltet fest an Glaube, Liebe und Hoffnung und dann „tröstet einander und macht euch gegenseitig Mut

Und je länger es dauert: Tut das umso mehr.

 

Wenn ich das heute so höre, denke ich: Der Paulus, der hat auch gekämpft. Hat gesucht und gerungen um seine Antwort auf die Fragen nach dem „Wie?“ und „Wie lange?“

In seinen Briefen sagt er manchmal was und nimmt es zurück. Verstrickt sich im Widerspruch. Ist schwer zu verstehen – erst recht für uns, mit diesem zeitlichen Abstand.

Doch in einer Hinsicht ist Paulus immer klar:

Ganz egal was geschieht, unsere Zukunft, unser Leben, liegt in Gottes Hand.

Und auch im Tod werden wir nicht tiefer fallen als in diese geöffnete göttliche Hand hinein.

Mit Christus, unserem Heiland, sind wir allem Übel entronnen, mit ihm also werden wir leben, wie es schon allen vergönnt ist, die uns hier gestorben sind.

 

Und vielleicht ist dies das Geheimnis: Dass Paulus diese Dinge von ihrem Ende her bedenkt. Und am Ende wird alles gut. Die Sorgen der Zeit jetzt – ob politisch begründet oder wegen der Pandemie oder verursacht durch unsere Abschiede – alle Sorgen werden vergessen werden und alle Fragen, die sich uns stellen und manchmal so bedrängen, werden beantwortet sein.

Die Dinge von ihrem Ende her sehen. Ich glaube: Die Christinnen und Christen in der Paulus-Zeit, die konnten gar nicht anders denken als vom Ende her: Jesus war tot, doch am Ende stand die Auferstehung, der Sieg des Lebens über den Tod.

Die Zeiten sind hart, doch am Ende steht Gott und seine Macht ist größer als alles, was uns heute trifft.

 

Wir stehen jetzt am Ende des Kirchenjahres. Wir schauen zurück auf die letzten Monate, die für viele von uns sehr schwierig waren. Wie lange noch dauert das? Wir wissen es nicht. Doch am Ende, am Ende ist es Gott, der für uns da ist. Der für uns sorgen wird, der uns Trost gibt und Frieden.

Gott erhalte uns Glaube und Liebe und stärke unsre Hoffnung.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

 Lieder: EG 152, 1+2+4; neue Lieder plus 180: Meine Hoffnung, meine Freude; EG 426, 1-3; 360, 1+2+6 (2. Melodie);

              neue Lieder plus 189: Sei behütet


Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis - 01. November 2020


Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext: Jeremia 29, 1. 4-7. 10-14


Gnade sei mit euch uns Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

als ich das letzte Mal vor meinem Urlaub predigen konnte, ging es im Predigttext um die historische Situation von Israel etwa 600 Jahre vor Christus. Der Prophet Jeremia hatte seinen Volksgenossen im Auftrag Gottes auszurichten: Wenn ihr nicht umkehrt von eurem Weg, wenn ihr nicht aufhört mit Ausbeutung, Betrug, Bestechung, Vorteilsnahme und der Versklavung armer Bauernfamilien, dann wird Gott Gericht über euch halten. Denn all dies ist der klare Hinweis, dass ihr Gott verleugnet und seine Gebote verachtet. Er aber wird sich das nicht länger gefallen lassen.

Und dann wies Jeremia darauf hin: Die hochgerüstete Streitmacht der Babylonier wird Israel dem Erdboden gleichmachen und so Gottes Urteil vollstrecken.

 

Der Predigttext, der heute auszulegen ist, berichtet von den Folgen der geschichtlich verbürgten Situation:

Die Babylonier sind 586 vor Christus in Israel einmarschiert mit einer solchen Macht, dass es keinen Widerstand geben konnte.

Zur Kriegsstrategie des erfolgreichen Königs Nebukadnezar gehörte es, wenn er Länder erobert hatte, dann nahm er von dort alle Personen mit, die jung und stark waren, Handwerker und alle, die irgendwo irgendetwas zu sagen gehabt hatten. Auch Priester und Tempelbedienstete.

So konnte er sich deren Sachwissen zu Eigen machen und schwächte die eroberte Nation für Jahrzehnte, weil sie fortan ohne politische und geistliche Führung war.

Die Alten ließ er zurück. Zu ihnen gehörte auch der Prophet Jeremia.

Nach Jahren schreibt er einen Brief an die weggeführte Elite.

Könnte man da nicht erwarten, dass sowas schreibt, wie:

„So, Leute, hab ich nicht Recht gehabt? Dreißig Jahre lang habt ihr nicht auf mich gehört, habt mich verspottet und verfolgt.

Jetzt könnt ihr grad die Suppe auslöffeln, die ihr euch selbst eingebrockt habt mit eurer Arroganz und Selbstsicherheit und Gotteslästerung“?  

Den aus ihrer Heimat vertriebenen, die weg waren von allen vertrauten Plätzen und Orten und besonders unendlich weit weg vom Tempel in Jerusalem, dem Fixpunkt, der die Nähe und Stärke ihres Gottes garantierte, diesen Elenden und Heimatlosen schreibt Jeremia einen Brief mit ganz anderem Inhalt.

Er macht ihnen Mut und Hoffnung und verspricht eine gute Zukunft, weil Gott sich ihnen in Gnade wieder zuwenden wird.

In Jeremia 29 heißt es: (Predigttext wird verlesen)


1 "Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte.

4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl.

10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. 11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. 13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen." 


Liebe Gemeinde,

der Gottesmann Jeremia dreht den scheinbar Hoffnungslosen in Babylon keine lange Nase und er rührt auch nicht in ihren Wunden herum.

Weder klagt er sie an, noch Gott selbst, als habe der einen Fehler gemacht.

Er verstärkt nicht die Sehnsucht der Exilierten nach der Heimat und der „guten alten Zeit“, denn wirklich gut war sie ja nicht. Jeremia sagt auch nicht, die Weggeführten seien gottverlassen, wenn sie so traurig dran sind, dass sie an den Wassern Babylons sitzen und weinen, weil sie an Jerusalem denken, wie es in den Psalmen von ihnen überliefert wird. Nein, er sagt: Gott hat einen guten Plan für euch!

Wir dürfen auch im schlimmsten Fall mit dem lieben Gott rechnen. Er hat nicht abgedankt. Er lässt euch nicht im Dunklen stehen. Er steht euch bei.

Das ist eine Wahrheit, die auch heute noch Not wenden kann. Gehört – Nein: Nahe gebracht wurde sie mir und glaubhaft bezeugt grad vor wenigen Tagen von Angehörigen im Gespräch zur Vorbereitung einer Beerdigung.

Die da Leid tragen und trauern, können dem Jeremia aus eigener Erfahrung zustimmen: Gott hat in all dem Ernstfall seine Helferhand im Spiel. Er regiert. Entscheidend hat jetzt Er das Heft in der Hand.

Wie Ihr auch dran seid, Er, unser Gott, hat in jeden Fall „Gedanken des Friedens“.                                                                 Er hat sie im Blick auf sein Volk Israel, wie es ergreifend feierlich in den Psalmen ausgerufen wird: „Friede über Israel!“ (Ps 128,6). Und ebenso ruft er es aus im Blick auf seine übrigen Menschen.


Gott hat Gedanken des Friedens auch über uns, in unsrer erneut düsteren Zeit. Und Frieden nicht nur über mich. Privatfrieden ist nie echter Frieden. Nein, Frieden auch für die Anderen, mit unseren Nachbarn, mit den uns Fremden, Frieden für die Kranken und Sterbenden.

Gedanken des Friedens, Gedanken nicht des Leides, nicht des Wehtuns, Gedanken des Wohltuns.


Und woher rührt dies alles? Was ist der Anlass dazu, dass Gott für uns umfassenden Frieden will und betreibt?

Der Grund liegt allein in Gottes Gnade.

Gnade ist eine Wesenseigenschaft von unserem Gott.

Das griechische Wort „Charis“, das im Neuen Testament für Gnade verwendet wird, hat als Urbedeutung „Anmut“ oder auch „Glanz“. Daher stammt dann auch das Wort Charisma – Ausstrahlung.

Und unser Wort „Charme“ ist damit verwandt.


„Charis“ bezeichnet daher so etwas wie die Schönheit und Anmut Gottes, den Glanz, der ihn umgibt und der von ihm ausgeht. Erst von dieser Grundbedeutung des Wortes her kommt dann ins Spiel, was Gott für uns tut:

Das deutsche Wort Gnade stammt vom althochdeutschen Wort „genahen“ ab und bedeutet so viel wie: nahe kommen, sich zu jemandem stellen, seine Nähe suchen.


Es ist Martin Luther zu verdanken – und daran darf man einen Tag nach dem Reformationsfest erinnern – dass er eine der großartigsten Aussagen, die jemals über Gott gemacht wurde, in den Mittelpunkt seiner Theologie stellt – und uns so ins Gedächtnis einschreibt:

Gott ist gnädig. Und die Gnade macht, dass Gott unsere Nähe sucht - mit aller Leidenschaft - ohne irgendeine Vorleistung von unserer Seite.

Der Prophet Jeremia, als Mann Gottes, weiß Jahrhunderte vor Luther schon von diesem wahren Wesen Gottes.                  Er hätte in seiner Sprache vielleicht von der „Kaboth Jahwe“ gesprochen. Gottes Herrlichkeit. Sie ist die Quelle, aus der die Gedanken des Friedens für die bald verzweifelten Gefangenen in Babylon sprudeln.                                         


Ganz konkret verheißt er ihnen die Rückkehr in ihre angestammte Heimat, Behütung und Bewahrung.

Ein Versprechen, das weit jenseits aller Vorstellungskraft der verschleppten Israeliten war.

Aber die Geschichte wird zeigen: Gottes Gedanken des Friedens sind sein tatkräftiges Versprechen. Er hält sich daran und richtet sich danach. Wir können ihn beim Wort nehmen.


70 Jahre, nachdem die ersten Israeliten nach Babylon verschleppt worden waren, konnten sie nach Juda und Jerusalem zurückkehren und sich daran machen, auch den Tempel wieder aufzubauen.

Wir sehen: Gottes Gedanken des Friedens entsprechen seine Taten des Friedens.

So wie Jesus es sagt, als man ihn zu Unrecht verhaften will: „Stecke dein Schwert in seine Scheide“ (Mt 26,52).  

 

Gott streckt seine Friedensfühler aus, er, der Friedensstifter sondergleichen. Und das ist er nicht abseits von unserer Welt. Nicht abseits von denen, die Zwietracht säen.

Das müssen wir uns in Erinnerung rufen, wenn sich auch bei uns nach den feigen Attentaten gegen den Lehrer Samuel Paty in Paris und den drei Morden in Nizzas Kirche Sacré Coeur Vergeltungsgedanken einstellen oder gar Hass nach unserem Herzen greift. Die Attentäter, noch viel mehr aber ihre extremistischen Hintermänner und -frauen wollen Angst verbreiten und so die Gräben zwischen Bevölkerungsgruppen vertiefen und unsere Gesellschaft weiter spalten.

Das können wir in Gottes Namen - als Kinder seiner Gnade - nicht zulassen oder gar befördern.


Natürlich wissen Terroristen, dass zumeist die Angst Ursache des Unfriedens ist.                                                                      Die namenlose Angst, die Angst, unheimlich bedroht zu sein, von Anderen, Fremden.                                                     

Und dahinter die Angst, weil mit denen doch Frieden unmöglich sei, die Angst, die darum auch uns schrecklich aggressiv macht.  

Genau aber das wollen sie, um uns vorzuführen.

 

Dagegen kommt aus Gottes Gnade auf uns zu: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“  

Also: „Fürchte dich nicht“, statt Maßnahmen der Vergeltung. „Friede sei mit dir“, statt Anfeindung aller Fremden und Andersgläubigen. „Fürchte dich nicht“, Lock-down der Angst! Friede sei mit euch!

 

Und dazu lesen wir verheißungsvoll in unsrer Bibel (1. Joh 4,18): „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus.“

Die Liebe ist die Schwester des Friedens.

 

Die Menschen, zu denen Jeremia spricht, spüren freilich anfänglich noch nichts davon. Sie stecken mit ihrem Kopf noch allzu tief im Sand von bedrückender Traurigkeit.

Jedoch Gottes Gedanken des Friedens sind schon jetzt in Kraft.

Sie gelten heute, wie gestern, und morgen aufs Neue.

Auch wenn uns Leid trifft, wenn Schwernut über uns kommt, wenn wir nicht von Unglück verschont sind und Trauer tragen, auch dann hat Gott für uns Gedanken des Friedens und nicht des Leids.

Mitten im Leid ist und bleibt er der Gott, der zu-Frieden stellt.


Gott ist treu, auch wenn er dabei auf wundersame Weise vorgeht.

Er stiftet Frieden, indem er zunächst Unruhe stiftet, und zwar zuerst mit mir selbst, der ich so leicht Gottes Gedanken für unreif halte, für Gedanken, auf die ich nicht bauen, denen ich nicht trauen kann.                                                                  Doch unbeirrt geht er dem Unfrieden wie einem Unkraut an die Wurzel: Er schafft ruhelos daran, die Ursache des Unfriedens unschädlich zu machen: die Angst.

Und stellt seine Liebe zwischen sie und uns.

Gottes Liebe besorgt die Ein-friedung der Angst.

 

Angst übrigens macht zu allem auch noch blind. Man blickt nur noch auf sich und übersieht dann oft die jeweils noch größeren Nöte auf dem Globus.                                                                                                                                                      Und man übersieht dabei den Helfer-Gott, der den Nöten allemal gewachsen ist.

Not lehrt beten? Ja, vielleicht. Es kommt darauf an, dass wir so beten, wie es uns der Prophet Jeremia lehrt: „So ihr mich (unsern Vater im Himmel) von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich finden lassen.“                                              Und Jesus lädt uns ein: „Bittet, so wird euch gegeben.“                                                                                                                 Es sind zuweilen lange Wege des Suchens und Bittens, Wege wie durch Schlamm und Geröll, in dem unsere Füße leicht ausrutschen, Wege, auf denen wir beten lernen. Aber dann sind wir mitten drin im Leben.

 

Was heute auf der Tagesordnung steht, lautet so: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie.“                                         

Also, nicht die Hände in den Schoß legen!                                                                                                                                      Oder vielleicht doch: die Hände in den Schoß legen und beten!                                                                                                    Das Beste, was wir tun können für unsere Welt und Umwelt, ist beten. Das Beste, was wir tun können!                           

Beten ist auch ein Tun. Beten ist kein billiger Ersatz fürs Handeln. Beten und Handeln gehört zusammen.             

Wofür wir beten, dafür sind wir auch verantwortlich.                                                                                                              Beten wir um Gottes Hilfe in der Bedrohung durch das Corona-Virus, dann werden wir Schutzmasken tragen.

 

Wir müssen und können nicht tun, was Gott tut. Aber wir sollten tun, was wir können.                                                   

Klar ist doch: wir wollen um Himmels willen nicht auf Gott abschieben, was wir selbst anzupacken haben.           

„Bete und arbeite“, so lautet ein alter christlicher Grundsatz.                                                                                                   Also setzt euch ein für das Gemeinwohl!

Das passt zu Gottes Gedanken des Friedens über uns alle.

Für die bedrückten Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft war das übrigens der erste Schritt vor der Rückkehr in ihr neues altes Leben.

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 

Lieder und Psalm: EGs 454; 709; 179; 651; 428; 171 

 


Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis - 18. Oktober 2020


Predigt gehalten von Lektorin Bärbel Neubauer

Predigttext: Epheser 4, 22-32 - übernommen aus der BasisBibel


Predigt

 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen


Liebe Gemeinde,

niemand von uns sitzt im Nachthemd oder im Schlafanzug hier. Das ist wohl klar. Alle sind passend angezogen: Gottesdienstbesuch am Sonntag.

Nach dem Aufstehen heute Morgen, haben manche vielleicht erstmal den bequemen Hausanzug angezogen oder den Bademantel übergestreift. Manche gar den Sportdress, um früh eine Runde zu laufen.

So oder so, haben wir uns hier für die Kirche etwas Anderes angezogen, als das anzubehalten, in dem wir die Nacht verbracht haben.

Sicher wundern und fragen Sie sich, wieso ich jetzt davon rede.

Im heutigen Predigtwort geht es ums Umziehen. Aber nicht um Schlafanzug oder Jogginghose, Arbeitsklamotten oder Sonntagsmantel geht es heute. Es geht um etwas anderes, das wir ausziehen und etwas, das wir anziehen sollen.

Ich lese den Predigttext aus der Basisbibel Epheser 4, Verse 22 bis 32

"Deshalb sollt ihr den alten Menschen ablegen, denn er entspricht der früheren Lebensweise. Er wird zugrunde gehenaufgrund seiner trügerischen Lust.23Lasst euch stattdessen dadurch erneuern, dass der Heilige Geist in eurem Verstand wirkt.24Und zieht den neuen Menschen anwie ein neues Kleid. Denn er ist nach Gottes Bild geschaffen und dadurch fähigzu wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

25Deshalb sollt ihr die Lüge ablegenund »jeder soll seinem Nächsten die Wahrheit sagen«. Denn wir alle sind Glieder am Leib von Christus.26»Euer Zorn soll nicht dazu führen,dass ihr Schuld auf euch ladet!« Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.27Gebt dem Teufel keinen Raum zum Wirken! 28Wer stiehlt, soll nicht mehr stehlen.Vielmehr soll er sich abmühenund durch seiner eigenen Hände Arbeit Besitz erwerben. Dann hat er genug,um den Bestohlenen zu entschädigen.29Kein böses Wort soll über eure Lippen kommen.Vielmehr sollt ihr stets ein gutes Wort haben, um jemanden aufzubauen,wenn es nötig ist. Dann bringt dieses Wort denen Gnade, die es hören.30Kränkt nicht Gottes Heiligen Geist, der euch als Siegel aufgedrückt wurde. So kennzeichnet uns Gott für den Tag der endgültigen Erlösung.31Alle Erbitterung, Wut, Zorn, lautstarke Auseinandersetzungen und Verleumdungen sollen euch fernliegen – und damit auch alle Bosheit.32Seid vielmehr gütig und barmherzig zueinander.                             

Vergebt einander, wie Gott euch durch Christus vergeben hat."


Liebe Gemeinde,

Kleiderwechsel. – Den alten Menschen sollen wir ablegen und den neuen Menschen anziehen. Denn der alte Mensch ist unbrauchbar oder verschlissen, nicht mehr zeitgemäß.

Der neue Mensch aber ist so, wie es Gott will. Geschaffen in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

So schreibt es der Verfasser des Epheserbriefes.

Mit dieser besonderen Form des Umziehens war ursprünglich gemeint, sich taufen zu lassen.

Juden und Heiden, die sich zu einer frühen Gemeinde zusammengefunden hatten, waren berührt von den Predigten über Jesus Christus. Sie hörten von einem neuen Leben aus Gnade, von der Einheit im Glauben an Christus, von der Vielfalt der Gaben.

Sie glaubten, was sie hörten und sie versuchten, sich danach zu richten.

 

Da kam ihnen dieser Brief zu Hilfe. Darin lasen sie sinngemäß: „Ihr sollt nun so leben, dass Menschen sagen: „Die sind tatsächlich anders geworden!“

Euer bisheriges Leben sollt ihr hinter euch lassen. So, wie ihr ein altes Gewand auszieht, das nicht mehr zu euch passt.“ Stattdessen sollten sie den neuen Menschen anziehen, wie ein neues Kleid.

Die Christinnen und Christen in Ephesus sollten sich taufen lassen. Wer getauft wird, ist ein neuer Mensch. Sie oder er gehört ganz zu Gott.

Die meisten von uns sind getauft. Die Mahnung aus dem Epheserbrief zieht den neuen Menschen an gilt für alle Getauften.                                                           

Dieser Kleiderwechsel geschieht nicht nur in der Taufe.

Er ist kein einmaliger Akt. Wir müssen ihn immer wieder vollziehen. So, wie wir uns im alltäglichen Leben immer wieder umziehen. Oft mehrmals am Tag. Was alt ist, taugt vielleicht noch für Zuhause oder zum Arbeiten. Oder es wandert in die Kleidersammlung. Ab und zu mal was Neues, Schickes, Modernes, ist dagegen gut.

Außerdem kleiden wir uns einem Anlass entsprechend. Zu einem Grillabend anders als zum Gottesdienst.

Und zum Wandern anders als für ein Hochzeitsfest.

Denen, die an Jesus Christus glauben und die getauft sind, sollen andere es ansehen können, dass das so ist. Zumindest ab und zu.

 

Wir kennen auch das Sprichwort „Kleider machen Leute“. Geschichten und Filme gibt es dazu etliche.                              Da führen Menschen andere auf falsche Fährten, weil sie anders gekleidet sind, als eigentlich zu ihnen passt.

Das sollen wir Christinnen und Christen nicht machen. Wir sollen nicht auf falsche Fährten führen. Vielmehr können wir auch mit unserem Verhalten auf Christus hinweisen. Was nicht dazu passt, sollen wir ablegen. Was dazu passt, damit kleiden wir uns.

Christus ist unser Kleid.

 

Mir fiel dazu die Geschichte eines Mannes ein, den viele von uns kennen. In jungen Jahren verlässt er sein Elternhaus und macht sich auf, sein Leben zu genießen. Das ausgezahlte Erbe seines Vaters in der Tasche, lässt er es sich an nichts fehlen; er nimmt mit, was das Leben so bietet, lebt in Saus und Braus, verjubelt alles, bis er sich schließlich bis zu den Schweinen heruntergewirtschaftet hat. Dort beginnt er zu begreifen, dass er Mist gebaut hat und er entschließt sich: „Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden.“

Und dann macht er sich auf den Weg, er kehrt um, er will den alten Menschen liebend gern loswerden. Unterwegs kommt ihm der Vater schon entgegen und schließt den zerlumpten, verlotterten, nach Schwein stinkenden Sohn in die Arme. Und dann heißt es - Sie können es selbst nachlesen: in Lukas 15, das Gleichnis vom verlorenen Sohn - dass der Vater seinen Dienern den Auftrag gibt, ein Festtagskleid für den Sohn zu holen. Er kann und darf seine Lumpen ausziehen und bekommt ein neues Kleid.

Notwendiger Kleiderwechsel.

Wer Christus und damit den neuen Menschen angezogen hat, weiß: Trügerische Begierden – von denen das Predigtwort redet – Lüge, Zorn, Bitterkeit, Bosheit, faules Geschwätz und Lästerungen passen jetzt nicht mehr.

Sie müssen abgelegt und weggegeben werden wie alte, zu eng gewordene und unbrauchbare Kleidungsstücke.

Aber die neue Garderobe liegt schon bereit.

Im Predigtwort hören wir, woraus sie besteht: Wahrheit, Nachsicht, Bereitschaft zu vergeben, Freigiebigkeit, Freundlichkeit und Herzlichkeit. Diese „Outfits“ hängen bei denen im Schrank, die durch Christus zu neuen Menschen geworden sind.

Ob wir diese neuen Kleidungsstücke herausholen und anziehen, das ist unsere Entscheidung.

Wenn wir es tun, sehen wir darin auf jeden Fall immer gut aus.

Damit können wir uns überall sehen lassen, wie in einem schicken Mantel.

 

Dass ich Christus an mir trage, muss in meinem Verhalten sichtbar werden. Deshalb gibt uns das Bibelwort noch eine ganze Litanei von Verhaltensregeln. Zum Beispiel „legt die Lüge ab und redet die Wahrheit.“

Wie oft haben wir schon auf die Frage „Wie geht's?“ mit „Gut“ geantwortet, nur um unbequeme Nachfragen zu vermeiden. Der Andere braucht doch nicht zu merken, wie es hinter meiner sorgsam aufgerichteten Fassade aussieht.

Aber Lüge ist noch viel mehr als die ausgesprochene Unwahrheit. Wenn ich also z. B. ganz freundlich sage: „Ach, Frau Müllermeier, schön, dass ich Sie treffe“ aber innerlich denke: „Mensch, muss mir die auch noch über den Weg laufen“.

„Legt ab die Lüge und redet die Wahrheit“ - dazu gehören auch Dinge wie falsche Gerüchte, üble Nachrede, Mauscheleien bei der Steuerklärung usw.. Ein weites und dunkles Feld, das sich da auftut. Die Wahrheit zu reden, heißt nicht nur die Lüge sein zu lassen, sondern auch von der Wahrheit zu reden, von Jesus Christus, der unser Leben verändern kann und will.

Dass ich Christus an mir trage, muss in meinem Verhalten sichtbar werden.                                                         

Deshalb „Seid untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus“.

Stellen Sie sich einmal vor, wir würden das in die Praxis umsetzen - da würde nicht mehr über Nichtigkeiten gestritten. Keiner ließe mehr seinem Zorn freien Lauf.

Das ganze faule Geschwätz: „Hast du schon gehört? Hättest du das gedacht?“ würde ein Ende haben.

Wir wären eine Gemeinschaft, in der alle freundlich und verständnisvoll miteinander umgingen und spürbar und sichtbar wird, dass mir der andere nicht gleichgültig ist, sondern dass mir sein Wohlergehen am Herzen liegt.

Der Predigttext ermutigt und ermahnt uns, dies zu tun. Dass ich Christus an mir trage, kann in meinem Verhalten sichtbar werden.

Denn Gott will uns immer wieder neu ausstatten, dass wir auch nach außen hin eine andere Figur machen, wenn wir es nur zulassen.

Versuchen wir es, nach dem Motto:

„Übung macht den Meister“

 

Wir sind darin gut geübt, uns jeden Tag an- und umzukleiden.

Ebenso kann es eine häufige, vielleicht tägliche Übung sein, sich klar zu machen: Ja, ich gehöre zu Gott. Ich bin ein neuer Mensch. Durch Christus. Dann will ich auch so leben.

Das hört sich einfach an. Wir wissen jedoch, dass es ziemlich schwer sein kann und oft nicht gelingt. Darum ist es gut, wenn wir dranbleiben und nicht aufgeben.

Übung macht den Meister

Deshalb: Jeden Tag alte Klamotten weg! Und den neuen Menschen anziehen! Beharrlich, geduldig und gnädig mit uns selbst. Amen.

 

 Ausgewählte Lieder und Psalmen: EG 398 In dir ist Freude; Psalm 32 EG 718; EG 452, 1 Er weckt mich alle Morgen;

   EG 389: 1,3,4  Ein reines Herz, Herr, schaff in mir; EG 648 Ins Wasser fällt ein Stein;

   EG 610 Herr, wir bitten komm und segne uns.

Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis - 11. Oktober 2020


Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger

Predigttext. 5. Mose 30, 11-14 - verlesen während der Predigt


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

„so, wie wir leben, wird das klar umrissene und äußerst negative Folgen haben für die Zukunft.

Wir selbst, vor allem aber unsere Kinder und Kindeskinder werden das hart bezahlen müssen.

Wenn wir ständig die Grenzen des eigentlich Machbaren überschreiten, werden wir in gar nicht allzu ferner Zeit die Rechnung präsentiert kriegen und das wird schmerzlich sein.

Wir können nicht Ausbeutung zum Regelwerk erklären und sagen:

Jetzt gilt´s – und was nach uns kommt, sollen die Jungen regeln.

Wir sind schuld an der Versklavung so vieler Menschen. Unser Lebensstandard, unsere Genusssucht ist der einzige Grund, warum die Schwachen immer tiefer sinken und eigentlich völlig rechtlos sind.

Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben.

 

Mir zittern die Knie und die Zunge klebt mir am Gaumen so aufgeregt bin ich, das alles sagen zu müssen.

Aber in Gottes Namen muss ich ausrichten: Ausbeutung, Versklavung und Entrechtung ist Gotteslästerung.

Wir sind abgefallen von Gott und der Herr wird das nicht ungestraft lassen.

Darum – so spricht der Herr – Seht, ich plane Unheil gegen diese Sippe. Dann könnt ihr den Hals nicht mehr aus der Schlinge ziehen und ihr werdet den Kopf nicht mehr so hoch tragen, denn es wird eine böse Zeit sein.“


Liebe Gemeinde,

das waren grad Worte, die so oder so ähnlich von Propheten benutzt wurden, um die sozialen Missstände in Israel und die Konsequenzen davon zu beschreiben.

Nachzulesen etwa bei Amos und Micha, später bei Jeremia und vielen anderen.

Für diese Männer Gottes war klar: Der negative Umgang mit Gottes Schöpfung und seinen Geschöpfen, die grenzenlose Ausbeutung von Gottes guten Gaben, all das konnte man auf einen einzigen Grund zurückführen: Die Verachtung Gottes.

Wer Gott nicht mehr ehrt und von ihm nichts wissen will, der treibt Schindluder mit den Menschen und der Erde.

Aber – die Geduld Gottes ist nun zu Ende.

Das war zunächst die Hauptbotschaft der Propheten. Die Verfehlungen haben eine harte Strafe zur Folge: Feindliche Großmächte werden kommen und das Land dem Erdboden gleichmachen.

Es bleibt eine einzige Chance, wussten die Propheten: das Volk – alle – müssen sich bekehren, müssen sich besinnen und wieder Gott zuwenden. Am besten, indem sie anfangen und ihn, den Schöpfer ihres Lebens, um Vergebung bitten.

 

Im Nordreich hatten sie die Propheten ausgelacht und Amos zum Beispiel aus dem Land gejagt.

Es war anschließend nur noch eine Randnotiz in der Geschichtsschreibung, dass wenig später die Großmacht Assyrien unter König Salmanassar dafür sorgte, dass in Samaria und im ganzen Norden kein Stein mehr auf dem anderen blieb.

Genau so sah man das etwa 100 Jahre später im Südreich Juda.

An Euphrat und Tigris war längst eine neues Großreich entstanden, die Babylonier.

Wie Gewitterwolken, die sich in der Ferne auftürmen, nahm man in Jerusalem wahr, dass da Gefahr drohte.

Sollte das erneut eine Strafe Gottes ankündigen für die sozialen Ungerechtigkeiten im Land?

 

Die Mehrheit der Bevölkerung hat das nicht wahrgenommen und den Alltagstrott weitergelebt.

Bestechungen, Schiebereien, Zinswucher, falsche Gewichte, gekaufte Fehlurteile, Ausbeutung von Witwen und vieles mehr waren, wie viele Jahre vorher im Nordreich, nun auch im Süden an der Tagesordnung.

Nur Wenige machten sich Sorgen über die Gottvergessenheit, die sich darin ausdrückte.

Dazu gehörten am Ende des 7. Jahrhunderts vor Christus König Joschija und seine Berater.

 

Im Bemühen, das Volk wachzurütteln - am besten so, dass ein Ruck durch das Land gehen sollte zur Umkehr aus der Sackgasse der Gottesferne zurück auf den breiten Weg des Anstands, der Achtung, der Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, dazu bemühte man eine allseits anerkannte Autorität.

Den Influencer schlechthin, der damals vorstellbar war: Mose.

 

Auch wenn viele Leute von Gott Jahwe nichts mehr wissen wollten und vielleicht sogar längst andere fremdländische Götter anbeteten – Ischtar etwa, die Göttin der Erotik - oder Tammuz, den Gott des Wohlstandes – Mose und seine Rettungstaten standen bei der Bevölkerung immer noch recht hoch im Kurs.

Einzelheiten wusste man nicht mehr, aber Mose als Anführer nach der Sklaverei in Ägypten – das hatte sich eingeprägt ins kollektive Gedächtnis.

Und bekannt war auch, dass es Mose war, dem Gott einst am Berg Sinai die 10 Gebote übergeben hatte.

Aber was da wirklich genau drinstand, war bei weitem nicht mehr so klar. Immerhin: Mose und die 10 Gebote da konnten alle was mit anfangen.

 

Und genau das macht man sich jetzt zunutze.

In den Zeiten der Bedrohung durch die Babylonier, die man als  Strafandrohung Gottes verstand, wurde nun noch einmal die Geschichte von Mose erzählt.

Dramatisch, aufrüttelnd und einprägsam.

Die geistliche Erneuerung von Jerusalem und der Bewohner des Südreiches sollte im Geiste des Mose passieren.

Deshalb werden die 10 Gebote wiederholt, deshalb wird das Volk ermahnt, sich wieder Gott zuzuwenden und seinem Weg in Dankbarkeit zu folgen.

Das Deuteronomium wird geschrieben – das 5. Buch Mose.

Und dann wird ein ausgelassenes Fest gefeiert: Der Bund, den Gott mit Mose und seinem Volk geschlossen hat, wird neu beschworen und bekräftigt.

 

Die Erzählung geht so:

Nach 40 Jahren Wüstenwanderung mit dem befreiten Volk steht Mose am Jordan. Er spürt, dass seine Kraft am Ende ist.

Das gelobte Land wird er nicht mehr betreten, dazu ist er zu alt und zu schwach.

Aber er möchte dem Volk und seinem Nachfolger Josua eine Botschaft, nein, die wichtigste Botschaft mit auf den Weg geben, damit sie Orientierung, Halt und das Mittel zum umfassenden Frieden hätten: Die 10 Gebote.

Und dann wird Gott zitiert:

5. Mose 30, 11-14

„Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun?

Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun?

Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“

 

Warum beachtet ihr die 10 Gebote nicht mehr?

Die Zeitgenossen des Königs Joschija haben wohl ähnliche Antworten gegeben, wie wir sie heute auch vielfach hören:

Die Texte sind so alt, das ist alles so lange her.

Die Worte haben vielleicht früher mal was bedeutet, als die Leute noch in Zelten gewohnt haben – aber heute?

Das ist ja auch alles viel zu kompliziert, wie das gemeint ist.

Und überhaupt: Da heißt es doch ständig „du sollst dies nicht und sollst das nicht“.

Das kenn ich noch von meinem Vater und seh noch seinen erhobenen Zeigefinger.

Heute redet mein Hausarzt manchmal so mit mir wegen meinem Übergewicht. Ich lass mir doch nicht mein Leben vermiesen mit den ganzen „Du sollst nicht“.

Aber da steht der alte Mose vor uns und schüttelt den Kopf.

Nein, sagt er leise. Das stimmt so alles nicht.

Ihr braucht niemand losschicken, um euch die Gebote nahe zu bringen.

Ihr braucht keine Ballonfahrer und keinen Hochseekapitän,   keine Wortholer, aber auch keine Theologin, keinen Uni-Professor, keine priesterliche Instanz, keinen Hokuspokus und keine Auslegungskommission und auch keine besondere Begabung.

Es ist keine Ausrede möglich - denn: Das Wort Gottes ist ganz nahe bei dir (V.14). Es ist das Naheliegende!

Es ist ganz einfach.

Es geht nicht darum einzuengen.

Die 10 Gebote sind doch nicht als unüberwindlicher Zaun gedacht, schon gar nicht wie ein Grenzzaun mit Totalüberwachung.

Sondern es geht eher um eine Einfriedung.

So, wie wenn einer mit viel Abstand zueinander drei Holzpfosten an jeder Seite seines Grundstücks aufstellt.

Oder vielleicht reicht es sogar die Erde ein wenig anzuhäufeln, wie man es macht, nachdem man etwas Neues gepflanzt hat – und schon ist dein Areal kenntlich gemacht.

Du weißt, bis wohin du gehen kannst, und dein Nachbar weiß es auch. Reicht. Das einzuhalten bringt Frieden. Deshalb: Einfriedung!

 

Und dann schau nochmal hin.

Die Gebote beginnen mit einer Befreiungszusage.

„Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“

Das ist der Schlüsselsatz.

Gott in Person redet uns an. Nicht eine unerbittliche Macht legt uns Gesetze auf.

Der lebendige Gott nimmt zu uns eine Beziehung auf, er kümmert sich um uns. „Ich habe dich aus dem Sklavenhaus befreit.“

Auf dieser Befreiung beruhen die zehn Gebote.

Das gilt nicht nur für die frühen Israeliten, die aus Ägypten in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Auf andere Weise gilt es auch für uns.

 

Überleg dir, was dich dominiert und niederdrückt.

Die Arbeitsbelastung, deine Selbstsicht immer perfekt sein zu wollen, das Schönheitsideal, dem du irgendwie hinterherhechelst und wenn du in den Spiegel schaust, siehst du doch nur Unpassendes und Hässliches?

Oder ist es deine Angst vor Krankheiten und Corona, die dich fesselt und aus dem Leben verbannt?

Heb deinen Kopf, schau nach vorn, vertrau auf Gott.

Beachte deine Einfriedung, das schon. Halt dich an die AHA-Regeln, aber lass dir die Lebensfreude nicht rauben. Es wird  schon.

Die zehn Gebote beginnen gar nicht mit dem „Du sollst“.

Sie beginnen mit einer Befreiungszusage, mit einer Erinnerung an Gottes gnädige Führung.

Der dürfen wir auch weiterhin vertrauen.

Wer das tief in Herz und Verstand einsinken lässt - Gott will uns als befreie Menschen - der wird das Gute und Richtige tun als Ausdruck der geschenkten Freiheit, als Dank für das Leben, das Gott schenkt.

Und dann heißt es:

Du kannst Vater und Mutter ehren, du darfst den Feiertag heiligen.

Wenn Du Gott achtest, der dich aus allen Abhängigkeiten befreit hat, wirst Du nicht töten, wirst Du nicht ehebrechen oder falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Das ist der Geist, den die 10 Gebote atmen.

 

„Das Wort Gottes ist ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust!“

Es ist das Naheliegende!

Das sagt Mose heute auch zu uns.

Also überleg einfach, was dort, wo du lebst, nötig ist und getan werden kann in diesem Geist.

Das Naheliegende: Respektvoll miteinander umgehen, Ausbeutung vermeiden helfen, Hungrigen zu essen geben, Durstigen zu trinken, Nackte bekleiden und Kranke pflegen, Obdachlose beachten, Trauernde trösten – Ertrinkende retten!

Übrigens: Das Herz ist im alten Israel das Innerste des Menschen, das Organ der Einsicht und des Verstandes.

Wer herzlos ist, ist demnach nicht nur gefühllos, sondern auch ein Dummkopf!

 

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.

 


Predigt zu Erntedank - 04. Oktober 2020


Predigt gehalten von Pfarrer Ralf Hettmannsperger
Predigttext Markus 8, 1-9 - nachzulesen in der BasisBibel hier

Gnade sei mit euch uns Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigttext Markus 8, 1-9 – gelesen aus BasisBibel

Liebe Gemeinde,

von keiner anderen Begebenheit aus dem Leben Jesu wird in den Evangelien so häufig berichtet wie von den Speisungen.
Im Markusevangelium gibt es sogar zwei Erzählungen davon.
Insgesamt werden in den vier Evangelien sogar sechs ganz ähnliche Geschichten erzählt. Immer werden Tausende satt, immer geht die Handlung von Jesus aus, immer ist der Einsatz fast lächerlich gering und die übrigbleibenden Reste über die Maßen viel.
Daraus kann man schon mal ablesen: Scheinbar sind diese Speisungserzählungen absolut wichtig.

Und wenn man dann noch genauer hinschaut, sieht man: Neben den Berichten von der Auferstehung Jesu sind es die einzigen, die in allen vier Evangelien vorkommen.
Jetzt könnte man natürlich sagen: Ist ja kein Wunder, wenn so viele Leute satt werden durch Jesus, indem er aus fast Nichts totalen Überfluss produziert.
Stimmt! Das ist kein Wunder (!) – jedenfalls wohl nicht in den Augen der damaligen Leser, für die die Evangelien geschrieben waren.

Ich glaube, wir Heutigen neigen dazu in diesen Erzählungen eher das Vordergründige, das Grelle wahrzunehmen. Wie, wenn man bei einem Kunstwerk nur die knalligen Farben sieht und sich nicht die Mühe macht, die Struktur zu erkennen, die Komposition der dargestellten Menschen zueinander etwa und deren Körpersprache und Minenspiel. Nur die knalligen Farben.
Die damaligen Leser der Evangelien haben wohl die Bedeutung hinter dem Grellen wahrnehmen können, weil sie tiefer schauten und verstehen konnten. Es ging in der Hauptsache nicht um den Sensationseffekt. Wie wäre es denn sonst zu erklären, dass von den wunderbar satt Gewordenen niemand – nicht ein Einziger – anschließend gedankt hat?

Niemand da, der Steine gesammelt hätte, um ein Denkmal zu errichten für diesen Wundermann Jesus. Keiner ist vor Dankbarkeit auf die Knie gesunken und hat angebetet, noch nicht einmal geklatscht wurde. Wäre das aber nicht zu erwarten, wenn es nur um das Sensationelle ging? Vielmehr heißt es am Ende der Erzählung: „Es waren etwa viertausend Menschen. Jetzt schickte Jesus sie nach Hause.“ Alles klingt so, als wenn das, was Jesus tut, das Normalste der Welt wäre.

Ja, die allermeisten Menschen, die das Evangelium des Markus gelesen haben, kannten auch andere Speisungsgeschichten aus ihrer Heiligen Schrift, der Thora. Als Israel Tausend Jahre vorher aus Ägypten flieht wird das Volk in der Wüste am Leben erhalten durch Manna, das vom Himmel regnet. Später wird von den Propheten Elia und Elisa auch erzählt, dass sie den Hunger von Menschen stillen konnten.
Die Zahlen bei Jesus aber sind viel gewaltiger. Da kann man schon annehmen, dass Markus sagen wollte: Jesus hat viel größere Vollmacht von Gott als früher die Propheten. Aber warum muss er dazu das Unwahrscheinliche noch mehr auf die Spitze treiben?

Ich denke mir das so: Die Erzählung ist so aufgebaut, dass die damaligen Leserinnen und Leser, die Hörerinnen und Hörer, etwa 40, 50 Jahre nach Jesu Kreuzigung und Auferstehung damit ein leicht verständliches und gut nacherzählbares Programm in Händen hatten, wie Christentum geht. Eine Zusammenfassung oder auch eine Gebrauchsanweisung für Zeiten, in denen es schon nicht mehr klar war, wie man genau leben muss, was man machen soll und glauben kann, wenn man als Christ Jesus nachfolgen will.
An der Speisungsgeschichte kann man ablesen: Christ sein heißt,
  • Ohren und Herz öffnen für Gottes Wort und seine Nähe,
  • Augen öffnen, um zu sehen, was Not tut
  • Hände öffnen, um zu geben und frei zu lassen
  • all dies im sicheren Vertrauen darauf, dass bei Jesus die Fülle des Lebens da ist.
Doch nun der Reihe nach.
Weit außerhalb von den nächsten Städten oder Dörfern waren viele Menschen zusammengekommen, um Jesus zuzuhören oder auch nur, um in seiner Nähe zu sein. Man kann sich gut vorstellen, wie die Menschen an seinen Lippen hingen, wie sie lauschten, was er ihnen zu erzählen hatte von Gottes Barmherzigkeit und seinem neuen Reich, wo es gerecht zugeht und alle eingeladen sind – ohne Unterschiede.

Und dann hat Jesus sie angesehen. Zunächst wagten sie vielleicht gar nicht seinem Blick Stand zu halten. Aber dann ging es immer besser. Immer mehr fühlten sie sich wirklich wahrgenommen, persönlich angesprochen und wertgeschätzt von diesem Menschen, der eine so unglaubliche Ausstrahlung hatte.                                                                                                                                                                     
Wirklich göttliche Worte konnte er sagen, die ihr Herz erreichten. Da konnten sie auf einmal wieder den Rücken gerademachen und den Kopf erheben. Drei Tage blieben sie beieinander. So fesselnd war das, was von Jesus ausging.

Und in den Pausen, etwa, wenn Jesus sich zurückzog, um zu beten und um so Kraft zu schöpfen, haben sich bestimmt viele miteinander unterhalten und diskutiert. Über den Sinn ihres bisherigen Lebens und über die neuen Perspektiven. Was gibt Halt und Orientierung?
Welche Auswirkungen hat die spürbare Nähe Gottes und wie wollen wir jetzt unser Leben im Vertrauen auf Gottes Nähe und Jesu Unterstützung neu anpacken? Und bestimmt war Thema ihrer Gespräche auch, wie sie diese wohltuende Gemeinschaft weiterhin würden erleben können.
Als Jesus wieder da ist mit neuer Spannkraft, entdecken sie vielleicht dieses entspannte Lächeln auf seinem Gesicht, das so anziehend wirkt. In meiner Vorstellung lacht da Jesus über sich selbst. Denn erst, als er selbst ein wenig Abstand hat, fällt ihm auf – oder Gott hat ihm die Augen geöffnet – dass er vor lauter eigener Begeisterung über Gottes Liebe und Zuneigung schon seit vielen Stunden ganz vergessen hat etwas zu essen.

Und dann greift er sich vielleicht an den Kopf und sagt lachend: „Um Himmels Willen. Ich war so in meinem Element. Da hab ich ganz vergessen, dass ihr ja auch die ganze Zeit nichts gegessen habt.“                                                                                                                                   Und zu den Jüngern sagt er: „Die Volksmenge tut mir leid. Sie sind nun schon drei Tage bei mir und haben nichts zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs zusammenbrechen, denn einige sind von weit her gekommen.“

Und die Menschen erleben und lesen daraus: Jesus redet nicht nur von Gottes Liebe und Nähe und es geht auch nicht nur um Nahrung für sie Seele, so wichtig die auch ist und von vielen oft ganz lange entbehrt.
Nein: Es geht auch um die Sorge für die körperlichen Bedürfnisse. Das heißt doch: Jesus schaut nach Dir. Sieht Dich. Er fragt nicht: »Was hast Du vorzuweisen? Bist Du genug? Du musst aber noch..«  Er sieht nur: Du hast Hunger. Lebenshunger. Das tut ihm leid.           Er weiß, was für einen langen Weg Du schon gegangen bist. Er sieht Dich. Und er sieht, was Du brauchst.
Und dann gibt er. Einfach so. Sei’s Brot und Fisch oder sei’s ein Wort und eine Kraft. Ein Trost oder ein Segen – oder ein Wink für den nächsten Weg: Jesus wird Dich nicht leer gehen lassen. Niemals. Bei ihm ist die Fülle des Lebens.                                                             Hautnah können die Menschen spüren: Dieser Glaube ist keine Theorie, keine Idee, sondern Glaube wirkt und verändert das Leben zum Guten hin. Das eigene und das der anderen Bedürftigen.

Versteht man es so, dann begreift man, warum unsere Kirche diese Geschichte für das heutige Erntedankfest als Predigttext vorgeschlagen hat. Das ist ein Fest, an dem wir Gott in besonderer Weise für unsere Nahrung danken. Darüber hinaus danken wir ihm für alles, was er uns sonst noch an Lebensnotwendigem täglich zuteilwerden lässt: für nahestehende Menschen um uns herum, die uns Geborgenheit geben, für Lebensenergie und Gesundheit und gerade in dieser Corona-Zeit für ein gutes Gesundheitssystem, besonnene Regierungen in Bund und Land, Entscheider, die Wissenschaftlern trauen, belastbare und motivierte Menschen in medizinisch-pflegerischen Berufen. Danken dürfen wir aber auch für sinnvolle Arbeit, die unserem Leben einen Inhalt gibt und so vieles mehr.

So bekommen auch die großen Zahlen unserer Geschichte plötzlich einen neuen Sinn. Es gibt auf Gottes Erde so unglaublich viele Menschen, und trotzdem ist für alle genug Nahrung da. Oder richtiger: Es wäre so, wenn wir für eine gerechte Verteilung sorgen würden. Es ist kein Naturgesetz, dass so viele Menschen weltweit hungern müssen. Und das haben wir auch schon mal besser hingekriegt.

Wenn wir in der reichen Welt nicht aus lauter Gier viel mehr Nahrungsmittel produzierten, als wir verbrauchen können, und dann mit den Überschüssen die Märkte auf der Südhalbkugel überschwemmten und kaputt machten, würde es tatsächlich für alle reichen. Oder wenn wir nicht in Indien guten Weizen kaufen würden, um hier so viel Brot zu produzieren, dass wir einen Großteil wieder wegschmeißen müssen.
Jedes Jahr landen bei uns pro Person – vom Baby bis zum Greis – 85 kg Lebensmittel auf dem Müll. Das sind 21 Mrd. Euro Lebensmittelverschwendung. Das ist nicht strafbar. Containern ist strafbar. Es ist verboten, Nahrungsmittel aus den Abfallbehältern der Supermärkte rauszuholen für den eigenen Bedarf.

All dies ist eine höchst aktuelle politische Konsequenz, von der der Evangelist Markus noch nichts geahnt hat, die aber in seiner Geschichte schon drinsteckt.
Ähnliches gilt für die Beschreibung, wie die Jünger auf Jesu Auftrag reagieren, den Leuten zu essen zu geben. Sie sind pessimistisch, denn es ist kaum etwas da zum Verteilen. Jesus aber sieht nicht auf den Mangel, sondern auf das, was wirklich da ist. Sieben Brote und einige Fische. Das ist mehr als nichts. Die Jünger aber denken: Das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Lohnt sich erst gar nicht damit anzufangen. Da kann man doch von vornherein aufgeben!

Diese Haltung, liebe Gemeinde, kenn ich nur zu gut auch bei mir. Mit Blick auf die zahllosen Fragen, Baustellen und Problemen unserer Zeit, die mir zu Herzen gehen, ist manchmal schon auch der Impuls da einfach zu resignieren.
„Mach das bloß nicht!“ erzählt uns die Geschichte von der wunderbaren Speisung. Schau nicht auf den Mangel, sondern schau auf Jesus und frag dich: „Was ist vorhanden? Es ist mehr als nichts. Und dann fang an.“

Ja, liebe Gemeinde, und dann fällt uns natürlich ein, dass das Fest, das wir gestern feiern konnten – 30 Jahre deutsche Einheit – nur möglich war, weil Menschen, die kaum was Greifbares hatten, auf Gebete vertrauten und Kerzen entzündeten und immer und immer wieder zusammenkamen. Und am Ende fiel die Mauer.
Und auch das kleine Mädchen kommt mir in den Sinn, das 2018 an einem Freitag mit einem selbstgemalten Schild vor dem Stockholmer Reichstag zum Schulstreik für den Klimawandel aufrief. Was aus der Aktion von Greta Thunberg geworden ist, wissen wir.

Also frage niemals „Wie soll das gehen? Was kann ich schon ausrichten?“, sondern stelle ruhig und gelassen die Jesus-Frage: „Was ist da?“ Und dann fang an, fang wieder an oder neu. Fang an, das, was da ist, einzusetzen und zu verteilen – und Gott wird für das Wunder sorgen.
Und zum Schluss: „Es waren etwa viertausend Menschen. Jetzt schickte Jesus sie nach Hause.“ Am Ende lässt Jesus sie gehen. Auch einfach so. Er sagt nicht: »Okay, ich hab’ Euch satt gemacht, jetzt macht aber mal, was ich will«. Will er nicht. Braucht er nicht.              
Er lässt sie gehen. Ganz frei. Ganz ins Leben. So macht das Jesus. So geht christliches Leben:
Ohren und Herz öffnen für Gottes Wort und seine Nähe
Augen öffnen, um zu sehen, was Not tut
Hände öffnen, um zu geben und frei zu lassen.
Mit Jesus Christus ist die Fülle des Lebens da.  

Bleibt behütet und bleibt stark. Amen.
 

Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis - 27.09.2020


Predigt gehalten von Vikarin Franziska Boltenhagen

Predigttext: 2. Tim 1, 7-10

Liebe Gemeinde,

einer der häufigsten Sätze in der Bibel ist auch einer der bekanntesten: „Fürchte dich nicht!“. Immer wieder hören verzweifelte oder verängstigte und erschrockene Menschen diesen Satz. Oft sagt sogar Gott selbst oder ein Bote von ihm ihn.
Timotheus, an den der Brief, aus dem der Predigttext stammt, gerichtet ist, ist auch so ein verzweifelter, verängstigter Mensch. Er ist Gemeindeleiter einer Gemeinde Anfang des 2. Jahrhunderts. Erst seit kurzem gibt es Struktur in den neuen christlichen Gemeinden, es gibt Gemeindeleiter, Diakone und Älteste. Aber das führte wahrscheinlich nicht nur im guten Sinne dazu, dass alles fester und strukturierter wurde. Auch die Verkündigung, das Evangelium, wurde härter, kam nicht mehr so gut bei den Leuten an. Und außerdem gab es so viel anderes interessantes. Von Jesus hatten die Leute ja nun gehört, in den Tempeln und anderen Gemeinschaften wurden auch spannende Geschichten erzählt. Timotheus weiß nicht so recht, wie er da noch weiter machen soll.

Zudem ist es im 2. Jahrhundert auch sonst nicht leicht, bekennender Christ zu sein. Verspottet und missachtet zu werden, ja, sogar Verfolgung waren nichts Außergewöhnliches.

Und in diese Situation hinein erhält Timotheus diesen Brief. Er ist von Paulus, dem großen Apostel und Gemeindegründer so vieler Gemeinden. Dass Paulus selbst schon einige Jahre nicht mehr lebt, tut da nicht zur Sache. Ein Schüler von Paulus hat diesen Brief geschrieben, das war damals ganz normal. Man schrieb im Namen einer großen Autorität. Heute würden wir vielleicht sagen: „Wenn Paulus noch leben würde, hätte er dir bestimmt geraten…“. Diese komplizierte Formulierung hat man sich damals gespart. Timotheus wusste ja, dass der Brief nicht von Paulus direkt kommen kann, dass er aber in seinem Sinn verfasst wurde.

Und dieser Brief, besonders die Stelle, die ich als Predigttext vorgelesen habe, ist eigentlich ein großes ausformuliertes „Fürchte dich nicht!“. Sogar mit Begründung.
Fürchte dich nicht, denn Jesus Christus hat für dich und für alle dem Tode die Macht genommen. Er hat den Tod besiegt und das ewige Leben gebracht.

Der Brief macht Mut, sich nicht zu verstecken mit dem Evangelium, sich nicht dafür zu schämen. Ja, verspottet zu werden gehörte wohl dazu. Schließlich war man Anhänger eines Mannes, der auf schändlichste Weise am Kreuz gestorben war. Das kam bei vielen nicht gut an, das konnten die, die von der Botschaft nicht zu überzeugen waren, nicht verstehen. Da wurde man ausgelacht.
Und dann auch noch von Paulus zu diesem Glauben gebracht. Dieser Typ, der gar nicht so gut reden konnte und der dauernd im Gefängnis saß.

Ich kann mir vorstellen, dass Timotheus und seine Leute da ab und zu, wenn es nicht so richtig lief in der Gemeinde, verzweifelten. Dass sie sich schämten und überlegten, ob die anderen nicht doch recht haben.

Und dann: Fürchte dich nicht! Gott lässt uns nicht allein. Er gibt uns seinen Geist. Und er weiß, dass das Leben vielfältig ist. Darum gibt er seinen Geist in verschiedenen Facetten. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Er hat uns selig gemacht und berufen mit dem heiligen Ruf. Nicht, weil wir tolle Leute sind, sondern aus Gnade.“ Jesus Christus hat für uns das Leben gebracht, das stärker ist als der Tod.

Nicht nur für Timotheus ist war das tröstend und ermutigend. Im März und April 2020, am Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland, hatte ich das Gefühl, dieser erste Vers des Predigttextes, dieses ausformulierte „Fürchte dich nicht!“ war DER Vers gegen die Angst vor dem Virus. An allen Ecken und Enden, in allen möglichen neuen und alten digitalen und analogen Formaten konnte man diesen Vers lesen und hören.

Und dann heute. Auch nach einem halben Jahr Corona und allem, was sonst noch so passiert ist, passt dieser Vers hervorragend, finde ich.

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht. Diesen Geist gibt es in der Welt. Das weiß der Briefschreiber, das weiß Timotheus, das wissen wir. Angst und sogar Furcht zu haben, das ist ganz normal. Angst und Furcht können uns schützen, aber sie können auch lähmen.

Vielleicht fürchtete sich Timotheus so sehr vor den Worten der anderen und davor, dass es mit der Gemeinde nicht weiter gehen würde, dass er sich zurückzog. Erst mal abwartete.
Ganz ähnlich scheint es momentan vielen Kirchenleuten zu gehen. Da sind die hohen Austrittszahlen, der Blick auf die vielen vakanten Stellen und die, die es in den nächsten Jahren werden und dann auf die wenigen Vikarinnen und Vikare. Und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Gemeinden, die „Zukunft“? Wo sind die denn? Scheinbar nicht oder nur wenig in unseren Kirchen. Schade. Ist die Kirche denn noch systemrelevant?
Die Angst davor, dass sie es nicht ist, und die Furcht, dass, wenn wir etwas ändern, die Leute, die jetzt noch kommen dann auch weg bleiben, scheint einige zu lähmen.

Einige von Ihnen wissen, dass ich inzwischen im Krankenhaus mein Spezialvikariat mache. Auch da ist der Geist der Furcht oft spürbar. Er kann vor oder auch nach einer schweren Diagnose dazu führen, dass Patient*innen wie gelähmt sind. Nicht mehr wissen, wie sie weiter machen sollen. Resignieren.

Dieser Geist der Furcht bringt Menschen dazu, sich zu verkriechen, sich klein zu machen, stumm zu sein und sogar Unrecht hinzunehmen, nur, um nicht noch mehr aufzufallen.

Angst und Furcht gehören zum Leben. Der Glaube nimmt sie nicht weg. Wäre das so, wären viele der „Fürchte dich nicht“ in der Bibel nicht notwendig. Denn oft wird dieser Satz zu sehr gläubigen Menschen gesprochen. Der Glaube tilgt die Furcht nicht einfach. Er verdrängt die Angst auch nicht. Er ist nicht da, um sich stark zu geben, wo die Angst einen eigentlich klein und schwach macht. Das zu denken, wäre nicht nur naiv, das wäre gefährlich. Denn dann frisst die Angst einen von innen auf.
Nein, der Glaube und Gottes Geist helfen, mit der Angst und der Furcht umzugehen. Ihr mutig entgegenzustehen.
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Diese drei gehören zusammen, um der Furcht und Angst entgegenzustehen.
Zuerst mal die Kraft. Auf Griechisch steht da „dunamij“. Das deutsche Wort „Dynamik“ oder auch „dynamisch“ kommt davon. Der Geist der Kraft, er gibt Schwung und bringt in Bewegung, was vor Furcht erstarrt ist. Er lässt Menschen neue Wege gehen, durch ihn sprudeln Ideen. Zum Beispiel wie man Kirche heute gestalten kann. Damals bei Timotheus und heute bei uns. Durch diesen Geist wurden kurzfristig zig Formate und Aktionen geplant und umgesetzt, als wir im März plötzlich keine Gottesdienste vor Ort mehr feiern durften.
Der Geist der Kraft hat auf dem Kirchentag in Dortmund Menschen dazu gebracht, ein Schiff aufs Mittelmeer zu schicken, um in Seenot geratene Menschen zu retten.
Er treibt Menschen in Belarus auf die Straße, um für Gerechtigkeit zu demonstrieren.
Er lässt viele Menschen aufschreien, um nach Hilfe für Moria zu rufen.
Der Geist der Kraft treibt Menschen an, zu helfen und andere, doch wieder aus dem Krankenbett aufzustehen, eine Therapie zu beginnen, weiterzumachen.

Aber der Geist der Kraft allein kann leicht in blinden Aktionismus umschlagen.
Darum hat Gott auch den Geist der Liebe und der Besonnenheit dazu gegeben. Die beiden halten die Kraft im Zaum.
Die Liebe lässt uns die Menschen sehen. Vielleicht war Timotheus so in seinen Sorgen vergraben, dass er die Gemeinde und die, die von ihm als Gemeindeleiter das Evangelium hören wollten, gar nicht mehr sah. Für ihn ging es nicht darum, nun vom Geist der Kraft getrieben auf den Marktplatz zu gehen und laut die Botschaft Jesu Christi in die Welt zu rufen. Das wäre unter Umständen sehr gefährlich geworden. Für ihn ging es darum, den Nächsten wieder zu sehen. Seine Gemeindemitglieder. Für die sollte er da sein.

Im März ging es für uns darum, füreinander da zu sein, ohne sich und andere zu gefährden. Der Geist der Kraft zusammen mit dem Geist der Liebe haben uns dazu gebracht, auf die sogenannten Risikogruppen zu achten, füreinander einkaufen zu gehen, zu telefonieren, statt zu besuchen.
Dieser Geist leitet uns dazu an, aufeinander zu achten, Bedürfnisse zu respektieren und gut miteinander umzugehen.
Und der Geist der Liebe funktioniert auch andersherum. Er befähigt nicht nur, die anderen zu sehen, sondern er öffnet uns auch Herz und Sinne, um wahrzunehmen, wo uns Liebe und Gutes entgegengebracht wird. Er hilft uns, aufmerksam und dankbar zu sein.

Der Geist der Liebe und der Besonnenheit gemeinsam haben dazu geführt, dass nicht einfach irgendwie ein Schiff organisiert wurde, sondern dass ein großes Bündnis geschlossen wurde, united4rescue, an dem sich viele Menschen beteiligen. So konnte schließlich ein Schiff gekauft und zur Seawatch 4 umgebaut werden. Viel Planung, Liebe und Besonnenheit sind in dieses Schiff geflossen.

Dieser Geist wird gefordert, wenn wir nach Belarus schauen und für Moria aufschreien. Auch da muss mit Liebe und Besonnenheit gehandelt werden. Konzepte müssen erarbeitet werden. Aber genau das muss geschehen.
Denn vor allem die Besonnenheit darf nicht dazu führen, sich zu sehr zu verplanen, zu minutiös und haarklein zu schauen, sodass am Ende alles eingestampft wird, weil es zu großer Aufwand wäre.

Der Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit treten gemeinsam gegen die Furcht an. Keiner der drei darf dabei fehlen. Sie zusammen bringen den Mut, den es braucht, Neues zu wagen. Auch bei uns heute in der Kirche. Fürchte dich nicht! Probiert aus, lasst Altes weg, versucht Neues, arbeitet zusammen. Keiner kann und muss alles alleine machen. Kraft, Liebe und Besonnenheit müssen zusammenarbeiten. In jedem einzelnen und auch in Gruppen und Teams. Nur dann kann Neues gelingen und die Furcht vor dem, was anders und ungewohnt ist, kann überwunden werden.

Mit und in diesen Geist hat Gott uns berufen mit einem heiligen Ruf. Er ruft uns immer wieder sein „Fürchte dich nicht“ zu. Er lässt uns nicht allein in unserer menschlichen Furcht, die uns so vielfältig begegnet. Ich glaube, viele von den Rufen Gottes, die der Briefschreiber hier „einen heiligen Ruf“ nennt, beginnen mit „Fürchte dich nicht“. Einer so ein heiliger Ruf steht bei Jesaja im 43. Kapitel. Er ist für mich die ultimative Zusage Gottes: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“. Ein anderer heiliger Ruf geht an die Hirten in der heiligen Nacht: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Und noch einen anderen heiligen Ruf, der auch dem Briefschreiber und Timotheus ganz besonders wichtig ist, hören die Frauen am Ostermorgen. Da sagt der Engel: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden“.
Im Timotheusbrief steht eigentlich das gleiche. Hier heißt es, dass uns dieser Geist durch die Gnade Gottes zuteil geworden ist, was sich ganz deutlich zeigt in „Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“ Das ist der heilige Ruf. Das ist das, was uns stark macht, was Kraft, Liebe und Besonnenheit verbindet zu Mut und überlegtem Handeln.

Erfüllt vom Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit, gerufen vom heiligen Ruf Gottes nur durch seine Gnade und im Vertrauen darauf, dass Jesus Christus den Tod besiegt hat, bleibt uns dann nichts anderes, als in den 68. Psalm einzustimmen und zu bekennen:
„Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, der vom Tode errettet.“  Amen.

Fürbitten
Gott,
gib uns immer wieder deinen Geist.
Den Geist der Kraft, dass wir nicht aufgeben und nicht müde werden, Neues zu probieren.
Den Geist der Liebe, dass wir einander sehen und auf uns und unsere Nächsten Acht geben.
Den Geist der Besonnenheit, dass wir uns nicht überstürzt und ohne nachzudenken in Ideen verrennen.

Gib du deinen Geist und sei bei allen, die krank und schwach sind. Sei du bei ihnen im Krankenhaus, daheim in ihren Wohnungen und überall auf der Welt.
Schenke ihnen Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Gib du deinen Geist und sei bei allen, die helfen. Sei bei Ärzten und Ärztinnen, Pflegenden und Angehörigen.
Schenke ihnen Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Gibt du deinen Geist und sei bei allen, die sich für andere Menschen einsetzten.
Sei bei allen, die sich für Geflüchtete einsetze, hier bei uns, in den Lagern und auf dem Meer. Sei bei der Crew der Seawatch 4, wenn sie hoffentlich bald wieder in See stechen dürfen.
Schenke ihnen Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Gib du deinen Geist und sei bei allen, die alles verloren haben.
Sei bei den Menschen in Moria und an anderen Orten der Welt, die hungern und vor Gewalt und Krieg fliehen.
Schenke ihnen Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Gib du deinen Geist und sein bei allen, die für ihre Zukunft kämpfen.
Sei bei den Demonstrierenden in Belarus, wenn sie für Gerechtigkeit und Demokratie streiten und sei bei allen, die bei uns und auf der ganzen Welt auf die Straße gehen, um für das Klima zu kämpfen.
Schenke Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Gott, du rufst uns mit deinem heiligen Ruf. Du lässt uns nicht allein. Hab dank für deine Gnade.

Amen

Bleiben Sie behütet!
Ihre Vikarin Franziska Boltenhagen

Als nunmehr ehemaliger Mentor darf ich Vikarin Franziska Boltenhagen herzlichst und mit großer Freude zu dieser wunderbaren Predigt und den sprachlich und seelsorgerlich sehr ansprechenden Fürbitten gratulieren. Beide Elemente, wie überhaupt ihr gesamtes gottesdienstliches Handeln in ihrem Prüfungsgottesdienst am 27. September, wurden von der Prüfungskommission als herausragende Leistung - die Fürbitten gar als "liturgisches Meisterstück" - bewertet!
Mit besten Wünschen für die weiteren Monate im Spezialvikariat und das nachfolgende Examen konnten wir Franziska Boltenhagen aus dem Gemeindevikariat verabschieden. Ralf Hettmannsperger.
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